Asmik Grigorian: "Es geht nicht um Kunst, nur noch um Gurgeln"

In der Staatsoper ist sie, nach coronabedingter Verschiebung, derzeit als Puccinis Manon Lescaut zu sehen. Asmik Grigorian, seit drei Jahren im winzigen Spitzengrüppchen ihres Fachs, über die Beschwernis, in mieser Zeit Kunst zu erzeugen, riskante Rollen und lästige Regisseure

von Asmik Grigorian: "Es geht nicht um Kunst, nur noch um Gurgeln" © Bild: Lina Jushke

Steckbrief

  • Name: Asmik Grigorian
  • Geboren am: 12. Mai 1981 in Vilnius, Litauen
  • Sternzeichen: Stier
  • Ausbildung: Bachelor- und Master-Studioum im Fach Gesang an der Litauischen Akademie für Musik und Theater
  • Beruf: Opernsängerin (Sopran)
  • Familienstand: in 2. Ehe mit Wasilij Barchatow verheiratet
  • Kinder: Sohn aus 1. Ehe (*2002), Tochter aus 2. Ehe (*2016)

Drei Jahre ist das erst her, da wiederholte die litauische Sopranistin Asmik Grigorian zu Beginn der Salzburger Festspiele den sprichwörtlichen Netrebko-Effekt des Jahres 2002. Damals entfesselte die nur Fachkreisen geläufige Russin via "Don Giovanni" ein bis heute unverklungenes Getöse. 16 Jahre später zitterte die Felsenreitschule unter den Ovationen für die damals 38-jährige Titel-Urgewalt der Strauss'schen "Salome". Viele hatten daran gezweifelt, dass die fragile Nervenenden-Akrobatin den philharmonischen Klangfluten genügend Kraft entgegensetzen könnte. Aber unter der Obhut des opernkundigen Dirigenten Franz Welser-Möst gelang alles, und Asmik Grigorian ist in ihrem 40. Lebensjahr die Nummer eins ihres Fachs neben Lise Davidsen und der gerade pausierenden Netrebko.

Salzburg und Welser-Möst bleiben bis mindestens 2026 ihre Lebenskonstanten, verrät sie im News-Interview. Im kommenden Sommer verkörpert sie alle drei Frauen in Puccinis "Triptychon". Und an der Staatsoper wird sie mit dem Dirigenten ihres Vertrauens eine neue "Turandot" erarbeiten. Derzeit ist sie dort nach pandemiebedingter Verschiebung als Puccinis Manon Lescaut zu erleben.

Frau Grigorian, man las in der "New York Times", Sie hätten an Long Covid gelitten. Lässt uns denn das Thema nie wieder los?
Ich hatte Corona, aber schon vor zwei Jahren. Es dauerte ziemlich lang, bis ich mich erholt hatte. Aber ich weiß nicht, was Long Covid ist, ich lese keine Zeitungen und will gar nichts von Corona wissen.

Wie empfinden Sie denn die aktuelle Situation?
Das ist eine Menge, mit der man umgehen muss. Ich hatte Glück und habe viel geleistet. Ich weiß, dass ich dafür dankbar sein muss, weil viele Kollegen das nicht geschafft haben. Aber das alles ist nicht sehr angenehm. Wenn man ins Theater kommt, geht es gar nicht mehr um die Kunst, es geht nur noch um das Gurgeln, und dann steckt einem wieder jemand etwas in die Nase. Ich weiß, dass die Theater ihr Bestes tun, aber es ist wirklich schwer, in einem solchen Umfeld Kunst zu schaffen. Das macht mich traurig. Manchmal hat man das Gefühl, dass man am liebsten sofort umdrehen und nach Hause gehen würde. Aber so kann man sich nicht verhalten, denn da ist ja auch der Respekt und die Liebe für die anderen, die ihre Arbeit machen und versuchen, die Dinge am Laufen zu halten. Wir brauchen Menschen wie Markus Hinterhäuser in Salzburg, Bogdan Roscic in Wien und die anderen Intendanten, die uns ermutigen und uns daran erinnern, dass das Leben nicht vorbei ist. Ich würde ihnen Medaillen geben.

Verstehen Sie Anna Netrebko, die angekündigt hat, wegen der Pandemie vorläufig auszusteigen?
Absolut! Kunst ist etwas, das aus dem Herzen kommen muss, und ich weiß nicht, woher ich die Motivation nehmen soll, unter diesen Umständen zu arbeiten. Ich verstehe Anna total. Aber wenn ich auftrete, dann bin ich natürlich nicht müde.

Stimmt es, dass Sie bald die Turandot an der Staatsoper singen?
Nicht so bald, ich denke, das ist 2024.

© Lina Jushke

Mit Franz Welser-Möst und Jonas Kaufmann?
Im Moment kann ich diesbezüglich nichts bestätigen. Mit Jonas Kaufmann zu arbeiten, darauf warte ich schon lang, aber es ist schwierig, ein Projekt zu finden, das sich mit den Terminkalendern von beiden vereinbaren lässt. Ich hoffe, wir schaffen bald etwas.

Ist die Turandot nicht eine stimmlich gefährlich fordernde Partie?
Es kommt darauf an, wie man sie singt. Ich weiß nicht, wer behauptet, dass die Turandot die ganze Zeit schreien muss. Wenn man den richtigen Dirigenten hat - und ich denke, dass ich den habe -, dann ist alles möglich. Franz Welser-Möst kennt meine Stimme genau, auch meine Grenzen. Das ist perfekt. Turandot hat sehr viele Farben, und keine Rolle aus dem italienischen Repertoire ist so dramatisch wie die Rollen im deutschen Fach.

Wäre nach Salome und Senta im Bayreuther "Fliegenden Holländer" der nächste Schritt nicht die Isolde?
Das könnte schon sein.

Und wie man hört, würde Welser-Möst Sie gern als Tosca besetzen.
Ja, er hat mich gefragt, und ich würde es sehr gerne mit ihm machen Aber ich muss den richtigen Regisseur und Zeit in meinem Terminkalender finden.

»Ich will nicht mit Leuten arbeiten, die etwas verlangen, woran ich nicht glaube«

Hatten Sie denn schon Probleme mit dummer Regie?
Ich bin nicht diejenige, die entscheiden kann, was dumm ist. Ich kämpfe nicht mit Regisseuren. Wenn ich etwas nicht mag, gehe ich. Mein Beruf ist meine Freude, ich will nicht mit Leuten arbeiten, die etwas verlangen, woran ich nicht glaube.

Sind Sie also schon aus Produktionen ausgestiegen?
Ja, aber es war nicht so, dass ich zu den Proben gegangen bin und dann aufgehört habe. Das wäre verantwortungslos. Es gibt keinen Regisseur, der plötzlich etwas Überraschendes macht. Jeder hat seinen Stil, und es ist die Aufgabe des Sängers, zu wissen, ob er da mittun will. Ich habe tatsächlich ein paar Vorstellungen abgesagt, aber drei oder vier Jahre im voraus, als klar wurde, dass mir das nicht entspricht.

Auf Instagram haben Sie ein Video gepostet, auf dem Sie in einen zugefrorenen See springen! Allein der Gedanke macht schaudern.
Ja, das war in Litauen. Ich habe irgendwann erkannt, dass ich das brauche. Wenn man im Winter in die Sauna geht, macht man das doch auch!

Haben Sie keine Angst, sich zu erkälten?
Nein, daran denke ich nicht. Wenn ich ins Eis will, dann gehe ich. Der Sprung ins Eis gibt einem viel Energie, aber man muss es wirklich wollen. Man muss auf seinen Körper hören, was er braucht.

Noch einmal zum unsäglichen Corona-Thema. Eine Opernsängerin erzählte mir, dass sie viermal geimpft ist, zweimal mit Sputnik und zweimal mit Pfizer, weil Sputnik nicht überall gilt.
Ja, wir haben alle nur einen Hintern und meiner ist mittlerweile voll mit Impfungen! (Lacht.)

Sie selbst sind vollständig geimpft?
Ich habe keine Wahl.

In Österreich ist seit 1. Februar Impfpflicht. Was sagen Sie dazu?
Ich bin kein Politiker. Wechseln wir das Thema.

»Wir haben alle nur einen Hintern und meiner ist voll mit Impfungen«

Nun stehen Sie ganz oben, die Erwartungen des Publikums steigen. Wie gehen Sie damit um? Wird es da schwieriger, aufzutreten?
Immer schwieriger. Ich gehe mit solchen Dingen nicht sehr gut um, denn ich habe Panikattacken. Dann spüre meinen Körper gar nicht. Oft habe ich gedacht, ich höre auf. Das ist ein täglicher Kampf, ein richtig großer Krieg in mir.

Wird das nach der Pandemie besser sein?
Das hat nichts mit der Pandemie zu tun, das hatte ich schon immer.

Und kommt nicht der Druck der Öffentlichkeit dazu, gut aussehen zu müssen, immer korrekt gekleidet zu sein?
Was die Leute dazu sagen, ist mir egal. Ich gebe immer 100 Prozent, und wenn man das Maximum gibt, ist es einem auch egal, was die Leute sagen.

Wie organisieren Sie denn das Leben als Spitzensängerin und Mutter von zwei Kindern?
Mit viel Management. Ich bin froh, dass ich schon so jung Mutter geworden bin, das hat mich Disziplin gelehrt. Deshalb gehe ich auch nicht viel in die Oper. Heute wollte ich mir die "Winterreise" im Theater an der Wien anhören. Aber meine Tochter hat Fieber und wartet auf mich. Sie ist erst sechs und braucht mich.

Allerbeste Genesungswünsche! Wachsen Ihre Kinder eigentlich mit Musik auf?
Mein Sohn hat schon früh Klavier gelernt, dann Gitarre, und jetzt interessiert er sich für das Saxophon. Er studiert Schauspiel. Meine Tochter lernt Klavier.

Nun singen Sie im kommenden Sommer drei auch stimmlich vollkommen verschiedene Frauen im "Triptychon" bei den Salzburger Festspielen, von der sehr dramatischen Georgette im "Mantel" bis zur lyrischen Lauretta in "Gianni Schicchi". Das muss doch sehr schwer sein!
Gar nicht. Ich singe nicht drei verschiedene Frauen, sondern eine in verschiedenen Zuständen. Das bin immer ich in verschiedenen Situationen - dieselbe Frau, die unter verschiedenen Umständen verschiedene Entscheidungen trifft. Stimmlich ist das sogar sehr gut! Wenn ich nur im "Mantel" sänge, würde das die Stimme sehr groß machen. Aber wenn ich alle drei singe, nehme ich auch den "Mantel" lyrischer.

© Lina Jushke

Die ganze Welt fragt sich nach Ihrem Bayreuther Triumph im "Fliegenden Holländer", ob dort bald Sie oder Lise Davidsen die nächste Isolde sein werden
Lise Davidsen und ich sind zwei komplett unterschiedliche Typen. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir zwei komplett verschiedene Isoldes sein werden und ich denke, beide haben ihre Daseinsberechtigung.

Wird man Sie auch in den nächsten Jahren bei den Salzburger Festspielen hören können?
Jeden Sommer bis 2026. Das ist der beste Platz, an dem man sein kann.

Wird das lange Vorausplanen denn nicht zur Unmöglichkeit? Wie können Sie wissen, wo die Stimme in ein paar Jahren ist?
Ich denke über so etwas nicht nach. Wenn sich in vier Jahren die Stimme ändert, werde ich reagieren. Es gibt so viele Sängerinnen, die auf die Verträge warten, ich sehe da kein Problem. Ich habe nur einen Körper und nur ein Leben.

Sprechen wir noch über Ihr erstes Album, das im März kommt.
Das ist nicht mein Album, das ist eine Rachmaninow-CD, und bei Rachmaninow gibt es nur Duette zwischen dem Sänger und dem Pianisten - nicht nur ein Soloalbum! Ich bin sehr froh, dass ich hierfür den besten Aufnahmepartner hatte!

Das Interview ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 5/2022 erschienen.