Als Erstes geht die Meinungsfreiheit, das fällt Liedermacher Rainhard Fendrich als Chronist seiner Zeit bereits auf. Auf seinem neuen Album „Nur ein Wimpernschlag“ und im Gespräch zeigt er sich wortgewaltig. Er kann nicht anders
Wenige Wochen vor seinem 70. Geburtstag ist Rainhard Fendrich gut gelaunt. Von der Begrüßung weg fließt er ins Gespräch, noch bevor die erste Interviewfrage gestellt ist. Die ersten Reaktionen auf sein Album „Nur ein Wimpernschlag“, zeigen, dass sich die Arbeit der letzten sechs Jahre gelohnt hat. Satirische Lieder, aus denen sein Schmäh schmunzelt, und introspektive Betrachtungen voll bewegender Kraft bestechen durch leichtfüßige Ehrlichkeit. Den meisten Nachhall finden jene Lieder, in denen der Chronist seiner Zeit vor Populisten, Desinformation und Krieg warnt – selbst, wenn manche Radiostationen ihm anvertrauen, dass sie den Satire-Hadern „Wladimir“ wegen dessen Putin-Kritik nicht spielen können. Fendrich erzählt mit Unverständnis und aufgebrachter Sorge davon: „Das ist Satire. Meine Wurzeln liegen im Kabarett der 50er-Jahre, in Liedern von Helmut Qualtinger und Georg Kreisler. Ich entzaubere satirisch einen Narzissten. Ich beschimpfe ihn nicht, ich sage, wie klug er ist. Das traut man sich im Radio nicht spielen? Wenn uns jetzt schon der Humor verloren geht, zeigt es, wie schon die Angst umgeht.
Ihr Album enthält noch mehr politikkritische Lieder. Sie haben keine Angst?
Ich kann nicht anders. Ich bin die Watschen gewöhnt. Ich singe auch darüber, dass ich nie wieder jung sein will. Das ist keine Koketterie, sondern die Feststellung, dass früher nicht alles gut war. Ich bin 1965 ins Gymnasium gekommen, in ein Internat mit Regeln, die heute absurd wären. Damals hat es das Züchtigungsrecht gegeben. Jeans waren verboten und auch lange Haare und Comichefte. Ich habe als Strafe einmal ein Wochenende lang ein Comicheft auswendig lernen müssen.


Fendrich live: Ab April startet die Tour mit fast 50 Konzerten in Österreich und Deutschland, u. a.:
25. 4. Wien,
27. 4. Salzburg,
5. 5. Linz,
16. 5. Wien,
17. 5. Salzburg,
6. 7. Klagenfurt,
28. 10. Graz,
31.10. Innsbruck
© Foto: Roman Zach-Kiesling / First Look / picturedesk.comMeine Mutter war Heimatvertriebene, eine gebrochene Frau. Alles an Remigration ist falsch, Herr Kickl
Was hat dieses Aufwachsen für Ihre politische Sozialisierung bedeutet?
Ich bin in ein humanistisches Gymnasium gegangen, und unser Geschichtsbuch in der achten Klasse hat mit der Ermordung von Dollfuß geendet. Da war kein Wort über den Zweiten Weltkrieg. Dieser Teil der Geschichte ist verdrängt worden. Verbreitet worden ist das Narrativ des Überfalls auf Österreich. Erlaubt waren die Landserhefte, kriegsverherrlichende deutsche Militärgeschichten. Das Erziehungsmittel war Angst. Politische Bildung habe ich dort nicht bekommen, dafür weiß ich alles über die Punischen Kriege.
Und Ihre politische Prägung ist dann wie passiert?
Die habe ich mir viel später angeeignet. Wir waren doch als Jugendliche in Österreich in dieser Hinsicht unfrei: Auf der ganzen Welt ist die Flower-Power-Bewegung, die Befreiung von konservativen Gesellschaftsstrukturen durchgerauscht, und bei uns hat Peter Alexander süßliches „Mariandl“-Flair verbreitet. Das meine ich nicht despektierlich, ich habe ihn kennengelernt und bin ein Riesenfan. Aber obwohl der Krieg seit 20 Jahren vorbei war, als ich ins Gymnasium gekommen bin, hat die Gesellschaft so getan, als hätte es ihn nicht gegeben.
Wie ist aus Ihnen der politische, gesellschaftskritische Liedermacher geworden?
Am Anfang war ich anders als die damaligen Künstler, Konstantin Wecker oder Hannes Wader, weil ich unbefangen und lustig war. Das ist mir in den ersten Kritiken heftig vorgeworfen worden und hat mein Leben verändert. Ich habe begonnen, mich mit kritischen Themen auseinanderzusetzen. Ich interessiere mich für das Leben, nicht für Politik an sich. Ich würde gerne meine Stimme abgeben und meinem Volksvertreter vertrauen, dass er in meinem Interesse und im Interesse unserer Bevölkerung die richtigen Entscheidungen trifft. Dem ist nur leider nicht so.
Ihr größter Hit, „I Am From Austria“, bekommt im Licht einer bevorstehenden FPÖ-Regierung eine neue Bedeutung. So wie er ursprünglich gemeint war, oder?
Volltreffer. Das Lied ist in einer ähnlichen Situation entstanden wie jetzt. Ich lebte 1988 in den USA, und auf einmal waren dort alle Österreicher Nazis. Ich will die Familie des dafür verantwortlichen Mannes nicht anpatzen, aber meine österreichischen Nachbarn in den USA haben sich als Schweizer ausgegeben, weil sie sich so geschämt haben. Wenn mich jemand gefragt hat, woher ich komme, habe ich gesagt: I am from Austria. Aus dieser Erfahrung ist das Lied entstanden. Es spricht über viel mehr als nur über bloßes Zusammengehörigkeitsgefühl, mit dem es im Fußballstadion gesungen wird.
Es räumt ein, dass man berechtigte Kritik üben, seine Heimat aber trotzdem lieben kann. Wohnen Sie deshalb wieder in Wien?
Ich bin nie wirklich weggegangen, ich bin ein Nomade. Wien ist wie ein Pullover, der manchmal kratzt. Aber ich bin hier geboren, und um die Qualität unserer Lebensmittel und unserer medizinischen Versorgung beneiden uns die Nachbarländer. Wir sollten schätzen, was wir haben. Aber daraus eine Festung Österreich machen? Wie soll das gehen? Wir können uns Isolation gar nicht leisten. Die westlichen Geheimdienste trauen uns jetzt schon nicht mehr. Das ist eine Kettenreaktion. Der gefährlichste Satz ist: Die Justiz muss der Politik folgen. Das sind wirklich gefährliche Entwicklungen.
Sie warnen seit Jahren vor Rechtspopulismus. Wie geht es Ihnen damit, wenn Herbert Kickl als Kanzler angelobt wird?
Mein Appell ist: Wir müssen aufhören einander zu verletzen. Es geht ein Riss durch Familien und Freundeskreise.


Haben Sie eine Erklärung dafür, warum so gekommen ist?
In Europa führe ich es darauf zurück, dass die regierenden Parteien sich nicht aus ihrer Komfortzone bewegt haben und wichtige Zeichen ignoriert haben. Ich erwarte von einem Politiker nicht, dass er alles weiß, sondern eine gewisse Weitsicht und dass er unpopuläre Entscheidungen trifft, wenn er der Meinung ist, dass sie für die Allgemeinheit besser sind. Europas Parteien haben sich zu lange auf ihren konservativen Hintern gesetzt und keine Gedanken gemacht, wie es weitergehen könnte. Das ist der Grund, warum Rechtspopulisten den Finger in große Wunden legen können und teilweise mit ihrer Kritik auch recht haben. Aber sie haben kein Pflaster für die Wunden. Jetzt hört man wie früher, Österreich ist wieder das Naziland. Aber ich verwehre mich dagegen, zu sagen, dass ein Drittel der Österreicher Nazis sind. Vielleicht sind sie rechtskonservativ, aber in Straßenumfragen äußern sich 80 Prozent der Österreicher ausländerfreundlich.
Mit welchem Standpunkt holen sie Menschen ab, die Ihnen zuhören und die FPÖ gewählt haben?
Ich will niemanden abholen, ich bin ja keine politische Partei. Ich appelliere nur an alle, dass man jemanden, der anderer politischer Meinung ist, nicht beschimpfen soll. Mein Vater hat immer gesagt, wenn du in einer Diskussion von deinem Gegenüber beschimpft und beleidigt wirst, kannst du davon ausgehen, dass er Unrecht hat, weil ihm die Argumente ausgehen. Wir leben alle gemeinsam in diesem Land, und wir sollten versuchen, die trennenden Gräben zu schließen. Und ich glaube nicht, dass Kickl der richtige Bundeskanzler ist, um diese Gräben zu schließen. Im Gegenteil: Seine Wortwahl ist schauerlich. Damit meine ich gar nicht das Wort Volkskanzler, das halte ich für eine blöde Kokettiere mit braunen Zeiten. Die entsprechenden Wahnvorstellungen traue ich ihm nicht zu. Aber: Er weiß nicht, was an Remigration schlecht ist? Alles, Herr Kickl, alles daran ist alles schlecht! Meine Mutter war Sudetendeutsche und nach dem Krieg Heimatvertriebene. Ich weiß, wie es ist, wenn jemand mit 14 Jahren aus dem Land vertrieben wird, in dem er geboren worden und aufgewachsen ist. Meine Großmutter war eine gebrochene Frau, und meine Mutter ist nie wieder irgendwo zu Hause gewesen. Noch am Sterbebett hat sie von Ludis, wo sie hergekommen ist, als Heimat gesprochen. Und das wollen wir Menschen antun, die hier Steuern zahlen, die integriert sind? Ohne die das Land – Spitäler, Pflegeeinrichtungen, Gastwirtschaften – nicht mehr funktioniert? Das sind verantwortungslose Worte. Etwas abzulehnen oder zu leugnen, ist immer einfacher, als sich im Detail damit auseinanderzusetzen.
Was fürchten Sie konkret, wenn Kickl Kanzler wird?
Ich habe die konkrete Befürchtung, dass die Demokratie bröckelt. Sie tut es schon. Als Erstes geht die Meinungsfreiheit. Leute haben schon jetzt Angst, etwas zu sagen, weil sie einen Shitstorm bekommen und bedroht werden. Ein Schauspieler hat Angst, dass er an einem staatlichen Theater nicht mehr engagiert wird, wenn er sich öffentlich politisch äußert. Dass die Kultur und die Freiheit der Kunst leiden, dass Medien beschnitten werden und eine rechtspopulistische Regierung auf diesem Weg die Freiheit der Bevölkerung mehr und mehr einschränkt, davor habe ich Angst.
Haben Sie solche konkreten Einschnitte beobachtet?
Ich erlebe, dass Menschen nicht mehr öffentlich ihre Meinung sagen. Ich habe selbst Drohungen bekommen: Wir wissen, wo du wohnst. Wir wollen dich hier nicht. So weit sind wir als Gesellschaft. Seit dem Stammtisch-Video frage ich mich, wie diese Koalition zustandekommen soll, wenn man über den Partner redet wie über den letzten Dreck. Mich würden Neuwahlen nicht überraschen.


Rainhard Fendrich, 69
kam am 27. 2. 1955 in Wien zur Welt. Er zählt zu den wichtigsten Vertretern des Austropop. Dem Karrierestart 1980 am Schauspielhaus folgte der Durchbruch als Sänger 1981 mit „Strada del Sole“. Fendrich war auch als Moderator, Musicalkomponist („Wake up“) und mit Georg Danzer und Wolfgang Ambros in der Band „Austria 3“ erfolgreich. Seine Alben „Starkregen“ (2019) und „Symphonisch in Schönbrunn“ (2024) erreichten Platz eins der Ö-Charts. Er ist dreifacher Vater und wohnt in Wien.
Wie beurteilen Sie den Weg, den Bundespräsident Van der Bellen gewählt hat?
Ich schätze unseren Bundespräsidenten sehr, seine Vorgangsweise habe ich für einen Fehler gehalten. Der Regierungsauftrag an die FPÖ wäre gescheitert, und wir hätten uns drei Monate erspart. Was mich noch mehr ärgert, ist, dass die drei Parteien, die in den Koalitionsverhandlungen gescheitert sind, nicht klar sagen, woran sie gescheitert sind. Was waren die Hindernisse? Das möchte ich als Bürger wissen.
Für wie bedrohlich halten Sie die US-Präsidentschaft von Donald Trump in Bezug auf Europa?
Was er will, ist durchschaubar. Ich halte ihn nicht unbedingt für eine Bedrohung für Europa, vielleicht rückt Europa gerade jetzt mehr zusammen. Angst vor einem Dritten Weltkrieg habe ich erst, seit er Ansprüche auf Grönland erhebt. Es geht um Handelswege und Rohstoffe, und das lassen sich China und Russland nicht gefallen. Das ist ein gefährlicher Zündpunkt.
Sie thematisieren in zwei Liedern („Kinder des Krieges“, „Nie mehr Krieg“) den Schrecken des Kriegs. Wie groß ist Ihre Angst als Vater von drei Söhnen?
Ich habe akut eher große Angst, dass wir in einen totalitären Staat hineinschlittern, wie wir ihn in Ungarn sehen, und dass uns die Bequemlichkeit wichtiger ist als Freiheit. Eine rechtspopulistische Regierung wählt man nur einmal. Das Lied „Nie mehr Krieg“ ist eine Illusion. Basierend auf „Imagine“ von John Lennon stelle ich die Frage, wie das gelingen könnte. Ich habe keine Lösung, dann wäre ich in einem anderen Beruf.
Sie wohnen wieder in Wien in Favoriten. Wie lebt es sich dort?
Ich wurde noch nicht mit dem Messer überfallen! Die Ausländer sind viel freundlicher als die Wiener. Gut, ich gehe nicht in der Nacht über den Reumannplatz, aber ich gehe zum Tichy ein Eis essen. Ich bin gerne auf den orientalischen Märkten. Die Geschäfte, wo ich hingehe, kennen mich. Ich habe meinen Stammfriseur und ein Geschäft, wo ich manchmal zum Tee eingeladen werde. Ich lerne viel über andere Kulturen. Ich will nicht alles schönreden, aber es ist nicht so schlimm, wie oft behauptet wird. Ich bin in der Gegend um den Böhmischen Prater daheim, das ist wie der Prater in den 50er-Jahren, durch den ich als Bub mit der Zuckerwatte gegangen bin. Ich fühl mich sauwohl dort.
Besser als in Purkersdorf, wohin Sie eine Zeitlang ziehen wollten?
Das war mir als Nomade zu weit vom Flughafen entfernt, und ich war dort ein bisschen zu prominent. Wenn man sich aus dem Fenster lehnt, muss man damit rechnen, dass man gesehen wird. Ich lebe gern zurückgezogen. In Favoriten genieße ich die Anonymität.
Stimmt es, dass Sie neuerdings mit einem Campingbus unterwegs sind?
Den habe ich mir für die Tour gekauft, weil wir viel Open Air spielen, und das erspart viele Transfers zu Hotels. Im Winter waren wir damit in Italien, es war fantastisch. Es gibt eine App, über die du herrliche Stellplätze in Weinbergen und auf Bauernhöfen findest – eine der wenigen positiven Folgen von Social Media.


DIE CD
Auf „Wimpernschlag“ changiert Rainhard Fendrich zwischen satirischem Liedermacher („Wladimir“) und mahnendem Optimist („Wir sind am Leben“). Er beweist Stärke für emotionale Balladen („Hoit mi“), Empathie („Die Kinder des Krieges“) und Gesellschaftskritik („Nebenan“).
© beigestelltDieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.04/2025 erschienen.