Der Erbe vom Marchfelderhof

Gerhard Bocek war der Lugner der Gastronomie. Nach seinem Tod erbt nun Ziehsohn Peter Grossmann das berühmt-berüchtigte VIP-Lokal am Wiener Stadtrand. Und damit auch ein Image, dem er sich nicht immer gewachsen fühlt. Hinter den Kulissen des Marchfelderhofs - ein Lokalaugenschein

von VIP-Lokal - Der Erbe vom Marchfelderhof © Bild: Ricardo Herrgott/News

Bis zuletzt hatte Gerhard Bocek weder einen Laptop noch einen PC in Gebrauch. Alles, wovon und wofür er lebte, ist auf penibel geordneten Karteikarten notiert, alphabetisch sortiert und je nach Thema in verschiedenen Plastikkistchen abgelegt. Auf einem der Kistchen prangt das Schlagwort "Promis", hier lagern die Nummern all jener Leute, die Abend für Abend sein Lokal füllten. Ein weiteres Kistchen ist mit "Privat" beschlagwortet.

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Hier finden sich unter dem Buchstaben B klare Anweisungen für die musikalische Untermalung seines Begräbnisses: "A. Bruckner, 3. Satz" steht da in leicht krakeliger Handschrift, gemeint ist die dritte Sinfonie, Boceks Lieblingsstück. Und dann: "Don't stop me now" und "The show must go on" von Queen.

© Ricardo Herrgott/News Brutaler Kitsch und wertvolle Antiquitäten -ein sechsköpfiges Team hält die insgesamt 29.000 Exponate staubfrei

Gerhard Bocek, der Urvater der österreichischen Unterhaltungsgastronomie, ist tot, am Dienstag der Vorwoche 78-jährig verstorben in der Wohnung direkt über seinem Lokal in Deutsch-Wagram. Doch die Show, seine Show namens Marchfelderhof, die muss weitergehen. "Wenn er uns jetzt von oben zusieht, dann freut er sich darüber, dass wir uns trotz all der Trauer nicht hängenlassen", sagt Peter Grossmann.

Befeuerter Tratsch

Gegen vier Uhr früh musste es passiert sein, etwa sieben Stunden später fand Grossmann seinen Dienstgeber und langjährigen engsten Vertrauten leblos im Badezimmer. Über chronische Leiden oder Krankheiten wusste keiner was, sagt Grossmann. Ganz im Gegenteil: "Ich wurde nicht geboren, um zu sterben", hatte Bocek noch einen Tag vor seinem Tod gesagt. Und: "Ich fühle mich fit wie 40."

Und genau solche Sätze sind es, die, wiewohl bloß launig dahingesagt, später den Tratsch und die Mythen befeuern. Gerade wenn es um einen Tratschumschlagplatz wie den Marchfelderhof geht. Und gerade wenn der, der sie ausspricht, ein paar Stunden später tot ist.

Obduktion soll die genaue Todesursache klären

Deshalb sollte auf Grossmanns Wunsch eine Obduktion die genaue Todesursache klären. Denn, das hatte Bocek, der keinerlei Verwandte mehr hatte, bereits im Jahre 2005 testamentarisch verfügt: Peter Grossmann, heute 58, ist sein Nachfolger, der neue Chef und alleinige Besitzer des Marchfelderhofs. Und als solcher sozusagen selbst eine programmierte Seitenblicke-Figur. "Obwohl ich eigentlich ganz anders bin als der Bocek."

© Ricardo Herrgott/News Peter Grossmann, der neue Besitzer des Marchfelderhofs,

Der Marchfelderhof, im öden Flachland der nordöstlichen Wiener Peripherie gelegen und nur einen Steinwurf von der chronisch verstopften Angerner Bundesstraße entfernt, ist Österreichs berühmt-berüchtigtstes Gasthaus: Die einen kennen es als bekennende TV-Voyeure, die anderen angeblich nur vom angewiderten Wegschauen: Wenn etwa am Eingang das Personal Spalier stand und rot-weiß-rote Fähnchen schwenkte, während vom Band der Radetzky-Marsch lief; wenn für Fernost-Touristen auf der Suche nach dem wahren Österreich zu den Klängen des Donauwalzers der rote Teppich ausgerollt wurde; wenn Bocek, angetan mit bunten Sakkos, akkurat geschnippeltem Schnauzbart und rotbraunem Toupet wie ein Zirkusdirektor zu seinen Tschinellen griff, um wieder einmal einen seiner VIPs oder VIPerln hochleben zu lassen; wenn die dazugehörigen Bilder dann von der hauseigenen PR-Abteilung an die Medien verschickt wurden -dann war es stets Bocek, der sich da inszenierte.

Zwischen Lugner und Bowie

"Es gab darunter auch Promifeste, auf denen er selbst der Prominenteste war, so ehrlich muss man sein", sagt Peter Grossmann. Und so wurde aus dem Gastgeber der Society selbst eine Societyfigur. Boceks Marchfelderhof mit seinen Lugners und Schillers, aber auch Nitschs und Fasslabends, Bowies und Mercurys, Kreiskys und Kissingers beim Feiern und Völlern, das waren die passenden Geschichten und G'schichterln im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit.

Und das alles in einem von Bocek erdachten, gnadenlos verdichteten Ambiente aus wertvollen Antiquitäten und brutalem Kitsch. "Er musste und wollte auffallen, um die Leute aus der Stadt raus in diese fade Gegend zu locken", sagt Grossmann.

Der Marchfelderhof, das ist ein einziger innenarchitektonischer Exzess! Geigen hängen da ebenso von der Decke wie Bratpfannen, Mamorstatuetten von Engerln und Kaisern stehen eng an eng mit Puppen und Teddybären.

© Ricardo Herrgott/News Und über der Bar lauern die Teddybären

Insgesamt 29.000 Exponate, hat die Versicherung einmal erhoben, sind da auf 1.200 Quadratmetern zusammengepresst und werden allwöchentlich von einem sechsköpfigen Putztrupp abgestaubt. Jeder Prominente, der einmal hier war, hat sein eigenes kleines Messingtaferl, Dr. Alban ebenso wie Josephine Baker, und Falco bekam sogar ein eigenes, nach ihm benanntes Separée. Am Herrenklo hängen Bilder mit freizügigen Damen, am Damenklo Bilder mit freizügigen Herren. Und mittendrin stets Bocek, das Original, das jeder zu kennen vermeinte.

Emanzipation vom Vater

Aber den Alltag hinter den opulenten Kulissen, den kannte keiner. "Und der war nicht immer einfach", verrät Peter Grossmann, der den alleinstehenden Bocek so gut wie kaum ein anderer kannte. "Er war ein Ziehvater für mich", sagt er. "Er mochte, dass die Leute mit ihm lachten, aber es kränkte ihn, wenn sie über ihn lachten." Die Frau eines ehemaligen Freiluftbühnen-Intendanten seufzte einmal vor laufenden Kameras: "Ach, dieser furchtbare Koch!" So was kränkte Bocek, auch wenn er es sich nie anmerken ließ.

»Für jedes Bild, das der Sohn aufhängte, hat er vom Vater eine Detschn bekommen«

Der Marchfelderhof und seine Entwicklung von der schmucklosen Schenke zum schillernden, lugnernden Promimagneten, das war auch ein schmerzlicher Emanzipationsprozess für Gerhard Bocek - weg von Oskar, dem Vater. Denn der, so erzählte es der Sohn später seinem Ziehsohn Grossmann, wollte nur den Mief der Sechzigerjahre konservieren:. "Für jedes Bild, das der Sohn aufhängte, hat er vom Vater eine Detschn bekommen." Erst nach dem Tod des Alten begann der Junge, die Prominenz einzukochen. "Es ging ihm auch darum, endlich gemocht zu werden", sagt Grossmann, der seit 1979 an seiner Seite war.

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"Ich bin damals als 17 Jähriger zu ihm gestoßen, als Hotelfachschüler auf der nach einem Praktikumsplatz", erzählt der gebürtige Waldviertler. "Und vonda an bin ich geblieben." Grossmann avancierte vom Gläserwäscher zur Bürokraft, vor gut zwei Jahrzehnten zum Geschäftsführer hinter Bocek und letztendlich sogar zu dessen alleinigem Erben.

Obwohl Grossmann parallel zu seinem Marchfelderhof Leben eine Familie gründete und heute zwei erwachsene Töchter hat, habe ihn "der Bocek" stets adoptieren wollen. "Der Bocek", so nannte Grossmann den väterlichen Förderer und siezte ihn bis zum Schluss. "Bocek, stehen Sie doch bitte auf, bewegen Sie sich", habe er ihn noch wachrütteln wollen, als er ihn leblos fand. Nunsoll er ihm plötzlich nachfolgen.

Tschinellen am Sarg

Da sitzt er nun mitten in Gerhard Boceks Wunderwelt, wissend, dass er mit seinerruhigen Stimme und seiner zurückhaltenden Art haarscharf die Antithese seines Vorgängers verkörpert. "Ich werde michnicht mit Tschinellen durch die Tischreihenschlängeln, ich bin nicht so ein Bussi Bussi Mensch."

© Ricardo Herrgott/News Rudolf Nurejew vermachte Bocek sein Schwanensee-Kostüm

Dennoch hofft Peter Grossmann, dass ihm die Prominenten die Treuehalten, am 25. April soll sein Lokal anlässlich des großen Spargelfests aus dem Lockdown zurück in die Klatschspalten finden. Erstmals ganz ohne Tschinellen, denn diewill der Erbe vom Marchfelderhof "dem Bocek" auf seinen Sarg legen.