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"Mord auf Ex": Was den True-Crime Podcast so erfolgreich macht

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13 min

©Christoph Köstlin
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Linn Schütze und Leonie Bartsch haben Erzählungen über Verbrechen zu ihrem Geschäftsmodell gemacht. Seit 2019 betreiben sie den True-Crime-Podcast „Mord auf Ex“. Er ist einer der reichweitenstärksten Podcasts Deutschlands und auch in Österreich in den Top Ten. Auf den Spuren eines Erfolgsgeheimnis, mit dem das Duo 2025 live in die Wiener Stadthalle kommt

Hinter den Mikrofonen: Linn Schütze & Leonie Bartsch

An einem kalten Jännerabend im Peking des Jahres 1937 steigt die 19-jährige Pamela Werner auf ihr Fahrrad. „Endlich raus hier“, denkt sie sich und tritt in die Pedale. Pamela verlässt ihre ruhige Straße und bahnt sich ihren Weg durch das Getümmel der Stadt. – So oder ähnlich beginnen die Erzählungen über wahre Verbrechen, mit denen Linn Schütze und Leonie Bartsch jeweils montags ihr Podcast-Publikum unterhalten. Atmosphärisch aufgeladen, mit großer Liebe zu Details betreffend die handelnden Personen, das jeweilige Land und dessen historisches Umfeld schildert das Duo seit 2019 in lockerer Atmosphäre wahre Kriminalfälle aus aller Welt. Kaum bekannte Verbrechen werden geschildert, aber auch gut dokumentierte Fälle, wie kürzlich der von US-Rap-Mogul P. Diddy, der sich wegen Gewalt- und Missbrauchsvorwürfen in Untersuchungshaft befindet. Auch über Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, die zweifache Mörderin „Eislady“ Estibaliz C., den Mord an John Lennon oder den Amoklauf an der Columbine High School in Colorado produzierte das Duo Podcastfolgen.

"Mord auf Ex" berichtet über den Fall P. Diddy.

Am liebsten hört man Verbrechen

Im erfolgreichsten aller Podcast-Genres, True Crime, zählen Linn Schütze und Leonie Bartsch mit ihrer Reihe „Mord auf Ex“ zu den Spitzenreitern im deutschsprachigen Raum. Formate über wahre Verbrechen wurden laut MA-Podcast im September in Deutschland 27,16 Millionen Mal heruntergeladen. Das Genre Nachrichten und Politik lag mit 25,97 Millionen Downloads dahinter.

Die Faszination, die von Erzählungen realer Mordfälle ausgeht, ist nicht neu. Truman Capote gilt mit seinem Roman „Kaltblütig“ (1965) als Begründer des Genres. Das Buch „Helter Skelter“ (1974) von Vincent Bugliosi über die Manson-Morde liegt in der Liste der meistverkauften True-Crime-Literatur noch vor Capotes Werk. Auch im Fernsehen fährt die dienstälteste Sendung des Genres, „Aktenzeichen XY... ungelöst“, die seit 1967 ausgestrahlt wird, bis heute Top-Quoten ein und half von über 5.071 behandelten Fällen 1.969 aufzuklären, was einer Erfolgsquote von fast 40 % entspricht.

Nach nur fünf Jahren in der Branche verzeichnete das „Mord auf Ex“-Duo jüngst Reichweitenzuwächse von 30 Prozent auf fast 5 Millionen Downloads monatlich. In den deutschen Podcast-Top 3 überholten sie zuletzt sogar den Podcast „Verbrechen“ vom Wochenmagazin „Die Zeit“, der das Genre in Deutschland begründet hatte. Auch Österreich hat ein Faible für das Duo und hört es stetig in den Top Ten des Spotifycharts, wo zum Thema Verbrechen sonst noch „Plot House“ von der deutschen Podcastproduzentin Lottie und „Klenk & Reiter“ von Journalist Florian Klenk und Rechtsmediziner Christian Reiter vertreten sind.

Linn Schütze über "Mord auf Ex":

Gute Recherche und spannende Fälle sind wichtig, aber wir erzählen auch anders, nämlich auf einer sehr persönlichen Ebene.

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 © Christoph Köstlin

Mut zur Kündigung

Nur wenige freie Wochenenden hatten sie in den letzten fünf Jahren, erzählen die 28-jährige Linn Schütze und die 30-jährige Leonie Bartsch. Schnell ist ihr Hobby zum Unternehmen mit sieben Angestellten gewachsen. Seit ihrem ersten Podcast, den sie 2019 als Volontärinnen bei ProSiebenSat.1 noch nach der Arbeit, Rotwein trinkend, auf der Couch aufgenommen haben, trafen die Neueinsteigerinnen im heiß umkämpften Markt die richtigen Entscheidungen.

„Wir sind uns treu geblieben“, antwortet Linn Schütze auf die Frage nach dem Erfolgskern. „Leo und ich sind beste Freundinnen und so erzählen wir unsere Geschichten. Gute Recherche und spannende Fälle sind wichtig, aber wir erzählen auch anders, nämlich auf einer sehr persönlichen Ebene. Auch wenn wir es in fünf Jahren aus kleinen WG-Zimmern zu großen Arena-Shows geschafft haben, sind wir noch immer dieselben.“ Demnächst gehen sie mit einem Fall live auf Tour in neun Städte, füllen in München die Olympiahalle, in Wien die Stadthalle D.

Mord auf Ex – Die True Crime Tour

Schütze studierte Kommunikationswissenschaft und Geschichte in Erfurt. Sie war für eine Berliner TV-Produktionsfirma (MAZ & MORE) tätig und traf als Volontärin bei ProSiebenSat.1 auf Leonie Bartsch. Ihre nunmehrige Geschäftspartnerin Bartsch studierte Wirtschaftspolitik und BWL in Münster und Madrid sowie Literaturwissenschaften und Philosophie in Berlin und schrieb als freie Journalistin u. a. für „Die Zeit“ und „Die Welt“, bevor sie für ein Redaktions-Volontariat beim Privatsender anheuerte.

In ihrer Freizeit versuchten sie sich als Podcasterinnen und nach nur vier Folgen zeigten die Zahlen, dass ihre erzählerische Dramaturgie einen Nerv getroffen hatte. Ihr damaliger Arbeitgeber machte sie begeistert darauf aufmerksam. Rückblickend trafen sie daraufhin ihre erste wichtige Entscheidung, wie sie sagen. Sie kündigten.

Linn Schütze (li.) & Leonie Bartsch (re.) auf Insta

Die Schlagkraft flexibler Strukturen

Das Motto sei von Beginn an gewesen, 150 Prozent zu geben, erklärt Schütze. „Wir haben nicht nur unsere ganze Energie reingesteckt, sondern auch alle Einnahmen“, sagt sie. 2021 schaffte es „Mord auf Ex“ nach der Veröffentlichung der Investigativ-Reihe „Die Nachbarn“ erstmals in die Top Ten der deutschen Podcast-Charts. Darin erzählten Schütze und Bartsch in mehreren Teilen den Fall von Andreas Darsow, der wegen des Mordes an einem Nachbarspaar zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Sie befragten Zeugen, lasen Polizeiakten und nahmen die Hörerschaft – anders als bei nacherzählten Folgen – hautnah mit. Mehrere Wochen auf Platz 1 der Charts, eine Nominierung für den Deutschen Podcastpreis und die Verfilmung von „Die Nachbarn“ als Prime-Time-Dokumentation waren der Lohn.

Gleichzeitig dokumentiert der Meilenstein Flexibilität als Erfolgsgeheimnis von „Mord auf Ex“. „Unsere Erzählstruktur ist nicht festgelegt, ebenso wenig die Länge der Geschichten. Wir sind offen für neue Erzählweisen und halten uns nicht ein starres Skript“, beschreibt Leonie Bartsch ihren Zugang. Auch in der Themenwahl setzt sich das Duo keine Grenzen: „Demnächst widmen wir uns der Ermordung Julius Cäsars.“

Die mit rund eineinhalb Stunden Laufzeit satte Länge ihrer Podcasts erachtet Bartsch auch als Plus: „Die Folge über P. Diddy dauerte sogar zwei Stunden und war eine der meistgehörten. Wir versuchen ausführlich einzuordnen, Fakten von Gerüchten zu trennen. Diese neue, autarke Art der Medienerzählung reizt viele.“

Das Unternehmen "Auf Ex Productions"

Lust dazuzulernen

Auch das handverlesene Team schätzt die Flexibilität und Experimentierfreudigkeit des Duos. Die Gründerinnen der Produktionsfirma Auf Ex Productions beschäftigen mittlerweile sieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Bereichen Journalismus, Produktion, Creative Direction und Social Media, dazu zehn freie Redakteure und Redakteurinnen, die für sie schreiben.

Auch eine Kriminologin, die früher bei der Polizei tätig war, zählt zum Team. „Leo und ich haben Bock, uns weiterzuentwickeln. Wir haben Lust dazuzulernen“, sagt Linn Schütze. Im Team, das beide als „Family and friends“ umschreiben, finden sich Redakteure, die für „Die Zeit“ tätig waren oder „Stern Crime“ mit aufgebaut haben.

Die Unabhängigkeit, die sich Schütze und Bartsch bewahrt haben, gibt Raum für Kreativität und rasche Umsetzung von Ideen. Ein weiterer Pluspunkt. „Gerade haben wir eine Folge über einen Ex-Nazi produziert, der die Szene verlassen hat und über seine Sorgen betreffend den aktuellen Rechtsruck berichtet“, erzählt Linn Schütze. „Ich habe genug Erfahrung in Medienhäusern gesammelt, um zu wissen, dass so eine Geschichte dort durch viele Gremien müsste. Wir entscheiden schnell. Das schätzen auch die Mitarbeiter. Bei uns wird die Energie in die Arbeit gesteckt.“

Nein sagen können

Um sich diese Unabhängigkeit zu bewahren, schlugen die beiden vor eineinhalb Jahren hochdotierte Angebote für Exklusivverträge mit großen Produktionsfirmen und Managements aus. „Wir haben entschieden, unsere eigene Produktionsfirma aufzubauen, damit wir unabhängig und unter uns bleiben können. Das hat den Podcast und unser Wachstum fundamental verändert.“ Die beiden wissen, wann sie besser Nein sagen. Auch das Angebot für ein regelmäßiges Fernsehformat schlug das Duo aus, weil die Priorität zu diesem Zeitpunkt auf anderen Dingen lag. „Natürlich denkst du gleichzeitig, es ist verrückt so ein Angebot auszuschlagen. Aber so gut Wachstum sein mag, du darfst den Kern der Arbeit darüber nicht vergessen.“

Die Frage der Verantwortung

Über Kritik am True Crime Genre – weil es Verbrechen als Mainstreamunterhaltung breittritt – haben Bartsch und Schütze in den letzten fünf Jahren oft diskutiert. „Ich finde diesen Diskurs extrem wichtig. Wir haben durch die Arbeit mit Betroffenen viele Blickwinkel kennengelernt und oft bleibt es ein Spagat, was du erzählst und ob du es erzählst“, sagt Linn Schütze. „Die Leute, die es betrifft, müssen sich wohlfühlen damit.“

Natürlich sei ihnen die Verantwortung, die ihre Reichweite mit sich bringt, bewusst, so Bartsch. Gleichzeitig könne man damit auch viel bewegen. Nach einer Folge über sexuellen Missbrauch haben sich Betroffene gemeldet, erzählt Bartsch, denen der Podcast geholfen habe, ihr Schamgefühl zu überwinden und aus der Opferrolle zu finden. Für eine geplante Folge über die zigfach vergewaltigte Französin Gisèle Pelicot arbeitet das Duo mit Frauenhäusern zusammen. „Da nutzen wir unsere Power, um etwas zu bewirken.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 48/2024 erschienen.

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