"Jeder kann sich für
das Gute entscheiden"

Das Gespräch wurde zur Liebeserklärung von Sohn und Profitänzer Willi Gabalier an Mama Huberta Gabalier. Und zudem eine Liebeserklärung der Frau, die Mann und Tochter verloren hat, an das Leben. Aus ihrer Kraft wuchs trotz Verzicht und Schicksalsschlägen eine starke Familie

von Mutter & Sohn - "Jeder kann sich für
das Gute entscheiden" © Bild: Ricardo Herrgott

Der sonnige Vormittag und die frisch vom Regen gewaschene Natur bringen sie glaubhaft zum Strahlen. „Ist das nicht schön?“, seufzt Huberta Gabalier mit einem Lächeln auf den Lippen. Unaufgeregt und liebevoll ist das Treffen im Hotel Liebmann auf der steirischen Laßnitzhöhe. Ein Holztisch, ein Bankerl, ein Kaffee – mehr braucht es nicht für ein Gespräch mit der Frau, die Österreichs „Dancing Star“-Profi Willi und den Chartstürmer Andreas großzog, zwei weithin bekannte Söhne also. Der dritte, Toni, hält sich lieber abseits des Rampenlichts.

Nicht weit von hier hat Willi seinen Bauernhof, den er selbst restauriert hat. „Fast kitschig“ wird er im Gespräch die Gefühle nennen, die ihn mit der Mutter verbinden. Dank der mütterlichen Kräfte wuchsen sie in einer Familie, die nach den Selbstmorden des Vaters und der Schwester dunkelste Zeiten durchlitt. Als Aufgabe bezeichnet Huberta Gabalier das Erlebte und beschwört, dass jeder die Kraft in sich trägt, sein Schicksal zu meistern. Mit Gottes Hilfe. In ihren bisher vier Gedichtbänden macht sie dafür ebenso Mut wie im Interview. Die pensionierte Pädagogin hat den Weg aus der Trauer in die Dankbarkeit geschafft.

Herr Gabalier, gibt es heute noch Zeiten, wo sie den Rat der Mutter suchen?

Willi Gabalier:

Ich fahre zu ihr, wenn ich Ruhe suche. Egal, wie turbulent die Zeiten gerade sind, egal, wie voll man im Leben steht – bei der Mama darf man der „klane Bua“ sein. Ein schönes Gefühl.

Wie halten Sie das umgekehrt, Frau Gabalier? Wie sehr darf man sich ins Leben der Kinder einmischen?

Willi:

Ich sag gleich: Wir fahren vorsichtig, Mama, es ist eisig! Und der Schlaf vor Mitternacht ist wichtig!

Huberta Gabalier:

Wenn der Andi sagt: „Geh, bitte, Mutti!“, weiß ich, es war zu viel. Im Ernst, ich mische mich gar nicht ein. Jedes Kind trägt die Verantwortung dafür, was es tut und sagt. Für alles andere wäre es auch längst zu spät.

Welchen Stellenwert hat der Muttertag bei Ihnen?

Huberta:

Es ist eine schöne Tradition, die wir alle gerne pflegen. Früher haben wir im Garten gegrillt, ganz einfach. Zuerst waren wir in der Messe, danach war schon alles her­gerichtet. Die Kinder haben Gedichterl aufgesagt und Menükarten gebastelt.

Willi:

Und Gutscheine fürs Schuheputzen und Geschirrspülerausräumen haben wir dir geschenkt, für alles, was wir nicht gerne gemacht haben.

Huberta:

Aber lieben tun wir uns das ganze Jahr. Den Willi sowieso, der ist eine alte Seele. Wir kennen uns schon ewig. Wir brauchen nichts sagen und wissen, was der andere denkt.

Willi:

Ich war schon immer das Mamakind.

Huberta:

Ja, der Andi und die Elisabeth waren Papakinder, der Toni und du Mamakinder.

Ihr jüngster Sohn, Toni, hält sich gern im Hintergrund. Warum?

Willi:

Er flüchtet sogar vor Familienfotos, damit kein Foto von ihm auftaucht.

Huberta:

Das ist seine Entscheidung. Er macht die Ausbildung zum Piloten. Nebenbei kellnert er, um sich das zu finanzieren. Ich bin froh, dass er seinen Weg gefunden hat.

Sie haben das blinde Verständnis zwischen Ihnen und Willi erwähnt. Hatten Sie je ein schlechtes Gewissen, weil man zu manchen Kindern einen besonderen Draht hat, bei anderen mehr Einfühlungsvermögen braucht?

Huberta:

Nein, weil lieben tu ich sie alle gleich. Mit den anderen ist es nicht weniger liebevoll, aber die denken eben anders. Mit Elisabeth und Andi habe ich diskutieren müssen.

Willi:

Wie in einer Beziehung: Entweder dein Partner tickt wie du, oder du hast jemanden, der ganz anders ist. So war das bei uns Geschwistern auch.

Welche Streitkultur gab es zwischen den Geschwistern?

Willi:

Mit dem Andi habe ich nie gestritten, weil wir so unterschiedlich sind. Bis ich 24 war, habe ich mir mit ihm ein Zimmer geteilt. Nachdem ich zu meiner Freundin gezogen bin, habe ich ihn vermisst, weil sie immer so schnell eingeschlafen ist. Mit dem Andi habe ich noch eine Stunde geredet im Bett.

© Ricardo Herrgott Dankbarkeit für jeden blühenden Strauch begleitet Huberta Gabalier heute. „Ich habe gelernt, wie kostbar das ist“

Welche Art von Mama war Huberta?

Willi:

Sie war immer da. Gleichzeitig war sie sehr streng. Es gab strikte Regeln. Als Kinder mussten wir als Erste vom Hof nach Hause und ins Bett gehen. Das habe ich oft als ungerecht empfunden. Aber gedanklich waren wir frei. Jeder von uns konnte sich sein Bild über die Welt machen.

Was war Ihnen in Sachen Erziehung wichtig, Frau Gabalier?

Huberta:

Ich habe selbst eine sehr liebevolle Kindheit erlebt, die wollte ich meinen Kindern mitgeben. Gleichzeitig wollte ich ihnen klare Werte mitgeben. Das war in meiner Kindheit leichter, da hat es kein Kino oder so gegeben, im Winter war um sieben Bettruhe.

Willi:

Das war bei uns auch so, Mutti: Nach dem „Traummännlein“ war Bettruhe!

Huberta:

Stimmt. Und es hat Essenszeiten geben, davor war das Tischgebet. Danach haben sie sagen dürfen: „Danke, es hat gut geschmeckt.“ Wenn sie es nicht gesagt haben, habe ich es gesagt, aber sie haben es gelernt. Genauso wie zu fragen, ob sie aufstehen dürfen oder mithelfen im Haushalt. Wichtig war das Abendritual mit ­Zusammenkuscheln und Gute-­Nacht-Geschichte, weil der Tag abgeschlossen werden muss. Dafür habe ich mir eineinhalb Stunden Zeit genommen. Es war wunderschön: Als Kleinster war der Toni als Erster im Bett. Dann sind alle zu ihm ins Bett gekommen, um die Geschichte zu hören.

Konsequent bleiben und Nein sagen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben in Sachen Erziehung. Wie haben Sie das erlebt?

Huberta:

Erziehung ist mühsam. Man muss vieles tausendmal sagen. Dass Kindern heute schnell nachgegeben wird, halte ich für schwierig. Weil es einfacher ist, werden sie vor den Fernseher gesetzt. Wenn es eine Mahlzeit gegeben hat, die einem nicht geschmeckt hat, habe ich gesagt: „Man kann auch einmal etwas essen, das nicht die Lieblingsspeise ist.“ Heute bekommen Kinder vier Alternativangebote. Die sind arm, die können das ja gar nicht entscheiden.

Willi:

Verzicht zu lernen, war eine wichtige Vorbereitung fürs Leben, weil es geht nicht immer alles glatt. Ich habe gemerkt, dass sich die, denen immer alle Wünsche erfüllt worden sind, später schwertun im Leben. Ich merke auch beim Unterricht mit Tanzsportkindern, dass es schwierig ist, wenn man zu Hause keine Disziplin, kein Dranbleiben lernt. Viele Kinder wollen nur bespaßt werden. Wenn man etwas erreichen will, muss man hart trainieren. Ich will die Kinder nicht unterhalten, sondern ihnen etwas beibringen. Das bringt mich oft in den Zwiespalt: Bin ich statt dem lustigen Willi der strenge Trainer? Oder lass ich die Enttäuschung beim Turnier kommen?

Sie sprechen die wirtschaftlich schwierigen Umstände an, unter denen Sie aufgewachsen sind?

Willi:

Ja. Als ich mit 15 Jahren Tanzsport trainiert habe, sind viele nach dem Training zum Masseur gegangen, während ich beim Nachbarn den Rasen gemäht habe, damit ich mir die nächste Trainingsstunde leisten kann. Dadurch ist der Wille zur Sache gewachsen. Für die anderen hatte Tanzen nicht so viel Wert, weil es die Eltern bezahlt haben. Dinge gewinnen an Wert, wenn man dafür kämpfen muss.

Huberta:

Deshalb ist euch Materielles nicht wichtig. Ihr habt andere Werte. Das sehe ich beim Andi: Er könnte sich alles kaufen, aber er will gar nicht. Das einfache Leben ist ihm lieber. Ihm ist die Musik wichtig.

Willi:

Der Andi will nicht einmal eine Putzfrau, der macht alles selbst.

Huberta:

Er bügelt sogar die Bettwäsche. Er hat mir einmal erklärt: „Mutti, das ist so schön, wenn ich das Bett beziehe und dann ist von der Bügelfalte das Kreuz zu sehen.“

© Ricardo Herrgott Was er früher unfair fand, kann er heute schätzen. Willi erzählt aus der Kindheit geprägt von Strenge, Verzicht und unendlich viel Liebe

Jede Mutter kennt den Moment der Überforderung, wenn alles zu viel wird. Wie sind Sie damit umgegangen?

Huberta:

Wenn sie mir am Abend nicht gefolgt haben, bin ich schon nervös geworden. Ich habe ja gewusst, dass ich mich noch für die Schule vorbereiten muss. Meinen Beruf wollte ich ja auch gut machen. Dann bin ich laut geworden und habe eine Plärrer losgelassen.

Willi:

Liebevoll temperamentvoll bist du.

Wie ist Huberta Gabalier als Schwiegermama?

Willi:

Eine sehr tolerante, die sich nicht einmischt und sehr liebevoll ist.

Huberta:

Was soll ich mich einmischen? Das ist eure Sache und die Mädels sind alle so lieb zu mir! Vielleicht habe ich auch daraus gelernt, dass es mit meiner Schwiegermutter Spannungen gegeben hat, weil ich mich nicht richtig angezogen habe oder den falschen Kochtopf genommen habe. Einmischen würde ich mich nur, wenn es meinen Kindern schlecht geht oder sie ungerecht behandelt werden.

Andi hat letzte Woche gesagt, es sei Zeit für ihn, zu heiraten. Hat er Sie diesbezüglich schon eingeweiht?

Huberta:

Das habe ich auch gelesen und gedacht: Schau an, er sagt, es ist Zeit. Aber das war bei uns kein großes Thema. Natürlich wäre es vom biologischen Alter her Zeit, und so meint er es ja auch. Aber das ist deren Sache. Ich würde mich riesig freuen, weil ich die Silvia wirklich ins Herz geschlossen habe, aber das müssen die Kinder selbst entscheiden.

Willi:

Wir reden sehr viel miteinander, aber das Heiraten hat der Andi noch nie zum Thema gemacht.

Als Mama ist man überlebenswichtig für die Kinder. Gibt es umgekehrt Momente, wo die Kinder überlebenswichtig sind?

Huberta:

Ich würde mein Leben für die Kinder geben. Das habe ich oft gedacht, als meine Tochter gegangen ist: Ich wäre zehnmal gestorben, damit sie leben kann. Mütter wissen, was für eine Urkraft Mutter-Sein hat. Sie ist der Grund, warum es mir heute gut geht. Nach dem Tod meiner Tochter wollte ich nicht mehr leben, aber ich habe gewusst, dass mich meine Söhne brauchen. So ist es bergauf gegangen. Und die, die das Leben nicht schaffen, darf man nicht verurteilen.

Wie sind Sie als Sohn damit umgegangen? Kann man in solchen schweren Zeiten eine Stütze sein?

Willi:

Ich war schon ohnmächtig. Es gibt kein Rezept. Ich kann nicht sagen, wodurch ich geholfen habe. Ich glaube, es war die Verbundenheit und Liebe zueinander, die geholfen haben. Wir haben uns auch nie gefragt, warum unserer Familie solche Schicksalsschläge passieren, weil es viele Menschen gibt, die Ähnliches bewältigen müssen.

Jeder trauert anders. Wie haben Sie Ihren Frieden gefunden?

Willi:

Ich bin im Reinen, weil ich festgestellt habe: So schlimm Suizid ist, war es mir lieber, dass es Selbstmord war als ein Verkehrsunfall, weil es die Entscheidung der Person war. Das muss man akzeptieren. Es ist unendlich traurig, ich werde sie für immer vermissen. Aber es ist in Ordnung, wie es ist.

Huberta:

Am Anfang haben wir viel Ruhe gebraucht. Geholfen hat uns unser Familiennest. Später erkennt man, wie kostbar das Leben ist und dass man keine Zeit verschwenden soll. Heute kann ich mich ehrlich über meinen Garten freuen, weil es so kostbar ist, wenn man das sehen darf.

Wie wächst man derart an solchen Schicksalsschlägen?

Huberta:

Es ist ein Reifeprozess. Jeder Mensch erlebt Dinge, die er schlucken muss, ob er will oder nicht. Man hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder mache ich weiter, oder ich gebe auf. Es ist immer besser, weiter zu machen, weil man nur so ein Stück weiterkommt.

Kann der Glaube helfen?

Huberta:

Ja, ich hab oft aufgeschrieben: Bitte, lieber Gott, hilf mir! Es gibt Notizen aus dieser dunklen Zeit, die ich zu einem Buch verarbeiten möchte. Aber davor sollen meine Gedichtbände in allen Regenbogenfarben erscheinen. Da fehlen noch zwei. Der Regenbogen begleitet uns: Der Andi hat ihn in seinen Liedern, ich in den Büchern und ein Regenbogen war das letzte Foto am Handy meiner Tochter Elisabeth, das sie wenige Stunden vor ihrem Tod vom Küchenbalkon aus fotografiert hat. Er ist Symbol für das Überirdische. Für die Frage: Woher kommen wir, wohin gehen wir? Man tut sich leichter, wenn man das Wissen auf diese Antworten in sich trägt. Der Glaube ist auch Glaube an sich selbst, eine innere Kraft.

Ist der Glaube bei Ihnen auch so verankert, Herr Gabalier?

Willi:

Ich gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber ich spüre, dass da mehr ist. Diese Sehnsucht spürt jeder. Manche nennen Glauben altmodisch und stellen sich einen Buddha in den Garten.

Huberta:

Beten ist doch nichts anderes, als gute Gedanken zu haben. Und gute Gedanken sind besser als schlechte Gedanken, als Angst, Neid, Hass. Solche Gefühle will ich mir doch selbst nicht antun. Es ist schöner, jemandem, der krank im Spital liegt, gute Gedanken zu schicken, als sich zu fürchten, dass er stirbt. Es geht darum, sich für das Gute zu entscheiden. Das können wir.

Glaube hat heute ebenso wenig Platz im Alltag, wie der Tod. Ein Fehler?

Huberta:

Der Tod ist, wie das Leben, eine Aufgabe, die wir bewältigen müssen. Wir lernen bis zum letzten Atemzug. Ich möchte es bewusst allen Menschen mitgeben, die schwierige Zeiten durchmachen: Es sind Aufgaben und jeder hat die Kraft, sie zu bewältigen.

Wie blicken Sie ins Alter? Gibt es eine Art Generationenvertrag, sich um die Mama zu kümmern, wenn es nötig wird?

Willi:

Ich würde die Mama sofort pflegen. Das sage ich ihr jeden Tag. Ich hätte das sogar fast gern, sollte es so weit kommen. Die Angst, dass das meine Familie belastet, habe ich gar nicht.

Erwarten Sie, dass eines der Kinder für Sie sorgt, Frau Gabalier?

Huberta:

Nein, erwarten darf man gar nichts. Wenn ich alt bin und niemand schert sich um mich, dann habe ich mir das ausgesucht. Nach dem Tod meines Mannes und meiner Tochter hat ein Homöopath zu mir gesagt, meine Seele hat sich das so ausgesucht. Am Anfang habe ich das für Blödsinn gehalten. Wer sucht sich denn so etwas aus?! Aber wer weiß schon, was sich seine Seele für dieses Leben vorgenommen hat? Würde sich niemand um mich kümmern, hätte das auch einen höheren Sinn. Die dunklen Stunden gehören genauso zur Fülle des Lebens, wie die Schönen. Ich habe so viele Existenzängste gehabt im Leben. Ich weiß, dass alles einen Sinn hat und es wieder bergauf geht. Ich lebe im Gottvertrauen, der schaut schon auf mich. Er schaut übrigens auf uns alle, aber hinhören sollten wir ein bissel, was er uns serviert und was er uns sagen will.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 19 2018