Wieder ein Femizid in Österreich. Wieder ein Mann aus ihrem Umfeld. Ein Muster, das wir kennen, aber nicht durchbrechen. Auch, weil politische Maßnahmen zu spät greifen. Wie lange erschüttert uns das noch, und was müsste sich endlich ändern?
Worte können trösten, erschüttern – und wachrütteln: „Gut heimgekommen“, das letzte Lebenszeichen einer jungen Frau aus Graz. Ein Versprechen von Sicherheit, das nicht gehalten wurde. Wieder ist in Österreich eine Frau ermordet worden, wieder war der Täter ein Mann aus ihrem nahen Umfeld. Der Fall erschüttert das Land – schon wieder. Doch wie lange hält diese Erschütterung an? Einen Tag? Ein Wochenende? Bis zur nächsten Schlagzeile?
Die Antworten darauf sind routiniert: Erklärungen, Ankündigungen, Vorhaben, Versprechungen. Gut klingende Sätze wie: „Je besser die Zahnräder ineinandergreifen, desto wirksamer werden Opfer geschützt und erneute Gewalt verhindert.“ In dieser Woche trafen sich Expertinnen und Experten im Innenministerium zu einem Gewaltschutzgipfel, Schwerpunkt: häusliche Gewalt.
Die Regierung präsentiert Maßnahmen, die Problembewusstsein erkennen lassen – doch ihre Umsetzung dauert zu lange. Zeit, die betroffene Frauen nicht haben
Vergangene Woche präsentierte die Regierung den Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen – wichtige Maßnahmen, die Problembewusstsein erkennen lassen, in der Umsetzung aber dennoch viel zu lange dauern. Zeit brauchen. Zeit, die betroffene Frauen nicht haben. Auch dieser Mord zeigt: Das gefährlichste Umfeld für Frauen ist oft die eigene Beziehung; die kritischste Phase die Trennung. Es sind Männer aus ihrem nahen Umfeld: Ex-Partner, Ehemänner, Familienväter.
Muster der Gewalt
Laut dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser wurden heuer bereits 15 Frauen in Österreich Opfer von Femiziden; hinzu kommen 34 Fälle von Mordversuch oder schwerer Gewalt. Auch der aktuelle Fall reiht sich in ein Muster ein, das wir längst kennen, aber nicht durchbrechen.
„Femizid“ bezeichnet die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist: weil sie sich trennt, weil sie nicht gehorcht, weil sie ihre Eigenständigkeit lebt. Eine aktuelle Studie der Universität Tübingen und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt: In drei Viertel der untersuchten Fälle ging es um Trennungskonflikte – getrieben von gekränkter Männlichkeit und Besitzdenken. Auch die 31-jährige Grazerin wurde von einem Mann getötet, dem sie einst nahestand.
Andere Länder machen es vor
Andere Länder haben aus solchen Fällen längst Konsequenzen gezogen. Spanien etwa hat nach einer Reihe grausamer Frauenmorde ein umfassendes Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt geschaffen – mit spezialisierten Gerichten, verpflichtenden Schulungen und Schutzmaßnahmen wie elektronische Fußfesseln für gefährliche Täter.
Der Erfolg ist messbar: Die Femizidrate ist deutlich gesunken. Ein Rückgang, wohlgemerkt, kein Ende des Problems. Auch Italien hat 2023 nachgezogen und Femizid als eigenen Straftatbestand eingeführt – mit lebenslanger Haft als möglicher Folge. 2025 wurden in Italien 85 Frauen ermordet; in rund 70 Prozent der Fälle war der Täter der aktuelle Partner.
Zu wenig Fortschritt
Und Österreich? Auch hier gibt es das Vorhaben von Fußfesseln bzw. Armbändern für Hochrisikogewalttäter mit einstweiliger Verfügung nach einem Betretungsverbot. Umgesetzt werden soll es 2026. Das international empfohlene Zustimmungsprinzip „Nur Ja heißt Ja“ ist vertagt. Frauenhäuser und Männerberatungsstellen, die längst am Limit arbeiten, bangen zugleich um ihre Finanzierung. In der Rückschau ist einiges geschehen – und doch bleibt es zu wenig, auf mehreren Ebenen.
Femizide sind die sichtbarsten und unumkehrbaren Folgen einer tieferliegenden Struktur: patriarchale Denkmuster, verletzliche Männlichkeit und ein nicht gelernter Umgang mit verletzten Gefühlen, mangelnde Geschlechtergerechtigkeit. Und nein, das ist kein ausschließlich „importiertes“ Problem. Auch beim Blick in die autochthone Gesellschaft zeigt sich ein erschütterndes Frauenbild. Eines, dessen mühsam erkämpfte Errungenschaften teils wieder zurückgedreht werden sollen. Ein Bild, das in Schulhöfen, auf Partys, in Wohnzimmern, am Stammtisch geprägt wird: mit einem Witz, mit einem Kommentar, mit einem Blick.
Es braucht uns alle – vor allem die Männer
Deshalb braucht es Männer, die nicht wegsehen. Die widersprechen, wenn Frauen abgewertet werden. Die aufstehen, wenn Sexismus verharmlost wird. Gleichstellung als gemeinsame Verantwortung. Männer, die eingreifen, wenn Grenzen überschritten werden. Männer, die andere Männer zur Rechenschaft ziehen – und nicht aus falscher Loyalität decken. Es braucht Väter, die für ihre Söhne ein Rollenbild formen, das in das Hier und Jetzt und in eine offene Gesellschaft passt.
Und es braucht uns alle: genaueres Hinsehen, Hinhören, Zuhören. Wie aufmerksam sind wir wirklich – bei der Freundin, der Kollegin, der Nachbarin? Wann ist ein Streit nebenan nicht mehr nur laut, sondern beunruhigend? Wann wird ein ausweichender Blick zur stummen Bitte um Hilfe? Es braucht eine Justiz, die Taten nicht als Einzelfälle versteht, sondern als Ausdruck struktureller Gewalt. Eine Politik, die nicht erst reagiert, wenn es zu spät ist. Und eine Öffentlichkeit, die sich erinnert – auch dann, wenn die Schlagzeilen längst verschwunden sind.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/25 erschienen.

