Worauf eine Kulturnation leicht verzichten kann

Das Radiosymphonieorchester RSO steht exemplarisch für den Kulturauftrag, durch den sich der ORF legitimiert. Wird es auf Geheiß einer bildungsfernen Politik liquidiert, macht man sich selbst entbehrlich

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Als dem ORF anno 2009 erstmals die Selbsterwürgung anbefohlen wurde, war das barbarische Szenario der Orchester-Liquidierung noch pure Taktik. Das unterstelle ich. Denn dass der kunstsinnige Kanzler Faymann, sein kunstsinniger Staatssekretär Ostermayer und seine kunstsinnige Fachministerin Claudia Schmied zugestimmt hätten, als der kunstsinnige Generaldirektor Wrabetz die Auflösung des Radiosymphonieorchesters RSO in Aussicht stellte: Das glaubt in Kenntnis der handelnden Personen niemand. Die Protestschreie drangen aus allen Kontinenten auf die Kulturnation ein. Also spielt das RSO nach wie vor, und es spielt vorzüglich und ist in vielen Segmenten unersetzlich.

Ich vermute mit Zuversicht, dass die nun bekannt gewordenen Einsparungspläne gleichfalls taktisch motiviert sind. Ich sehe auch keine belastbaren Indizien dafür, dass es dem ORF-Generaldirektor Weißmann an Kunstsinn gebräche. Tatsache ist aber: Die aktuelle öffentlich-rechtliche Malaise wurde kaum bekannt, da stand unter den publizierten Verzichtbarkeiten das Orchester schon an erster Stelle. Jetzt wird es offenbar ernst.

Und zwar bitterernst, denn die politischen Zuständigkeiten haben sich bedrohlich verändert. Im Stiftungsrat, diesem bizarren Proporzkonstrukt, signalisierten die Vertreter der längst veruntreuten Regierungsmehrheit von 2019 bei Redaktionsschluss schon ihre Zustimmung.

Und wen wollte das wundern? Als wäre die Vorstellung, Susanne Raab sei für die Belange eines Symphonieorchesters zuständig, nicht beängstigend genug, lässt auch die sonstige Besetzung alles andere als hoffen. Der Kanzler hat sich im Sommer für ein Jahr voller Scheitern und Mühsal mit dem Nichtbesuch der Salzburger Festspiele belohnt. Der Kunstvizekanzler Kogler? Da habe ich alle sich aufdrängenden Pointen schon bemüht. Die grüne Kultursprecherin Blimlinger? Will sich zwar nicht für die "Wiener Zeitung", aber für das RSO einsetzen. Ob man auf sie hört, ist fraglich. Und wenn sich auch seitens der ÖVP kein überzeugenderer Fürsprecher als die emeritierte Opernballmutter Großbauer meldet, stehen die Aussichten miserabel.

Bleibt Kunststaatssekretärin Mayer, die der Vizekanzler aus der SPÖ abwerben musste, nachdem Ulrike Lunacek von der eigenen Klientel in den Ruhestand komplimentiert worden war. Die Staatssekretärin hat zuletzt in Besetzungs- und Nichtverlängerungs-Causen eine geschickte Hand bewiesen und ist zur Rettung des Orchesters bereit. Fragt sich nur, ob ihr innerhalb der Regierung jemand zuhört. Aber vielleicht erinnert sich Kogler daran, wie grausam Lunaceks Sturz die spinnwebendünne Personaldecke seiner Partei offenbar machte. Es musste erst der zum Platzen geblähte türkise Ballon vom Himmel geholt werden, um den grünen Regierungsmitgliedern den Anschein vergleichsweiser Professionalität zu geben. Und der Unmut, der sich jetzt erhebt, gleicht bedrohlich dem der Jahre 2009 und 2020.

Jetzt sind die verbliebenen Kulturmenschen im Land wieder gefragt, und zwar ohne Wenn und Aber: Das RSO muss bleiben, alles andere wäre ein Skandal. In Deutschland, das sich nicht den Status der Kulturnation anmaßt, werden 14 Rundfunkorchester betrieben. Sie alle verkörpern überdurchschnittliches Format, und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zählt zu den vier, fünf führenden Klangkörpern der Welt. Mit Verweisen auf die Bedeutung etwa des BBC Symphony Orchestra, des Orchestre de la Suisse Romande oder vergleichbarer Klangkörper in Frankreich wollen wir die Bundesregierung nicht verwirren. Wichtiger wäre, auf die tatsächliche Unentbehrlichkeit des Orchesters zu verweisen. Das Theater an der Wien wäre ohne sein Hausorchester nicht bespielbar, und der österreichischen Musikavantgarde käme, auch bei den Salzburger Festspielen, ihr vielleicht entscheidendes Trägermedium abhanden.

Mit anderen Worten: Der ORF sollte sich hüten, seinen Kulturauftrag zur Diskussion zu stellen. Die Folgen gingen an die Existenz. Das gilt auch für die Kooperationen mit der Filmindustrie, den bedeutenden Anteil an der Bundesländerkultur oder den Sender ORF III, der während der Pandemie das Theaterleben am Atmen gehalten hat. Ja, der gesetzliche Unterhaltungsauftrag, der wäre infrage zu stellen. Aber nur dort, wo er uns in den Ohren gellt. Und nicht etwa bei den Kabarettformaten, die einem Stück österreichischer Identität das Auskommen sichern.

Rettet das Radiosymphonieorchester Wien!
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