Viktoria Schnaderbeck: "Ich bin stolz, wie ich bin"

Viktoria Schnaderbeck, Kapitänin der österreichischen Fußballnationalmannschaft, spricht im Interview über die EM in England, ihre Karriere nach dem Sport und die Akzeptanz von Homosexualität in Sport und Gesellschaft.

von Viktoria Schnaderbeck © Bild: IMAGO images/AFLOSPORT

Könnte die EM in England auch vor dem Hintergrund der unbeliebten WM der Männer in Katar einen besonderen Charakter haben?
Im Vergleich zur Männer-WM in Katar geht es bei uns um etwas ganz anderes, so wie überhaupt im Frauenfußball echte Werte im Vordergrund stehen. Geld ist eben nicht das Wichtigste für uns Spielerinnen. Aber auch sportlich wird diese EM einen neuen Level erreichen. Ich erwarte ein hohes Niveau. Und es wird Zuschauerrekorde geben, weil viele Mannschaften um den Titel spielen können und das Turnier sehr ausgeglichen sein wird.

Sie haben ja in England gespielt. Dort ist Frauenfußball generell auf einem hohen Level.
Ich habe selbst hautnah miterlebt, was sich dort sportlich, aber auch finanziell geändert hat. Immer mehr Männervereine stecken Geld in den Frauenfußball, es gibt neue Medienpartner wie Sky und BBC, dazu eine bessere Infrastruktur. Aber auch bei den Fans hat sich viel getan: Wichtige Spiele werden heute in den Männerstadien gespielt und sind beinahe ausverkauft.

Und wie hat sich im Vergleich dazu die Einstellung in Österreich zum Frauenfußball geändert?
Die Akzeptanz ist zweifellos gestiegen, das lag vor allem an der Europameisterschaft 2017, bei der wir unerwartet ins Halbfinale gekommen sind. Seither hat sich viel getan, so überträgt der ORF nicht nur die Spiele der EM, sondern auch Ligaspiele und den Cup. Generell gibt es mehr Medieninteresse und mehr Berichterstattung. Leider ist bei den Zuschauerzahlen noch nicht viel passiert, obwohl es sportlich in der österreichischen Liga eine Weiterentwicklung gibt. Im Vergleich zu Deutschland oder England gibt es allerdings noch wenige Männervereine, die auch eine Frauenmannschaft haben. Da hinken wir stark hinterher.

Sie haben sich von klein auf in einer Welt durchgesetzt, in der Männer dominieren. Was hat Sie angetrieben?
Der erste und eigentliche Antrieb war, dass ich gerne Fußball spiele und gerne in einer Mannschaft bin. Mein Talent wurde erkannt, doch dann sind die Vorurteile gekommen, bei den Gegnern und bei anderen Eltern. Das hat mich angetrieben und ich habe mir gedacht: "Jetzt erst recht, jetzt zeige ich es ihnen!" Und dann wollte ich immer höher hinaus, ich habe einfach diese intrinsische Motivation, immer stärker zu werden.

Ein leidiges Thema sind die Unterschiede bei der Bezahlung. In den USA werden Fußballerinnen nun gleich bezahlt wie Fußballer. Ist das für Europa realistisch?
Momentan nicht, wenn man sieht, wie viele Millionen zum Beispiel in der Premier League bezahlt werden. Aber man kann auf eine Annäherung hoffen, wenn auch nicht auf eine Angleichung -dafür müsste sich wiederum der Männerfußball ändern und bei den Frauen müssten die Gehälter deutlich steigen. Aber bevor wir über die Bezahlung reden, sollten wir mal die Bedingungen angleichen. Derzeit haben Mädchen und Frauen einfach nicht dieselben Möglichkeiten.

Was ist damit gemeint?
Es betrifft unterschiedliche Bereiche, das haben alle meine Mannschaftskolleginnen erlebt, dass Männer bevorzugt werden. Sie haben bessere Anstoßzeiten, bessere Infrastruktur und vieles mehr -das wirkt sich eben auf die sportliche Leistung aus. Ein Messi könnte auch keine hundert Prozent leisten, wenn er nebenbei 40 Stunden arbeiten müsste.

Ist der Frauenfußball damit auch ein Gradmesser für die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft?
Ja, es ist ein gesellschaftspolitisches Thema. In der Arbeitswelt wird auch um die gleichen Möglichkeiten gekämpft, Themen wie die Elternzeit spielen da eine Rolle. Die finanzielle Kluft mag im Fußball größer sein, aber im Prinzip geht es um das Gleiche.

Sie waren von Arsenal London zuletzt an den Lokalrivalen Tottenham ausgeliehen, nun haben Sie den Vertrag beendet. Wie geht es weiter?
Um ehrlich zu sein, habe ich noch keine Entscheidung getroffen. Ich werde das erst nach der EM entscheiden, aus unterschiedlichen Gründen, vor allem auch bezüglich meiner körperlichen Situation. Aktuell bin ich sehr fit -das werde ich bei der EM zeigen. Ich möchte aber die nächsten Wochen abwarten. Sportlich mache ich mir keine Sorgen um meine Zukunft.

»Früher hatte ich mich ertappt, ein Schamgefühl zu haben. Da stehe ich heute drüber: Ich bin stolz, wie ich bin und mit wem ich zusammenlebe.«

Sie haben sich 2019 als homosexuell geoutet. Was hat sich danach für Sie geändert, im Sport und im Privatleben?
Im Sport hat sich gar nicht viel geändert, es hat ja bereits andere Spielerinnen in der Vergangenheit geben, die sich geoutet haben. Privat hat sich für mich hingegen durchaus viel verändert, ich kann heute viel freier und offener damit umgehen. Früher hatte ich mich ertappt, ein Schamgefühl zu haben. Da stehe ich heute drüber: Ich bin stolz, wie ich bin und mit wem ich zusammenlebe.

Bei den Männern sind Spieler, die zu ihrer Homosexualität stehen, noch eine Ausnahme. Weshalb?
Es ist eine Kombination aus vielen Faktoren. Einerseits ist die Fankultur noch eine andere, da gibt es dieses alte Denken, dass Fußballer stark und maskulin sein müssen. Zudem ist der Druck größer, weil es mehr Zuschauer gibt -die können auch brutal sein. Und dann wird die Angst dadurch verstärkt, dass es Leute wie den ehemaligen deutschen Nationalspieler Philipp Lahm gibt, der davon abrät, die Homosexualität öffentlich zu machen.

Wie beurteilen Sie generell die Unterschiede etwa zwischen England und Österreich, was die Akzeptanz von Homosexualität oder etwa auch von Transgenderpersonen betrifft?
Man muss England und London unterscheiden, ich kenne halt London, dort ist das überhaupt kein Thema, aber auch in England insgesamt ist das mehr akzeptiert. In Österreich wird das immer noch eher tabuisiert. Ich komme vom Land, da wird kaum darüber gesprochen. Das ist die falsche Denkweise.

Beim Frauenfußball fällt auf, dass im Vergleich zu den Männern viel weniger gejammert und simuliert wird. Wieso?
Wir haben tatsächlich weniger Spielunterbrechungen, es geht rascher weiter. Weshalb das so ist, kann ich nicht sagen. Unser Sport ist eben ehrlich und fair. Es geht um den Fußball und um sonst nichts.

Sie wurden in Ihrer Karriere öfters durch Verletzungen zurückgeworfen. Wie konnten Sie sich dann immer wieder neu motivieren?
Letztendlich habe ich immer wieder die Motivation gehabt, neu anzugreifen. Dabei haben mir mein Wille und Vertrauen in meine Qualitäten geholfen. Außerdem habe ich Ziele gehabt, auf die ich mich stets fokussierte. Du brauchst gute Gründe, weshalb du etwas schaffen willst und auch Rückschläge wegsteckst. Ich habe es stets als Herausforderung begriffen: Was dich nicht umwirft, macht dich stärker. Und ich habe spüren können, dass ich als Person gereift bin. Ich habe auch stets hinterfragt, ob es das ist, was ich will. Das konnte ich bisher stets bejahen.

Sie halten jetzt Vorträge und stehen kurz davor, den Master-Abschluss in Wirtschaftspsychologie zu machen. Was planen Sie für die Zeit nach dem Fußball?

Ich habe immer schon an die Karriere nach der Karriere gedacht. Daher konnte ich mir etwa als Keynote-Speaker ein zweites Standbein neben dem Fußball aufbauen. Das werde ich fortführen, weil ich auch privat hohe Ansprüche habe. Irgendwann wird dieser Cut kommen, dann werde ich mich auf die neue berufliche Karriere einstimmen. Ich werde aber nicht mit leeren Händen dastehen.

Sind Wirtschaft und Sport wirklich verwandt?
Man hört immer, dass man im Fußball jene Soft Skills entwickelt, die so wichtig sind. Wenn ich die Geschichten erzählte, die ich im Fußball erlebt habe, merke ich, dass das stimmt. Auch im Leben und in der Wirtschaft muss man Rückschläge wegstecken. Es geht um essenzielle Fragen: Wie entwickelt man eine Gewinnermentalität, wie wird man erfolgreich, wie hält man den Erfolg?

»Wir Frauen haben finanziell nicht ausgesorgt. «

Wäre ein männlicher Kollege und Stammspieler bei Arsenal im Nationalteam, hätte er finanziell ausgesorgt. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Wir Frauen haben finanziell nicht ausgesorgt. Aber bei den Männern ist es mit dem Fußball mit 35 vorbei, und dann hast du ja noch ein langes Leben vor dir. Geld ist nicht der einzige Faktor, der glücklich macht. Ein Job ist sehr wichtig. Der Schlüssel zur Zufriedenheit und zu Erfolg ist nicht nur die finanzielle Absicherung, sondern auch die Erfüllung in dem, was du machst.

Sie sind Kapitänin der österreichischen Nationalmannschaft. Worauf kommt es in dieser Position an?
Jeder hat da einen anderen Zugang, ich persönlich sehe mich stark als Vorbild -am Platz und neben dem Platz. Ich bin auch der Überzeugung, dass man dann am stärksten ist, wenn man als Team auftritt und das schwächste Glied mitnimmt. Ich will daher junge Spielerinnen einbeziehen, da sehe ich mich stark in der Rolle, eine Verantwortung zu übernehmen, über das Sportliche hinaus.

Sind Sie auch abseits des Fußballs ein Teamplayer?
Ich bin schon sehr sozial und weiß, dass ich ein stabiles Umfeld mit meiner Partnerin, meiner Familie und meinen Freunden brauche. Doch bei all der Öffentlichkeit und den permanenten Einflüssen bin ich gerne auch mal alleine. Ich brauche einfach diese Mischung.

ZUR PERSON: Viktoria Schnaderbeck, 31, ist Profifußballerin und Kapitänin des österreichischen Nationalteams, das derzeit bei der Europameisterschaft in England spielt. Die Steirerin wurde im Alter von 16 Jahren von FC Bayern München verpflichtet, 2018 wechselte sie zu Arsenal nach London. Nachdem sie zuletzt an den Lokalrivalen Tottenham ausgeliehen war, wurde der Vertrag mit Arsenal vor Kurzem beendet. Seit 2007 spielt Schnaderbeck für das österreichische Nationalteam. Neben der Sportkarriere hält sie Vorträge bei Businessevents und wird in Kürze das Studium der Wirtschaftspsychologie abschließen.

Dieses Interview erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 27/2022.