Belehrung durch Kunstschaffende

Nicht die Meinung, das Werk ist die Botschaft

Kreativität und Popularität haben keinen moralischen Wert und berechtigen nicht zu öffentlicher Bewertung politischer und gesellschaftlicher Konflikte.

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

Vor einem Jahr überraschte mich die Toilette in unserer Wohnung mit einem glucksenden Geräusch, als hätte das Rohr im Fußboden ähnliche Schluckbeschwerden wie ich einst in Thailand, als mir ein Fisch in einer grünen Chilisauce serviert wurde. Der herbeigeeilte Installateur nahm die Klomuschel ab, fuhr mit einer langen Bürste durch den Kanal, und nach zehn Minuten war die Sache erledigt. Ich war beeindruckt, gab dem Fachmann ein ordentliches Trinkgeld und lobte seine Perfektion. Er bedankte sich freundlich, packte sein Werkzeug, doch kurz bevor er durch die Tür verschwand, ermahnte er mich mit ernstem Blick, bei der Wahl im Herbst eine bestimmte Partei zu wählen.

Das Ende der Episode ist allerdings erfunden, entspringt meiner Fantasie. Hätte es dieses Erlebnis gegeben, würde es mich irritiert und verärgert zurücklassen. Ebenso hätte es mich verärgert, wenn mich mein Zahnarzt nach gelungener Behandlung erinnern würde, wie gefährlich seiner Meinung nach die Grünen seien. Ich mag auch keine Taxifahrer, die mir den Nahostkonflikt erklären. Über Politik und Gesellschaftsprobleme spreche ich lieber in meiner privaten Umgebung oder in Diskussionsrunden, in denen es um unterschiedliche Meinungen geht. Nur wenige Ärzte, Tischler, Busfahrer, Architekten und Programmierer fühlen sich berufen, mir nach gelieferter Arbeit politische Ratschläge zu erteilen.

Talent

Warum glauben dann Personen, die mit Professionalität und Begabung kulturelle Werke schaffen, die ihnen eine Bühne bieten, mich im Publikum belehren zu dürfen? Lautstark über Recht und Unrecht entscheiden? Woher nehmen sie das Selbstbewusstsein, auf Grundlage ihrer Popularität mit ihrem vereinfachten Verständnis den Krieg in Gaza oder in der Ukraine erklären zu müssen? Mit Informationen aus den gleichen Medien, die uns Zusehern zur Verfügung stehen, wird willkürlich aus dem Katastrophen-Topf wie bei einer Lotterie ein Krisenherd herausgeholt und bewertend kommentiert.

Kunstschaffende definieren sich gerne als Gewissen und Vorbild einer Nation. Nach Ansicht von Stargeigerin Anne-Sophie Mutter haben Künstler eine gesellschaftliche Verantwortung: „Als Künstler ist man ein Sprachrohr und muss aufgrund der Vorbildfunktion gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.“ Woher diese Eitelkeit mit moralischer Überlegenheit kommt, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Kunstschaffende haben sich – nicht anders als Vertreter anderer Berufe – noch jeder Diktatur angeboten. Oper, Film, Theater und Konzerte konnte das Publikum während der Herrschaft der Nationalsozialisten ebenso genießen wie während der Epoche des Kommunismus. 1938 gab es in Wien ein Problem mit Kinderärzten, da einem Drittel aufgrund der Rassengesetze verboten war, Patienten zu empfangen. Im Wissenschaftsbereich blieben manche Institute nach Verhaftung und Vertreibung der Professoren jahrelang unbesetzt oder wurden geschlossen.

Flucht

Im Kulturbetrieb war es einfacher. Die sieben Mitglieder der Wiener Philharmoniker, die verhaftet und ermordet wurden, und die neun Mitglieder, die rechtzeitig flüchteten, konnten sofort ersetzt werden. In den Theatern bedrängten Schauspieler und Schauspielerinnen die neuen Direktoren, die Rollen der jüdischen Kollegen und Kolleginnen zu übernehmen. Für Sascha Leontjew, Solotänzer an der Staatsoper in Wien, fand die Direktion in kürzester Zeit Ersatz. Leontjew wurde 1942 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet.

Der abgesetzte Direktor des Theaters Scala und ehemalige Leiter des Volkstheaters Rudolf Beer wurde von dem nominierten Nachfolger, Robert Valberg, während einer Vorstellung aus der Loge geholt, von NS-Schlägern brutal misshandelt und auf der Höhenstraße aus dem Auto geworfen. Wenig später nahm er sich das Leben.

Während der grausamen Jahre der Stalin-Diktatur, als zahlreiche Schriftsteller und Schriftstellerinnen erschossen wurden, oft denunziert durch den offiziellen Schriftstellerverband der UDSSR, war der angesehene Schriftsteller Maxim Gorki von 1934 bis 1936 Präsident des Verbandes, und Alexei Tolstoi von 1936 bis 1938. Tolstoi, als „Roter Graf“ verspottet, lebte in einem Schloss außerhalb von Moskau, verbreitete Aufrufe zur Hinrichtung angeklagter Kollegen und Kolleginnen und füllte seinen Herrensitz mit Möbeln verurteilter Opfer. Der Kulturbetrieb war sowohl im Nationalsozialismus als auch im Kommunismus das Schmierfett im Getriebe der Diktaturen. Parallel zu Bücherverbrennungen, der Verbannung „entarteter Kunst“ aus Museen und der Verfolgung kritischer und jüdischer Kunstschaffender profilierte sich eine angepasste, systemunterstützende Kulturelite.

Bühne

Der britische Schauspieler Ricky Gervais, ein gern gesehener Präsentator bei Preisverleihungen, hatte einmal den Mut, Kandidaten und Kandidatinnen zu ermahnen: „Wenn ihr einen Preis gewonnen habt, verschont uns mit politischen Statements, ihr habt keine Ahnung von einem normalen Leben, ihr wisst nichts, kommt auf die Bühne, nehmt den Preis, dankt den Produzenten und euren Eltern und verschwindet einfach.“

Kritik und Kunst sind dennoch oft eng mit einander verbunden. Ein berühmtes Beispiel, Pablo Picassos Bild „Guernica“, zeigt den Schrecken der Zerstörung der Stadt Guernica durch die deutschen Luftangriffe. Hier übernimmt das Werk die Botschaft und nicht die Meinung des Künstlers bei Preisverleihungen oder während einer TV-Diskussion. Wenn Kunstschaffende mit all ihrer Kreativität scheitern, eine ihnen notwendig erscheinende Botschaft zu vermitteln, sollten sie es lassen und nicht den künstlerischen Mangel mit nichtssagenden, oft banalen Kommentaren ausgleichen.