Red Flags der Psychotherapie

Psychotherapie ist mehr als Reden. Es gibt unterschiedliche Methoden und Herangehensweisen. Was in Ausnahmefällen schief laufen oder missverständlich wirken kann, sollte man wissen.

von LIEBES LEBEN - Red Flags der Psychotherapie © Bild: Nathan Murrell

Wie in jedem Vertrauensverhältnis können auch in einer Psychotherapie Grenzen überschritten werden. Daher gilt es, kritisch zu bleiben, aber vor jeder Vorverurteilung den klärenden Dialog zu suchen. Im Folgenden wichtige Indikatoren einer gelingenden Psychotherapie inklusive "Red Flags":

1. Vertrauen. Grundlage einer erfolgreichen Psychotherapie ist, das für die sensible therapeutische Beziehung erforderliche Vertrauen im individuellen Tempo entstehen zu lassen. Wenn gesunde Grenzen empfindlich missachtet werden, ist es für Betroffene auf Grund des Vertrauensverhältnisses zur Psychotherapeutin allerdings schwer zu erkennen, zumal sie mithin an ihrer eigenen Wahrnehmung zweifeln, den Fehler bei sich suchen oder ein Fehlverhalten der Vertrauensperson ausschließen.

2. Abhängigkeit. Sich in einer Psychotherapie phasenweise abhängig zu fühlen oder die Therapeutin zu vermissen, ist zunächst keine bedenkliche Entwicklung: Es bedeutet oft nur, dass die Psychotherapie Bedeutung hat, als stützend und wirksam empfunden wird. Ein Übermaß an Abhängigkeit zur Psychotherapeutin kann darauf hindeuten, dass die therapeutische Beziehung außer Kontrolle gerät. Wenn daraus ein Unbehagen oder gar ein Leidensdruck entsteht, sollte das in der nächsten Sitzung unbedingt offen angesprochen werden. Von einer übertriebenen Nähe grundverschieden sind die von Sigmund Freud so genannten "Übertragungsgefühle".

3. Zu große Nähe. Für die Therapeutin Zuneigung zu empfinden, kann ein natürliches Entwicklungsstadium im therapeutischen Prozess und muss überhaupt nicht beunruhigend sein. Solch große Gefühle, die man auch "Übertragungsliebe" nennt, sind eine vorübergehende Begleiterscheinung der Nahbeziehung zur Therapeutin. Der Psychoanalyse nach Sigmund Freud zufolge durchaus nützliche Phänomene, um an unerfüllte Wünsche und Kränkungen der Kindheit eher heranzukommen. Und die Verletzungen der Seele zu heilen, indem man mit der Psychotherapeutin eine ganz andere und heilsame Erfahrung der Wertschätzung und des respektvollen Umgangs macht, statt wie von früheren Bezugspersonen ignoriert und gekränkt zu werden.

4. Rollenumkehr. Ein Warnhinweis ist, wenn der Psychotherapeut penetrant aus der Rolle fällt und Sie wiederholt in seine Probleme einweiht oder Sie im Eigeninteresse ausnutzt. Wenn er Sie beispielsweise seinen Rasen mähen lässt. Davon zu unterscheiden wäre naturgemäß eine zu Ihrem Besten initiierte Gartentherapie.

5. Ausflüge. Sollte Ihr Therapeut Sie zum Spaziergang oder ins Café einladen, ist wichtig, zu unterscheiden: Ist das eine bewusste Expositionstherapie, um Sie aus dem Rückzug zu holen oder von sozialem Ängsten zu befreien -oder geht er mit Ihnen flirtbereit aus und wird somit ganz klar eine Grenze überschritten?

6. Privatleben. Wenn Psychotherapeutinnen Einblick in ihr Privatleben geben, müssen sie damit keineswegs automatisch regelwidrig handeln. Manchmal ist das Offenbaren eigener menschlicher Grenzen ein Türöffner für den Vertrauensaufbau, wenn Sie etwa einen Trennungsschmerz beklagen und Ihre Psychotherapeutin Ihnen offenbart, das Gefühl aus ihrem eigenen Leben zu kennen.

7. Realitätscheck. Ehe Sie Ihrer Psychotherapeutin misstrauen, fragen Sie lieber zunächst genau nach, wie ihr Verhalten gemeint war. So kann zum Beispiel ein Kompliment wie "Sie sind wirklich sehr attraktiv" wohlmeinend zur Stärkung eines schwachen Selbstwertgefühls dienen. Oder es kann eine vollkommen unzulässige Anmache und somit eine "Red Flag der Psychotherapie" sein.

8. Selbstüberschätzung. Ein Warnzeichen ist, wenn eine Psychotherapeutin respektlos, nicht kritikfähig, anmaßend und verurteilend, abwertend oder zynisch ist. Dies sollten Sie keinesfalls hinnehmen und unbedingt thematisieren. Eine wohlmeinende Therapeutin wird für Ihre Offenheit dankbar sein und darauf eingehen. Dann können Sie eher erkennen, ob tatsächlich ein womöglich folgenschweres Fehlverhalten vorliegt oder es sich um eine wohlmeinende therapeutische Provokation handelt.