Die perfekte Rechtfertigung fürs Fremdgehen

Ulrike wurde von Gottfried kalt erwischt. Ein Kassenbon für Damenstiefel in seiner Manteltasche hat ihren Gatten der Untreue überführt. Und er fürchtet nun nichts mehr, als seine Ehefrau von über zwanzig Jahren zu verlieren. In der Paartherapie redet er sich um Kopf und Kragen.

von Liebes Leben - Die perfekte Rechtfertigung fürs Fremdgehen © Bild: Nathan Murrell

Ulrike und Gottfried lernten einander während eines Uni-Auslandssemesters in Verona kennen. Darauf folgten die Heirat, die Schaffung eines Eigenheims und die Geburt einer Tochter. Gottfried baute sich eine selbstständige Karriere als Rechtsanwalt auf. Ulrike arbeitet bis heute bei ihm in der Buchhaltung. Als Gottfried vierzig wurde, trat bei ihm eine Veränderung ein: Nicht nur der Job, auch sein Privatleben wurde ihm zunehmend wichtiger. Ulrike fläzte sich lieber an den privaten Pool, als mit ihm etwas zu unternehmen. Die Koordinaten fürs Fremdgehen stehen in langjährigen Partnerschaften wie diesen nicht nur gut: Einer Affäre sind Tür und Tor geöffnet!

Nach Gottfrieds impulsivem Rausschmiss aus dem Eigenheim und einer vorübergehenden Trennung erfolgen die Wiederannäherung und das mühsame Aufarbeiten der Krise. Die betrogene Ehefrau fordert triftige, handfeste Gründe ein, um überhaupt wieder an Vertrauen denken zu können. Und Gottfried? Wie die meisten Menschen, die eine Außenbeziehung bedauern und um ihre feste Beziehung kämpfen, zählt er Gründe auf, wie es dazu kommen konnte.

Hier die führenden Argumente: 1. Emotionale Vernachlässigung: Gottfried beteuert, er habe Ulrike immer geliebt. Er sei emotional aber nicht mehr an sie herangekommen. Weder gab es Gespräche noch Sex. Man lebte nur noch automatisiert nebeneinander her, nicht mehr miteinander. Und bemühte sich nicht mehr um die Partnerschaft. „Wir hätten schon früher aktiv werden müssen. Nun nützen wir immerhin die Krise dafür, wodurch das bei allem Leid auch eine neue Chance für unsere Ehe ist.“ Der positive Side-Effekt von diesem Argument: Indem Gottfried aus seinem Fehltritt eine Ressource macht, beschwichtigt er Ulrikes verletzte Gefühle. 2. Schicksalhafte Fügung. Gottfried erklärt, nicht geplant zu haben, sich auf seine Klientin Nina einzulassen. Die dahinter steckende Strategie: Er gesteht, schwach geworden zu sein, als sich die Klientin ihm geöffnet und emotional angenähert habe. Indem er seiner Frau behutsam Einsicht in sein Gefühlsleben gibt und einen Zusammenhang seines Verhaltens mit der emotionalen Distanz in ihrer Ehe herstellt, ist es für Ulrike nicht weniger schlimm, aber plausibler. 3. Situativer Ausnahmezustand: Gottfried kann nicht vorgeben, unter einer „Willenlosigkeitsdroge“ gestanden zu haben. Aber er gibt doch – und das authentisch – den Konflikt mit seinem Kanzleipartner als Belastungsfaktor an, wodurch er geschwächt gewesen und daher anfällig für ein ungeplantes Abenteuer mit Nina geworden sei. 4. Sehnsucht nach den Gefühlen von früher: Sehr risikofreudig erklärt Gottfried, und das könnte der Ehefrau durchaus in die falsche Kehle bekommen, dass er „aus Sehnsucht nach ihr“ die Nähe einer ihm fremden und gleichgültigen Person ersatzweise „zugelassen habe“, nachdem ihn seine Frau zu oft zurückgewiesen habe. „Es war mit der anderen Person in dem Moment so einfach. Ich war gefühlsmäßig ausgehungert, was aber keine Entschuldigung ist.“

So weit, so gut. Ulrike ist auf Grund der emotionalen Nähe, die durch Gottfrieds Geständnis wieder entstehen kann, schließlich überzeugt, dass ihre Liebe eine zweite Chance verdient hat. Wir lernen daraus: Eine perfekte Rechtfertigung fürs Fremdgehen gibt es nicht. Aber das Bemühen um Argumente, die dem betrogenen Partner Einblick in den verborgenen, nennen wir es „Gefühlsgarten“ des Fremdgängers geben. Gemeinsam kann dann das Unkraut der Untreue gejätet und neue Pflanzen der Liebe gesetzt werden, die erblühen, sobald Vertrauen wieder als Humus wirkt. Dann und nur dann kann eine Affäre sogar paradoxer Weise wie eine Frischzellenkur der Liebe wirken.