Die verborgenen Ängste der Heiratsmuffel

Anna speist mit Fred bei Kerzenschein am Meer mit den Füßen im Sand. Wird er oder wird er nicht? Immerhin spielt die Szene auf einer Honeymoon-Insel und finden hier Hochzeitszeremonien statt. Andererseits ist es das dritte Mal, dass sie hier sind. Und der Heiratsantrag lässt noch immer auf sich warten.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Und dann passiert es: Anna fasst sich ein Herz und macht Fred einen Heiratsantrag. Mit ihrer Coachin war das so abgesprochen, um nicht wieder emotional leer auszugehen. Nachdem auch romantische Szenen wie diese ohne ihre Initiative nie stattfinden würden, ergreift sie die Gelegenheit. Und Fred? Philosophierte gerade noch ziemlich unromantisch über die Abzocke hier und was das Essen im Ankauf wert sei, als ihn seine Freundin kalt erwischt. Freds Herz fällt ihm in die Hose. Aber nicht vor Glück, sondern vor Entsetzen weiten sich seine Pupillen. Was für Menschen wie Anna für wachsende Vertrautheit, Nähe, Liebe und Innigkeit steht, versetzt Menschen wie Fred in Panik. Angst vor Bindung, Pflicht und Verantwortung. Seine Antwort: „Warum wollt ihr Frauen immer geheiratet werden …?“ Und dann setzt er das Gespräch dort fort, wo er sich von Annas „Unsinn“ unterbrochen fühlte. Wozu heiraten? Er ist ja ohnehin immer nur bei Anna, was will sie denn noch? Immer diese maßlosen Frauen, die nicht genug kriegen! Im Folgenden nehmen wir Freds Verhalten unter die Lupe. Warum sind viele Menschen bindungsängstlich und wollen zusammenbleiben, aber partout nicht „Ja sagen“? Dahinter verbergen sich oft unbewusste Ängste.

1. Angst vor Verantwortung. Bindungsängstliche Personen fürchten Verantwortung und Verpflichtungen in der Liebe. Hinzu kommt noch die Sorge, beherrscht zu werden oder wertlos zu sein, wenn die Vorzüge einer Partnerschaft durch das Ehegelübde selbstverständlich geworden sind. Besser einen Schwebezustand erhalten, damit er oder sie sich weiterhin um mich bemüht. Bloß keine Verbindlichkeiten eingehen: Nichts darf selbstverständlich sein, da sonst die Autonomie gefährdet wird und die Partnerschaft nicht mehr auf Freiwilligkeit beruht.

2. Angst vor Libidoverlust. Sobald eine Partnerschaft scheinbar unumkehrbar ist, keimt bei manchen die Sorge, das sexuelle Interesse könne abnehmen. Betroffene brauchen das Gefühl, jederzeit alles beenden und anderweitig sexuell aktiv sein zu können, ohne jemandem moralisch verpflichtet zu sein, um die erotische Anziehungskraft zu bewahren.

3. Angst vor Objektstatus. Menschen, die sich nicht ausdrücklich binden wollen, fürchten die Instrumentalisierung im Sinne von: Wenn die geliebte Person ihr Ziel erreicht hat, habe ich nur noch Objektstatus für sie und werde womöglich instrumentalisiert und ausgenutzt.

4. Angst vor dem Verlust der Aufmerksamkeit. Auch diese Angst kann eine Blockade zur Folge haben, wenn man fürchtet, im Status der Ehe den Reiz zu verlieren und weniger Aufmerksamkeit zu bekommen. 5. Angst vor Machteinbuße. Die Kontrolle zu behalten, ist Heiratsmuffeln wichtig. Daher wird nicht gern geheiratet, zumal dann in den meisten Fällen zumindest formal Gleichwertigkeit besteht.

Fazit: Geheiratet wird oft aus unterschiedlichen Motiven. Frauen setzen eher auf romantische Akzente, bei Männern ist es häufiger pragmatisch motiviert. Sollten die Ängste jedoch zu belastend sein, begeben sich Betroffene am besten in eine Psychotherapie, um sich fürs Heiraten buchstäblich „frei zu machen“ und bindungsfähig zu werden. Und Anna? Laboriert wochenlang an Sandflöhen, nachdem sie das romantische Dinner unter Tränen verließ und sich in der Finsternis an den einsamen Strand fläzte – was ihr Partner wiederum als Zeichen sieht, dass es einfach nicht hat sollen sein.

Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis <AT> wogrollymonika.at