Die Frage nach "den Nazis"

„Nicht jeder Anführer ist ein Hitler – nur Hitler war Hitler“

Alles Rechtsextreme? Faschisten? Nationalisten? Oder doch Nazis? Bezeichnungen wie diese werden, so stellt das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands fest, oft unreflektiert und durcheinander verwendet. Zeit, der begrifflichen Verwirrung ein Ende zu setzen.

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Egal ob AfD in Deutschland, FPÖ in Österreich, Lega Nord in Italien, Front National in Frankreich oder UKIP in Großbritannien - die Erfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa und der Welt sind nicht mehr zu übersehen. Längst sind sie keine Randerscheinung mehr, sondern fester Bestandteil des politischen Spektrums. Sie haben sich als politische Kräfte etabliert und prägen immer stärker den Kurs ihrer Länder.

»Rechtspopulistische Parteien sind bislang die erfolgreichste neue Parteienfamilie, die im Nachkriegseuropa aufgekommen ist«

Ein Trend, der dem Politikwissenschaftler Cas Mudde zufolge ganz klar nach oben geht: „Rechtspopulistische Parteien sind bislang die erfolgreichste neue Parteienfamilie, die im Nachkriegseuropa aufgekommen ist“. Die erfolgreichste Anti-Establishment- und mittlerweile Regierungs-Partei in der EU ist übrigens die FPÖ. Sie weist den höchsten Stimmenanteil auf und kam bei der letzten Nationalratswahl auf 25,97 Prozent. Zum Vergleich: Im Durchschnitt liegt der Stimmenanteil populistischer Parteien in europäischen Demokratien bei 13,1 Prozent.

Rechtspopulismus

Doch was genau ist mit Rechtspopulismus gemeint? Um den Begriff in seinem Ganzem fassen zu können, bedarf es einem Sprung in die Vergangenheit: Nach dem zweiten Weltkrieg herrschten in den liberalen Demokratien Westeuropas einige Jahrzehnte lang stabile politische Verhältnisse. Ab den 70er-Jahren setzte jedoch eine Wende ein. Bei den Wählern machte sich eine stärkere Politikverdrossenheit bemerkbar sowie ein wachsendes Misstrauen gegenüber politischen Institutionen. Dazu kamen vielseitige gesellschaftliche Veränderungen in allen Lebensbereichen. Globalisierung, Migrationsbewegungen und der beginnende Klimawandel sind nur einige davon.

All das schuf einen guten Nährboden für neue politische Bewegungen. Während sich links der Mitte beispielsweise die grüne Parteifamilie etablierte, begannen sich rechts der Mitte Parteien zu formieren, die als „neue Rechte“ oder „rechtspopulistisch“ ihren Eingang in die Geschichte fanden. Zur politischen Strategie der Populisten gehört es, sich volksnah zu geben, ein scheinbar unpolitisches Auftreten an den Tag zu legen, Eliten abzulehnen, simplifizierende Lösungen für komplexe Probleme anzubieten und immer auch zu polarisieren.

Rechtsextremismus

Rechtsextremistische Ideologien sind Ideologien der Ungleichheit, die durch „natürliche“ und „biologische“ Prinzipien legitimiert werden. Alles, was abgelehnt wird, ist gegen die Natur und muss daher bekämpft werden. Zentrales Element ist dabei die Volksgemeinschaft, die als patriarchale Idylle der modernen Gesellschaft gegenübersteht. Gewünscht wird ein starker Staat, der nach innen und außen verlorene Stärke und Geschlossenheit wiederherstellt. Ein wesentliches Anliegen von Rechtspopulisten ist die Bewahrung der eigenen Identität und Kultur folglich die Ablehnung von Zuwanderung.

Denn das Fremde steht immer außerhalb der Gemeinschaft. Jede ethnische Durchmischung wird als Bedrohung gesehen. Abgrenzungen folgen dabei immer dem vereinfachten Muster „Wir“ gegen die „anderen“. Die „anderen“, damit ist oft das „Establishment“ gemeint, die kulturelle Elite, aber auch gesellschaftliche Randgruppen, religiösen Minderheiten, Migranten oder die Europäische Union. Ihnen wird oft die Sündenbockfunktion zugeschrieben. Sie tragen die Verantwortung für gesellschaftliche und ökonomische Missstände. Dadurch wird das „Wir-Gefühl“ gestärkt und alle Ängste und Sorgen können auf diese Gruppen abgelenkt werden.

Rechtsruck

Der Begriff „Rechtsruck“ hingegen bezieht sich nicht nur auf rechtspopulistische Parteien und ihren Stimmenzuwachs, sondern auch auf die plötzliche Zunahme des Einflusses von Politikern mit rechten Ideen und Vorstellungen. Während Sebastian Kurz in einer deutschen Talkshow kürzlich kritisierte, dass "ständig ein Rechtsruck herbeigeredet werde", vertrat der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin von den deutschen Grünen die These, dass rechtsextreme Positionen nur verstärkt würden, wenn sie von anderen Parteien übernommen würden. Kurz forderte hingegen, dass bei Themen wie der Flüchtlingskrise nicht nach den Kriterien "rechts oder links" beurteilt werden sollte.

Patriotismus/ Nationalismus

„Patriotismus ist Liebe zu den Seinen, Nationalismus Hass auf die anderen“, schrieb einst der französische Schriftsteller Romain Gary. Patriotismus wird oft mit Vaterlandsliebe gleichgesetzt, mit einem Gefühl nationaler Verbundenheit, Zugehörigkeit und einer Identität, auf die man stolz sein kann.

»Patriotismus ist Liebe zu den Seinen, Nationalismus Hass auf die anderen«

Nationalisten auf der anderen Seite lieben ihr Land nicht nur, sondern verherrlichen es. Damit einher geht die Abwertung anderer Nationen, was, wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts oftmals bewiesen hat, zu Krieg und Vernichtung führen kann.

Nationalsozialismus / Nazis / Alt-Nazis / Neo-Nazis

„Nationalsozialistisch“ verbindet Elemente von rechts und links. Das „Nationalistische“ und „Rassistische“, das den Rechten zugeordnet werden kann und das „Sozialistische“ wie großzügige Sozialprogramme, die eigentlich aus dem klassischen Repertoire der Linken entlehnt sind. Konkret wird mit „nationalsozialistisch“ auf die Zeit von 1938-1945 Bezug genommen. Während sich der Begriff „Nazi“ bereits 1923 etablierte, tauchte „Altnazi“ erst in den 60er-Jahren auf und kennzeichnet frühere hochrangige Funktionäre im Nationalsozialismus, die trotz Entnazifizierung auch nach 1945 weiterhin großen Einfluss ausübten. Neo-Nazis sind in ihren Grundüberzeugungen den Altnazis gleichzusetzen, waren jedoch nicht während der nationalsozialistischen Herrschaft aktiv. Sie zeichnen sich durch extreme Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus aus und fordern einen ethnisch homogenen Nationalstaat.

Faschismus

Faschistische Systeme sind Diktaturen mit Ein-Parteien-System an deren Spitze ein Diktator und eine Ideologie stehen. Demokratische Grundwerte wie freie Wahlen oder freie Presse sind in diesen Systemen nicht enthalten, politische Gegner werden verfolgt und unterdrückt. Gerade im 20. Jahrhundert gab es viele faschistische Herrschaftsformen wie jene in Italien (Mussolini), Spanien (Franco), Österreich (Dollfuß) oder den Nationalsozialismus.

Mit dem Zusatz „neo“ ist immer ein Comeback von etwas bereits Bestehendem gemeint. So knüpfen beispielsweise neofaschistische Bewegungen an den Faschismus nach dem 2. Weltkrieg an. Aber:

»Nicht jeder, der auf einer Wahlkampfveranstaltung Slogans skandiert, ist ein Faschist. Nicht jeder Anführer ist ein Hitler – nur Hitler war Hitler«

„Faschismus ist historisch klar beschrieben und definiert, ein Wort, das ganz einfach sinnlos wird, wenn es wahllos auf jede national-populistische Bewegung angewendet wird. Nicht jeder, der auf einer Wahlkampfveranstaltung Slogans skandiert, ist ein Faschist. Nicht jeder Anführer ist ein Hitler – nur Hitler war Hitler“, schreibt Philipp Blom in seinem neusten Werk „Was auf dem Spiel steht“. Dennoch zeigt er Gemeinsamkeiten und Parallelen zwischen nationalpopulistischen und faschistischen Strömungen auf. Da gäbe es etwa das völkisch-nostalgische Element und die Idee einer Rückkehr in eine vergangene Zeit der nationalen Unabhängigkeit und kulturellen Reinheit. Oder auch den Führerkult, der sich im Falle von westlichen rechtspopulistischen Bewegungen auf eine Person an der Spitze konzentriert. Dennoch plädiert Blom dafür, Nationalpopulismus nicht als eine Art Faschismus anzusehen, sondern zu erkennen, dass beide „aus demselben Holz geschnitzt“ sind. Und sich beide gegen große gesellschaftliche Veränderungen auflehnen.

»Keine Faschisten in der Regierung«

Gerhard Baumgartner, Historiker und Leiter des DÖW, sieht in der, gerade bei Demonstrationen beliebten, Parole „Keine Faschisten in der Regierung“ eine gerechtfertigte Forderung, da sie sich gegen Rechtsextreme wendet. Dass rechtsextreme Personen und rechtsextreme politische Positionen in einer österreichischen Regierung keinen Platz haben dürfen, sei ein legitimes politisches Anliegen. Auch und besonders bei Protesten rund um die Angelobung einer österreichischen Bundesregierung. „Natürlich ist das neue Regierungsprogramm kein faschistisches Programm. Natürlich ist der Koalitionspartner FPÖ keine faschistische Partei und natürlich ist es völlig unzulässig, die Wähler der FPÖ in Bausch und Bogen als Faschisten abzuqualifizieren“, meint Baumgartner.

»Natürlich ist der Koalitionspartner FPÖ keine faschistische Partei«

Seit 1945 hätte es in der österreichischen Politik aber immer wieder Personen gegeben, die eindeutig rechtsextreme Positionen vertreten haben, ein Naheverhältnis zu rechtsextremen Organisationen haben und hatten und die mehr oder minder regelmäßigen Kontakt mit Rechtsextremen und Neofaschisten pflegen. Die Betrauung solcher Personen mit Positionen in einer österreichischen Regierung oder Bundesverwaltung sei daher nicht akzeptabel, sagt der Historiker.

»In den letzten Jahren und Jahrzehnten waren es aber vor allem Parteigänger und Funktionäre der FPÖ, die wiederholt eindeutig rechtsextreme Positionen vertreten haben, die in einem Naheverhältnis zu rechtsextremen Organisationen stehen und die Kontakte mit in- und ausländischen Rechtsextremen und Neofaschisten pflegen.«

Solche Personen gäbe es im Umfeld mehrerer, im Parlament vertretener Parteien. „In den letzten Jahren und Jahrzehnten waren es aber vor allem Parteigänger und Funktionäre der FPÖ, die wiederholt eindeutig rechtsextreme Positionen vertreten haben, die in einem Naheverhältnis zu rechtsextremen Organisationen stehen und die Kontakte mit in- und ausländischen Rechtsextremen und Neofaschisten pflegen“, sagt Baumgartner. Schon Jörg Haider hätte sich – erfolglos - mit dem problematischen Naheverhältnis zahlreicher Freiheitlicher zum Rechtsextremismus herumgeschlagen. Abschließend meint der Leiter des DÖW: „Das Problem scheint auch für die heutige FPÖ bei Weitem nicht gelöst zu sein.“