Friedrich Merz hat bei der Kanzlerwahl zwei Anläufe gebraucht – das hatte vor ihm noch niemand geschafft. Das Scheitern und trotzdem nicht aufzugeben, prägt seine gesamte politische Laufbahn. Es ist ein Sieg, der für den CDU-Mann schon im Vorfeld sehr teuer war und es noch nicht klar ist, wer davon – politisch – profitieren wird.
Forever Kanzlerkandidat: Friedrich Merz und sein jüngstes Scheitern
Es ist ein beispielloses politisches Schauspiel, das sich derzeit in Berlin abspielt. CDU-Chef Friedrich Merz, der sich nach dem Sturz der Ampelregierung Hoffnungen auf das Kanzleramt machte, ist bei der Wahl zum deutschen Regierungschef im ersten Wahlgang durchgefallen – und das nur um sechs Stimmen. Ein historisches Novum: Noch nie wurde ein vom Bundespräsidenten vorgeschlagener Kanzlerkandidat vom Bundestag abgelehnt. Doch anstatt innezuhalten, tut Merz, was er immer tut: weitermachen.
Ein Leben für die Macht
Der 69-jährige steht wie kaum ein anderer deutscher Politiker für Beharrlichkeit. Bereits in den frühen 2000er-Jahren galt er als Hoffnungsträger der CDU und war damals schon ein beliebtes Ziel für Spott und Witze (Late-Night-Ikone Harald Schmidt zog ihn immer wieder mal als „Rocker aus dem Sauerland“ durch den Kakao), doch Angela Merkel zog ihm nach der Wahl 2002 den Fraktionsvorsitz unter den Füßen weg – und ebnete damit ihre eigene Kanzlerkarriere. Merz kehrte der Politik den Rücken, heuerte in der Wirtschaft an, unter anderem beim US-Finanzgiganten BlackRock. Doch sein Rückzug war nie ein Abschied.
2018, in einem Moment politischer Schwäche seiner Partei, kehrte Merz zurück auf die Bühne – mit offenem Visier und dem erklärten Ziel: Parteivorsitz und Kanzlerschaft. Drei Mal kandidierte er für den CDU-Vorsitz, erst 2022 wurde er gewählt. Die Kanzlerschaft aber blieb ihm auch diesmal verwehrt. Und wieder ist Merz gescheitert. Der Traum bleibt vorerst genau das: ein Traum.
Schlampige Mehrheit – scharfer Gegenwind
310 Stimmen erhielt Merz bei der geheimen Abstimmung im Bundestag, sechs zu wenig für die notwendige Kanzlermehrheit. Dabei hätten Union und SPD gemeinsam 328 Mandate – rechnerisch also eine klare Sache. Doch der Realitätstest zeigt: Selbst in den eigenen Reihen bröckelt die Unterstützung.
Während die SPD jegliche Verantwortung von sich weist – „Wir gehen bei uns von voller Zustimmung aus“ –, spekulieren Insider über innerparteiliche Querelen, etwa um die Machtfülle von SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil. Auch innerhalb der Union ist der Rückhalt offenbar weniger solide, als es die Applausbekundungen in der Fraktion suggerieren.


Lange Gesichter: Jens Spahn und Friedrich Merz bei der Bekanntgabe des Ergebnisses zum erste Wahlgang der Kanzlerwahl.
© IMAGO / dts NachrichtenagenturOpposition jubelt – AfD wittert Morgenluft
Die politische Konkurrenz ließ sich das Schauspiel nicht entgehen. AfD-Co-Chef Tino Chrupalla sprach im ARD-Fernsehen von einem „guten Tag für Deutschland“, seine Kollegin Alice Weidel forderte gar Neuwahlen. Man sei „bereit, Verantwortung zu übernehmen“. Worte, die weniger zur Staatsräson passen als zum strategischen Taktieren in einer instabilen Lage.
Meinungsforscher Manfred Güllner sieht in dem Debakel denn auch einen klaren Profiteur: die AfD. Die wiederholte Schwäche der sogenannten Volksparteien untergrabe das Vertrauen in demokratische Institutionen – mit gefährlichen Folgen für die politische Kultur.
Merz nutzt seine zweite Chance
Im zweiten Anlauf hat es der 69-Jährige dann geschafft: Um 15.15 Uhr startete im Bundestag der Wahlgang, der Merz zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland kürte. Er erhielt in geheimer Abstimmung 325 Ja-Stimmen und damit neun mehr als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament. Merz nahm die Wahl an. „Ich bedanke mich für das Vertrauen, und ich nehme die Wahl an“, sagte er auf eine entsprechende Frage von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner.
Jetzt steht dem Regierungswechsel auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition aber nichts mehr im Wege. Merz muss aber im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch die Ernennungsurkunde erhalten und ist erst dann auch rechtlich gesehen Bundeskanzler. Anschließend fährt er zurück in den Bundestag und spricht dort den Amtseid. Auch die Vereidigung der 17 Bundesministerinnen und Bundesminister soll noch heute stattfinden.
Meinungsforscher Güllner hatte vor dem zweiten Wahlgang betont, Merz würde als „angeschlagener Kanzler“ starten – ohne politisches Mandat, ohne Charisma, ohne verbindende Kraft. Sein konfrontativer Politikstil, die Nähe zur AfD bei migrationspolitischen Fragen, das gebrochene Wahlversprechen zur Schuldenbremse: All das habe seinem Standing geschadet. Eines ist auf jeden Fall klar: Friedrich Merz ist kein Kanzler der Herzen. Aber einer, der nicht aufgibt. Vielleicht ist genau das seine größte politische Qualität – und seine größte Schwäche.