Das Unglück in Blatten zeigt: Die Berge werden instabil. Gletscherschmelze und auftauender Permafrost machen Felsmassen zu tickenden Zeitbomben. Wie sich Alpenregionen in der Schweiz, Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien gegen das Risiko wappnen – und warum die Zeit drängt.
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Der verheerende Bergrutsch im Schweizer Blatten war keine Ausnahme – er war ein Vorbote. Experten warnen, dass sich solche Katastrophen in den Alpen häufen werden. Der Grund: Der Klimawandel lässt Gletscher schmelzen und Permafrostböden tauen – das „Betonfundament“ der Berge löst sich auf. Ganze Hänge geraten ins Rutschen. Für viele Bergdörfer wird das zur existenziellen Bedrohung. Doch wie kann man sich schützen, wenn die Berge selbst instabil werden?
Bergrutsch in Blatten: Wenn Fels und Gletscher gemeinsam brechen
Diese Woche wurden große Teile des Walliser Dorfs Blatten von einer gewaltigen Masse aus Fels, Eis, Schlamm und Wasser verschüttet. Die Kombination aus Felssturz und Gletscherbruch war beispiellos. Über drei Millionen Kubikmeter Material lösten sich von den Hängen des Kleinen Nesthorns, ein ganzer Gletscher riss mit ab. Das Dorf Blatten liegt unter Geröll begraben, eine Person wird vermisst.
Die Einsatzkräfte reagierten schnell, evakuierten weitere Dörfer und sperrten Straßen. Doch das Ereignis wirft eine drängende Frage auf: Wird das die neue Normalität in den Alpen?


Blatten im Lötschental nach dem Bergrutsch, das Dorf wurde dabei komplett zerstört.
© IMAGO / MAXPPPDer „Leim der Berge“ schmilzt
Die Alpen erwärmen sich doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Bereits heute ist es in den Hochlagen rund drei Grad wärmer als vorindustriell. Gletscher ziehen sich dramatisch zurück. Noch gravierender ist das Schicksal des Permafrosts – jenes dauergefrorenen Untergrunds, der Felsen in großer Höhe stabilisiert. Sobald dieser Boden auftaut, verliert das Gebirge seine innere Festigkeit.
In der Folge können ganze Berghänge ins Rutschen geraten. Selbst massige Felsformationen, die jahrhundertelang stabil waren, brechen plötzlich ab. Der Fall Blatten ist kein Einzelfall: In Italien stürzte 2022 am Marmolata-Gletscher ein riesiger Eisturm ins Tal, elf Menschen starben. Auch in Österreich und Deutschland beobachten Forscher zunehmende Instabilität in hochalpinen Lagen. Das Risiko für Felsstürze, Muren und Gletscherabbrüche steigt rapide.
Wie sich die Alpenländer schützen
Schweiz: Die Schweiz gehört zu den Vorreitern im Umgang mit alpinen Naturgefahren. Gefahrenkarten zeigen, wo Bauen verboten ist. Frühwarnsysteme und Evakuierungspläne werden regelmäßig aktualisiert. Nach früheren Katastrophen wurden Millionen in Schutzbauten, Dämme und Sperren investiert. Dennoch bleibt die Herausforderung groß: Manche Risiken lassen sich kaum kontrollieren.
Österreich: Hier sind es vor allem die traditionellen Maßnahmen der Wildbach- und Lawinenverbauung, die Schutz bieten. Auffangdämme und Steinschlagnetze sichern gefährdete Dörfer. Doch auch Österreich steht vor der Aufgabe, den Permafrost gezielter zu überwachen – denn nicht nur die Gletscher schmelzen, auch der Gebirgsboden selbst wird instabil.
Deutschland: Die Bayerischen Alpen gelten als weniger gefährdet, doch auch hier bröckeln die Gipfel. Am Hochvogel im Allgäu überwachen Geologen den drohenden Felssturz mit modernster Sensorik. Frühzeitige Sperrungen von Wegen oder Evakuierungen sind möglich – und in einer sich wandelnden Bergwelt zunehmend notwendig.
Italien: Besonders im Aostatal und den Dolomiten mehren sich Evakuierungen bei Gletscherinstabilität. Gemeinden werden vorsorglich geräumt, sobald Eismassen in Bewegung geraten. Gleichzeitig werden Warnsysteme ausgebaut, gefährdete Routen stärker kontrolliert und die Öffentlichkeit für die Risiken sensibilisiert.
Frankreich: Auch Frankreich betreibt aktiven Risikoschutz. Unter dem Mont Blanc wurde bereits ein versteckter Gletschersee abgepumpt, um eine Flutkatastrophe zu verhindern. Gefährdete Gebirgswege werden bei Steinschlaggefahr gesperrt. Der Schulterschluss zwischen Zivilschutz, Geologie und Gemeinden wird hier großgeschrieben.


Ein Gletscherbruch begrub das 300-Seelen-Dorf Blatten im Lötschental unter sich. Drei Millionen Kubikmeter Eis und Schutt zerstörten das Dorf vollständig.
© IMAGO / MAXPPPEin Leben im Schatten des Wandels
Die Katastrophe von Blatten ist ein Fanal für die Zukunft. Die Alpen verändern sich – sichtbar, hörbar, spürbar. Bergrutsche, die früher Jahrhundertereignisse waren, drohen zur regelmäßig wiederkehrenden Gefahr zu werden. Die betroffenen Länder investieren in Technik, Überwachung und Vorsorge. Doch absolute Sicherheit gibt es nicht mehr in den Bergen.
Die einzige langfristige Antwort bleibt der Klimaschutz: Jede Tonne CO₂, die nicht ausgestoßen wird, zählt. Und jeder Euro, der in die Resilienz alpiner Gemeinden investiert wird, ist ein Schritt hin zu einem Leben mit – und nicht gegen – die Natur.
Video des abbrechenden Birch-Gletschers im Lötschental kurz vor der Katastophe.