Wie tickt
Gottfried Walhäusl?

Sein Versuch, jugendliche Flüchtlinge hinter Stacheldraht zu verräumen, machte Gottfried Waldhäusl zum derzeit umstrittensten Volksvertreter Österreichs. Zugleich ist er aber auch die neue Leitfigur der heimischen Stammtischpolitik – samt eigenem Wirtshaus, wo er Volkes Stimme einfängt. Wie tickt Waldhäusl? Ein Lokalaugenschein

von Politik - Wie tickt
Gottfried Walhäusl? © Bild: Ricardo Herrgott

Im Fall Gottfried Waldhäusls hat das Wort Lokalpolitik einen vollmundigen, zartbitteren Beigeschmack von Wahrheit. „Bei denen nützt nichts, bei denen ist Hopfen und Malz verloren, denen brauchst du gar nichts mehr beibringen, die werden auf kurz oder lang eh abgeschoben“, sagt er, lehnt sich am Stammtisch – seinem Stammtisch – in der Gaststube – seiner Gaststube – wohlig zurück an den Kachel­ofen und genehmigt sich einen kräftigen Schluck von der Schwechater Hopfenperle.

Bier ist Bier, und Politik ist Politik, aber bei Niederösterreichs blauem Asyllandesrat und Gasthausbesitzer Waldhäusl fließt das irgendwie ineinander. „Die Caritas und andere, das sind Fantasten, die sich einbilden, dass man die integrieren kann. Das geht nicht, das muss man wissen, du kannst aus einem Esel kein Ross machen.“

Esel und Rösser

Die Esel, die niemals Rösser werden, das sind jene neun minderjährigen Flüchtlinge, die auf Waldhäusls Geheiß an den Ortsrand von Drasenhofen verfrachtet worden waren. In einen Kastenbau aus grauen Betonplatten, umgeben von einem Stacheldrahtzaun, bewacht von grimmigen Hunden und scharfen Securitys, Zapfenstreich 22 Uhr, Ausgang, wenn überhaupt, nur in Be­gleitung. „Ein Straflager“, empören sich jene, die zu Beginn der Vorwoche vor dem St. Pöltener Landhaus demonstrierten. „Ein Armutszeugnis für Österreich“, wettert Drasenhofens VP-Bürgermeister Reinhard Künzl. Und Niederösterreichs VP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wies den umstrittenen Politiker an, die Teenager raschest wieder in würdige Unterkünfte umzuquartieren. Das, so die Landeschefin unmissverständlich, sei Waldhäusls „letzte Chance“, ehe sie ihm die Agenda entziehe.

Doch der hält nicht viel von Entzug, im Gegenteil, zu verlockend schäumt die frisch gezapfte Hopfenperle. Seit die Freiheitlichen unten in Wien in der Regierung sitzen und ihre drastische Sprache dem Koalitionsfrieden opfern, kümmert sich eben einer wie Waldhäusl um die darbende Kernklientel. „Ich bin hart, wenn es um Gerechtigkeit und Ordnung geht“, sagt er. Und: „Ich habe das bäuerliche Milieu in die Politik ­mitgebracht und nicht abgelegt.“

Was in einer agrarisch dominierten Region wie Niederösterreich noch lange kein Makel ist – aber Gerechtigkeit und Ordnung? Da steht doch die ­Anschuldigung der Freiheitsberaubung und Nötigung in Zusammenhang mit den Flüchtlingen von Drasenhofen im Raum. Genauer gesagt im urigen Gastzimmer, in dem sich der Rauch langsam zu beißenden Schwaden verdichtet – nebulös wie auch jene GmbH, die unter Waldhäusls Namen läuft und über Umwege in die Steueroase Zypern führen soll. Und nun, zu allem Überfluss, ist da auch noch der Vorwurf von Kickback-Zahlungen, die von einer befreundeten Sicherheitsfirma an Waldhäusls Büro geflossen sein sollen. Na und? „Jetzt zeigt man mich halt auch noch wegen Bestechung und Schwarzgeld an, das ist eben so – es sind nicht die schlechtesten Früchte, an denen die Wespen nagen. Aber das interessiert mich nicht, dafür schalte ich nicht einmal einen Rechtsanwalt ein, das ist mir so was von egal. Für mich ist wichtig, dass mein Name richtig geschrieben ist, und wenn Sie ein schönes Foto nehmen, wäre es mir auch recht. Sonst ist mir alles wurscht. Also bitte Waldhäusl nicht mit e schreiben.“

Job liegt ihm im Blut

Ob strafrechtlich alles in Ordnung ist, werden die nächsten Monate weisen. Zumindest karrieretechnisch scheint der 53 Jahre alte Waldviertler mit dem scharfen Scheitel und der spitzen Zunge aber alles richtig ­gemacht zu haben: Seit Anfang der Neun­zigerjahre stieg er vom Gemeinderat in ­Pfaffenschlag über den Bundesrat und den Landtag immerhin bis zum FP-Klubchef und heuer zum Mitglied von Niederösterreichs schwarz-rot-blauer Proporzregierung auf. Tja, und nun avanciert er sogar zur Leitfigur der heimischen Stammtischpolitik – und das nicht nur, weil den Job halt irgendwer machen muss, wenn Johann Gudenus zu sehr mit der Überfremdung von Wien und Heinz-Christian Strache zu sehr mit der Überwachung von Kurz beschäftigt ist. Nein, sondern weil er ihm, Gottfried Waldhäusl, gewissermaßen im Blut liegt.

„Noch bevor ich selbst ein Wirtshaus hatte, bin ich, wenn ich irgendwo einen politischen Termin hatte und mit der Runde durch war, zu den zwei, drei örtlichen Wirten gegangen“, erzählt er. Und das läuft so: „Nach fünf Minuten sitze ich am Stammtisch, tratsche mit den Leuten und trinke ein Achterl mit ihnen – nur so erfährst du, worum es geht. Natürlich muss man da einiges vertragen können, aber so, wie Fußballer trainieren, muss halt auch ein Politiker immer im Training bleiben. Du musst es schaffen, dass du mit jedem ein Seiderl oder Achterl trinkst, aber du darfst nie angesoffen sein“, verrät Waldhäusl. Kein politischer Zickzackkurs halt, immer eine gerade Linie. „Aber mit Waldviertler Härte.“

Waldhäusl, der Mann fürs Grobe, sieht sich selbst als beschwingten Gegenentwurf zur nüchternen Mikl-Leitner. „Wer traut sich im engen Umfeld der Landeshauptfrau noch die Wahrheit zu sagen? Keiner. Die sagen nur, was sie hören will. Aber wenn sie rausgingen, wüssten sie, dass die Leute über ihre Chefin sagen: ,Was ist mit der los?‘ Die Landeshauptfrau will immer beiden Seiten recht geben. Aber wenn du beiden Seiten recht geben willst, fallst du irgendwann in der Mitte durch, deswegen ist sie auch als Innenministerin gescheitert, weil sie beide Seiten bedienen wollte – das geht nicht.“

© Ricardo Herrgott Mit Heni, seiner zweiten Frau. Sie kommt aus der Slowakei. „Da ist die Kultur die gleiche, und das gehört für mich zum Begriff Heimat“

Mister Schweinsbraten

Tiefdunkler Tann, mystische Kraftplätze, vergleichsweise raues Klima: Die Heimat Österreich im Allgemeinen und das Waldviertel im Speziellen, das ist die Scholle, die der ehemalige Landwirt und nunmehrige Landesrat am liebsten beackert. Seit knapp drei Monaten praktischerweise vom eigenen Biertisch aus, denn Waldhäusl ist nunmehr Hausherr im „Goldenen Hirschen“ in Waidhofen an der Thaya. Gut, das Tagesgeschäft schupft seine zweite, um elf Jahre jüngere Frau Heni, die aus der Slowakei stammt, doch für den sonntäglichen Schweinsbraten aus dem Rohr, für den verführerischen Duft und die bräunliche Kruste ist hier noch der Chef höchstpersönlich zuständig.

Österreicherin oder Österreicher, sagt Gottfried Gasthäusl, das könne man ja vielleicht noch im Laufe des Lebens werden, solange man zumindest aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie komme. „Da ist die Kultur die gleiche, und zum Begriff Heimat gehört für mich, dass man die gleiche Kultur hat.“ Aber Waldviertler, sagt Waldhäusl, Waldviertler könne man eigentlich nur kraft Geburt sein. „Als Zugereister kannst du gewisse Dinge nicht verstehen. Wir haben ­einen eigenen Stolz, bei uns ist die Welt auch noch mehr in Ordnung als woanders: Du musst bei uns härter ­arbeiten und mehr leisten, damit du das Gleiche schaffst wie anderswo. Und das prägt die Menschen. Wir Waldviertler sind nicht distanziert, aber wir sind nicht so wie im Westen, wo jeder Tourist wegen der Kohle wie der beste Haberer behandelt wird. Wenn du einen Waldviertler überzeugt hast, dass du in Ordnung bist, dann bist du es auch – aber sonst nicht.“

Aber wenn schon der zahlende Tourist mitunter auf Waldviertler Granit beißt, wie soll sich dann der mittellose Asyltourist, Pardon, Flüchtling aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak das Wohlwollen des zuständigen Waldviertler Volksvertreters aneignen? Schwierig, sehr schwierig, auch wenn Drasenhofen bereits im Weinviertel und somit quasi im befreundeten Ausland liegt.

„Die sind ja deswegen nach Drasenhofen übersiedelt worden, weil ich keine Unterkunft mehr hatte, weil sie keiner mehr nehmen wollte. Ich habe 95 Prozent, die sind in Ordnung, aber wenn du wen dabeihast, der die anderen negativ beeinflusst, hast du immer wieder Probleme. Mir geht es um die 95 Prozent, nicht um die fünf Prozent. Ich lasse mir die Integration, so, wie ich sie will, nicht von denen zusammenhauen, die glauben, sie müssen alles zerstören“, schäumt Waldhäusl mit der goldgelben Hopfenperle um die Wette.

Dabei würde er sich von „seinen“ Flüchtlingen ja im Grunde nicht mehr oder weniger erwarten als von den eigenen Kindern – Gesetzestreue und gutes Benehmen. Das, was man ihm als Kind beibrachte. Das, was man den Flüchtlingen nicht mehr beibringen kann, „weil es zu spät ist“.„Ich selbst habe vom Schuldirektor noch Fotzen bekommen und vom Pfarrer. Wenn ich frech und goschert war, habe ich eine gekriegt – überhaupt kein Problem. Und hätte ich’s daheim dem Vater erzählt, hätte ich gleich noch eine gekriegt.“

Und so etwas prägt – den Herrn Landesrat politisch, den Herrn Papa pädagogisch. „Wenn ich gesagt habe Hausarrest, dann war Hausarrest. Ich war konsequent, meine Kinder waren auch in einem Internat, haben auch um 22 Uhr daheim sein müssen und haben sich komischerweise nicht ­eingesperrt gefühlt.“ Aber die Flüchtlinge …

Von Stieren und Kälbern

Oben, im ersten Stock des 300 Jahre alten Bürgerhauses am Hauptplatz von Waid­hofen, wohnt Waldhäusl samt Familie, die Zwillinge aus erster Ehe sind bereits erwachsen, längst ausgezogen und haben selbst Kinder, ein zehnjähriges Mäderl, das ihm „zwischendurch passiert ist“, lebt bei dessen Mutter. Die zweite Frau Waldhäusl, die nunmehrige Wirtin, hat selbst drei ­Kinder in die Beziehung eingebracht.

„Ich bin halt ein Familienmensch“, bekennt Waldhäusl treuherzig. Und was für einer: „Für die Familien habts kein Geld, aber für die Schwuchteln schon“, vertei­digte er bereits vor acht Jahren in einer Landtags­debatte die traditionellen Werte, als es um die geplante Kürzung von Transferleistungen ging. „Und das war absolut richtig“, sagt der nunmehrige Patchwork-Pa­triarch rückblickend. „Ich komme aus der Landwirtschaft und weiß: Zwei Stiere ­können kein Kalb bekommen.“

Stiere, Kälber, Dammwild – unten, in der holzgetäfelten Schankstube des „Hirschen“, ist das bevorzugte Jagdrevier des Hausherren. „Hier“, sagt er, „schnappe ich die Stimmungen in der Bevölkerung mindestens ein, zwei Wochen früher auf, bevor sie die Medien in eine bestimmte Richtung drehen.“ Noch bevor die Druckerpressen rotieren, hat Waldhäusl die Stimmung bereits in Politik verwandelt. Ach, wenn das nur der Jörgl alles noch sehen könnte! Im Jahr 1991 war es, und Waldhäusl war mit anderen Bauern aus der Region gen Wien gezogen, um gegen die rot-schwarze Regierung unter Franz Vranitzky zu demonstrieren. Ein freiheitlicher Agrarier hat da am Podium gesprochen, und, wie sich Waldhäusl erinnert, „gestottert, dann sind ihm auch noch im Wind die Zettel davongeflogen“. Waldhäusl, damals: „Die sind ja auch nicht besser als die Schwarzen.“ Der Mann hinter Waldhäusl: „Na, dann mach’s besser.“ Der Hintermann war Haider, und Waldhäusl war ab sofort mit Feuer­eifer Politiker.

Doch bald war auch sein Hof Feuer und Flamme. Abgebrannt bis auf das Wohnhaus, am 13. Jänner 1993, es war Brandstiftung, und Waldhäusl glaubt bis heute, dass ein politischer Widersacher das Zündhölzl warf. „Jetzt hörst aber auf“, sagte der Vater, ein ehemaliger VP-Mandatar. „Jetzt erst recht“, sagte Waldhäusl.

Traumatischer Rausschmiss

Nur ein Jahr später kippte dann auch noch sein Glauben an den Rechtsstaat – und zwar ausgerechnet auf einem Feuerwehrfest: „Es hat eine Schlägerei gegeben, und ich habe dem Kommandanten geholfen, einen Angesoffenen rausgeschmissen und ihn verletzt, der hatte eine gebrochene Nase. Ich wurde angezeigt und wegen Notwehrüberschreitung verurteilt. Da war ich von der Justiz enttäuscht, dass der, der hilft, der Blöde ist. Deswegen habe ich ­seither immer ein Problem, wenn wer auf Seite der Täter steht und nicht der Opfer.“

So wie heute die Caritas: „Die gehört zur Asylindustrie wie all die anderen, die auf Kosten der Problematik Geld machen wollen, da geht es nur um Kohlemachen und sonst nichts.“ Nur die Altenbetreuung will Waldhäusl ausnehmen, denn die Caritas kümmert sich rührig um seine Mutter. Prost, und ewig schäumt die Hopfenperle.

Dabei ist dieser Gottfried Waldhäusl ja eigentlich auch ein Freund stiller Wasser. „Die Karpfen, Hechte und Zander in meinem Landschaftsteich“, sagt er, „werden nicht gefischt, sondern haben das ewige Leben. Es gibt nichts Schöneres, als Fische zu füttern, du setzt dich hin, schaust ihnen eine Viertelstunde zu – und denkst dir, wie viele Narren es gibt.“

Die Fische bleiben konsequent stumm. Ob Waldhäusl das Schweigen der Karpfen als stille Zustimmung deutet?

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 50/2018