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Feindbild „Wokeismus“: Warum die Menschen Trump und Kickl wählen

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12 min

©Chip Somodevilla/Getty Images
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Der Psychiater Raphael Bonelli meint: Die Wähler von Trump und Kickl haben es satt, vorgeschrieben zu bekommen, was sie denken und sagen dürfen.

Sie befassen sich als Psychiater normalerweise nicht mit Politik. Warum jetzt?

Mich interessiert weniger die Politik oder die Person Donald Trump, sondern vielmehr das gesellschaftliche Umfeld. Das sind Phänomene, die auch psychiatrisch relevant sind. Ich habe zum Beispiel mittlerweile Patienten, die schwer depressiv sind, weil Trump die Wahl gewonnen hat.

Sie halten das Phänomen „Wokeismus“ für den Grund, dass Kamala Harris die Wahl so deutlich verloren hat. Warum?

Das ist ein Aspekt, aber natürlich nicht der einzige. Es hat sicher auch eine Rolle gespielt, dass Trump mehr wirtschaftliche Kompetenz ausgestrahlt hat. Aber für mich ist die große Selbstsicherheit, mit der sich Harris als „die Gute“ dargestellt hat, bemerkenswert. Und die Verteufelung des politischen Gegners, die es früher in dieser Form nicht gab. Ich glaube, diese Eskalation ist ein Zeitphänomen.

Hat diese Dämonisierung nur in Richtung Trump stattgefunden oder auch umgekehrt?

Trump hat schnell einmal einen despektierlichen Begriff für seine politischen Gegner bereit. Es war also nicht überraschend, dass er auch mit seiner neuen Gegnerin so umgeht. Aber ihm vorzuwerfen, dass er ein Faschist wäre und die Demokratie mit seiner Wahl zu Ende sei, das war schon eine starke politische Agenda von ihrer Seite. Und sie wurde natürlich in der medialen Echokammer sehr laut wiederholt. In den europäischen Medien gab es kaum einen Artikel über Trump, der nicht sehr negativ war, während Harris fast überall sehr gut wegkam.

Was meinen Sie genau mit „Wokeismus“ und warum ärgert das die Menschen so sehr?

Weil es eine Ideologie ist, die nicht bei sich bleibt, sondern die übergriffig ist und beschuldigend und aggressiv fordernd agiert. Die nicht sagt ‚Ich denke so, du denkst anders‘, sondern ‚Ich denke so und du musst dein Handeln und dein Denken ändern‘. Das heißt, der Wokeismus baut Tabus auf, und hat auch einen Mechanismus, um Verstöße gegen diese Tabus gesellschaftlich zu bestrafen. Trump setzt sich über all diese Regeln hinweg wie ein schlimmer Schüler, der gegen die Lehrer opponiert und dadurch die Sympathien seiner Mitschüler gewinnt.

Aber ihm (Donald Trump, Anm.) vorzuwerfen, dass er ein Faschist wäre und die Demokratie mit seiner Wahl zu Ende sei, das war schon eine starke politische Agenda von ihrer (Kamala Harris, Anm.) Seite.

Raphael BonelliNeurowissenschafter und Psychiater

Sodass die Menschen Trump wählen, obwohl er nicht gerade als die rationale Wahl erscheint?

Trump ist auch für die konservative Mitte der Republikaner nicht der ideale Repräsentant. Beim Thema Abtreibung zum Beispiel sind seine Positionen sehr volatil. Und viel von der Kritik an ihm, die geäußert wurde, hat ja sein sehr plausibles Fundament. Umso bemerkenswerter ist es, dass diese Kritik seine Wähler nicht mehr erreicht.

Die Wut, die Leute wie Harris bei den Leuten auslösen, ist also sehr groß?

Ja, aber die Wut kommt ja immer aus einer Ohnmacht. Und die Ohnmacht besteht eben darin, dass viele Menschen auch in Europa das Gefühl haben, dass ihnen immer mehr vorgeschrieben wird, was sie zu denken haben, was sie zu wählen haben, was moralisch richtig und was moralisch falsch ist, und dass sie immer weniger frei sind. Ich finde es schon bemerkenswert, wenn sogar Thomas Gottschalk sagt, er kann heute nicht mehr öffentlich sagen, was er zu Hause sagen würde.

Ich würde einwenden, Gottschalk kann öffentlich sehr wohl sagen, was er will, er bekommt halt nicht mehr so viel Zustimmung dafür.

Jeder kann immer alles sagen, klar, aber die Frage ist, was ist die Konsequenz? Aber er meint ja damit etwas anderes. Der Meinungskorridor wird enger. Das haben auch schon viele Soziologen beschrieben. Viele Wähler fühlen sich in einer Enge, aus der sie nicht mehr herauskommen. Und dann gibt es eben diese „Helden“ wie Trump. Da sie die schlimmen Schüler sind, dürfen sie sich viel mehr erlauben.

Wer macht den Meinungskorridor enger?

Ich glaube nicht, dass das jemand steuert, sondern es passiert uns als Gesellschaft. Aber die Liste dessen, was man nicht mehr sagen darf, wird immer länger. Und ich glaube, das ist der Grund, warum sich viele Menschen nicht mehr repräsentiert fühlen.

Die Wut kommt immer aus einer Ohnmacht. Und die Ohnmacht besteht darin, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass ihnen immer mehr vorgeschrieben wird, was sie zu denken haben, was sie zu wählen haben, was moralisch richtig und was moralisch falsch ist, und dass sie immer weniger frei sind.

Raphael BonelliNeurowissenschafter und Psychiater

Faktisch hat doch jeder die Freiheit zu sagen, was er möchte. Geht es nicht eher um das Gefühl, dass manche Meinungen erwünschter sind als andere?

Na ja, überall dort, wo die Meinungsfreiheit eingeschränkt wurde, konnte man immer sagen, was man wollte. Man hatte dann aber mit Maßnahmen zu rechnen. Wenn Sie gekündigt werden, weil Sie einen Shitstorm bekommen haben, dann ist das alles nicht mehr so harmlos. Bei Ihrem Argument fehlt es mir an Empathie für Menschen, die wirklich Angst davor haben, ihren Job zu verlieren.

Sie sind auch dafür bekannt geworden, den Corona-Impfmaßnahmen kritisch gegenüberzustehen. Spielt Corona noch eine große Rolle für FPÖ-Wähler?

Ich glaube, das Thema Corona ist weniger relevant als das ganze Drumherum. Es hat sich rund um Corona leider eine Politikverdrossenheit und eine Medienverdrossenheit entwickelt, die der FPÖ in die Karten spielt. Aber nur, weil zum Beispiel die SPÖ, die damals ebenfalls in der Opposition war, da nicht aufgesprungen ist. Es gibt Menschen, die diese Corona-Zeit sehr negativ erlebt haben. Diese Community denkt nicht den ganzen Tag über Corona nach, aber sie fühlen sich der herrschenden Politik und Medien entfremdet. Viele dieser Leute fühlen sich jetzt überraschenderweise von der FPÖ vertreten, obwohl sie dort soziologisch eigentlich überhaupt nicht hingehören. Allein die Tatsache, dass viele Politiker und Medien versucht haben, sie ins rechte Eck zu stellen, hat einen Prozess angefeuert, der für mich demokratiepolitisch sehr problematisch ist, weil es zu einer Spaltung kommt, zu einer Ablösung von Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen.

Die FPÖ ist in der Problemanalyse oft sehr gut, hat aber auch keine guten Lösungen anzubieten. Wie wäre der richtige Umgang mit dieser Partei?

Da fragen Sie den Falschen. Ich habe eine Äquidistanz zu allen politischen Parteien und ganz besonders zum rechten Spektrum, weil meine Großväter beide im Widerstand gegen Hitler waren. Ich kann nur sagen, dass die FPÖ im Moment dem Mann und der Frau auf der Straße am besten auf den Mund schaut. Aber das ist kein Verbrechen, dafür ist Demokratie ja schließlich da.

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Der steirische FPÖ Chef Mario Kunasek und FPÖ Vorsitzender Herbert Kickl jubeln über den Platz eins bei der steirischen Landtagswahl

 © ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Viele Leute fühlen sich jetzt überraschenderweise von der FPÖ vertreten, obwohl sie dort soziologisch eigentlich überhaupt nicht hingehören.

Raphael BonelliNeurowissenschafter und Psychiater

Versuche, in Österreich eine Art Feuermauer gegen die FPÖ hochzuziehen, halten Sie für die falsche Strategie?

Das halte ich für problematisch. Natürlich ist es politisch eine kluge Strategie, gerade von der linken Seite. Und ich würde das als Stratege den linken Parteien auch empfehlen, weil sie das bürgerliche Lager spaltet. Aber demokratiepolitisch ist es bedenklich. Es muss die volle Bandbreite an Koalitionsmöglichkeiten geben, sonst funktioniert ja Demokratie nicht mehr.

Sie haben offenbar ein gutes Gespür für den Vertrauensverlust, der in der österreichischen Gesellschaft passiert ist. Was könnten denn die Zuständigen in Politik und Medien tun, um dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen?

Sie müssten diese tabuisierten Dinge wieder mehr zur Sprache bringen. Corona ist jetzt gefühlt erstaunlich lang her, trotzdem wäre eine gute Aufarbeitung sinnvoll. Insbesondere sollten die vielen Diskriminierungserlebnisse eine öffentliche Anerkennung erhalten. Es wäre wichtig, dass jede Meinung gewürdigt und repräsentiert wird, auch in den Medien, sodass die Menschen nicht sagen, aha, typisch, aber meine Meinung und die vieler anderer Menschen, die lese ich da gar nicht. Ich glaube, man muss wieder zu dem Grundsatz zurückkommen: ‚Was du denkst, halte ich für falsch, aber ich werde alles tun, damit du es sagen kannst‘. Diese Haltung haben wir nicht mehr. Und ich halte den inflationären Gebrauch des Wortes Nazi für höchst problematisch, weil es die Geschichte bagatellisiert. Da mache ich gar nicht mit, auch aus persönlichen Gründen, wie gesagt. Denn diese Zeit ist mit unserer Zeit wirklich gar nicht zu vergleichen.

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 © Stefan Gergely/Steter

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