Wie Betrüger ihren Opfern
Herz und Geld rauben

Internetliebe ist heute normal: Wie die sogenannten Love-Scammer das ausnutzen

Massen-E-Mails waren gestern. Heute umgarnen Internetbetrüger ihre Opfer charmant und individuell, bevor sie zuschlagen. Beim Love-Scamming rauben sie ihnen nicht nur das Vermögen, sondern auch ihr Herz

von Liebesfalle Internet - Wie Betrüger ihren Opfern
Herz und Geld rauben © Bild: Shutterstock.com

Chew Aik Sian Dickson - seltsamer Name, dachte Luise S., als sie die Freundschaftsanfrage des Unbekannten auf ihrem Facebook-Profil entdeckte. Intuitiv wollte sie die Anfrage löschen. Da sah sich die 77-jährige Hobbymalerin das Profilbild noch einmal genauer an. Freundlich sah er aus, dieser Chew. Irgendwie gütig und doch ein bisschen schelmisch. Wie ein ergrauter Lausbub.

Luises Neugier bekam Oberwasser. "Hallo Fremder", schrieb sie ihm. "Warum wollen Sie mit mir befreundet sein -ist es wegen meiner schönen Bilder?" Die Antwort folgte prompt und in schlechtem Deutsch. Er sei Amerikaner, schrieb Chew. Ein General, in Kabul stationiert. Und ja, er bewundere ihre Malerei ebenso wie ihre Profilbilder. Luise fühlte sich geschmeichelt, der Mann gefiel ihr. Sie klickte auf "Antworten", und die verhängnisvolle Affäre, an deren Ende Luise nicht nur ihr Herz, sondern auch ihr ganzes Vermögen verlieren sollte, nahm ihren Lauf.

Dass Chew nicht Chew war und dass hinter dem Foto des stattlichen Generals ein routinierter Internetbetrüger steckte, sollte Luise erst viel später erfahren. Von sogenannten Love-Scammern, Liebesbetrügern, hatte sie bis dahin noch nie etwas gehört. "Die Täter nutzen die Arglosigkeit ihrer Opfer aus", sagt Claus Kahn, der beim Bundeskriminalamt für Betrug und Wirtschaftsdelikte zuständig ist. "Wir haben es hier mit gut organisierten und hochprofessionellen Betrügerbanden zu tun." Sie agieren von ihren Heimatländern aus -unter anderem Ghana oder Nigeria, es gebe aber auch Hinweise auf russische und südamerikanische Gruppen.

Love-Scammer auf Opfersuche

Love-Scammer gehen in Online-Partnerbörsen oder sozialen Netzwerken gezielt auf Opfersuche. Ihr Beuteschema sind Frauen und Männer mittleren Alters. Singles, die über ein gewisses Grundkapital verfügen. Ziel ist es, das Opfer so lange zu umgarnen und zu manipulieren, bis es glaubt, die große Liebe gefunden zu haben. Und für die tut man schließlich alles - wenn es sein muss, auch einen größeren Geldbetrag zusammenkratzen.

Die Betrüger legen sich seriöse Profile zu, mit Bildern, die sie vorher im Internet stehlen. Scam-Frauen geben sich oft als Krankenschwestern oder Lehrerinnen aus, Scam-Männer meist als Ingenieure, Architekten, Geschäftsmänner oder Angehörige des Militärs.

So wie der angebliche Chew. Der 65-jährige General wollte alles über Luise wissen. Ihre Lieblingsfarbe, ihre Lieblingsblume, was sie als Kind am liebsten gespielt und wann sie ihren ersten Liebeskummer hatte. Jeden Tag verliebte er sich ein Stückchen mehr in sie. Luise, die zweimal verheiratet und verwitwet war, fühlte sich begehrt, geliebt, erkannt. Stundenlang chattete sie mit Chew, der ebenfalls Witwer war. Dass seine Frau und seine Tochter vor vier Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, berührte das Herz der älteren Dame.

»Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass ich doch viel zu alt für ihn sei, aber er wollte davon nichts hören«

Chew war auf der Suche nach einem neuen Leben, einer neuen Liebe. In wenigen Wochen sollte er pensioniert werden. In die USA wolle er nicht zurückkehren. Zu schmerzhaft seien die Erinnerungen. Er könne sich vorstellen, in Österreich ein neues Leben zu beginnen. Mit Luise an seiner Seite. "Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass ich doch viel zu alt für ihn sei, aber er wollte davon nichts hören. Seelenverwandt seien wir. Das hat er gesagt. Und ich habe ihm geglaubt." Irgendwann war es um Luise geschehen. Sie war verliebt, mit Haut und Haar.

Für die Psychologin Christiane Eichenberg ist das nicht verwunderlich. Sie ist Professorin an der Sigmund Freud Privatuniversität und hat viel zur Psychologie des Internets geforscht. "Die Beziehungsanbahnung hat sich durch die neuen Medien derart verändert, dass wir uns heute verlieben können, ohne jemanden jemals gesehen zu haben", sagt sie. "Vor zehn Jahren waren Onlineromanzen für das soziale Umfeld noch befremdlich, heute sind Liebesgefühle in Zusammenhang mit dem Internet normal und gesellschaftlich akzeptiert."

»Sie bieten die ideale Projektionsfläche für Mr oder Mrs Right«

Das Problem der Internetliebe liegt darin, dass viele Informationen über das Gegenüber fehlen, wie Stimme, Mimik, Gestik oder Geruch. Also füllen wir das, was uns fehlt, mit unserer eigenen Phantasie. So wird das Gegenüber zum idealen Wunschpartner. Das macht es den Love-Scammern oft so einfach. "Sie bieten die ideale Projektionsfläche für Mr oder Mrs Right", sagt Eichenberg. Ist das Opfer erst verliebt, sind die biochemischen Prozesse die gleichen wie bei einer Liebe im realen Leben. Die Hirnregionen, die mit negativen Emotionen wie Angst, Trauer oder destruktiver Aggression einhergehen, werden abgeschaltet. Für die Love-Scammer bedeutet das: Das Opfer ist bereit, finanziell ausgeschlachtet zu werden.

Verliebt, verlobt, betrogen

Luises angeblicher General bekam kurz vor seinem Abzug aus Afghanistan noch ein großzügiges Geschenk. Ein einheimischer Schatzmeister vermachte ihm als Dank für seine Verdienste eine Truhe mit Gold und Juwelen. Chew wollte die Truhe außer Landes bringen und fand, der sicherste Aufbewahrungsort sei bei Luise in Österreich. Das Vermögen wollten sie benutzen, um ihre gemeinsame Zukunft aufzubauen. Also beauftragte Chew den Paketübersteller Savannah Courier Service. Von dem erhielt Luise bald darauf eine E-Mail. Ihr Paket liege beim Zoll, es müsse noch die Mehrwertsteuer gezahlt werden, bevor es ausgeliefert werden könne. Chew bat sie, das für ihn zu übernehmen, da er von Kabul aus keine Onlineüberweisungen tätigen könne. Die ältere Dame, die zwar Internet benutzte, sich aber mit Details wie Netbanking nicht auskannte, glaubte ihm. Also überwies sie mehrere tausend Euro auf ein ausländisches Konto.

»Das Vorgehen ist immer ähnlich«

"Das Vorgehen ist immer ähnlich", sagt Betrugsexperte Kahn. Bevor es zum ersten Treffen der angeblich Verliebten kommt, gibt es vorgetäuschte Schwierigkeiten: Überfälle, einen Krankheitsfall in der Familie, Probleme mit Behörden und Arbeitgebern und vieles mehr. Die Opfer werden gebeten, per Bargeldtransfer Geld zu schicken. Um sie zusätzlich unter Druck zu setzen, lassen die Betrüger einen angeblichen Arzt oder Polizisten anrufen, der ihre Geschichte untermauern soll.

Nachdem Luise überwiesen hatte, ließ das nächste Problem nicht lange auf sich warten. Beim Scannen des Pakets sei ein großes Bündel mit Hundert-Dollar-Scheinen entdeckt worden, das auf dem Lieferschein nicht angeführt war. Die angebliche Lieferfirma schrieb Luise ein harsches Mail, unterstellte ihr vorsätzlichen Betrug und schrieb: Nur wenn sie eine größere Summe überweise, würde man auf eine Anzeige verzichten und sie einer langjährigen Haftstrafe entgehen. Luise bekam es mit der Angst zu tun. Sie war verzweifelt. Der angebliche Chew auch. Er beschwor seine Liebste, das Geld vorzustrecken, um den gemeinsamen Schatz und die gemeinsame Zukunft zu sichern. Luise hob ihre gesamten Ersparnisse ab, versetzte ihren Schmuck und nahm einen größeren Kredit auf - und zahlte. Das Geld sollte sie nie wiedersehen.

»Selbst wenn sie ahnen, dass sie einem Betrug aufsitzen, wollen sie das nicht wahrhaben«

"Viele Opfer befinden sich zu diesem Zeitpunkt an einem Point of no Return", sagt Kahn. "Selbst wenn sie ahnen, dass sie einem Betrug aufsitzen, wollen sie das nicht wahrhaben, schließlich haben sie schon so viel investiert. Finanziell und emotional." Ein weiterer Grund, warum die Opfer zahlen, ist die Angst, ihre große Liebe zu verlieren, sagt Psychologin Eichenberg. "Das Gegenüber ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil des eigenen Lebens geworden. Für die Opfer ist es zu schmerzhaft, ihren Partner zu entidealisieren, daher machen sie weiter." Luise auch. Hätte sie ein Haus gehabt, das sie hätte verpfänden können, sie hätte es getan. Aber sie hatte nichts mehr. So bat sie ihre Tochter um Geld, so flog der Schwindel auf. Tochter und Sohn suchten im Internet nach dem angeblichen General -und fanden ihn: in einem Internetforum, das vor Love-Scammern warnt.

Rache ist süß

In solchen Foren haben es sich ehemalige Opfer unter dem Namen "Romance Scambaiter"(Liebesbetrüger-Jäger) zur Aufgabe gemacht, ihre Peiniger zu jagen. Nach dem Motto "Rache ist süß" legen sie sich falsche Identitäten zu, um die Internetbetrüger zu ködern und sie eine Zeit lang an der Nase herumzuführen. Indem sie über Monate hinweg intensiv mit den Betrügern Kontakt halten, binden sie deren Zeit und halten sie so auch von potenziellen neuen Opfern fern. Außerdem sammeln und veröffentlichen die Scambaiters sämtliche Profilbilder, mit denen die Betrüger ihre angebliche Identität untermauern.

Die Vorarlbergerin Nora N. ist passionierte Betrüger-Jägerin. Die Mittfünfzigerin war vor zwei Jahren selbst einem besonders charmanten Love-Scammer aufgesessen. Nächtelang tauschte sie liebevolle E-Mails mit ihm aus. Sogar verlobt war sie mit ihm. Umso bitterer war das Erwachen, als die erste Geldforderung kam. Bei der eher bodenständigen Nora kamen Zweifel auf. Sie suchte ihren Michael - wie sich der Scammer nannte -und fand seine Fotos in Zusammenhang mit einem anderen Account. Sie konfrontierte ihn, er stritt erst alles ab, als sie ihm dennoch nicht mehr glauben wollte, setzte er ihr zu, weshalb sie ihre große Liebe beschmutze. Als er schließlich merkte, dass hier kein Geld zu holen war, beschimpfte er sie.

»Das ist eine Vergewaltigung der Seele, was hier passiert«

Auch wenn Nora froh war, den Betrug rechtzeitig erkannt zu haben, war ihre Psyche stark angeknackst und sie hatte echten Liebeskummer. "Das ist eine Vergewaltigung der Seele, was hier passiert", sagt sie heute. Psychologin Eichenberg spricht von einer Beziehungstraumatisierung. Dazu kommen große Schuld-und Schamgefühle. Die Opfer verzweifeln an sich und an der Welt, und sie tun sich schwer, wieder Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen. Verstärkt wird das, wenn das Umfeld mit Unverständnis und Schuldzuweisungen reagiert, etwa mit "Wie kann man so dumm sein, selbst schuld". Dadurch werden indirekt die Täter freigesprochen und die Verantwortung den Opfern zugeschoben.

Scham ist auch der Grund dafür, dass diese Art von Betrug bei der Polizei sehr oft nicht angezeigt wird. 2015 gab es 31 Anzeigen, die Dunkelziffer ist wohl um ein Vielfaches höher. "Das ist ein Millionengeschäft", sagt Kriminalitätsexperte Kahn. Auch wenn die Chance, das verlorene Geld zurückzubekommen, sehr gering ist, ermuntert er die Opfer: "Wenden Sie sich an die Polizei und schämen Sie sich nicht. Was hier passiert, ist ein klassischer Betrug, dem jeder zum Opfer fallen kann."

Luise schämt sich trotzdem. Das ist auch der Grund, weshalb sie ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Keiner ihrer Freunde hatte Verständnis für das, was ihr passiert ist. Lange Zeit war sie allein mit ihrem Schmerz. Dass Chew nicht Chew war, hat ihr das Herz gebrochen, sagt sie. "Ich habe am Anfang nur geheult, mein Magen hat rebelliert, meine Blutwerte waren im Keller." Hilfe fand Luise bei den Romance Scambaiters. Dort half man ihr, sich wieder aufzurichten und über ihren Liebeskummer hinwegzukommen.

Das Profil des falschen Chew hat sie natürlich sofort in sämtlichen Netzwerken blockiert. Aber manchmal erwischt sie sich dabei, wie sie sehnsuchtsvoll auf ihren Computer schielt und hofft, da wäre eine Nachricht. Von Chew.

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