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Länder in Osteuropa, die wirtschaftlich stark mit der kriselnden deutschen Automobilindustrie verbunden sind, würden ein schwächeres Wirtschaftswachstum verzeichnen, sagte wiiw-Direktor Mario Holzner am Mittwoch bei der Präsentation der Konjunkturprognose für die 23 Länder. Das wiiw senkte die Wachstumsprognose 2025 für die Region gegenüber dem Sommer lediglich um 0,1 Prozentpunkte und für 2026 um 0,2 Prozentpunkte. In Rumänien, der Slowakei und Ungarn würden aber hohe Budgetdefizite, die industrielle Schwäche Deutschlands und hausgemachte Probleme auf das Wachstum der Wirtschaftsleistung drücken.
Die wiiw-Ökonomen orten eine Verschiebung der wirtschaftlichen Dynamik: "Während bisher der private Konsum der Haupttreiber des Wachstums in den EU-Mitgliedern Ostmitteleuropas war, gehen wir davon aus, dass angesichts eines abkühlenden Reallohnwachstums die Investitionen privater Firmen und der öffentlichen Hand an Bedeutung gewinnen", so der stellvertretende Direktor des wiiw und Hauptautor der Herbstprognose, Richard Grieveson. Auch die stark steigenden Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten in der Region würden das Wachstum stützen.
Der wiiw-Direktor wies auf den starken Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen (FDI) in den mittel- und osteuropäischen EU-Ländern hin. Im Jahr 2021 lagen die FDI-Zuflüsse in den EU-CEE-Ländern bei 6,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und sanken seitdem auf zuletzt 2 Prozent. Die Investoren halten sich mit Investments zurück, unter anderem wegen des Ukraine-Kriegs, der hybriden Kriegsführung Russlands und der US-Zölle. "Unsicherheit, das ist Gift für Investitionen. Investoren überlegen sich dreifach, ob sie sich langfristig binden", sagte Holzner. Entgegen dem Trend hat die österreichische Erste Group im Mai bekannt gegeben, einen beherrschenden 49-Prozent-Anteil an Santander Bank Polska, der drittgrößten Bank Polens, für rund 7 Mrd. Euro zu erwerben.
Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowie Slowenien werden 2025 nach Einschätzung des wiiw im Durchschnitt um 2,5 Prozent und im kommenden Jahr um 2,9 Prozent wachsen. Spitzenreiter unter den östlichen EU-Mitgliedern ist und bleibt Polen mit einem Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent im laufenden und im kommenden Jahr. Es folgen Kroatien und Bulgarien mit jeweils rund 3 Prozent Wachstum im heurigen und im kommenden Jahr. Vergleichsweise wirtschaftlich schlecht läuft es in Rumänien (2025: 0,8 Prozent; 2026: 1,2 Prozent). Immer noch gut läuft es hingegen bei den sechs Staaten am Westbalkan, die 2025 im Schnitt um 2,5 Prozent und 2026 um 3,4 Prozent zulegen sollten, auch wenn Serbien 2025 einen Wachstumseinbruch verzeichnet. Die Türkei wächst heuer (3,4 Prozent) und im nächsten Jahr 3,9 Prozent wieder relativ stark.
Für die von der russischen Invasion gezeichnete Ukraine verdüstern sich die Aussichten: Das wiiw prognostiziert dem Land für 2025 ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent, eine Revision nach unten um 0,5 Prozentpunkte gegenüber der Sommerprognose. 2026 soll die ukrainische Wirtschaft dann um 3 Prozent wachsen, eine Reduktion der Prognose um einen ganzen Prozentpunkt. Die wiiw-Ökonomen gehen davon aus, dass sich der seit 2022 andauernde Krieg mit seinen negativen ökonomischen Auswirkungen noch bis 2027 hinziehen wird - wesentlich länger als bisher angenommen.
"Die immer größeren Zerstörungen an der Infrastruktur durch die schweren russischen Luftangriffe und der grassierende Arbeitskräftemangel aufgrund von Mobilisierung und Flucht dämpfen die Wachstumsaussichten der ukrainischen Wirtschaft", so die wiiw-Ukraine-Expertin Olga Pindyuk. Russland steuert aufgrund der restriktiven Geldpolitik der Zentralbank und niedrigerer Ölpreise laut Einschätzung der Wirtschaftsforscher auf eine "Beinahe-Stagnation" zu. Das wiiw erwartet ein Wachstum der russischen Wirtschaft im laufenden Jahr von 1,2 Prozent und im kommenden Jahr von 1,4 Prozent. Zum Vergleich: 2023 und 2024 wuchs Russlands Wirtschaftsleistung noch um 4,1 bzw. 4,3 Prozent.
Der Russland-Experte des wiiw, Vasily Astrov, und wiiw-Direktor Holzner erwarten, dass sich Russland den Ukraine-Krieg noch lange leisten kann. Das russische Budgetdefizit und die Staatsverschuldung sind im internationalen Vergleich niedrig. "Russland hat überhaupt kein Interesse an einem Waffenstillstandsabkommen", so Astrov. Die russische Führung glaube, sie werde weitere Gebiete in der Ukraine erobern.
Österreich profitiert von der engen wirtschaftlichen Verbindung zu Osteuropa, besonders in Jahren mit schwacher Wirtschaftsentwicklung. Insgesamt werden die 23 Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 2025 einen positiven Beitrag zum österreichischen BIP-Wachstum von 0,11 Prozentpunkten leisten. Die Ökonomen des Wifo und IHS prognostizieren für heuer ein Wirtschaftswachstum von 0,3 bzw. 0,4 Prozent. Österreichs Unternehmen, die in Mittel-, Ost- und Südosteuropa produzieren, werden den stattfindenden Strukturwandel weg vom Modell "verlängerte Werkbank", das auf niedrigen Lohnkosten basierte, hin zu einem Wachstum, das mehr auf Investitionen und privatem Konsum beruht, spüren, so die wiiw-Expertin Doris Hanzl-Weiß. In Osteuropa produzierende österreichische Unternehmen würden durch die steigenden Lohnkosten an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
Der wiiw-Direktor wies auf "den demografischen Schock" in Osteuropa durch die schrumpfende Bevölkerung hin. Dadurch sei das Wirtschaftsmodell "verlängerte Werkbank" langfristig nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Bereiche Automatisierung, IT, Software und Grüne Energie würden als Wachstumstreiber nun in den Vordergrund rücken, so Holzner.