„woom ist das neue Bitcoin“

Hat woom das Rad neu erfunden? Geschäftsführer Guido Dohm erklärt den großen Erfolg es heimischen Kinderfahrrad-Herstellers

Der heimische Kinderfahrrad-Hersteller woom ist weniger als zehn Jahre nach seiner Gründung Marktführer in Österreich. Die Räder sind gefragt wie nie, die Nachfrage übersteigt deutlich das Angebot. Was macht woom richtig, dass es so boomt? Auf wie viel Neid stößt man dabei und an wem orientiert man sich, wenn man Erster ist? Ein Gespräch mit woom-CEO Guido Dohm.

von woom © Bild: woom/Andreas Rhomberg

woom wurde 2013 von zwei radbegeisterten Vätern in einer Garage gegründet. Keine zehn Jahre später ist es ein international erfolgreiches Unternehmen und Marktführer in Österreich. Was macht den Erfolg von woom aus? Was macht woom anders?
Guido Dohm: Eigentlich alles! Als die beiden Gründer Marcus Ihlenfeld und Christian Bezdeka von ihrer Idee erzählten, haben alle Fachleute gesagt: „Ihr seid verrückt, ihr werdet euer gesamtes Geld verbrennen. Man kann keine Kinderfahrräder in dieser Preisklasse verkaufen.“ Aber oft muss ein Markt eben erst geweckt oder geschaffen werden und die beiden haben sich nicht davon abbringen lassen.

woom
© woom/Andreas Rhomberg Die Woom-Gründer Christian Bezdeka (links), Marcus Ihlenfeld (rechts) und CEO Gudio Dohm (mitte)

Die Idee war also, viel leichtere sowie äußerst ergonomische Räder für Kinder zu schaffen. Denn wenn ich als Erwachsener mit 75 Kilo Körpergewicht ein Fahrrad fahren müsste, das 50 Kilo wiegt, hätte ich wenig Freude am Fahrrad fahren. So geht es auch kleinen Kindern mit 10-Kilo-Rädern. Deshalb wurde und wird bei woom um jedes Gramm gekämpft.

Zusätzlich werden inzwischen 97 Prozent aller Komponenten aus Eigenentwicklungen verbaut. Und das macht es wiederum schwer, ein woom-Bike nachzuahmen, was durchaus versucht wird. Aber so einfach sind wir nicht zu kopieren.

Und weil wir eben so viel Zeit und Geld in Entwicklung investieren, hoffen und glauben wir, die Konkurrenz ein Stück weit auf Distanz halten zu können. woom hat also von Anfang an vieles anders gemacht als alle anderen und das ist immer noch so.

Würden Sie aus dieser Geschichte künftigen UnternehmensgründerInnen drei Tipps mitgeben, welche wären das?
Denen würde ich zwei Dinge mitgeben, die immer für Unternehmertum maßgeblich sind: Entschlossenheit in der Umsetzung und Beharrlichkeit, um sich nicht bei den ersten Widerständen entmutigen zu lassen.

Hat woom selbst unternehmerische Vorbilder? Betriebe, an denen man sich in gewissen Dingen orientiert?
Wir vergleichen uns weniger mit Mitbewerbern, die wir zwar alle sehr ernst nehmen, die aber international betrachtet ihr Business - aus welchen Gründen auch immer - oft nicht groß machen, während unser Ziel schon Internationalisierung und Wachstum ist. Wir schauen uns mitunter in anderen Industrien Dinge ab und adaptieren sie an unsere Anforderungen.

Zum Beispiel haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir es ernst meinen mit unserem CO2-Fußabdruck und Teile der Produktion von Asien nach Europa (Polen) holen werden, wozu wiederum alle sagten: „Verrückt, so lässt sich kein Geld verdienen.“ Aber wir verdienen Geld damit. Und zwar, weil wir alles, was sich automatisieren lässt, Schritt für Schritt automatisieren. Hier haben wir unter anderem in die Autoindustrie geblickt. Wir dachten, wenn Audi oder BMW ihre Karossen komplett autonom von Robotern zusammenschweißen lassen, warum sollte das nicht auch für Fahrradrahmen möglich sein? Also haben wir ein Konzept entwickelt, getestet und festgestellt, dass eine kosteneffiziente Produktion in Europa realisierbar ist.

Bekommt man als erfolgreiches Unternehmen in Österreich viel vom Neid anderer zu spüren?
Ganz im Gegenteil! Wir bekommen sehr viel Anerkennung.

»Früher hat man so lange auf einen Mercedes gewartet. «

Die Nachfrage ist größer als Ihre Kapazität. Wie lange muss man derzeit auf ein neues Woom-Rad warten?
Wir haben den Mega-Stau vom ersten Halbjahr so gut wie aufgearbeitet. Das waren in der Spitze im Februar circa 73.000 Endkunden, die auf der Warteliste standen! Und wenn Sie auf einer Warteliste die Nummer 72.578 sind, können Sie schon mal die Nerven verlieren. Früher hat man so lange auf einen Mercedes gewartet.

Und wie lange wartet man jetzt?
Das kommt auf das Modell und die Farbe an, aber mehr als acht Wochen sollte im Moment niemand auf sein Bike warten müssen. Aber: Die Vorlieferanten haben inzwischen natürlich exorbitante Lieferzeiten. Hatten wir etwa letztes Jahr auf ein Schaltwerk 90 Tage gewartet,waren es im Frühjahr dieses Jahres 600 Tage!

Was sagen Sie den unzufriedenen Kunden?
Wir versuchen alles, was irgendwie geht, um das Warten erträglicher zu machen. In Härtefällen werden wartende Kinder mit kleinen Präsenten beglückt, wenn das Rad etwa ein Geburtstagsgeschenk ist und wir den Termin nicht halten können. Das geht natürlich nicht bei 70.000 Wartenden, aber eben in Härtefällen.

woom-Facts und Infos:

Die beliebteste woom-Farbe ist: "Rot. Damit hat alles angefangen, das ist die woom-DNA."

Tipps - Auf diese Teile sollte man beim Gebraucht-woom-Kauf achten:
"Komponenten, die bei wilder Nutzung kaputt gehen können, sind etwa die Kette oder Ritzel, Zahnkranz, Kassette. Das sind Verschleißteile, die sich abnutzen. Ein woom 2 oder woom 3 muss aber schon auf dem Spielplatz im nassen Sand gelegen und dann gefahren worden sein, dass es mechanische Gebrauchsspuren an diesen Komponenten gibt. Ansonsten sind die Modelle so robust, dass die Komponenten - bis auf die auswechselbaren Griffe - locker vier oder fünf BesitzerInnen aushalten."

Der Gebraucht-Rad-Markt boomt. Auf Plattformen wie Willhaben werden woom-Räder teurer gehandelt als sie neu kosten...
Ja, das ist verrückt.

Freut einen das als Unternehmer oder tun Sie was dagegen? Können Sie überhaupt?
Natürlich freuen wir uns, dass unsere Produkte begehrt sind, aber dass Fahrräder, die zwei Jahre alt sind, über der unverbindlichen Preisempfehlung (UVP) verkauft werden, wollen wir natürlich nicht. Das ist eigentlich ja auch schon ein bisschen unanständig. Aber wir können da nichts machen. Angebot und Nachfrage bestimmen in einer freien Marktwirtschaft den Preis.

Zu der Thematik schrieb mir vor drei Wochen ein Kunde: „woom ist das neue Bitcoin.“ Da hab ich erstmal gelacht, dann erklärte er, er habe ein gebrauchtes Woom auf Willhaben gestellt und erhielt innerhalb von zehn Minuten sieben Angebote – alle über UVP. Also die Bieter sagten selbst: „Wenn ich es bekomme, zahle ich dir 49 Euro mehr.“

woom
© woom/Andreas Rhomberg Woom-Bikes sind heiß begehrt und werden gebraucht derzeit teurer verkauft als neu.

Mit der Begründung, dass man das gebrauchte Bike, wenn das Neue geliefert wird, einfach um den Preis wieder verkauft, den man selbst bezahlt hat. Solange die Wertbeständigkeit also so hoch ist, ist das keine Ausgabe, sondern eine Investition. Insofern funktioniert der Gebraucht-Bike-Markt sehr gut, denn wir gehen davon aus, dass acht Jahre nach der Gründung noch kein woom-Rad auf dem Schrott liegt.

Durch wie viele Kinderhände kann ein woom-Bike gehen, bis es ausgedient hat?
Ungesichert, aber ich würde sagen: Es kann problemlos 15 Jahre und länger halten. Das hängt von der Pflege, der regelmäßigen Wartung und von der individuellen Nutzung ab.

»Woom soll nicht nur etwas für bessersituierte Familien sein. «

Marcus Ihlenfeld und Christian Bezdeka haben 2017 in einem Interview gesagt „Ein Kinderrad darf keine 600 Euro kosten“. Größere woom-Räder kosten inzwischen 400-500 Euro. Ist das schon hart an der Grenze?
Ja, das finden wir schon. Es gibt Preisschwellen. Aber natürlich sind die Logistikkosten in den letzten Monaten regelrecht explodiert. Außerdem nutzen alle Komponentenhersteller den Bike-Boom, um Preiserhöhungen durchzusetzen. Wir haben diese aber so gut wie gar nicht an die Endverbraucher weitergegeben, sondern versuchen, das Preisniveau stabil zu halten, denn unser Anspruch ist, dass auch Kinder aus einkommensschwächeren Familien ein woom-Bike fahren können. woom soll nicht nur etwas für besser situierte Familien sein.

Dennoch sind woom-Bikes teure Räder und muss man das Geld erst einmal haben. Gibt es hier besondere Aktionen etwa, um es auch einkommensschwächeren Familien zu ermöglichen?
Eine Alternative, die wir durchdenken, ist, ein Mietmodell anzubieten. Dann wäre es vielleicht eher auch für solche Familien leistbar.

Welchen Stellenwert hat das Radfahren in Österreich?
Jeder Bürgermeister einer großen Stadt sagt im Moment: Wir bauen das Radnetz aus, wir verbannen den Individualverkehr mit Verbrennern aus der Stadt. Alle schmücken sich damit, dass sie viel tun.

»Gerade für Familien wäre es wichtig, ein durchgängiges Radwegenetz zu haben«

Haben Sie in Wien auch das Gefühl, dass das passiert?
Dass etwas getan wird, ist erkennbar. Natürlich könnte die Infrastruktur immer besser sein. Gerade für Familien wäre es wichtig, ein durchgängiges Radwegenetz zu haben, auf dem Kinder geschützt unterwegs sein können. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Ist woom hier aktiv in diversen Lobbys etc. vertreten, um sich für mehr Radwege, ein sichereres Radnetz, etc. einzusetzen?
Wir unterstützen und fördern Organisationen wie den Verkehrsclub Österreich oder die Radlobby, die sich dafür einsetzen, dass Fußgänger und Radfahrer mehr Platz auf den Straßen bekommen und die Mobilität insgesamt umwelt- und klimafreundlicher wird. Christian Bezdeka nimmt auch immer wieder an Podiumsdiskussionen zum Thema Verkehrssicherheit und Radverkehr teil. Seine Position als radfahrender Vater ist klar.

Werden immer noch die meisten Räder in Österreich verkauft?
Ja, aber Deutschland ist inzwischen zahlenmäßig der wichtigste Markt, dort ist noch viel Spielraum nach oben. Auch die USA haben für uns sehr große Bedeutung. Wir glauben, dass wir dort schon im nächsten Jahr deutlich über 100.000 Räder absetzen können. Unglaubliches Potenzial gibt es auch in Asien.

Apropos USA: Sogar Mark Zuckerbergs Kinder fahren woom-Räder…
(lacht) ...ja, das hat uns sehr gefreut, das ist für uns natürlich eine unbezahlbare Werbung. Und wenn die Zuckerbergs, die sich jedes Luxus-Rad leisten könnten, ein woom Bike kaufen, dann wird es wohl einen Grund haben.

»Das wichtigste ist, motivierte, belastbare MitarbeiterInnen zu haben. «

woom hatte letztes Jahr ein Wachstum von 60 Prozent und wird laut Prognosen weiter wachsen. Wie bewältigt man so ein rasantes Wachstum in so kurzer Zeit?
Ich glaube, das wichtigste ist, motivierte MitarbeiterInnen zu haben, die dem hohen Druck standhalten. Unsere Anforderungen an das Team sind hoch. Wenn die Leute nicht für die Mission und Vision brennen würden und nicht bereit wären, die letzte Meile zu gehen, wäre dieses Wachstum nicht möglich.

Dazu gehören aber auch Führungskräfte, die nahbar sind und versuchen mit gutem Beispiel voranzugehen sowie passende Rahmenbedingungen zu schaffen. Hier investieren wir gerade einen siebenstelligen Betrag, um in Sachen IT- Infrastruktur und in der Prozessorganisation weiter voran zu kommen.

Was bietet woom MitarbeiterInnen sonst noch?
Wir werden auch nach Corona ein hybrides Arbeitsmodell ermöglichen. Die Entscheidung, ob die Arbeit besser im Büro oder irgendwo anders verrichtet wird, überlassen wir nach Möglichkeit den MitarbeiterInnen. Diese Flexibilität erleichtert auch – und das ist uns wichtig – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Außerdem werden wir in den Firmenstandort investieren, damit das ein Ort der Begegnung wird. Mit Wohlfühl-Klima, Rückzugsorten aber auch Begegnungspunkten. So dass die Leute sich freuen, wenn sie ins Office kommen können, weil sie dort Bedingungen vorfinden, die Zusammenarbeit fördern.

Und MitarbeiterInnen erhalten für die eigenen Kinder woom-Bikes. Das ist auch in unserem Interesse, denn so bekommen wir das beste Feedback. Die eigenen MitarbeiterInnen und deren Kinder sind schonungslos. Und die Kids testen neue Entwicklungen. Da haben wir gerade ein Feature in der Pipeline, das den Markt verändern könnte… aber das werde ich nicht verraten.

Guido Dohm führt woom seit Juli 2020 gemeinsam mit den Gründern Ihlenfeld und Bezdeka als CEO. Davor war er beim Outdoor Ausrüster Jack Wolfskin, überhaupt kommt Dohm aus der Fashion-/Lifestyle-Industrie. Er habe in Deutschland den Ruf „Willst du umstrukturierien, hol‘ den Dohm“ sagt er selbst. Woom habe bewusst jemanden gesucht, der nicht aus der Fahrrad-Branche komme, so Dohm zu News.at. Bei woom arbeitet er nun an der Digitalisierung der Supply Chain sowie der Etablierung von Standards für soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit in allen Unternehmensbereichen. Guido Dohm ist verheiratet und Vater von 4 Kindern.

Zum Unternehmen:
Woom wurde 2013 von Industriedesigner Christian Bezdeka und dem Marketing-Manager Marcus Ihlenfeld gegründet, zwei „radlnarrischen“ Vätern, die auf der Suche nach dem perfekten Kinderrad selbst ein extrem leichtes, ergonomisches Rad bauten. Und das mit schnellem und großen Erfolg. Inzwischen verkauft Woom auch Zubehör, Accessoires und Bekleidung. Inzwischen wurden weltweit (in 30 Ländern) fast 230.000 Räder verkauft. Das jährliche Wachstum liegt über 50 Prozent. Im September holte Woom eine Investoren-Gruppe um Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner, den Unternehmer Stefan Kalteis und weitere Investoren an Bord, Ihlenfeld und Bezdeka behalten die Zwei-Drittel-Mehrheit des Unternehmens. Mit diesem frischen Geld soll die Internationalisierung und Digitalisierung finanziert werden. Woom sitzt in Klosterneuburg und hat inzwischen 114 MitarbeiterInnen.