News Logo
ABO

Wiener Festwochen: Ikonen mit Braunstich

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
21 min

Milo Rau im Bühnenbild mit dem Schreibtisch des Burg-Direktors Lothar Müthel unter dem „Führer“-Porträt.

©Bild: News/Ricardo Herrgott

1986 war Österreichs jüngeres Schicksalsjahr: Kurt Waldheims SA-Mitgliedschaft wurde ruchbar, Jörg Haider trieb der FPÖ die Wählermassen zu, Claus Peymann ließ an der Burg keinen Stein auf dem anderen. Ein Jahr vor der Detonation, im September 1985, nahm die Österreicherin Elfriede Jelinek alles Folgende vorweg: Ihre Groteske „Burgtheater“ über die Nazi-Verstrickungen der Dynastie Hörbiger wühlte das Land auf und bereitete den Weg zum Nobelpreis. Nach langem Verbot bringen die Festwochen das Stück jetzt auf die Bühne.

Österreich, 1985: Unter der spinnwebendünnen Decke der Zivilisation rumorten die Toten, die nach 1945, zu hastig verscharrt, keine Ruhe gefunden hatten. Der ehemalige UNO-Generalsekretär und parteienübergreifende Nationalstolz Kurt Waldheim wurde von der ÖVP noch ohne Zwischenfälle als Bundespräsidentschaftskandidat nominiert. In Wien amtierte seit 1983 eine rot-blaue Koalition: Bruno Kreisky hatte mit 47,6 Prozent die Absolute verloren und seinen widerstrebenden Unterrichtsminister Fred Sinowatz als Nachfolger ins Kanzleramt verfügt. Der Koalitionspartner unter Norbert Steger gab mit todmatten 4,96 Prozent geduckt und dankbar den Grüßadolf. Die Regierungsvariante war auch das Resultat der persönlichen einjährigen Inhaftierungsgeschichte Kreiskys in den Dreißigerjahren: In den Gefängnissen der diktatorisch regierenden Christlichsozialen saßen, oft in derselben Zelle, die verbotenen Sozialdemokraten neben den illegalen Nazis und schworen den Austrofaschisten Vergeltung.

1985 war das letzte Jahr nervösen, gereizten Abwartens, ehe die Gewissheiten des Landes detonierten. 1986 ging die Affäre um die verschwiegene SA-Zugehörigkeit Waldheims hoch. Der schwarze Kandidat siegte überzeugend, Sinowatz wich Franz Vranitzky, die Koalition detonierte.

Am 13. September 1986 gewann Jörg Haider die Wahl zum FPÖ-Vorsitzenden. Das bis heute vorhaltende Verhängnis war mit Bier und Gloria angebahnt. Nahezu gleichzeitig trat Claus Peymann gegen den teils rasenden Widerstand des Ensembles als Burgtheaterdirektor an. Zwei Jahre später versetzte er mit der Uraufführung von Bernhards „Heldenplatz“ die Republik in Waldheim-artige Rotation.

Die übersehene Jelinek

Peymann war mit den glänzendsten Namen der österreichischen Gegenwartsliteratur angetreten: Bernhard, Turrini, Handke. Nur eine übersah er bis in die frühen Neunzigerjahre, ehe er sie umso leidenschaftlicher an sich riss. Dabei hatte die Österreicherin Elfriede Jelinek ann0 1985 den Tumult um „Heldenplatz“ schon vorweggenommen. Nur um ein Vielfaches direkter: Bernhards „sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige“ diagnostiziert bloß ein traumatisierter Sonderling.

Blurred image background

Milo Rau mit Wessely-Porträt

 © News / Ricardo Herrgott

Die Hörbiger-Dynastie

Jelineks „Burgtheater“ hingegen, eine sprachwütige, hoch virtuose „Posse mit Gesang“ nach Nestroy’schem Bauplan, nennt zwar keine Namen. Aber niemand konnte zweifeln, um wen es ging. Mitglieder der Burg-Dramaturgie hatten das Unaussprechliche zwar wie ein Pornoheft unter der Jacke ins Haus gemogelt. Aber eine Aufführung erschien in der Spätabenddämmerung der Direktion Achim Bennings unvorstellbar.

Geht es doch um die Familie Wessely-Hörbiger, eine der höchstkarätigen und einflussreichsten österreichischen Schauspielerdynastien und in vieler Hinsicht das Gegenstück der Thimigs. Die pretiosenhafte Schauspielerin Helene Thimig war mit ihrem jüdischen Ehemann Max Reinhardt trotz harter Lebenseinbußen in die USA emigriert.

Die Hörbigers hingegen schafften es auf Hitlers Gottbegnadetenliste. Paul reüssierte im kriegswichtigen Unterhaltungssegment, sein Bruder Attila und Gattin Paula Wessely bedienten das Eingemachte: Beide wirkten zentral an Gustav Ucickis Propagandafilm „Heimkehr“ aus dem Kriegsjahr 1941 mit. Die von den Polen unterdrückte und misshandelte wolhyniendeutsche Minderheit wird da von Hitlers Truppen in letzter Minute vor der Massakrierung bewahrt. Die drangsalierte Marie darf endlich heim ins Reich, nachdem sie erfolgreich glückliche Zeiten erträumt hat, in denen niemand mehr beim Juden kaufen muss. Attila Hörbiger verkörpert harmlos ihren treuen Zukünftigen. Aber der Protagonistin Wessely ist der fatale Zehnminutenmonolog bis an ihr Ende im Mai 2000 um die Ohren geflogen, ohne dass die Ikonisierung der Familie deshalb Schaden genommen hätte.

Der Tumult vor den Tumulten

Dagegen hielt die 39-jährige Feministin und Kommunistin Elfriede Jelinek mit einer Posse, die anlässlich ihrer Uraufführung – am 9. September 1985 in Bonn – im fernen Österreich den Tumult des Jahres entfesselte. Alles Folgende schien da vorweggenommen: Waldheim und Haider ebenso wie Peymann.

Der Zweiteiler „Burgtheater“ bringt die Protagonisten Käthe (Wessely) und Istvan (Attila) mit den Kindern Mitzi (später Elisabeth Orth), Mausi (Christiane) und Putzi (Maresa) sowie deren Onkel Schorsch (Paul) auf die Bühne. Im ersten Teil diniert man daheim in Dirndl- und Eichenlaub-Couture, während unter dem Tisch der „Alpenkönig“, ein den Raimund’schen Spiegel vorhaltender Widerstandskämpfer, zerstückelt wird. Im zweiten Teil stehen die Russen schon vor der Tür. Die kurzfristig in Wahnsinn fallende Käthe will die Kinder töten – der Regisseur Otto Preminger enthüllte Vergleichbares in seinen Memoiren, deren deutschsprachige Übersetzung nach Anwaltsintervention nicht in den Handel gelangte. Zum Glück kommt gerade Schorsch aus dem Gestapogefängnis, und ein im Schrank versteckter, dort glücklicherweise unentdeckter Jude wird als Zeuge familiärer Widerstandsgesinnung instrumentalisiert.

Paul Hörbiger war tatsächlich wegen finanzieller Unterstützung einer Widerstandsgruppe in den letzten Kriegstagen verhaftet und zum Tod verurteilt worden. Das Stück allerdings deutet ein gut platziertes Manöver an. Dies am Burgtheater zu Lebzeiten des ikonisierten Paars zu präsentieren, schien unvorstellbar. So fand die Uraufführung am 9. November 1985 auf der kleinen Probebühne des Schauspielhauses Bonn statt.

„Treppe zum Nobelpreis“

Zum Termin beförderte der damals junge, mittlerweile stark gereifte Verfasser des vorliegenden Berichts die Causa an die österreichische Öffentlichkeit. Elfriede Jelinek legte ihre Absichten in langen Interviewpassagen dar. Doch der Tumult begründete nach ihrer eigenen Aussage ihren Ruf als Staatsfeindin. Das Stück blieb, bis auf eine kabarettistische Lesung in Graz, für Österreich gesperrt.

„Für Elfriede hat mit dieser Skandalmaschine medial die Konstruktion der ikonischen Figur und die Treppe zum Nobelpreis begonnen“, bestätigt Wiens Festwochen-Intendant Milo Rau, 48, der die Koproduktion mit dem Burgtheater inszeniert. Er hat Jelineks Veto charmant wegverhandelt und zeigt das Stück nun zweifach am Titelort: am 8. Mai gab es eine Lesung des kompletten Urtextes mit den Protagonisten um Birgit Minichmayr (Käthe), Caroline Peters (Istvan) und Mavie Hörbiger, die ihren realen Großvater Paul verkörpert.

Die eigentliche Aufführung am 18. Mai stellt dann 50 Prozent Originaltext ebenso vielen Ergänzungen gegenüber. Assoziationen zum heutigen Faschismus runden sich mit Jelineks Leben, biografischen Erläuterungen zu den Bühnengestalten und den Befindlichkeiten der Mitwirkenden (hoffentlich) zum Ganzen. Auf der Drehbühne sind mehrere Schauplätze aufgebaut: das Esszimmer, das Büro von Direktor Lothar Müthel mit Führerbild und ein zentraler Jelinek-Raum mit dem berühmten Kugelsessel, aus dem themenverwandte Texte der Nobelpreisträgerin das Ganze inspirieren.

Er selbst werde fallweise wie ein Geist durch die Führerloge spuken, sagt der Schweizer Rau, der die Festwochen im Vorjahr aus der tödlichen Öde einer Abspielstation verjährter Postdramatik gerettet hat. Die Mittel, politische Revolutionsgerichtshöfe inbegriffen, waren arg frontal. Aber das Publikum strömte, und die 96 Prozent Auslastung sollten heuer übertroffen werden, sind doch schon zwei Drittel der Karten vergriffen.

Die Besetzung hat es auch an ihren Nebenschauplätzen in sich: So verkörpert der Israeli Itay Tiran nicht nur den im Schrank verborgenen Juden, sondern auch den Nazi-Direktor Müthel und einen Regisseur von heute, der Klassiker „verhunzt“ und an Rau Maß nimmt. Der dunkelhäutige Ensemblestar Safira Robens wiederum wird als Alpenkönig unter dem Tisch tranchiert.

Widerstand zur richtigen Zeit

Rau ist darin geübt, die Verbindlichkeit des Umgangs rhetorisch scharfzuschleifen. „Diese Dynastie ist eine Metapher für ganz Österreich, den staatlich verordneten, aber nicht moralisch verstandenen Anti-Antisemitismus, der eigentlich ja Verleugnung dessen ist, was geschehen ist: eine Unfähigkeit, die Schuld anzunehmen, versteckt hinter leeren Posen. Und das Interessante bei Elfriede ist, dass sie sogar die jüdische Rolle nicht nur positiv beschreibt“, fährt der Intendant fort. „Der will sofort seinen Profit daraus ziehen. Zuerst will er die Tochter als Frau. Das klappt aber nicht, weil Schorsch nach Hause kommt, eine Zeit im Gestapo-Gefängnis vorweisen und sich daher als Widerstandskämpfer darstellen kann.“

Speziell dieses Kapitel ist brisant. Mavie Hörbiger verkörpert den Großvater, Urteil wird keines gesprochen. „Er kommt schon als gebrochener Mann zurück“, deutet Rau an, „aber er ist sich natürlich auch total bewusst, dass ihm genau das Richtige jetzt passiert ist.“

Wer will sie verurteilen?

Kann man denn Schauspielern, die nichts als ihre Sprache hatten, mangelnde Bereitschaft zur Aufopferung vorwerfen? Möchte man für sich selbst Garantien abgeben? „Ich bin ich nicht sicher, was ich gemacht hätte. Abgesehen davon, dass ich mit meiner linken Vorgeschichte und meinen jüdischen Vorfahren ohnehin nach Mauthausen gekommen wäre. Aber ich glaube, man kann bei jedem sehen, wie er oder sie veranlagt ist. Ich habe mich bei jeder Form von Hetze immer unwohl gefühlt und mich dagegen eingesetzt. Andererseits ist es heute für einen Schauspieler viel leichter als für Frau Wessely, das Land zu wechseln. Dann spielst du halt in einer Netflix-Serie und übst deine englischen Sätze mit einem Sprachcoach. Die Globalisierung des Kunstsektors gab es auch nicht. Deshalb ist damals Mitläufertum auch etwas anderes gewesen, und man muss großzügiger sein. Und der dritte Punkt: Wir wissen genau, wohin solche Entwicklungen führen. Sie wussten es damals wirklich nicht, weil es nicht vorstellbar war.“

So ist in der Aufführung ein magischer Langzeitmoment anberaumt. „Der Wessely lassen wir Gerechtigkeit widerfahren, indem wir den Monolog aus ,Heimkehr‘ auf die Bühne bringen. Das ist inhaltlich eine schreckliche Nazi-Soße, aber so, wie die Wessely bzw. Birgit es spielt, auch zutiefst berührend. Einen Zehnminutenmonolog muss man erst einmal sprechen können, ganz modern, authentisch und in großer Einfachheit, mit der unterschwelligen Botschaft: Ich bin eine von euch, keine abgehobene Diva wie die Garbo.“ Aber andererseits: Welch indiskutable Argumentation der realen Wessely, sie habe doch bloß ihren Text gesprochen!

Lebensmittelpunkt Wien

Der Intendant ist jetzt in Wien hauptansässig, da kannte man Vorgänger, die ihre Gehälter, wenn überhaupt, fernmündlich abdienten. An die Wochenendflüge nach Köln zur Familie ist in der heißen Phase nicht zu denken. Ein Häuschen in Hütteldorf, in der Nähe des Jelinek’schen Domizils seit Jugendtagen, wäre da die zumindest temporäre Lebensoption.

Wir sollten aufhören, Antisemitismus und Rassismus als strategische Nebelbegriffe zu verwenden.

Milo Rau

„Sterben der Demokratie“

Die hiesige Innenpolitik sieht er trotz glücklicher Abwendung des Volkskanzlers bedrohlich: „Man kann sich doch nicht entspannen, weil es nicht schon 12 ist, sondern erst drei vor 12! Die FPÖ hat ihre Stimmen in Wien verdreifacht, und man kann das Glas ruhig auch einmal halbleer betrachten. Das Sterben der Demokratie geht sehr langsam, aber dann geht es sehr schnell.“

Eine finale Beschwörung noch, nachdem man ihm im Vorjahr wegen der Einladung Israel-kritischer Intellektueller Antisemitismus vorgeworfen hat: „Antisemitismus ist ein Verbrechen, wer Antisemit ist, sollte sofort seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Aber wenn eine Nachfolgepartei der NSDAP, und das ist die FPÖ personell, was auch immer man sagen will, den jüdischen Philosophen Omri Boehm einen Antisemiten nennt, ist das absurd. Wir sollten aufhören, den Begriff als strategischen Nebelbegriff zu verwenden, genauso wie den Rassismusbegriff. Weil da Rechte und Linke gelernt haben, sie kriegen einen Diskursgewinn, wenn sie einem eine Handvoll rhetorischen Sand ins Gesicht schleudern. Cool, aber dadurch wird das Problem immer größer.“

Das Festwochen-Motto lautet übrigens „Republik der Liebe“. Aber auf Harmonie sollte man sich nicht einstellen: Die öffentlichen Verhandlungen im ehemaligen Funkhaus betreffen die Fälle Mühl, Rammstein und Teichtmeister.

Blurred image background

Elfriede Jelinek

 © Claudia Müller

Elfriede Jelinek: „Die Macht der Nazis in die Herzen gelegt“

Genau das haben diese Schauspieler:innen in der Nazizeit getan: Sie haben die brutale Macht der Nazis genommen und sie in die Herzen der Menschen gelegt und dort verankert (und diese damit vergiftet). Die Theaterkunst der damaligen Zeit war entweder Propaganda, so wie eben „Heimkehr“, meiner Ansicht nach der schlimmste Propagandafilm des Dritten Reichs, und Paula Wessely war die bestbezahlte Schauspielerin, weil sie eben diese Macht in falsche Innigkeit gekleidet hat, den berühmten „Herzenston“.

Die haben schon gewußt, wen sie an ihr haben. Macht wird zu (falschen, das hat Sentimentalität so an sich) Gefühlen, Gefühle werden zu Gefühligkeiten. Die zweite Schiene, und das war die Spezialität der Wien Film, waren die heiteren Ablenkungsfilme mit Wiener Humor und schelmischen Gesangseinlagen. Es gibt genug theoretische Abhandlungen darüber, daß die Unterhaltungsindustrie dieser Zeit die Aufgabe hatte, die Menschen irrezuführen und vom Kriegsgeschehen und den Brutalitäten abzulenken. Und niemand mußte mehr „bei Juden kaufen“!

Das waren die süßen Wiener Zuckerln – eben unsere Spezialität! Und es gibt auch Studien dazu, wie der Nazi-Unterhaltungsfilm sich nahtlos in der Nachkriegszeit (es waren ja dieselben Leute, die diese Filme drehten, während die Emigranten kaum Gelegenheiten zu drehen bekommen haben) fortgesetzt hat: dieselbe Ästhetik, ein süßer Einheitsbrei, der über alles gekippt wird und es vollends ungenießbar gemacht hat. Im TV wurden noch lange an Samstagen am Nachmittag Nazifilme gezeigt, scheinbar harmlos, aber vergiftet, wenn man sie decodiert hat. Gustav Ucicky konnte schon mit „Cordula“ 1950 seine „Heimkehr“-Scharte scheinbar auswetzen und einen verlogenen Friedensfilm drehen, in derselben Besetzung! In der Vergnügungsindustrie gab’s eben keine Entnazifizierung. Das war dann halt Friedenskitsch – ganz wie gewünscht!

Warum also mein Interesse für Schauspieler:innen? Ich habe mich an „Mephisto“ von Klaus Mann orientiert, der einen Roman über den Mitläufer Gustaf Gründgens geschrieben hat. Aber unsere, die österreichischen SchauspielerInnen waren keine Mitläufer:innen, sie waren Täter:innen. Und die hat niemand je vor ein Gericht gestellt.

Aus einem Gespräch mit Milo Rau

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 19/25 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER