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2nd Opinion: Magisches Politdenken

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Michael Fleischhacker

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Entscheidende Teile der zeitgenössischen Politik haben sich auf magisches Denken verlegt: Historische Reminiszenzen, utopische Vorstellungen und schlichte Lügen werden zu einer Version der Wirklichkeit zusammengebaut, die sich leichter ertragen lässt.

Was die Literatur betrifft, so bin ich ein großer Verehrer des magischen Realismus, sowohl in seiner lateinamerikanischen Spielart, als auch in seiner fernöstlichen. Gabriel García Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“ gehört ebenso zu meinen Lieblingsbüchern wie „1Q84“ und „Die Ermordung des Commendatore“ von Haruki Murakami. Die Idee, dass man seine Richtigkeit in der Welt und sein Angekommensein bei sich selbst daran erkennen kann, dass neben dem uns bekannten großen, gelben Mond auch ein kleiner, grüner am Himmel steht, hat mich schon durch die eine oder andere schwierigere Phase meines Lebens gebracht.

Was die Politik betrifft, so ist der magische Realismus meine Sache nicht – auch wenn er gerade am Höhepunkt seiner nationalen und internationalen Anziehungskraft zu stehen scheint. Sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika als auch in Europa und in Russland scheint man sich darauf verlegt zu haben, die eher nicht so berückende Realität mit einer Art des magischen Denkens aufzuladen, das historische Reminiszenzen, utopische Vorstellungen und schlichte Lügen zu einer Version der Wirklichkeit zusammenbaut, mit der man besser leben kann als mit der schnöden Realität.

Religion und Politik

Magisches Denken hat immer schon an der Schnittstelle zwischen Religion und Politik stattgefunden, und während man früher einigen Aufwand trieb, ein ausgeklügeltes System an Erzählungen, Regeln und Versprechungen zu entwickeln, damit der einzelne Mensch, der noch kein Bürger war, sich leichter in sein fremdbestimmtes politisches und ökonomisches Schicksal fügen mochte, riskiert man heutzutage gerne einmal auch eine Abkürzung.

Wen interessieren die Widersprüche von gestern, wenn heute schon das Hochamt für den Götzen von morgen gefeiert wird?

Der politische Moralismus unserer Tage ist eine Art Schwundstufe des magischen Denkens, sehr leicht anpassbar an die aktuellen Geschehnisse. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass man die Widerspruchsfreiheit, die zu den Grundvoraussetzungen des magischen Denkens gehört, weder langwierig argumentieren noch gewaltsam durchsetzen muss. Wen interessieren die Widersprüche von gestern, wenn heute schon das Hochamt für den Götzen von morgen gefeiert wird?

Sagen, was man will

Ob es um die Bereitschaft von Frau von der Leyen geht, die europäischen Werte bis zum letzten Ukrainer zu verteidigen, um die Überzeugung von Robert Habeck, dass Unternehmen, die wegen der Energiewende nichts mehr produzieren, deshalb noch lang nicht pleite sind, oder um die Gewissheit des Kreml-Herrschers, dass man Peter den Großen und Väterchen Stalin ohne Weiteres klonen kann: Solange man über die Mittel verfügt, sich Widerspruchsfreiheit zu erkaufen, kann man heutzutage tun und sagen, was man will.

Erleichtert wird das dadurch, dass die alte Form von Öffentlichkeit, in der Widerspruchsfreiheit verdächtig und magisches Denken hinterfragenswert erschien, nicht mehr existiert. Die Existenzfrage von Medien hängt heute aus Sicht ihrer Betreiber nicht mehr daran, dass sie das magische Denken der Herrschenden hinterfragen, sondern in der Zurverfügungstellung eines leichtgängigen Glaubensbekenntnisses für die eigene Followerschaft.

Rückkehr der Religion in die Politik

Man muss sich nicht darüber wundern, dass mit der religiösen Aufladung des politischen Denkens und Handelns auf praktisch allen Feldern vom Umweltschutz bis zur Sicherheitspolitik auch die konventionellen Religionen in die politische Arena zurückkehren. Zumindest in Europa und in den Vereinigten Staaten hatte man lange geglaubt und sich auch viel darauf eingebildet, dass wir ihnen ihren Platz endgültig im Privaten zugewiesen hätten.

Säkularisierung, Trennung von Politik und Religion: Das war der Westen, und das war sein Erfolg. Davon ist heute kaum noch etwas zu bemerken. In den USA ist neben der weiterhin stark expandierenden evangelikalen Szene eine bemerkenswerte Katholisierung des politischen Betriebs zu beobachten, für die stellvertretend Vizepräsident J.D. Vance zu nennen ist, in Europa wiederum haben sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche beschlossen, sich als spirituell-liturgische Unterorganisationen linksökologischer NGOs zu positionieren.

Wien ist nicht Macondo

Der Höhepunkt dieser vollkommen verrückten Entwicklung war wohl während der Corona-Pandemie zu beobachten: Eine Ärztekammer, die Homöopathie-Zertifikate vergibt, beklagte sich über die Wissenschaftsskepsis der Österreicher. Und katholische Autoritäten, die sich mit ihrer „Bewahrung der Schöpfung“-Rhetorik dem Gaia-Aberglauben überspannter Umweltesoteriker unterworfen haben, begannen plötzlich, die eigenen Mitarbeiter und Gläubigen zu maßregeln und zu piesacken. Weil sie sich weigern, an die Wissenschaft zu glauben, die nun einmal zu dem Ergebnis gekommen war, dass eine Impfpflicht für das kurzfristige Überleben der Art unumgänglich sei. Seither weiß man ungefähr alles, was man über unsere Zeit wissen muss.

Wien ist nicht Macondo, zwischen José Arcadio Buendía und Christian Stocker liegen Welten, und was Frau von der Leyen in stillen Stunden mit dem ihr erschienenen Commendatore bespricht, wissen wir nicht. Ich fürchte, sie sprechen nicht darüber, dass man in der Politik mit magischem Denken langfristig nicht weiterkommt.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2025 erschienen.

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