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Eine Fortsetzung der Gespräche zieht der Kreml nach Angaben von dessen Sprecher Dmitri Peskow erst in Betracht, wenn der vereinbarte Gefangenenaustausch abgeschlossen ist. Erst einmal müsse das umgesetzt werden, "was die Delegationen gestern vereinbart haben", sagte er am Samstag in Moskau. Das sei "in erster Linie" der Gefangenenaustausch.
Ein Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj knüpft der Kreml an die Bedingung, dass beide Länder zuvor eine "Vereinbarung" erzielen. Peskow sagte auf einer Pressekonferenz, Moskau halte ein solches Treffen für "möglich" - aber nur als "Ergebnis der Arbeit" beider Seiten und nach Abschluss einer "Vereinbarung".
Am Freitag hatten Vertreter Moskaus und Kiews unter türkischer Vermittlung knapp eineinhalb Stunden über ein mögliches Ende des russischen Angriffskrieges gesprochen. Über eine Waffenruhe wurde keine Einigkeit erzielt. Einzig greifbares Ergebnis war die Vereinbarung, jeweils 1.000 Kriegsgefangene auszutauschen. Das wäre der bisher größte Austausch dieser Art seit Kriegsbeginn im Februar 2022. Ein genauer Zeitpunkt wurde nicht öffentlich genannt. Der Austausch solle aber "in nächster Zeit" erfolgen, sagte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow.
Der türkische Außenminister Hakan Fidan verbreitete auf der Plattform X nach dem Gespräch die Ansicht, dass sich die russischen und ukrainischen Delegationen "im Prinzip" auf weitere Gespräche geeinigt hatten. In Moskau machte der Leiter des Außenausschusses im russischen Parlament, Leonid Sluzki, deutlich, er rechne mit einer schnellen Entscheidung über neue Gesprächsrunden.
"Die Auswertung wird Stunden, höchstens Tage dauern", sagte Sluzki im russischen Staatsfernsehen. Dann könne mit der Gegenseite über einen neuen Termin gesprochen werden. Dabei gebe es keinen Grund, Zeit zu verlieren. "Jede Stunde bedeutet Menschenleben", sagte er. Schon die zweite Verhandlungsrunde könnte "entscheidend" werden.
Von den Verbündeten der Ukraine gab es zunächst keine direkten öffentlichen Reaktionen auf das Gespräch. US-Präsident Donald Trump hatte schon am Donnerstag – nach Bekanntwerden des Fehlens von Russlands Machthaber Wladimir Putin – gesagt, dass er keine großen Erwartungen an das Treffen habe. "Es wird nichts passieren, bis Putin und ich zusammenkommen", sagte er kürzlich während seiner Golfstaaten-Reise. Er erklärte zudem erneut seine Bereitschaft, sich so bald wie möglich mit dem Kremlchef zu treffen, um den Krieg zu beenden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Putin am vergangenen Wochenende öffentlich zu einem persönlichen Treffen in Istanbul aufgefordert. Putin hatte darauf nicht geantwortet und stattdessen eine rangniedrigere Delegation zu Gesprächen in die Türkei geschickt.
Der Leiter der russischen Delegation, Wladimir Medinski, zeigte sich zufrieden mit dem Treffen in Istanbul. Die beiden Seiten hätten vereinbart, vor einer nächsten Gesprächsrunde ihre Vorstellungen von einer Waffenruhe im Detail auszuarbeiten und der Gegenseite zu übermitteln. Die ukrainische Delegation habe zudem ein direktes Treffen der Staatspräsidenten Selenskyj und Putin gefordert. "Wir haben diese Bitte zur Kenntnis genommen", wurde Medinski von russischen Medien zitiert.
Der ukrainische Außenamtssprecher Heorhij Tychyj bestätigte Medienberichte, wonach es harte Differenzen bei den Gesprächen gegeben habe. "Bei den Verhandlungen gab es tatsächlich Forderungen, die wir für unannehmbar halten", sagte Tychyj, nannte aber keine Details.
Zuvor hatten Berichte kursiert, wonach die russische Seite weiterhin einen vollständigen Rückzug der Ukraine aus den von Russland beanspruchten Provinzen sowie eine Anerkennung der Annexionen fordere. Tychyj sagte: "Wir haben uns darauf vorbereitet. Die ukrainische Delegation wusste, dass das kommt. Daher hat sie einen sehr zurückhaltenden Ton eingehalten und ruhig ihre Linie verteidigt, ihre Position ausgesprochen. Wir finden, dass die ukrainische Delegation hinreichend effektiv gearbeitet hat."
Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte am Abend nach den Gesprächen in Istanbul gesagt, die Ukraine erwarte eine Rückmeldung auf an Russland übermittelte Forderungen. "Danach werden wir erneut die Gelegenheit haben, uns mit Präsident Trump auszutauschen", erklärte Macron nach dem Ende eines Treffens europäischer Staats- und Regierungschefs in der albanischen Hauptstadt Tirana.
Macron hatte bereits am Freitagnachmittag gemeinsam mit Selenskyj, dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz sowie dem britischen Premier Keir Starmer und Polens Regierungschef Donald Tusk mit Trump telefoniert.
"Es ist klar, dass der Vorschlag für einen bedingungslosen Waffenstillstand derzeit die einzige konkrete Initiative ist, die auf dem Tisch liegt", sagte Macron. Für den Fall, dass es keine positive Antwort gebe, bereite man in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten weitere Sanktionen vor.
Der polnische Außenminister Radek Sikorski ist der Ansicht, dass Putin nur auf Zeit spielt. "Er ist noch immer überzeugt, dass er gewinnen kann", sagte Sikorski dem "Tagesspiegel". Die Anwesenheit Trumps sei für einen Verhandlungserfolg nicht zwingend erforderlich.
"Das Land, das den Krieg beenden und Putin in die Schranken verweisen könnte, ist China", sagte Sikorski. "Würde China mit einem Handelsembargo drohen, wäre Russland gezwungen, sich zu fügen." China bezeichnet sich im Ukraine-Krieg offiziell als neutral. Das Land steht aber international in der Kritik, Russland bei der Invasion zu unterstützen.
Abseits der Verhandlungstische lieferten sich russische und ukrainische Truppen weiter erbitterte Kämpfe. Der ukrainische Generalstab berichtete in seiner Tagesbilanz für Freitag von 61 russischen Angriffen, die Mehrzahl rund um die Dauerbrennpunkte Torezk und Pokrowsk. Aus der südukrainischen Stadt Cherson wurden russische Drohnenangriffe gemeldet, dabei wurden nach Angaben der Behörden zwei Menschen verletzt. In Kupjansk im Osten der Ukraine wurden bei russischen Artillerieangriffen nach offiziellen Angaben vier Menschen verletzt.
Auch am Samstag hörte das Morden nicht auf: Im nordostukrainischen Gebiet Sumy wurden neun Menschen bei einem russischen Drohnenangriff getötet. Sieben seien verletzt worden, teilte die Militärverwaltung der Region mit. Demnach traf eine Drohne einen Bus in der Nähe der grenznahen Stadt Bilopillja.