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Robert Tencl: „Das Wort Technologieoffenheit kann ich nicht mehr hören“

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Robert Tencl

©Matt Observe

Es gibt sie – österreichische Industrieunternehmen, die der Krise trotzen. Traktionssysteme Austria ist Weltmarktführer bei Elektromotoren für Schienenfahrzeuge und E-Busse. TSA-Geschäftsführer Robert Tencl erklärt, wie viel Glück und Optimismus es – neben dem richtigen Produkt – dazu braucht.

Warum ist die Stimmung in der Industrie so mies?

Ich kann für uns die schlechte Stimmung nicht bestätigen. Wir hatten erst vor Kurzem den Spatenstich für eine Werkerweiterung. Klar, man findet immer etwas, was besser sein könnte. Aber prinzipiell geht es uns nicht schlecht. Wir hatten schon schlechtere Zeiten. In den 1990er-Jahren war in unserem Markt – dem Eisenbahngeschäft – Flaute. Die Beschaffungsprogramme waren auf null gestellt. Das war viel grimmiger als es derzeit ist.

Wo lag das Problem?

Wir bauen ein Produkt, das heute gehypt wird: der Elektromotor. Bis vor 25 Jahren war das ganz anders. In den 1990ern war Bahnfahren verstaubt. Das haben nur Leute gemacht, die es mussten, die sich kein Auto oder keine Flugreise leisten konnten oder wollten. Die Bahnhöfe waren in einem katastrophalen Zustand. Die Züge ebenso – man denke nur an die Toiletten.

Die Politik hat sich dafür gefeiert, Nebenbahnen stillzulegen.

Strecken, die man heute wieder gerne hätte, die Wachau-Bahn zum Beispiel. Viele Konzerne haben sich damals jedenfalls aus dem Eisenbahngeschäft zurückgezogen und dort keine Zukunft gesehen. Das hat sich gewaltig geändert, getrieben durch die Elektromobilität. Ich bezeichne unser Unternehmen als GreenTech-Company. Darauf sind wir sehr stolz. Wir haben Zuwachsraten zwischen drei und sechs Prozent pro Jahr.

Aber wo sich wirklich eine Revolution abspielt, ist bei der Elektromobilität auf der Straße. Bei Bussen und Lkw gibt es große Beschaffungsprogramme, getrieben von der EU. Die Richtlinie des Clean Vehicle Directives besagt, dass ab 2026 50 Prozent der Busse im Nahverkehr alternativ angetrieben werden müssen, entweder mit Batterien oder mit Wasserstoff, wobei sich bei Letzterem gezeigt hat, dass das nicht der Weg sein wird.

Der Elektrobus ist die Zukunft?

Wir haben vor 20 Jahren begonnen, Motoren für Trolleybusse zu entwickeln, die ähnlich jenen in Straßenbahnen funktionieren. Irgendwann haben die Busbauer den Stromabnehmer weggelassen und Busse mit Batterie gebaut. Unseren ersten Elektromotor für einen Batteriebus haben wir 2012 für die Fußball-EM in Polen und der Ukraine gebaut.

Damit wurden Passagiere vom Flughafen zu den Spielstätten gebracht. Wir haben das Produkt immer mehr verfeinert und mittlerweile haben wir bei Batteriebussen Zuwachsraten von 20 bis 30 Prozent. Nächstes Jahr werden wir 3.000 Motoren für Busse bauen. Das ist unsere Erfolgsstory: Von einer eher verstaubten Industrie der 90er-Jahre zum Elektromobilitätshersteller für Schiene und Straße.

Unser großes Glück war – das hatten wir anfangs gar nicht bedacht –, dass dieser Markt antizyklisch funktioniert. Wir sind größtenteils konjunkturunabhängig

Robert Tencl

Ihr Unternehmen war Teil des schwedisch-schweizerischen Konzerns ABB, der sich aus dem Elektromotorenbau zurückgezogen hat. Wie viel Mut hat es gebraucht, zu sagen: Ich übernehme den Laden?

Zwei meiner Kollegen und ich haben damals gesagt, es wäre doch schade: Unsere Produkte sind gut und Menschen dekarbonisiert elektrifiziert von A nach B zu bringen, das ist die Zukunft. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es weiter mit Verbrennermotoren und fossiler Energie laufen wird. Also sind wir zu ABB gegangen und haben gesagt: „Wir wollen euch das Unternehmen abkaufen, aber wir haben kein Geld.“ Das hat natürlich nicht funktioniert. Aber wir konnten das Austria Wirtschaftsservice (AWS) überzeugen und haben eine Staatsgarantie bekommen. Mit dieser haben wir bei der Bank einen Kredit bekommen. Am 1. Juli 2000 sind wir dagestanden, den Schüssel in der Hand, und haben gesagt: Okay, was nun?

Und dann?

Die ersten fünf, sechs Jahre hat es uns noch ordentlich durchgewandelt. Ende der Nullerjahre sind wir langsam in ruhi­geres Fahrwasser gekommen, der Markt für Schienenfahrzeuge hat angezogen. Unser großes Glück war – das hatten wir anfangs gar nicht bedacht –, dass dieser Markt antizyklisch funktioniert. Wir sind größtenteils konjunkturunabhängig.

Weil öffentliche Beschaffungen so eine lange Vorlaufzeit haben?

Das kommt noch dazu. Einen großen Auftrag liefert man nicht einfach ab, und dann ist es aus. Das Beschaffungsprogramm der Berliner U-Bahn ist eines der größten in Europa. Den Auftrag für insgesamt 4.500 Motoren haben wir vor sechs Jahren bekommen, die letzten dieser Motoren werden wir 2034 ausliefern. Wir wissen also, dass wir uns bis dahin jedes Jahr zumindest für 100 bis 150 Motoren keine Sorgen machen müssen. Die sind eingebucht.

Das passt auch zu Ihrer Frage, nach der Stimmung und wann Industrie erfolgreich ist: Die Branche muss Zukunft haben, und die ist bei uns unbestritten. Wenn ich Hersteller von Benzinmotoren oder Kurbelwellen wäre, würde ich mir mehr Sorgen machen. Abgesehen von der Dekarbonisierung hat ein Autohersteller ja auch das Problem, dass er viel stärker von der Konjunktur, dem privaten Konsum und den zu hohen Sparquoten abhängt.

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Bahn und Bus: Am Standort Wiener Neudorf werden Elektromotoren für den internationalen Markt produziert. Der Spatenstich für die Erweiterung der Produktion ist bereits gesetzt.

 © Beigestellt

Österreich muss sparen – spüren Sie das zeitversetzt, weil öffentliche Beschaffungen ausbleiben?

Wir sind mittlerweile der größte Hersteller von Bahnmotoren. Für uns ist viel wichtiger, wo die nächste Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet, als ob die öffentliche Hand in Österreich spart. Die Fußball-WM 2030 findet in Marokko, Spanien und Portugal statt. Alle drei Länder fahren einen massiven Investitionsschub beim öffentlichen Verkehr. Die nehmen das zum Anlass, um ihre Infrastruktur zu erneuern. Sie wollen den Gästen ein modernes Land zeigen, und der eigenen Bevölkerung, dass sie auch etwas davon hat. Das heißt für uns: Irgendwo auf der Welt scheint immer die Sonne. Der eine Finanzminister spart, der andere nicht.

Wie sehr ist die Konkurrenz aus China ein Problem? Die Westbahn kauft erstmals Züge dort.

Das ist besorgniserregend, weil hier nicht mit gleichen Waffen gekämpft wird. Wir produzieren 10.000 Motoren pro Jahr und haben noch nicht einen einzigen nach China geliefert. Die chinesische Mauer ist nicht nur ein Bauwerk, die gibt es auch wirtschaftlich. Sie können als europäischer Hersteller nicht nach China liefern, weil die chinesischen Betriebe abgeschottet werden. Es gibt ein politisches Programm in China: Sie bauen Industrien auf und gehen dann aus China heraus auf einen weltweiten Eroberungszug. Die Unternehmen werden auch noch subventioniert, indem man Infrastruktur außerhalb Chinas baut. Stichwort: Seidenstraße*. Damit holt man sich Marktanteile.

Kann und soll Europa seinen Markt ebenfalls abschotten?

In diesem Ausmaß ist das nicht nötig. Aber die Auftraggeber sollten für Chancengleichheit sorgen.

Was wäre also Ihr Wunsch an die europäische Politik?

Wenn Steuergeld fließt, muss es bei den Ausschreibungen einen Faktor geben, der bei der Ermittlung des Bestbieters die Tatsache berücksichtigt, wie stark chinesische Unternehmen subventioniert werden.

Stichwort: Kosten und Wettbewerbsfähigkeit. Die heimische Industrie klagt, dass eine Deindustrialisierung droht. Zu Recht?

Wir haben 95 Prozent Exportrate. Unsere Kunden haben wenig Verständnis für österreichische Lohnpolitik. Denen kann man nicht erklären, dass wir in den letzten drei Jahren eine Lohnstückkostenerhöhung von 25 Prozent hatten. Das Gleiche gilt für die Energiekosten. Den Kunden ist egal, wie wir produzieren, die haben drei Angebote und nehmen das beste.

Lohnerhöhungen kann ich teilweise wettmachen durch Produktionssteigerung und ich kann in bessere Maschinen investieren. Aber bei 25 Prozent ist das unmöglich. Daher wäre es wichtig, dass wir ein paar Jahre mit sehr moderaten Lohnanpassungen haben. Denn die Lohnsteigerungen habe ich ja nicht nur beim eigenen Personal, die habe ich auch bei den Zukaufteilen, bei Transportleistungen, bis hin zur Kantine.

Was wünschen Sie sich von der Industriestrategie der Regierung?

Entbürokratisierung ist sicher ein Thema für uns, da gäbe es eine Liste von Möglichkeiten, wo man die Dinge erleichtern könnte, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. Das Lieferkettengesetz ist komplett überschießend. Es ist für uns unmöglich, in eine Kupfermine zu schauen, aus der das Material für Kupferdrähte kommt. Es wäre sinnvoller, dass die Verantwortung nur einen Schritt zurück bis zum nächstmöglichen Lieferanten reicht.

Sehr schwierig ist auch „Know Your Costumer“: Was da die Banken mit uns aufführen, ist ein Wahnsinn. Wir haben Motoren für die Metro Baku nach Aserbaidschan geliefert. Das Geld dafür ist gleich einmal gesperrt worden. Wir mussten nachweisen, woher es kommt und dass die Motoren nicht nach Russland weitergehen. Wir waren ein Monat beschäftigt, bis wir unser Geld bekommen haben.

Der Markt hat längst entschieden, die Gesellschaft hat längst entschieden. Die Zukunft des Planeten ist längst entschieden. „Offen“ ist keine Alternative

Robert Tencl

Muss eine Industriestrategie Zukunftsfelder definieren, damit nicht mit der Gießkanne gefördert wird?

Man muss ganz klar sagen, wo man mit der Industrie hin will. Ein Wort, das ich nicht mehr hören kann, ist Technologieoffenheit wie bei der Debatte um den Verbrennermotor. Wie kann ich eine Strategie machen, wenn ich offen bin? Offen hat die Bedeutung: alles. „Lassen wir den Markt entscheiden“, heißt es. Der Markt hat längst entschieden, die Gesellschaft hat längst entschieden. Die Zukunft des Planeten ist längst entschieden. „Offen“ ist keine Alternative.

Die Regierung muss sagen: Wo sind wir gut? Was macht uns aus? Die Strategie muss eindeutig eine dekarbonisierte, digitalisierte und elektrifizierte Zukunft sein. Wir haben in Österreich eine der besten Industrien im Bereich der Wärmepumpen. Dort darf man die Förderungen nicht zurückfahren, wie es in Österreich passiert ist. Die muss ich unterstützen, damit sie Auslandsmärkte erschließen, sonst geht es der heimischen Industrie wie bei der Solarenergie, wo mittlerweile alles in China ist. Eine Industriestrategie muss die Abhängigkeit von ausländischer Energie reduzieren. Österreich hat die besten Voraussetzungen bei regenerativer Energie. Und was machen wir? Wir machen uns abhängig.

Wie viel Glück und Optimismus braucht man, um Weltmarktführer zu werden?

Jeder Unternehmer fängt sein Unternehmertum mit Optimismus an. Wir hatten den Vorteil, dass wir das Unternehmen übernommen haben und wussten, in welchem Haifischbecken wir uns befinden. Aber es braucht auch Glück. Es hätte auch ganz anders kommen können. Es gab auch Rückschläge. Zuletzt als 2022 durch den Ukrainekrieg der russische Markt von einem Tag auf den anderen weg war. Zu dem Zeitpunkt waren wir der einzige Lieferant für die Metro in Moskau, wir hatten noch Aufträge für 3.000 Motoren, die plötzlich hinfällig waren. Aber – eine Türe ist zugegangen und eine andere auf. Der indische Markt hat stark angezogen. Wie schon gesagt, irgendwo scheint auf der Welt immer die Sonne.

© Matt Observe

Steckbrief

Robert Tencl

Robert Tencl hat Business Administration an der Wiener Wirtschaftsuniversität studiert und danach als Finanzcontroller bei ABB, dem damaligen Mutterkonzern von TSA, begonnen. Im Jahr 2000 hat er TSA mit zwei Kollegen übernommen und ist seither dort CEO.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2025 erschienen.

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