Marina Davydova: Die russische Regisseurin im Porträt

Die russische Regisseurin Marina Davydova leitete 2016 das Schauspiel bei den Wiener Festwochen und kehrt jetzt mit einer Produktion zurück. Ab Sommer 2024 ist sie Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele.

von Marina Davydova © Bild: Matt Observe

Steckbrief Marina Davydova

  • Name: Marina Davydova
  • Geboren am: 1966
  • Geburtsort: Baku, Aserbaidschan
  • Wohnort: Berlin
  • Ausbildung: Studium der Theaterwissenschaften an der Russischen Theaterakademie in Moskau
  • Beruf: Regisseurin, Theaterkritikerin und Journalistin

Man müsse heute in Russland gar nicht mehr gegen den Krieg protestieren, es sei schon gefährlich, als Teil einer modernen Gesellschaft angesehen zu werden. Das sei Anlass genug, um jederzeit verhaftet zu werden, sagt die russische Regisseurin Marina Davydova. Wie schnell man in Russland seine Freiheit verlieren kann, weiß sie aus Erfahrung.

Marina Davydovas Flucht aus Russland

Wenige Tage, nachdem sie eine Petition gegen den Krieg verfasst hatte, prangte ein Z an ihrer Wohnungstür. Das Zeichen für die Kämpfer in Russland. "Todesangst hatte ich damals keine, aber ich wusste, dass ich jederzeit verhaftet werden kann", blickt sie im Gespräch mit News zurück. Mehr als ein Jahr ist seit ihrer Flucht aus Moskau im März 2022 vergangen.

»Ich wusste, dass ich jederzeit verhaftet werden kann«

Wie Russland zu dem wurde, was es heute ist, ergründet Davydova in der Festwochen-Produktion "Museum of Uncounted Voices" ("Museum der ungezählten Stimmen") im Wiener Odeon ab 22. Mai.

"Ich erzähle die Geschichte aus sehr persönlicher Sicht, aber haben Sie Verständnis dafür, dass ich nicht mehr verrate, denn ich will Spoiler vermeiden. Die Leute sollen überrascht werden", kommentiert sie ihre Arbeit.

Marina Davydovas Errungenschaften in Moskau

Marina Davydova wurde 1966 als Tochter eines Armeniers und einer Russin in Baku, Aserbaidschan, geboren. Wie sie in den 1980er-Jahren den Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien erlebte, spart sie im Gespräch aus. Als studierte Theaterwissenschaftlerin arbeitete sie nach dem Zerfall der Sowjetunion auch für die staatsnahe Tageszeitung "Iswestja". Das jedoch nur kurz, stellt sie klar. Bis zum Ausbruch des Krieges war Marina Davydova eine Institution in Russland, wenn es um zeitgenössisches Theater ging. 1998 gründete sie das NET-Festival für "neues europäisches Theater" in Moskau, hielt Vorlesungen am renommierten Gogol-Zentrum in Moskau und war Chefredakteurin der Zeitschrift "Teatr".

Als Putin 2014 die Krim annektierte, widmete sie eine Ausgabe der Theaterzeitschrift den Bühnen der Ukraine und färbte das Cover in den Nationalfarben Blau und Gelb. Der Staat kürzte daraufhin 75 Prozent der Subvention, die Löhne wurden nicht mehr bezahlt. Das Magazin wurde nicht offiziell eingestellt, es erscheint einfach nicht mehr.

Ähnlich verfuhr man mit ihrem Festival. Als der Krieg in der Ukraine begann, waren alle Verbindungen in den Westen aufgelöst. Das Festival findet einfach nicht mehr statt.

Schauspieldirektorin bei den Salzburger Festspielen

"Ich war Theaterwissenschaftlerin und Kritikerin. Das Schreiben übers Theater war meine Hauptbeschäftigung. Ich war schon fünfzig, als ich mein erstes Stück geschrieben habe", kommt Davydova auf ihre Karriere zu sprechen.

Das theateraffine Wiener Publikum lernte Marina Davydova 2016 kennen, als sie im letzten Jahr von Markus Hinterhäusers Festwochen-Intendanz das Schauspiel kuratierte. Ab 2024 hat ihr Hinterhäuser das Schauspiel bei den Salzburger Festspielen überantwortet. "Salzburg ist ein besonderes Festival. Ich will das Theater international ausrichten, aber das kann man in Salzburg nicht so einfach machen. Man muss bedenken, für welches Publikum man das macht", gibt sie zu bedenken. In Sachen "Jedermann" habe sie Glück, daran müsse, vielmehr: dürfe sie in ihrem ersten Jahr bei den Festspielen nichts ändern. Denn alle Verträge seien über zwei Jahre abgeschlossen. "Was ich 2025 und 2026 damit mache, wird erst entschieden", sagt Davydova. Eines sei jedoch klar: Das sei kein herkömmliches Theaterstück und mehr als Teil des Programms. "Noch habe ich keine Definition dafür gefunden", räumt sie ein.

Die Produktionen, die sie für die Festwochen aus Russland importierte, hatten das Wiener Publikum überzeugt. Etwa Konstantin Bogomolovs schrille Inszenierung von Oscar Wildes "Der ideale Gatte". Die Berichterstatterin erinnert sich noch heute an die Kraft und an die Sogwirkung, die von Tschechows "Drei Schwestern" ausgingen. Vier Stunden wurde auf der Bühne kein Wort gesprochen, denn gespielt wurde in Gebärdensprache. Timofej Kuljabin hat das inszeniert. Das war der Regisseur, der die orthodoxe Kirche mit seiner Inszenierung von Wagners "Tannhäuser" so verärgerte, dass der Intendant des Nowosibirsker Opernhauses, wo Kuljabins Arbeit gezeigt wurde, seinen Posten verlor.

Als das Gespräch auf all diese Arbeiten kommt, antwortet sie mit einem Lächeln. Diese Produktionen stammen aus einer Zeit, in der die Welt in Russland aus europäischer Sicht noch in Ordnung war.

Russlands Kampf gegen alles Moderne

Das Gespräch wendet sich wieder der Aktualität zu. Russland habe seine Kultur mit dem Krieg zerstört, aber nicht nur seine Kultur, alles, die Wissenschaft, das Bildungssystem, klagt Marina Davydova. "Wir können zwei Kriege beobachten. Der eine ist jener, den Russland gegen die Ukraine führt, der andere, den Russland gegen sich selbst führt. Vielleicht ist der Russlands gegen sich sogar noch wichtiger. Aber das ist eine sehr komplizierte Angelegenheit. Wenn Sie mich fragen, wie man das, was sich derzeit in Russland abspielt, mit einem Wort beschreiben kann, würde ich das einen Antimodernitätstrend nennen", sagt Marina Davydova.

Als Beispiel dafür erzählt sie von der Schließung bedeutender Theater. Kirill Serebrennikovs Gogol-Center ist nur eines der vielen, von denen man nicht weiß, ob sie jemals wieder öffnen. Dem Intendanten wurde verleumderisch Veruntreuung vorgeworfen. Monatelang wurde er unter Hausarrest festgehalten. Seinen "Parsifal" an der Wiener Staatsoper inszenierte er deshalb via Zoom. "Jetzt ist er wieder frei", sagt Davydova. Ob sie ihn nach Salzburg holt? Er interessiere sie sehr, antwortet sie diplomatisch.

»Für die Russen ist Politik wie ein Naturphänomen. Proteste dagegen sind zwecklos«

"Wer heute versucht, sich einer zeitgenössischen, gar westlichen Welt zu öffnen, riskiert, dass er verhaftet wird. Das kann sogar passieren, wenn man nicht gegen diesen aggressiven Krieg demonstriert. Ihr, die ihr nicht in Russland lebt, könnt das nur schwer verstehen. Für euch gibt es nur auf der einen Seite Russland und auf der anderen die Ukraine, aber dieser Konflikt geht viel tiefer", holt Marina Davydova aus. Das alles sei sehr schwer zu definieren. "Wir hatten die naive Hoffnung, dass sich etwas ändert. Medwedew wollte das Land modernisieren, wollte es westlich ausrichten. Als er bei der nächsten Wahl kandidieren wollte, sagte man ihm, dass das nicht möglich sei. Er überließ Putin den Vortritt und wurde sein Stellvertreter. Aber in Wirklichkeit hatte Putin schon während Medwedews Amtszeit das Land im Hintergrund regiert."

Politik als Naturphänomen

Daran werde sich so rasch nichts ändern, kommt Marina Davydova zum Schluss. Und das Volk, wird das jemals aufbegehren oder hat es sich so an das Gehorchen, das Anerkennen der Macht gewöhnt? Wie es schon Dostojewski in seinem "Großinquisitor" beschreibt?

"Menschen in Russland sehen Politik als Naturphänomen. Wenn es regnet, protestieren sie ja auch nicht, sondern nehmen einen Schirm." Proteste hielten die meisten für dumm. "So ähnlich ist es mit dem Krieg. Die Leute denken, sie können die Politik nicht ändern. Die ist einfach da", sagt Marina Davydova.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 20/2023.