News Logo
ABO

Frühe Besiedelung bis NS-Zeit - Anthropologin Teschler-Nicola wird 75

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
5 min
Maria Teschler-Nicola wird 75 (Archivbild)
©NHM-WIEN, HISCHAM MOMEN, APA
Von den ersten menschlichen Spuren in Europa bis zu unmenschlichen Anwandlungen der Wissenschaft in der NS-Zeit spannt sich das Forschungsinteresse von Maria Teschler-Nicola. Am Freitag (24. Oktober) wird die frühere Direktorin der Abteilung für Anthropologie des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) 75 Jahre alt. Zuletzt war Teschler-Nicola an zahlreichen einflussreichen Untersuchungen beteiligt, die mit neuer Technik viel Licht in die graue Vorzeit brachten.

von

Vor rund 8.500 Jahren brachten anatolische Bauern die Landwirtschaft nach Europa und verdrängten laut langjähriger Lehrmeinung die heimischen Jäger und Sammler - dass dieses Bild nicht unbedingt stimmt bzw. zu kurz greift, konnte mittels neuer genetischer Analysen gezeigt werden. In den vergangenen Jahren war die am 24. Oktober 1950 in Eggenburg (NÖ) geborene Anthropologin und Humanbiologin an einigen großen, in hochrangigen Fachjournalen veröffentlichten Studien mit alter DNA mitbeteiligt. Punkto Erbgut aus lange vergangenen Zeiten kann die "Abteilungsdirektorin a.D." am NHM aus dem Vollen schöpfen.

Nicht zuletzt beherbergt das NHM viele der wichtigsten archäologischen Funde der ehemaligen Habsburgermonarchie und des heutigen Österreichs. Darunter sind auch einige der ältesten Hinweise auf die Anwesenheit des Menschen in Europa, wie etwa die 1882 in einer Höhle nahe dem tschechischen Dorf Mladec (Lautsch) in Südmähren gefundenen Schädel-, Zahn- und Knochen-Funde von frühen modernen Menschen, die 2005 bei Krems entdeckte, etwa 31.000 Jahre alte Doppelbestattung zweier Säuglinge, oder Überreste von einem Massaker vor rund 7.000 Jahren in der jungsteinzeitlichen Siedlung von Schletz bei Asparn an der Zaya (NÖ).

Im Jahr 2023 hat Teschler-Nicola u.a. mit NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland in der Wiener Medizinischen Wochenschrift die "Die pathologisch-anatomische Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien" in einer Publikation aufgearbeitet. Im Rahmen des Forschungsverbundes "Human Evolution & Archeological Sciences" (HEAS) in Kooperation mit der Universität Wien und der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist Teschler-Nicola ebenso aktiv.

Als "Integrative prähistorische Anthropologie" - so definierte Teschler-Nicola gegenüber der APA einmal ihren Fachbereich. Damit ist gemeint, dass diese Wissenschaft sich zu einer Disziplin entwickelt hat, die aus Informationen aus vielen Forschungsdisziplinen neues Wissen generiert. Teschler-Nicola und ihre Kollegen fördern durch den Einsatz neuer Methoden immer mehr Details aus dem Leben längst verstorbener Menschen ans Tageslicht.

So konnte mittels DNA-Analysen gezeigt werden, woher die frühen Bewohner unseres Kontinents einst kamen und wo sie teils bis heute Spuren hinterließen. Und mittlerweile ist auch klar, dass die Verdrängung der Jäger-Sammler-Population durch den agrarischen Lebensstil wohl eher eine Art Vermischung von angestammten und neuen Europäern gewesen ist. Neben der Beteiligung an Studien zum großen Bild, präsentierte Teschler-Nicola mit Kolleginnen und Kollegen im Fachmagazin "Nature" 2024 auch den ältesten Malaria-Fall auf dem heutigen Staatsgebiet Österreichs. Er wurde an den Überresten eines Mannes aus dem Gräberfeld von Göttlesbrunn (NÖ) identifiziert, der zwischen 350 und 250 v. Chr. gestorben ist.

Noch weiter zurück blickte die Anthropologin und Autorin von mehr als 120 Publikationen, immer wieder auch im Fall des Sensationsfundes der sogenannten "Zwillinge vom Wachtberg": Ebenfalls in einer Analyse in "Nature" wurde 2016 u.a. gezeigt, dass eines der beiden Kinder ein Bub war, dessen Neandertaler-Anteil im Erbgut mit 3,9 Prozent relativ hoch war.

Nach ihrem Studium der Humanbiologie, Volkskunde und Medizin an der Universität Wien promovierte Teschler-Nicola dort 1976 im Hauptfach Humanbiologie. Danach war sie u.a. am Institut für Humanbiologie der Uni Wien tätig. 1982 wechselte sie an die Anthropologische Abteilung des NHM, die sie ab 1998 leitete und deren eineinhalb Jahrzehnte geschlossene Schausäle sie 2013 neu gestaltete.

Ein besonderes Forschungsinteresse Teschler-Nicolas gilt Krankheiten und ihrer historischen Entwicklung. Zusammen mit dem Arzt Wolfgang Killian machte sie Beobachtungen, die auf eine bis dahin unbekannte Chromosomenanomalie schließen ließen, und publizierte darüber 1981. Die seltene Erkrankung wird mittlerweile "Pallister-Killian-Syndrom" oder auch "Teschler-Nicola-Syndrom" genannt. Ein weiteres Highlight war auch der erste Nachweis eines Leprafalls im frühmittelalterlichen Österreich. Beteiligt war sie auch an wissenschaftlichen Analysen der Gletschermumie "Ötzi".

Auch mit einem besonders dunklen Kapitel der Wissenschaftsgeschichte und des NHM hat sich Teschler-Nicola auseinandergesetzt, als sie 2004 im Rahmen des Projekts "Forschungs-Objekt 'Jude' - Anthropologie im NS-Regime" zeigte, wie sehr zeitgeschichtliche Rahmenbedingungen die sogenannte Objektivität beeinflussen können. Den Verfall des wissenschaftlichen Ethos zeichnete das Forschungsteam anhand des Schicksals von 440 männlichen Juden nach, die 1939 im Wiener Stadion inhaftiert worden waren. Bevor sie Opfer des NS-Massenmordes wurden, missbrauchten Forscher um den damaligen Leiter der Anthropologischen Abteilung des NHM, Josef Wastl, diese Menschen als anthropologische Forschungsobjekte.

ZU APA0099 VOM 23.10.2015 - Am Samstag, 24. Oktober 2015, wird Maria Teschler-Nicola, die Direktorin der Abteilung für Anthropologie des Naturhistorischen Museums Wien (NHM), die mit neuen Techniken alten Funden ihre Geheimnisse entlockt, 65 Jahre alt. (ARCHIVBILD VOM 10.11.2014)

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER