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2nd Opinion: Das Parlament der Gesetznehmer

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©GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
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Die Angelobung der Abgeordneten nach der Nationalratswahl gilt als Weihestunde der parlamentarischen Demokratie. Man sollte in der allgemeinen Hochgestimmtheit nicht übersehen, dass die österreichischen Gesetzgeber im recht eigentlichen Sinn eher Gesetznehmer sind. Eine Ruhestörung

Heute, am Erscheinungstag dieses Magazins, ist es wieder soweit: Um 12.30h beginnt eine Weihestunde der parlamentarischen Demokratie. Dem hehren Anlass angemessen läuft die Beamtenpoesie in der Parlamentskorrespondenz Nummer 993 vom 17. Oktober zu ihrer schnörkellosen Hochform auf: „Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat gemäß Artikel 27 Absatz 2 und Artikel 28 Absatz 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes mit Entschließung vom 8. Oktober 2024 den neugewählten Nationalrat für den 24. Oktober 2024 zur XXVIII. Gesetzgebungsperiode sowie zu seiner ordentlichen Tagung 2024/2025 einberufen.“

Man sagt üblicherweise, dass das Parlament das Herzstück der parlamentarischen Demokratie sei, weshalb man sie ja auch parlamentarische Demokratie nennt. Demokratien ohne Parlamente gibt es nicht mehr, denn Demokratien sind heute untrennbar mit Wahlen verbunden, und die Zeiten, in denen man die Ämter in Demokratien per Los vergeben hat, weil man das für die wahre Form der Demokratie hielt, sind lange vorbei. Wohl aber gibt es parlamentarische Monarchien, sie sind aus den konstitutionellen Monarchien des 19. Jahrhunderts hervorgegangen und sind nach heutigen Maßstäben Demokratien, die statt eines Präsidenten einen König haben, der allerdings in der Regel weniger Befugnisse hat als der Präsident in einer parlamentarischen Demokratie mit Präsidialsystem. Österreich ist ein bisschen was von allem: Monarchie, Ständestaat, Parlamentarismus, das liegt daran, dass man sich hierzulande nicht gerne von Dingen verabschiedet, weil man ja mit besonders großer Zuversicht in die Vergangenheit schaut. Aber das ist eine andere Geschichte.

Man verabschiedet sich hierzulande nicht gerne von Dingen, weil man ja mit besonders großer Zuversicht in die Vergangenheit schaut

Artenvielfalt

Man sieht jedenfalls: In der Demokratie herrscht Artenvielfalt, und wenn jemand innerhalb dieser Artenvielfalt Demokratie sagt oder so tun will, als ob der eine „demokratisch“ und der andere „undemokratisch“ agiere, tut er das in Regel in polemischer Absicht. Wir haben das in Österreich zuletzt anhand der Aufregung über die Behauptung Herbert Kickls erlebt, der sagte, dass das Recht der Politik zu folgen habe und nicht die Politik dem Recht. Diese Behauptung wird noch heute als einer der wesentlichen Gründe für eine Nicht-Zusammenarbeit mit der Kickl-FPÖ angeführt, man könne an ihr ablesen, heißt es, dass der FPÖ-Chef die Gewaltenteilung und damit den Rechtsstaat und damit die Demokratie infrage stelle. Das ist, unabhängig davon, für wie gefestigt man die demokratische Gesinnung des Herbert Kickl hält, inhaltlich falsch, denn die Behauptung, dass das Recht der Politik folgt, ist vollkommen korrekt: Die Politik macht in Gestalt der Parlamente die Verfassung und im Rahmen der Verfassung die Gesetze, also das Recht, und die Justiz entscheidet dann darüber, ob die Gesetze befolgt wurden oder nicht und verhängt im Falle der Nichtbefolgung Sanktionen, deren Art und Höhe vorher von der Politik im Gestalt des Parlaments festgelegt wurden.

Angesichts der österreichischen Wirklichkeit in der Zweiten Republik ist die Behauptung, Demokratie bedeute, dass die Politik dem Recht folge und nicht umgekehrt, besonders dann absurd, wenn sie von Vertretern der Volkspartei und der Sozialdemokratie vorgetragen wird. Die beiden ehemaligen Großparteien, die das Land über Jahrzehnte mit großkoalitionär-sozialpartnerschaftlichem Mehltau überzogen und so im demokratischen Tiefschlag hielten, haben einfach jede Maßnahme, von der sie wussten, dass sie der geltenden Verfassung nicht entspricht und also vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden müsste, per Zweidrittelmehrheit in den sogenannten Verfassungsrang erhoben und damit dem Prüfzugriff des VfGH entzogen.

Gesetznehmer

Wenn also jemand im Verdacht steht, es mit der Gewaltenteilung nicht ganz so ernst zu nehmen, sind es die langjährigen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, die mit ihrer Praxis, die Verfassung zum Spielball ihrer politischen Spontaninteressen zu machen, dem Begriff der „Tagesverfassung“ eine besondere Bedeutung verliehen haben. Dazu kam die Etablierung einer Parallelregierung in Gestalt der Sozialpartnerschaft, die nicht nur auf der exekutiven Ebene die klassische Form der Gewaltenteilung infrage stellte, sondern auch in der Legislative: Wer nach dem österreichischen Listenwahlrecht an wählbarer Stelle auf der jeweiligen Wahlliste platziert wurde, entschieden wesentlich die Sozialpartner, und es ist noch nicht lange her, dass man wenigstens mit der Unsitte aufhörte, dass die Schattenminister der sozialpartnerschaftlichen Parallelregierung, also die Kammerpräsidenten, auch in den jeweiligen Parlamentsklubs persönlich tonangebend waren.

All diese Schwundformen des österreichischen Parlamentarismus haben dazu geführt, dass der Nationalrat statt seiner eigentlichen Rolle des Gesetzgebers diejenige des Gesetznehmers einnimmt. Im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten nennt man die Abgeordneten auch „Lawmaker“, ein österreichischer Abgeordneter wäre in ihren Augen wohl ein „Lawtaker“. In Österreich werden die Gesetze nicht von Parlamentariern geschrieben, sondern von Lobbyisten und Regierungsbürokraten.

Über all das wird an einem Weihetag des österreichischen Parlamentarismus naturgemäß nicht gesprochen. Aber vielleicht möchte sich der eine oder andere Abgeordnete in dieser XXVIII. Gesetzgebungsperiode ja doch ein wenig emanzipieren.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2024 erschienen.

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