Der weise Gaukler

Zirkusdirektor, Popstar, Großveranstalter, Autor, politischer Aktivist: Der unergründliche André Heller wird am 22. März 70 Jahre alt und hat sein Leben samt Begleitumständen einer Generalreform unterzogen. Eine Spurensuche mit Beiträgen des Jubilars, der in seinen marokkanischen Garten abgetaucht ist

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Phänomen - Der weise Gaukler

Der Fleck wurde dem Kunstwerk punkt- und termingenau appliziert: Einen Monat vor seinem 70. Geburtstag ereilte den Universalkünstler André Heller eine alte Steuerkalamität, über deren Relevanz bisher keine Einigkeit erzielt werden konnte. Das genügte, um die alten Reflexe wieder aufstoßen zu lassen: In Onlineforen und Leserbriefen bekam der Jubilar das über Jahrzehnte erprobte Sortiment an Abneigung und Schadenfreude verpasst.

Die Sache kommt durchaus zur Unzeit, denn die Abschlussarbeiten zur Generalreform des Heller'schen Egos waren weit gediehen. Früher beschrieb er sich selbst als "aufgeklapptes Rasiermesser im Laden eines jüdischen Barbiers". Jetzt ist er ein schöner, alterslos schlohweißer Herr mit dem Mantra-artig formulierten Ziel der "Menschwerdung".

Das ist eine so zitable wie notwendige Selbstdefinition für einen, der als Austropopper sieben Platin-Schallplatten ersang, in Portugal das größte Feuerwerk der Welt entzündete, das Begleitprogramm zur Fußball-WM in Berlin ausrichtete, chinesische Akrobaten und afrikanische Ethnomusiker um die Welt schickte, Romane verfasste und 1993 den größten xenophilen Aufmarsch der Wiener Lokalgeschichte, das Lichtermeer, in Gang setzte.

»Glück ist bekanntlich etwas zerbrechliches«

Der gewerbliche Bürgerschreck, der einst um der Pointe willen auf alles losging, was sich öffentlichkeitsrelevant bewegte, sucht den Weg nach innen. "Er hat sich in den letzten Jahren sehr geändert“, sagt sein Vertrauter, der Verleger Christian Brandstätter. "Früher war der Größenwahn eine Konstante seines Lebens, jetzt hat er in die Esoterik hineingerochen und ist dadurch integrer und ehrlicher zu sich selbst geworden." Leise bedauernder Zusatz: "In dieser Spiritualität ist er wesentlich weniger lustig als früher. Er konnte einmal ganze Gesellschaften unterhalten. Heute macht er das selten." - "Mir säuselt er ein bissl zu viel", präzisiert der frühere Ö1-Chef Alfred Treiber in der demnächst erscheinenden aktualisierten Heller-Biografie von Christian Seiler ("André Heller, Feuerkopf", Bertelsmann, 25,70 Euro).

Die Sache mit dem Glück

"Glück ist bekanntlich etwas Zerbrechliches und daher umso beeindruckender als Ereignis, wenn es uns für eine Weile die Ehre gibt", formulierte Heller selbst, als News ihn im November zum Wiegenfest befragte. "Aber Freude ist mir in hohem Maß bekannt. Freude über schöne, Mut machende Qualitäten bei Menschen, bei Kunstwerken, bei Landschaften und den wundersamen Nuancen der Liebe."

Für die ist Albina Bauer zuständig, die geschiedene Ehefrau des Werbe- und Medienunternehmers Hans Schmid, eine starke, ruhige, jeder Öffentlichkeit abgeneigte Schönheit. Es gab Zeiten, da verwüstete er sich körperlich und mental mit Alkohol und einer Droge namens Mozambin. Heute trinkt er keinen Alkohol mehr, konsumiert zum Frühstück ayurvedischen Dinkelgrießbrei und sucht beim Inhaber des Fitness-Studios "Quo Vadis" Strategien gegen die Konsequenzen des Alterns. Statt auf Show-Projekte konzentriert er sich auf die Gesprächsreihe "Menschenkinder" beim Kultursender ORF III. Und den via News formulierten wutvollen Abschied von der SPÖ wegen Außerbetriebsetzung seines Freundes Alfred Gusenbauer nahm er halb zurück: Zum Finale der Van-der-Bellen-Kampagne trat er Seite an Seite mit Bürgermeister Häupl auf.

Im Vorjahr erschien zudem ein autobiografisches Erzählwerk: "Das Buch vom Süden" war Österreichs meistverkaufter Roman des Jahres 2016, setzte 75.000 Exemplare ab und fand den weitgehenden Beifall des Feuilletons. Als er kürzlich auch noch zum Flüchtlingsprojekt "Act Now" ins Burgtheater rief, schien die Heiligsprechung in greifbarer Nähe.

Dafür sind jahrzehntelange Konstanten des Gesamtkunstwerks Heller Vergangenheit. Das Elternhaus an der Hietzinger Nobeladresse Elßlergasse veräußerte er Ende der Neunzigerjahre an einen Wiener Wirtschaftsanwalt. Seit damals logierte er zur Miete auf der Beletage eines Palais in bester Innenstadtlage. Dort besuchte ihn zu Beginn der schwarz-blauen Koalition anno 2000 sogar der deutsche Kanzler Gerhard Schröder zwecks demonstrativer Befeuerung der wöchentlichen Donnerstagsdemonstrationen.

© News Vukovits Martin Leben im Kunstwerk: Hellers Wohnungen sind mit exquisiten Bildern und Skulpturen geschmückt. Die neue Adresse teilt er mit Anna Netrebko

Dass die Immobilie derzeit lärmintensiv um einen Dachausbau erweitert wird, war für Heller Anlass, die Adresse zu wechseln: Für 2,3 Millionen erwarb er auf dem Franziskanerplatz Nummer 6 noch geräumigere 246 Quadratmeter Eigentum. An den Wänden hängen Meisterwerke der Moderne, die Zimmerfluchten sind mit Skulpturen, auch aus fernen Ethnien, gestaltet. Im Haus logiert nicht nur die Heller-Produktionsfirma Wise Decisions, deren Geschäftsführung er nach verflossenen Ärgernissen selbst übernommen hat, sondern auch Anna Netrebko.

Vergangenheit ist auch der historische botanische Garten am Gardasee. Dort hielt er Hof, wenn ihn die Wut über die österreichische Enge anwandelte. Der Garten ging für einen einstelligen Millionenbetrag an den Immobilieninvestor Günter Kerbler, der die Marke Heller zwecks Publikumsrekrutierung weiter nutzt.

Marokko

Dafür investierte Heller buchstäblich das Verdiente eines ganzen Lebens am Sehnsuchtsort Marokko. Am Fuß des Atlasgebirges entstand in fünfjähriger Arbeit das Gartenprojekt "Anima", sieben Hektar groß, sein "architektonisches und botanisches Selbstporträt", in dem er sich selbst den idealen Wohnraum geschaffen hat. Das Abenteuer schenkte er sich selbst: Strömt das Publikum nicht, wären Hellers Verluste mehr als empfindlich.

Hierher hat er sich auch vor dem Geburtstag in Sicherheit gebracht. Kein Wort werde er zum Anlass verlieren, ließ er wissen, weshalb News schon im November zum Thema vorstellig wurde.

In Heller-eigener Druckreife diktierte er da sein Geburtstagsmanifest: "Es gibt beim Thema Älterwerden viel Unwägbares, aber man kann auch durchaus etwas dazu beitragen, dass Altwerden keine tragische Angelegenheit wird, indem man sich nicht schon vorher fahrlässig körperlich ruiniert. Sich zum Beispiel über Jahrzehnte blöd und bresthaft gesoffen zu haben, eine beliebte Künstlertragik, und dann zu jammern, wie beschwerlich das Älterwerden ist, kündet nicht von allzu hohem Bewusstsein. Man ist für sich rundum verantwortlich. In unserer Familie gibt es gottlob seit Generationen eine Begabung für eine gute Altersform. Nur mein Vater, den der Hitlerkrieg zerrüttet hinterließ, hat sich schon mit 64 verabschiedet. Alle Großeltern wurden 90 und mehr und meine Mutter steuert aufs 104. Jahr zu. Ich möchte, ehrlich gesagt, keinen Tag jünger sein. Mir steht als Wurzel aus allem Bisherigen sehr viel mehr an Wissen und Erfahrung zur Verfügung, ich weiß auch über mich und andere fundierter Bescheid und verdränge meine und deren Schwächen und Stärken nicht. Das dauernde Bewerten anderer habe ich mir allerdings seit langem abgewöhnt und durch intensive Dankbarkeit ersetzt. Meine Biographie bietet für Dankbarkeit genügend Gründe."

Heller'sche Wortmeldungen haben es an sich, dass sie Stichworte für ganze Abhandlungen produzieren. In der Tat liegt Vieles in der Biografie begründet: Stephan Heller, der jüdische Vater, war ein zum Leben unbegabter Exzentriker, Monarchist und Austrofaschist, der so lange an seinen Freund Mussolini glaubte, bis der Großteil der Familie ermordet, er selbst im Exil und das Heller'sche Süßwarenimperium arisiert war. Die "achteljüdische" Mutter hielt zu Hause durch, der kleine, dickliche, überelegante Gemahl wurde Captain der französischen Exilregierung und verschleuderte nach der Rückkehr die Wiedergutmachungssumme samt Fabrik. Den Buben prügelte er oft, und im katholischen Kollegium Kalksburg wurde die Hölle zum Faktum. Nach dem unbetrauerten Tod des Vaters brach das Kind die Ausbildung ab.

Leben im Extrem

Sein Weg glich lang dem eines hochbegabten Gestörten. Als Discjockey beim jungen Sender Ö3 schuf er sich mittels ziselierter Präpotenz eine treue Hasser- wie Anhängerschaft. Eine Karriere als Austropopper folgte. Kein Kabarettprogramm konnte damals ohne den leicht parodierbaren, mürbe näselnden Charismatiker mit den dekadenten Texten auskommen.

Mit 21 Jahren investierte er den Rest des väterlichen Erbes in einen unmaßgeblichen Film, um dessen Hauptdarstellerin Erika Pluhar zu beeindrucken. Die folgende Ehe scheiterte bald, und Heller positionierte sich als Freund weiterer berühmter Schönheiten wie Gertraud Jesserer, Marie Colbin und Andrea Eckert. Den Circus Roncalli, den er mit dem Grafiker Bernhard Paul gründete, verließ er im Zerwürfnis, nicht ohne zuvor ein dort beschäftigtes junges Mädchen mit einer Affäre in den Selbstmord getrieben zu haben. Er nahm damals Unmengen des Narkotikums Mozambin und war mehr als einmal dem finalen Zusammenbruch nahe. "Er ist ein Mensch, dem es wirklich schlecht gehen kann", sagt sein Lebensfreund, der ORF-Veteran Peter Huemer, und fügt hinzu: "Er traut sich unglaublich viel und fürchtet sich dann sehr, lässt sich von seiner Furcht aber von nichts abhalten."

Die Ereignisse wendeten sich spätestens mit der Geburt des Sohnes Ferdinand im Dezember 1988 (mit der Mutter, der Fotografin Sabina Sarnitz, lebte er nie zusammen). Unter dem Namen "Left Boy" pflegt Ferdinand Sarnitz heute eine vom Vater liebevoll begleitete Karriere als Rapper.

Die Frauen in Hellers Lebens rühmen mit auffallender Übereinstimmung seine Loyalität, mit der er wohl auch für Begangenes Buße tut. Erika Pluhar erinnert an den frühen Tod ihrer Tochter Anna. "Da haben sich viele verzupft, weil sie nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten." Doch Heller, der nicht Annas Vater war, half wie kein Zweiter. Andrea Eckert ergänzt: "Seine Freundschaft ist ein Land, in dem Vertrauen und Güte, Geduld und Toleranz gelten und in dem ich Zuflucht finde - unter allen Umständen und zu jeder Zeit." Diese Art Obsorge erstreckt sich auch auf andere. Als binnen weniger Monate der Schauspieler Gert Voss und dessen Ehefrau starben, stand Heller der hinterbliebenen Tochter Christina außer jeder Norm bei und half ihr durch eine heikle juristische Erbschaftsangelegenheit. "Er ist ein außergewöhnlicher Mensch mit einem gigantischen Herzen", sagt die Schauspielerin und Regisseurin.

Und der Autor Gerhard Roth ergänzt: "Er ist ein Träumer, ein Einzelgänger und ein unglaublicher Organisator von Ereignissen. Politisch halte ich ihn für vollkommen integer."

Anhaltend umstritten

Heller selbst ist vom Polemiker zum Analytiker geworden. Wie groß ist seine Skepsis angesichts der Weltlage? "Eine Spezialität unserer Welt ist ihre Polarität. Immer schon standen sich die Subtilität und die Grobheit, die Liebe und der Hass, die Wahrheit und die Lüge, die Güte und die Niedertracht gegenüber. Die Zeiten sind schwierig, aber das waren sie in Intensitätsabstufungen zu jeder Zeit. Ich empfinde im Jetzt, angestachelt durch Energien wie jene von Trump und Erdoğan und Duterte oder den europäischen Extrem-Rechtsauslegern, auch allerorten ein Erstarken subtiler und behutsam denkender und agierender Wesen. Aber tun wir bitte nicht hochmütig so, als ob es unter sogenannten liberalen Demokraten nicht auch Wut- und Neidgeladene, infamen Handlungen nicht Abgeneigte gäbe. Es findet jedenfalls ein intensives Ringen darum statt, welche Haltung und Schwingung die Oberhand gewinnt, und ich fühle, dass schlussendlich etwas Segensreiches die Mehrheit bilden wird, vorausgesetzt, dass wir uns wirksam dafür einsetzten."

Da Gegenstimmen zu finden, wird zusehends schwerer. "Die Frage, die man sich bei ihm stellen muss, ist die der Nachhaltigkeit", sagt der ÖVP-Intellektuelle Erhard Busek. "Er war auf allen möglichen Kirtagen zu Hause, das Gesamte seines Auftritts war immer auf Gefälligkeit ausgerichtet." Auch der Wiener Germanistik-Papst Herbert Zeman meldet Zweifel an: "Er ist literarisch ein geschickter Barpianist. Barpianisten, hoch musikalisch und talentiert, spielen alles, aber eben auf ihrem Niveau." Dann wird er deutlich: "Sich einerseits patriotisch engagieren und andererseits sein Geld in der Schweiz zu deponieren, das passt nicht zueinander."

Der Geburtstag rückt indes näher, und Marokko ist ein tauglicher Zufluchtsort vor der Zuwendung, die dem Hinterhalt oft zum Verwechseln ähnlich ist. Ein Bändchen für die bald 104 Jahre alte Mutter ist in Vorbereitung, und Heller schließt mit der Gelingens-und Misslingensbilanz einer zuinnerst ambivalenten Existenz: "Geglückt ist mir, meine Lebenszeit nicht zu veruntreuen, sondern immer und immer wieder Lernprozesse, Verwandlungen, positive und negative Erschütterungen einzuladen, mich und meine Fähigkeiten herauszufordern. Zum Begriff Niederlage möchte ich Ihnen sagen: Die Frage ist, wie sehr einen bestimmte schmerzhafte Erfahrungen verändern. Wenn man klüger und verfeinerter aus ihnen hervorgeht, dann sind sie keine Niederlage, sondern absolut ein Gewinn." Das Projekt Heller bleibt im Höchstbetrieb.

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