"Man wird faul,
wenn man jedem gefällt"

Zum 60. Geburtstag fühlt sich Alfons Haider fit wie seit Langem nicht mehr. Der Schauspieler und Moderator denkt aber auch intensiv über Wunden nach, die ihm das Leben geschlagen hat

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Jahreszahlen, Namen, Theaterstücke. Wenn Alfons Haider vor dem 60. Geburtstag am 24. November Rückschau hält, muss er nichts nachschlagen. Die Eckdaten seiner Karriere als Schauspieler, Moderator und Entertainer beleben sich von selbst mühelos mit zahllosen Anekdoten. Die verschiedenen Bühnen und ihre Akteure sind sein Lebensinhalt - ein Leben, so prallvoll wie die Zeitungsausschnitte, die in seiner Wiener Wohnung 87 rot eingebundene Bücher füllen. Krisenhafte Zustände kannte er an seinen Geburtstagen nie, sagt er. Und dass er gerne feiert. Diesmal gleich dreimal: Am 24.11. mit Freund und Mama zu Hause; tags darauf mit 60 engen Freunden beim Abendessen. Und wieder einen Tag später schmeißen Freunde für ihn eine Party. Viele Gründe zu feiern. Doch er blickt im News-Gespräch auch auf dunkle Zeiten zurück.

Herr Haider, hatten Sie es schwer im Leben oder überwiegen rückblickend die schönen Dinge?
Ich glaube, dass ich es schwer gehabt habe, aber auch sehr viel Glück hatte. Wobei man sein Glück auch schmieden muss. Das habe ich mit meiner professionellen und disziplinierten Arbeitsweise getan. Wenn ich reflektiere, gibt es wenige Dinge, die ich bedauere. Bedauere, denn bereuen ist das falsche Wort. Dass ich meinen Vater nicht länger hatte. Dann die Zeit um mein Outing. Dass ich nicht den langen Atem für eine Karriere als Schauspieler in Amerika hatte. Und dass ich keine Kinder habe.

War das eine bewusste Entscheidung, keine Kinder zu haben?
Da bin ich konservativ. Kinder zu haben, hätte für mich auch bedeutet, ihnen eine harmonische Familie bieten zu können. Man bekommt keine Kinder, nur weil man sich das einbildet. Das ist eine Riesenverantwortung. Ich musste in diesem Beruf lange kämpfen. Sehen, wo ich hingehöre. Was ich will. Wie ich überleben kann. Da bleiben Kinder auf der Strecke, und dafür ist mein Respekt vor ihnen zu groß. Es hätte Freundinnen gegeben, die gesagt haben: "Lass uns Kinder haben, du musst dich um nichts kümmern." Das ist Blödsinn. Umso dankbarer bin ich für meine zweite Familie, die Familie Androsch (Anm.: Unternehmer Hannes Androsch). Die Kinder seiner Töchter darf ich als meine Neffen und Nichten betrachten. Das ist wunderschön.

Wie erleben Sie sich als Onkel Alfons?
Ich kenne die Familie ja ewig. Wir haben uns nach einer Premiere am Theater kennengelernt, als ich 19 war, und es ist eine echte Herzensbindung entstanden. Die Töchter waren damals Schulkinder. Ihre Söhne sind jetzt schon erwachsen, und ich war auch nie Onkel Alfons, sondern immer nur Alfons. Wir haben alles gemeinsam gemacht: auf Urlaub fahren, blödeln, feiern, Fußball spielen in Altaussee mit einem meiner früheren Freunde. Der war der Held für die Burschen, weil er Fußball spielen konnte. Ich war das erste Mal mit den Jungs in der Disco. Es ist viel Vertrauen zwischen uns, das genieße ich sehr.

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Ihr Vater ist gestorben, als Sie 17 Jahre alt waren ...
... und ich habe zwei Sätze von ihm heute noch im Ohr. Er hat immer gesagt: "Bitte, spare nicht, mach Purzelbäume, schau dir die Welt an." Das habe ich gemacht. Dafür bin ich dankbar, weil ich so viel Schönes gesehen und erlebt habe, dass es jetzt nicht wehtut, sich einschränken zu müssen. Die Wirtschaftskrise ist auch an mir nicht vorbeigegangen. Ich verdiene jetzt 60 Prozent weniger als früher und musste mich wirtschaftlich sehr einschränken. Aber ich bin zum Glück kein Champagner- und Kaviartyp. Ich liebe Erdäpfel. Das Weniger lernt man leichter als das Mehr. Auch den zweiten Satz meines Vaters werde ich nie vergessen: Ich war 16 Jahre alt, da hat er gesagt: "Du wirst eines Tages selbst entscheiden, ob du lieber Tee magst oder Kaffee. Sonst niemand."

Er meinte Ihre sexuelle Orientierung?
Damals wusste ich noch nicht, dass ich schwul bin, und er hat das auch nicht ausgesprochen. Aber mein Vater war Künstler. Er hat gespürt, dass ich anders bin. "Das entscheidest du ganz allein", hat er gesagt. "Du lässt dir von niemandem dreinreden, und die Mama und ich werden dich immer lieb haben." Er ist gestorben, bevor ich wusste, was er meint, aber dieser Satz begleitet mich.

Sie waren 40 Jahre alt, als Sie sich im Rahmen eines Galaabends der Aids-Hilfe geoutet haben. Was bedauern Sie daran?
Ich werde oft gefragt, ob ich es wieder machen würde. Ich weiß es nicht. Ich bereue es nicht, weil es vielen Menschen Mut gemacht hat, aber es war eine harte Zeit. Es musste damals sein, weil ich erpresst worden bin. Aber ich habe auch gedacht: Ich sage das am Freitag, und am Montag ist es vorbei. Dann stand mein Leben plötzlich Kopf, und das hat ein halbes Jahr gedauert. Ein Zeitungstycoon hat damals zu mir gesagt: "Du hast so ein schönes Leben, sowas muss man doch nicht zugeben. Warum machst du das?" Heide Schmidt hat mich auf der Bühne umarmt und gesagt: "Ich bin stolz auf dich, aber ich habe auch Angst."

»Ich habe geglaubt, wenn man offen ist, kann nichts passieren. Das ist Blödsinn«

War die Angst begründet?
Die Medien waren sehr fair und positiv, aber ich hatte damals beruflich nicht nur Freunde. So wurde mein Outing benutzt, damit ich keine neuen Jobs mehr bekomme. Die Kartenverkäufe sind eingebrochen und auch die Werbeaufträge, nach dem Motto: Ein Schwuler verkauft keine Butter. Gleichzeitig musste ich mir vorwerfen lassen, alles nur für Aufmerksamkeit und Eigenwerbung gemacht zu haben. Dann glaubten alle, ich will die Mutter Theresa der Schwulen werden. Viele Menschen glaubten, ich wollte profitieren. - Natürlich wollte ich das, aber in dem Sinn, dass ich endlich meine Ruhe habe.

Haben Sie jetzt diese Ruhe?
Nur so viel: Ich werde auch heute noch zweimal im Monat auf der Straße beschimpft. Wenn du einen Punkt suchst, um jemanden zu attackieren, ist es leider immer noch dieser. Aber das liegt auch daran, dass ich mir durch meine gesellschaftspolitischen Äußerungen viele Feinde gemacht habe.

Würden Sie eine davon zurücknehmen wollen?
Ich stehe nach wie vor zu allem, aber 2010 in der Sendung von Grissemann und Stermann zu sagen "Wir leben in einem verschissenen, katholischen Land" ist schlecht rübergekommen, weil ich ja viel mehr dazu gesagt habe, was geschnitten worden ist. Damals sind Flüchtlinge behandelt worden wie Tiere, Frauen bekommen immer noch 40 Prozent weniger Gehalt als Männer, und der Umgang der katholischen Kirche mit Homosexualität ist verlogen. Es war eine harte Aussage. Aber wenn man etwas gegen den aktuellen Trend sagt, eckt man eben an. Was mich überrascht ist, dass den Menschen vor allem Sätze wie diese von mir in Erinnerung bleiben. Oder der Mr. Opernball. Wenige erinnern sich, dass ich als Schauspieler an der Josefstadt, am Volkstheater und auch in ORF-Serien bekannt geworden bin.

Sie sprechen von Ihrer Schauspielkarriere, die nun brachliegt?
Das große Problem ist, dass mir immer alles gefallen hat: Ich wollte singen, schauspielen, moderieren und Kabarett machen. Aber wir leben in einem Land des Kastl-Denkens. Da wird das nicht gestattet. In Deutschland und Frankreich geht das, aber in Österreich kann das Glanzgesicht des ORF keinen Massenmörder spielen. Und das anständige Theater will niemanden, der in seinem Kabarettprogramm Dagmar Koller darstellt. Das wird nicht gestattet. Günter Tolar hat mir anlässlich meiner ersten Hauptabendsendung gesagt: "Herr Haider, jetzt gehören Sie den Pantoffelträgern, jetzt sind Sie ein Abziehbild." Ich habe das damals nicht gemerkt, dass ich in dieses Handküsser- Image rutsche und keine Schauspielrollen bekomme, weil ich so viel zu tun hatte.

Und dabei ist Ihnen auch eine Karriere in Amerika entgangen?
Es lief international eigentlich wunderbar: Ich habe zwei große französische Serien gedreht "Tourbillons" über das Leben von Coco Chanel und "Riviera", die französische Version von "Dynasty". In den USA hatte ich einen tollen Agenten in Los Angeles. Für die Rolle des Prinzen von Moldawien in "Dynasty" hatte ich ein Vorsprechen, das hat dann nicht geklappt. Für eine Karriere in Hollywood hat mir der lange Atem gefehlt, dort zu bleiben und abzuwarten. Ich kenne Kollegen, die das gemacht haben und sich irgendwann einen Nebenjob gesucht haben, weil sie wahnsinnig geworden sind; nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch, weil sie nichts zu tun hatten. Wenn ich zwei Wochen nicht arbeite, werde ich unruhig. Außerdem ging es meiner Mutter gesundheitlich schlecht, und ich wollte sie nicht lange alleine lassen. Vielleicht ist das eine Ausrede, aber wenn es eine ist, dann ist es eine gute.

Stattdessen wurden Sie einer der beliebtesten Moderatoren des ORF. Mussten Sie je herausfinden, wer Sie abseits des Bildschirms sind?
In Wirklichkeit wissen nur 20 Menschen, wer ich bin. Das geht niemanden etwas an. Deshalb gibt es seit drei Jahren nichts zu meinem aktuellen Freund. Keine Fotos, keine Aussagen. Ich habe jahrzehntelang geglaubt, wenn man offen ist und lebt, kann nichts passieren. Aber das ist Blödsinn. Es wird immer kritisiert: Der ist zu jung, der nächste ist Ausländer. Deshalb gebe ich aus meinem Privatleben nichts mehr an die Öffentlichkeit.

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Wie groß ist die Diskrepanz zwischen dem Privatmenschen und dem Alfons Haider, den wir erleben?
Mit dieser Feststellung meine ich vor allem meine Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit, wie ich sie erlebe. Manchmal rede ich lange mit jüngeren Menschen, die mich nicht erkennen, und wenn die draufkommen, wer ich bin, sagen sie: "Der sind sie? Sie sind so anders!" Im Fernsehen spricht man anders, das Bild, das man abgibt, ist durch das Korsett aus Licht und Stichwörtern und Texten manipuliert. Und dann das Vorurteil, dass man als Fernsehmensch bis zehn Uhr schläft, zur Maniküre geht, Kaviar und Champagner zu sich nimmt, eine halbe Stunde moderiert und dafür 10.000 Euro verdient. Das Gegenteil ist der Fall: Die Angst bei einem Künstler, wie es morgen weitergeht, ist immer da.

Gibt es so etwas wie ein Lebensthema, das Sie in all den Jahren für sich abarbeiten und abhaken konnten?
Ich war ein Zwilling, aber meine Schwester ist bei der Geburt gestorben. Ich habe lange Zeit das Gefühl gehabt, allein zu sein. Erst als ich von dieser Schwester erfahren habe, ist es besser geworden. Und dann hatte ich lange das Bedürfnis, allen gefallen zu wollen. Mit 40 Jahren habe ich gemerkt: Das geht nicht. Man wird faul und fett, wenn man jedem gefällt. Heute gibt es Wichtigeres in meinem Leben. Meiner Mutter geht es nicht gut. Ich bin dankbar für jeden Tag mit ihr. Tausend Fernsehpreise würden mich heute nicht glücklicher machen. So viel zur Eitelkeit, die mir oft vorgeworfen wird. In der Wohnung gibt es keine Fotos von mir, außer am WC.

Sie sorgen intensiv für Ihre Mutter, der es gesundheitlich nicht gut geht. Beschreiben Sie doch bitte Ihre Beziehung.
Meine Mutter ist mein Lebensmensch. Wir sind das einzige Paar Österreichs, das seit 60 Jahren zusammenlebt und in der Früh noch miteinander spricht. Sie hat früh alles verloren und war allein verantwortlich für mich. Das sind schmerzhafte Erinnerungen, aber ich weiß noch, wie ich sie als Bub mit sechs Jahren gefragt habe, warum sie so wenig isst. Sie hat gesagt, weil sie schlank bleiben will. In Wahrheit war einfach kein Geld da. Das vergisst man nicht. Auch wie oft sie mich getragen hat vom 49er in die Volksschule, damit der Bub keine nassen Füße bekommt. So etwas vergisst man nicht. Das verbindet. Es ist schön, wenn ich jetzt für sie da sein kann. Zurückgeben kann.

War Ihre Beziehung immer harmonisch? Gab es je Abnabelungs-Streitigkeiten?
Bei uns fliegen auch die Fetzen, aber nicht in grundlegenden Dingen, weil sie sich nie in mein Leben eingemischt hat.

»Ich überlege schon, von wem ich mir noch wehtun lasse«

Wie groß ist das Thema 60. Geburtstag in Ihrem Leben?
Ich fühle mich nicht wie 60, obwohl ich gesundheitlich viel Pech gehabt habe in den letzten drei Jahren. Bei der Sendung "Starnacht" bin ich über die Stufen gefallen, habe mir Schulter und Becken ruiniert, aufgehört zu trainieren, zugenommen, dann ein Knieunfall, zwei Operationen. Auf einmal hatte ich 91 Kilo und bin nicht mehr aus dem Bett gekommen. Dann hat mein Internist Christopher Wolf gesagt: Da hilft nur entgiften. Ich habe im "Vivamayr"-Hotel entgiftet und zehn Kilo abgenommen. Das hat aber jetzt nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern ich fühle mich wie ein neuer Mensch.

Bedeutet dieses Jubiläum einen Einschnitt im Leben?
Schon. Ich nähere mich dem letzten Drittel meines Lebens, und da überlegt man sich, was man sich noch antut oder von wem man sich wehtun lässt. Wenn Kabarettkollegen wie der Niavarani sagen: "Ist die Klimaanlage ausgefallen oder ist der Alfons im Zuschauerraum?" ist das ein Niveau, das ich nicht brauche. Ich habe nie über Kollegen geschimpft, denn ich weiß, wie schwer der Beruf ist. Ich habe sogar streckenweise Sympathie für Andreas Gabalier. Denn er ist nicht zuerst ausfallend geworden gegen die Masse, sondern umgekehrt. Man hat nicht ertragen, dass ein Bub vom Land plötzlich so erfolgreich ist, und das hat man ihn spüren lassen.

Dass Sie Sympathie für Andreas Gabalier hegen, ist überraschend.
Ja, er hat politisch eher rechte Einstellungen und man weiß, dass mein Herz linksliberal schlägt, aber wir leben in einer Demokratie. Ich habe von meinem Freund Hannes Androsch gelernt, dass das Wichtigste im Leben ist: mit Menschen zu reden, egal welcher Herkunft, Religion oder Sexualität sie anhängen. Raus aus dem Kastl-Denken. Vielleicht geschehen dann Wunder.

Hat das Leben Sie mit all seinen Turbulenzen nun eher gelehrt laut zu bleiben oder leiser zu werden?
Früher hatte ich die Tendenz, mich zu vielen Themen zu melden. Heute tue ich das nur, wenn ich gefragt werde.

Ist es leichter, 60 Jahre alt zu werden, wenn man so jugendlich aussieht wie Sie?
Ja, aber es hat auch etwas gekostet: Disziplin und viel Schweiß. Für die Gesundheit, nicht für die Eitelkeit.

Was ist Ihre Triebfeder für die nächsten Jahre?
Ich möchte sie so schön wie möglich mit meiner Mutter verbringen. Den Opernball möchte ich moderieren, bis ich 75 Jahre alt bin, und wieder Theater spielen. Ein Gefühl mit einem Publikum teilen zu können - das ist es, warum ich diesen Beruf mache. Das wird nie aufhören. Und eine Woche Urlaub mit meinem Freund irgendwo, wo uns keiner kennt, wäre noch schön.

Alfons Haider
kam am 24.11.1957 in Wien zur Welt. Einer Schauspielausbildung in Wien und Los Angeles folgten Theater- und Fernsehrollen. 1989 wurde er vom ORF auch als Moderator entdeckt; er absolvierte über 1.000 Moderationen in 24 Fernsehformaten. Seit 1995 steht er auch als Kabarettist auf der Bühne. 1998 bis 2012 war er künstlerischer Leiter der Festspiele Stockerau. Im ORF moderiert er die Hochglanzformate "Opernball", "Starnacht","Licht ins Dunkel" und "Life Ball"