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In Bachmanns Namen

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12 min
Verena Stauffer

©Dirk Skiba

Die Tage der deutschsprachigen Literatur, vulgo Bachmann-Preis, begehen ihr 49. Jahr in Vorfreude auf das 50., in dem auch der 100. Geburtstag der Namensgeberin gefeiert wird. Auffallend: Sprache wird vielfach als Spiel und Experimentierfeld verstanden. Und sechs der 14 Teilnehmer kommen aus Österreich oder wurden hier ansässig. Gerüchte, ein absehbares Ende des Bewerbs betreffend, werden glaubhaft zurückgewiesen

Als hätte uns der Sängerknabe „JJ“ noch nicht ausreichend in die internationale Bredouille gezwitschert, haben es auch die Begleitkalamitäten in sich: Wegen der kostenintensiven Ausrichtung des Wettdudelns stehe, wie schon einmal unter Einsparungsdruck, der Bachmann-Preis auf der Kippe. So wurde zuletzt bis tief in die deutsche Verlagslandschaft orakelt.

Nichts da, Gott sei Dank: Wenn sich zwischen 25. und 29. Juni das Schicksal der 14 wettlesenden Autoren erfüllt, steht der nächstjährige Termin schon fest, lässt der ORF auf Anfrage wissen. 2026 werden zudem der 50. Geburtstag des Bewerbs und der 100. der olympischen Namensgeberin begangen. Gleichlautendes kommt vom Klagenfurter Bürgermeister Scheider, der zudem die unbegrenzte Fortführung des Formats verspricht. Und auch ORF-Stiftungsratsvorsitzender Heinz Lederer sieht keinerlei Anzeichen für ein irgendwie drohendes Hinsterben: „Das würde den öffentlich-rechtlichen Auftrag aushöhlen und ihn sehr stark strapazieren.“

Der aktuelle Bewerb erfreut zudem mit dem ungewöhnlich hohen Anteil von sechs in Österreich geborenen bzw. ansässigen Teilnehmern. Eine Insel, ob von Seligen bevölkert, wäre zu überprüfen.

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Tara Meister
 © ORF Kärnten/Katharina Wenty
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„Proben“, Residenz, € 24

Tara Meister

28, geboren in Kärnten

Literarisch-medizinische Doppelexistenzen, vom Militärchirurgen Schiller bis zum Internisten Schnitzler, haben erstaunlich oft ordiniert. Der Debütroman „Proben“ der 28-jährigen Tara Meister setzt der Tradition ein schönes Licht auf: Eine erfolgreiche Biochemikerin und eine auf Erlösung hoffende Theaterregisseurin gehen in dem intensiv erzählten Werk eine labile Synthese ein.

Zweierlei Leben

Selbstverständlich seien da ihre beiden Existenzen eingeflossen, sagt die in Wien zur Ärztin promovierte Kärntnerin, die sich gerade am Leipziger Literaturinstitut im Schreiben vervollkommnet. Ganz aus dem Häuschen sei die sächsische Belegschaft gewesen, als die Einladung der Jurorin Mara Delius zum Bachmann-Preis eintraf. Und die Lehrerin aus dem kunstaffinen Kärntner Gymnasium wird jetzt wieder im Publikum sitzen. So wie damals, als noch die ganze Schulklasse zusah, wenn die Jury die Daumen cäsarisch nach oben oder nach unten reckte.

Hier hat sich im Umgang fraglos etwas geändert. Aber hat der Bachmann-Preis mit dem Schrecken nicht auch etwas von seinem Glanz eingebüßt? „Ich trauere dem Schrecken nicht nach und freue mich auf den Bewerb.“

Und dann? Die beabsichtigte Ausbildung zur Gynäkologin hätte jene konsolidierten Verhältnisse zur Folge, von denen Autoren meist nur träumen können. „Ich wünsche mir, dass sich beides verbinden lässt. Der klinische Alltag ist ein unerschöpflicher Quell an Geschichten, Szenen, Emotionen. Aber auch umgekehrt ist es ganz gut, in diesen klinischen Alltag mit einem Bewusstsein für Sprache, für Erzählungen, für das Schaffen von Wirklichkeit zu kommen. Sich Gedanken zu machen über die einschneidenden Erlebnisse durch Krankheit und Tod. Daraus eine Erzählung zu machen oder es in die Lebenserzählung zu integrieren.“

So definiert sich die Fachdisziplin Medical Humanities, die in den USA schon etabliert ist und sich in Europa zögernd durchzusetzen beginnt. „Sie steht konträr einer Vorstellung gegenüber, dass das medizinische Personal in einer sterilen Welt operiert. Wir begegnen mit unseren Erzählungen Menschen mit ihren Erzählungen.“

In der Gegenwelt

Der sanfte, nachdenkliche, auch die Geisteswissenschaften einschließende Zugang wurde ihr schon in der Kindheit eröffnet. Als Älteste von fünf Kindern in einem Dorf bei St. Veit an der Glan aufgewachsen, kannte sie während ihrer gesamten Jugend weder Fernsehen noch Internet. Die Eltern, beide Psychotherapeuten, betreiben heute eine Akademie für Lebensberatung und Meditation. „Es gab vor allem Natur und Bücher und damit auch viel Vorlesen.“ Paradiesische Umstände, wie der ergriffene Zuhörer vorauseilend diagnostizieren will? „Jetzt im Nachhinein bin ich sehr dankbar dafür“, sagt sie, um nach einer Pause anzufügen: „Natürlich so als Kind habe ich mich manchmal gefragt, warum wir nicht normal sein können.“

Anno Biden konnte sie sich in Philadelphia und New York fortbilden. Schon damals hätte sie wegen des für sie unvertretbaren privaten Gesundheitssystems eine Karriere in den USA ausgeschlossen. Und jetzt? „Ist das ein Ort geworden, mit dem ich nichts zu tun haben will, schon gar nicht als Gynäkologin und Geburtshelferin.“

Da ist man als Schriftstellerin noch im vergleichsweise sicheren Bereich, woraus man ersieht, dass die Kunst jedes Paradoxon ermöglicht.

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Natascha Gangl
 © ORF Kärnten/Daniel Sostaric
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„Frische Appelle“, Sprechtexte. Ab Herbst bei Ritter, € 19

Natascha Gangl

39, geboren in Bad Radkersburg, Stmk.

Gäbe es eine inbegrifflich konträre Schriftstellerherkunft zu Tara Meister, sie wäre in der Gestalt der Südoststeirerin Natascha Gangl gefunden: „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und bin auf dem Bauernhof der Großeltern an der slowenischen Grenze aufgewachsen. Gerade was die aktuelle Debatte von Literatur und Klasse betrifft, ist es wesent­lich, dass ich aus keinem bildungsbürgerlichen Umfeld komme und als Erste in meiner Familie studiert habe.“

Quasi im Gegenzug arbeitet sie an der unablässigen Erweiterung ihres Literaturbegriffs. „Sie lebte in Mexiko und Spanien, lebt in Wien, schreibt Prosa, Essays und Sprechtexte, entwickelt Musik-, Objekt- und Sprechtheater sowie Hörstücke, die auch zu Ereignissen und Ausstellungen werden“, fasst man Bachmann-seitig zusammen.

Sprache als Spiel

Ein lineares Erzählstück wird man von ihr dort nicht erwarten dürfen. So wenig wie von den Kollegen Verena Stauffer und Max Höfler. In Jubel sei sie ausgebrochen, als sie von der Teilnahme der beiden gehört habe. Nach langer Dominanz der klassischen Prosa sei wohl wieder die Lust auf Sprache als Spielmate­rial erwacht und ermögliche ungeahnte Freiräume.

Was kommt zuerst bei ihren performativen Texten, die sie mit einem Elektroakustik-Duo entwirft? Ein Klang, ein Rhythmus, ein Satz? „Das ist sehr unterschiedlich, aber eines ist immer gleich, dass ich die Texte höre, bevor ich sie schreibe. Ich schreibe nach Gehör und auch immer stärker mit dokumentarischem Material. Interviews, derzeit aus der Geschichte meiner Region, werden Hörstücke.“ Im Herbst erscheint bei Ritter eine Sammlung von Sprechtexten, die der Bachmann-Jurorin Brigitte Schwens-Harrant aufgefallen sind.

Die Kürzestform, die sich mittelbar auch in immer dünneren Romanen äußert? „Hat damit zu tun, dass die Aufmerksamkeitsökonomien überbeansprucht sind. Die Menschen leben in einer Beschleunigung, arbeiten ungeheuer viel und haben wenig Zeit, sich in ihrer Freizeit lang und intensiv mit Texten auseinanderzusetzen.“

Taumelt nun eine ganze Generation in die Sprachlosigkeit? „Sprache ist nur lebendig, wenn wir sie beackern. Wer traut sich, auf sie zuzugreifen, ohne gleich alles auszuerzählen? In Räumen, wo man etwas ausprobieren kann ohne Scheu, etwas falsch zu machen? Ohne den großen Stich für jede kleine Bemerkung?“

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Verena Stauffer
 © Sasa Felsbach
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„Kiki Beach“, Gedichte, kookbooks, € 25,90

Verena Stauffer

47, geboren in Kirchberg/ Krems, OÖ.

Klaus Kastberger, multipler Meistermacher unter den Bachmann-Juroren, war ihr schon länger auf der Spur. Vor Jahren, erzählt Vere­na Stauffer, habe er von ihr schon einen Text zum Bewerb eingefordert. Sie hatte keinen zur Hand und brachte kein Blitzprodukt zusammen. Dann wollte sie wieder und wieder etwas einreichen und scheiterte an einer rätselhaften Schreibblockade. Das Roman­kapitel, das sie 2019 einschickte, wollte die Jury nicht. Und jetzt, in der Euphorie eines im Frühjahr 2026 erscheinenden Romans, setzte sie sich hin und schrieb einen Bachmann-Text, der den Feinspitz Kastberger überzeugte.

Um Demokratie und Autokratie werde es gehen, sagt sie, ohne Näheres bekanntgeben zu dürfen. Der positive Schwung sollte auch anderweitig gewährleistet sein: Ihr Gedichtband „Kiki Beach“, erschienen bei kookbooks, wurde gerade Buch des Monats der ORF-Bestenliste! Liebeslyrik aus Kleinstverlagen findet in solche Listen nur selten Eingang. Und tatsächlich waren es, vom auch hier zum Juror berufenen Kastberger abgesehen, Buchblogger, Buchhändler und Freie, die das von den Platzhirschen kaum beachtete Werk an die Spitze wählten. Um weibliches Begehren sei es ihr gegangen, sagt sie, um Geben und Nehmen, um Dominanz und radikale Intimität, verspielt, lustvoll und komisch.

Der erste Platz erhöhe den eigenen inneren Druck, auch in Klagenfurt einen guten Auftritt zu schaffen, offenbart Verena Stauffer ein bemerkenswert sportives Berufsbild: „Ich war noch nie zuvor auf Platz eins! Mit fünf Jahren hatte ich einmal fast ein Schirennen gewonnen, aber kurz darauf kam die Meldung, dass ich ein Tor ausgelassen hatte.“

Im Rausch des Schreibens

Das oberösterreichische Elternhaus voller Bücher, die nicht nur große Literatur enthielten, hat ihr den Leitstern Adalbert Stifter geschenkt. Ein Tröster sei er, einer, an dessen Erzählen man sich anlehnen könne, sagt sie. Der Deutschprofessor im Gymnasium Kirchberg, dann der Schulversuch „Kultur- und Kongress­management“ in Steyr, der sie als Schülerin zu Robert Schneider, Josef Haslinger, Wolfi Bauer und Raoul Schrott auf die Frankfurter Buchmesse führte: Alles wies den Weg, und mit Ende 20 geriet sie in einen Rausch des Gedichteschreibens. „Ich konnte den Schreibtisch nicht mehr verlassen.“

Der Beruf führte sie seither als Dozentin nach Pennsylvania und Tomsk in Sibirien, bevor die Pandemie alles Leben lähmte und Russland unbereisbar wurde. Politische Stellungnahmen würde sie Kollegen nie abverlangen, ohne sie selbst zu scheuen, wenn Minderheiten, die Demokratie oder die Menschenrechte bedrängt werden. Ohnehin schwinge das Politische als Untergrund in jeder künstlerisch tätigen Person mit.

Der 2026 erscheinende Roman ist ein starkes Beispiel: Er beschreibt das Beziehungsdreieck einer Malerin, aber ebenso den Status quo der USA und das Verhängnis zwischen Israel und dem Iran. Eben alles, so wie Literatur es an sich hat.

 

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 26/25 erschienen.

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