EAV im Interview: "Die Kraft
der Bosheit war uns wichtig"

Lautstark schicken Klaus Eberhartinger und Thomas Spitzer ihre Band EAV in Pension. Die letzte CD, „Alles ist erlaubt“ ist voll bitterböser Kritik. Ein Gespräch über Moral, das Alter und Humor als Rettungsboot

von Menschen - EAV im Interview: "Die Kraft
der Bosheit war uns wichtig" © Bild: Copyright 2018 Matt Observe - all rights reserved.

Da nützen die verspiegelten Sonnenbrillen nichts. In Graz kennt man den zugereisten Oberösterreicher und hat ihn längst liebevoll als Wahlsteirer angenommen. „Na, ich will ja den Herrn Eberhartinger nicht niederführen“, lacht die Radfahrerin kokett. Sie muss dem Sänger und Conferencier der EAV ausweichen, der am Fuß des Schloßbergs mitten auf der Straße steht. Er wartet auf Band-Mastermind Thomas Spitzer, der sich wiederum die Wartezeit auf Eberhartinger mit einem schnellen Kaffee vertreiben hatte wollen. Anrufen geht nicht, denn Spitzer braucht kein Handy. Er teilt sich eines mit Freundin Nora. Klappt alles auch so. Als Spitzer gut gelaunt auftaucht, gewinnt man den Eindruck, dass das Duo ohnehin lieber direkt kommuniziert. Die Worte sind ihm nach 40 Jahren Freundschaft und fast ebenso langer Zusammenarbeit nicht ausgegangen. Bis der Schloßberg per Lift erklommen ist, Fotos gemacht, diverse Selfies mit Fans und ein Tisch im Restaurant organisiert sind, gibt es keinen stillen Moment. Man hat sich viel zu erzählen. Eberhartinger kam eben erst aus Kenia, Spitzer aus seiner zweiten Heimat Südoststeiermark.

Als gebürtiger Grazer hat Spitzer in ­Sachen Anekdoten über jene Stadt, aus der die Erste Allgemeine Verunsicherung hervorging, die Nase vorn. Die Wurzeln der Gruppe, die seit 1977 zwischen politischem Musiktheater und Blödel-Charts-Pop oszilliert, waren immer tief steirisch. Neben dem letzten aktiven Gründungsmitglied, Thomas Spitzer, waren auch der erste ­Sänger und Manager, Walter Hammerl, sowie die späteren Sänger Wilfried und Gert Steinbäcker Steirer. Klaus Eberhartinger begann die künstlerischen Fliehkräfte der Stadt ebenso zu genießen wie die Rebellion gegen das alte Bürgertum, als er aus Braunau zum Studium nach Graz zog.

In Graz wurden die beiden späteren Säulen der Band erstmals gemeinsam ­kreativ. Geschliffen wurde der Rohdiamant EAV auf dem harten Pflaster der Hauptstadt. In Wien wurde man zuerst als „deppader Sterzbauer“ gesehen, erinnert sich Spitzer. Andererseits war es genau der Weg aus der heimeligen Szene in Graz, in der einen jeder kannte, in die anfangs feindliche Hauptstadt, der ihn zu Höchstform auflaufen ließ. Künstlern wie Franz Morak oder Ludwig Hirsch sei es ähnlich gegangen. Der Provinzkomplex hat etwas Motivierendes, sind Eberhartinger und Spitzer sich einig. Die Motivation reichte zur bewegten Bandgeschichte mit zehn Millionen verkauften Tonträgern, einem World Music Award und zehn Nummer-eins-Alben – getragen von mehr als 500 Texten zwischen Schüttelreim und ­böser Gesellschaftssatire. Nach 40 Jahren krönen Spitzer und Eberhartinger ihr ­kreatives Lebenswerk mit einem letzten Studioalbum und einer Abschiedstour.

Von Nostalgie oder Sentimentalität sind der 65-jährige Spitzer und der drei Jahre ältere Eberhartinger im News-Gespräch dennoch weit entfernt. Zu sehr brennt das Auflehnen gegen aktuelle ­Missstände ­unter den Fingernägeln, und aufgelegte Witze-Elfer müssen ins Tor.

© Copyright 2018 Matt Observe - all rights reserved. „Ich wünsche mir eine mündige Menschheit. Um das zu erleben, muss ich ­vermutlich reinkarnieren“ Thomas Spitzer

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Erinnern Sie sich an Ihr erstes Treffen?
Klaus Eberhartinger: Ich war mit Thomas’ Schwester Eva liiert. Eines Morgens um neun Uhr kommt etwas mit langen, schwarzen Haaren bei der Tür herein. Grummelt. Grunzt. Macht den Kühlschrank auf, trinkt zwei Liter Milch aus. Legt sich wortlos ein Handtuch auf den Boden, breitet seine Haare aus, legt sich hin und schnarcht. „Eva, was ist das?“, hab ich gefragt. „Das ist mein Bruder“, sagt sie. „Nicht uninteressant“, habe ich mir gedacht, „aber ein wilder Hund.“

Und dann?
Eberhartinger: Haben wir zusammen einen Antibundesheer-Cartoon gezeichnet. Ich war ja ein Linker. Wer als Junger nicht links war, hat kein Herz, wer als Alter immer noch ganz links ist, hat kein Hirn, sage ich. Der Cartoon war sensationell, und über das gemeinsame kreative und politische Interesse sind wir zusammengewachsen. Ich hab ihn sehr vermisst, wie er nach Wien gegangen ist. Nach der Premiere der Antipasti-Show habe ich gedacht: „Da wäre ich gern dabei, aber das kann ich nicht.“ Jahre später ist Thomas plötzlich vor meiner Tür gestanden. „Du musst einspringen!“ (Sänger Walter Hammerl nahm sich 1981 das Leben, Anm.) Er hat drei Tage und Nächte gebraucht, um mich zu überzeugen. Ich habe damals Straßentheater gemacht und war noch nie auf einer Bühne.

Herr Spitzer, Sie haben Klaus Eberhartinger auf die Bühne gebracht. Umgekehrt hat er Sie zum Schreiben ­gebracht. Richtig?
Thomas Spitzer: Ja, er war politisch total fit durch seine Hochschultätigkeit und für mich der Politik-Gott. Alles, was ich mir gedacht habe, hat er argumentieren können. Er hat mich drei Wochen vor der Premiere im Schauspielhaus in Wien überzeugt, unser Programm „Antipasti“ zu schreiben. Ich war damals völlig verunsichert – der kleine Steirer in Wien. Er hat Talent in mir gesehen: Du kannst das!

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Eberhartinger bestellt Eierspeise bei der jungen Kellnerin. „Zu spät. Frühstückszeit seit fünf Minuten vorbei“, erfährt er und sieht sich gezwungen, zu betteln. Spitzer muss ihn necken: Wäre die Dame drei Jahrzehnte älter, hätte sie es eigenhändig gekocht, stellt er trocken fest. „Die jungen Dinger kennen dich halt nimmer.“ Die Kellnerin lacht und verspricht, nachzufragen.

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„Alles ist erlaubt“ wird Ihr letztes Album, die Tournee der Live-Abschied.Wie ernst meinen Sie das?
Eberhartinger: Man hört besser auf, bevor man aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Erfolglosigkeit muss.
Spitzer: Bevor wir mit den ewig gleichen Hits über den Jordan ins Jenseits tingeln, gibt es Abenteuer fernab des EAV-Korsetts zu bestehen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt. Wir können mit Würde abtreten. Sollten wir irgendwann je wieder etwas zusammen machen, dann Musiktheater wie früher. Es ist ein Segen und Fluch zugleich, wenn man viele Hits hat. Seit ein paar Jahrzehnten müssen wir immer die Hits spielen, das ist nicht prickelnd.

Waren Sie sich eigentlich immer einig?
Eberhartinger: Im Kern schon. Die Kraft der Bosheit war uns immer wichtig.
Spitzer: Und in der politischen Grundeinstellung waren wir uns immer einig.
Eberhartinger: Da haben wir lieber Bandmitglieder gehen lassen, die nicht begriffen haben, um was es uns geht. Aber eine Zeit lang haben wir uns verloren, weil wir den Menschen gefallen wollten. Dann haben wir gemerkt: Das sind nicht wir. Wir haben gelernt, uns selbst zu genügen. Nach dem Motto: Wenn es uns gefällt, werden wir Leute finden, denen es auch gefällt. Jede Band hat ihren Zenit, und wenn du gescheit bist, bereitest du dich nach dem Gipfel auf den Abstieg vor.

Beschäftigt man sich angesichts des letzten Albums auch mit der eigenen Vergänglichkeit?
Spitzer: Der Tod war immer Thema im Werk der EAV. Wir hatten Liedtexte wie „Ich pfeif’ auf ein nächstes Leben, denn dieses ist schon hart genug, ist erst der Sargdeckel zu, bist vergessen du im Nu („Das Leben ist kurz“, Anm.). Oder das Lied „Der oide Wolf“.
Eberhartinger: Wir sind beide in einem Alter, wo klar ist, das wir noch zwölf oder dreizehn gute Jahre haben. Das geht schnell. Wenn mich heute jemand fragt, was ich mir wünsche, sage ich Gesundheit. Den Rest schenke ich mir selbst.
Spitzer: Ich wünsche mir eine mündige Menschheit. Aber wahrscheinlich muss ich reinkarnieren um das zu erleben. „Gegen den Wind“ ist mein persönliches Abschiedslied, die Don-Quichotte-Analogie. Ich werde nie aufhören, zu träumen und zu kämpfen, auch wenn mich viele belächeln.

Ihr Album enthält scharfe Kritik an Politik und Wirtschaft. Braucht man heute Mut für solche Texte?
Eberhartinger: Mut braucht man nicht, das ist eine Pflichtübung. In Zeiten wie diesen gibt es nur zwei Positionen: Du bist entweder Komplize oder Rebell. Dazwischen gibt es nichts. Künstler und Intellektuelle müssen sich diesem Tonfall und dieser Skrupellosigkeit, die gesellschaftsfähig geworden sind, entgegenstellen. Ich verstehe die Empörung über die Bluttat in Chemnitz, aber sie macht nicht alle Afghanen zu Mördern. Es ist wichtig, sich hier abzugrenzen, denn der braune Mob hat etwas anderes vor. Die Übergänge sind schleifend geworden. Die AfD ist eine rechte Partei, die den rechtsextremen Rand in die Mitte zieht. Das ist gefährlich. Wo hätte es das vor ein paar Jahren gegeben, dass ein Mob durch die Straßen rennt und schreit: „Wir sind Adolf-Hitler-Hooligans“? Wo ist da bitte die Exekutive?

Haben Sie Verständnis für diese Entwicklungen und Wahlergebnisse?
Spitzer: Wenn man Angst um seinen Arbeitsplatz und seine Pension hat und den Banken nicht mehr vertrauen kann, dann ist es für die Regierenden ein Glücksfall, wenn es zur Migration kommt, die einem die Sündenböcke dafür liefert. „Aus Angst wird Wut, aus Wut wird Hass“ ist auch einer der Kernsätze des Albums (aus „Rechts 2/3“). Dagegen hilft nur eine neue Dialogkultur. Feind und Freund müssten sich nur einmal zusammensetzen und einander zuhören.
Eberhartinger: Dieser Wille fehlt. Bei machen Leuten sind Dinge aufgebrochen, die sie früher kaum zu denken gewagt hätten. Jetzt dürfen sie es sogar sagen. Das ist die überbordende Antwort auf jene Zeit, in der die Political Correctness zu weit getrieben wurde, als aus der Moral etwas Moralisierendes wurde.

Was sagen Sie Leuten, die meinen: Man kann nicht jeden in unser Land lassen?
Eberhartinger: Das ist richtig, aber man kann die Leute auch nicht ertrinken lassen. Dass wir nicht ganz Afrika aufnehmen können, ist klar. Nur waren wir am Entstehen der Kriegsgebiete nicht unbeteiligt. Jean Ziegler sagt klar: Wollt ihr Kriege beenden, dann hört auf, Waffen zu verkaufen. Der Club of Rome hat die Afrika-Migration schon vor Jahren vorhergesagt. Der Oxford-Professor Paul Collier hat längst Pläne vorlegt, wie man heimische Firmen motivieren kann. am afrikanischen Kontinent zu investieren – nicht zu ihrem Nachteil, weil Arbeitsplätze dort günstig sind. Wenn er dort Chancen hat, geht niemand freiwillig aus seiner Heimat weg.
Spitzer: Die westliche Welt wollte dort nie eine florierende Wirtschaft, sonst hätte sie die Kuh nicht so billig melken können. Ich bin kein Merkel-Fan, aber die humanistische Einstellung gefällt mir. Sie hat ja nicht gesagt „Deutschland schafft das“ sondern „Wir schaffen das“. Sie hat geglaubt, die anderen Länder werden mitziehen. Wie ich in „Trick der Politik“ beschreibe: „Winkt ein Vorteil, dann greif zu, denkt sich so manches Mitglied der EU. Doch wenn es ums Asylrecht geht, ist’s vorbei mit der Solidarität.“

Schaffen wir das also?
Eberhartinger: Natürlich, nur eines geht nicht: Asylanträge ablehnen und die Asylwerber im Land lassen. Das ist ein Pulverfass. Wenn jemand die Regeln nicht befolgen will, dann muss er dorthin, wo es so geht, wie er möchte.

© Copyright 2018 Matt Observe - all rights reserved. „In Zeiten wie diesen gibt es nur zwei Positionen: Komplize oder Rebell“ Klaus Eberhartinger

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Eberhartinger bekommt seine Eierspeise. Spontan wird Beifall geklatscht. Wobei die Ausnahme seitens des Kochs nichts mit dem Prominentenstatus zu tun hat. „Ich hab’ heute Geburtstag und dem Koch gesagt, er kann mir damit ein Geschenk machen“, erzählt die Kellnerin. Spitzer verspricht ihr Blumen. „Na, a Kistn Prosecco ist mir lieber“, sagt sie.

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Wie blicken Sie eigentlich auf das Alter?
Spitzer: Der Humor ist das Rettungsboot im Meer des Elends, und ich wähle den Galgenhumor. Ich hab halt Sau gehabt.
Eberhartinger: Irgendwann kommt der Punkt, wo das Erliegen der Zellteilung dir Grenzen aufzeigt. Den hättest du lieber nicht. Je älter du wirst, desto besser siehst du das Schwarz am Ende des Tunnels. Und dann? Ich kann nicht an ein nächstes Leben glauben, diese religiöse Ansicht beleidigt meine Intelligenz. Wenn du verwest bist, wirst du von einem Radieschen aufgesogen? Okay. Aber tot ist tot. Religion erzeugt so viele Erwartungshaltungen – als die Mutter meines Sohnes dieses Jahr gestorben ist, hat er deshalb gar nicht gewusst, wie er damit umgehen soll. Ich habe ihm erzählt, dass in meiner Familie Verstorbene verbrannt und anonym beigesetzt werden, ohne Grabstein, nur ein schöner Park. Dann setzt man sich zusammen und erzählt lustige Geschichten. Er war irrsinnig dankbar.
Spitzer: Ich wollte immer, dass meine Asche im Meer verstreut wird. Aber der Tod meiner Mutter vor fünf Jahren hat mich nachdenklich gemacht. Meine Eltern waren 50 Jahre lang geschieden, und meine Mutter war froh darüber. Aber zwei Jahre vor ihrem Tod ist sie zum protestantischen Glauben konvertiert, um bei ihm im Grab liegen zu können. Obwohl er ein Scheusal war! Dann steh ich vor dem Grab, und der Mann fragt, ob wir die Mutter ein bissel tiefer legen sollen. „Damit später Platz für mich ist?“, frage ich. Und dann hör ich mich sagen: „Können wir machen“. Weil mich die Vorstellung, dass meine Mutter am Ende ihres Lebens zu dem Mann wollte, den sie ein Leben lang gehasst hat, berührt hat. Ich muss noch nachdenken, ob es für mich das Meer wird.

Gibt es ein Vermächtnis der EAV?
Eberhartinger: Nein, wir begraben die EAV nicht, wir verabschieden uns in den unverdienten Unruhestand. Ich habe ein Problem damit, stehenzubleiben und Rückschau zu halten, weil ich mir die Zeit nicht nehmen will. Ich mag auch nicht, wenn sich bei mir etwas ansammelt. Alle paar Jahre werfe ich alles weg. Es hat mir noch um nichts leid getan. Ich lebe lieber im Morgen. Gestern ist zu lange her.

Was bestimmt nach vier Jahrzehnten Ihre Beziehung?
Eberhartinger: Wir sind ein altes Ehepaar, das getrennte Schlafzimmer hat. Auch wenn ich über ihn schimpfe: Wenn er mich braucht, bin ich da!
Spitzer: In politischen Meinungen stimmen wir total überein und in kreativen Dingen zu 80 Prozent. Ich stürze mich halt oft blind in jede Jauchengrube, der Klaus riecht zuerst, bevor er reinspringt.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 38 2018