Paulus Manker: "New York will ich noch knacken"

In Berlin wollte Paulus Manker den 25. Geburtstag des Geniestreichs "Alma" mit Glanz begehen. Aber über der Szene liegt Depression, das Publikum zögert, und der genialische Wüterich spricht vom Aufhören. Um gleich danach noch größer zu denken. Sein Alma Mahler gewidmetes Fotoalbum erscheint demnächst.

von Kultur - Paulus Manker: "New York will ich noch knacken" © Bild: News Michael Mazohl

Das Drängende, Hochmütige, Aufsässige, das Nachlegen bis zum Eklat, während sich der Gesprächspartner noch erschrocken um Deeskalation bemüht: Das ist dem genialischen Schauspieler, Regisseur und Produzenten Paulus Manker so eigen, dass man erschrickt, wenn es ausbleibt.

Soeben ist ein Manker'sches Schreiben untpyischer Beschaffenheit aus Berlin an die Medien ergangen: ein aufrichtiger, erleichterter Dank an den Wiener Bürgermeister, der das Gastspielunternehmen "Alma" mit einer Zuwendung von 50.000 Euro aus prekären Umständen erlöst habe. Manker hatte sich in Bedrängnis an Michael Ludwig gewandt. Ob er es nicht wie der Vorgänger Michael Häupl halten wolle, der "Alma" als ein Stück Wiener Identität schützend durch die Welt begleitete, wenn die Tourneekosten außer Kontrolle gerieten.

521 Vorstellungen lang war das stilbildende Unternehmen im vergangenen Vierteljahrhundert schon unterwegs, an 16 Stationen auf drei Kontinenten und ausnahmslos an Orten, an denen die multiple Künstlermuse Alma Mahler-Werfel (1879-1964) auf ihrem rastlosen Lebensweg Quartier nahm: in Wien, wo der Weg begann; in Venedig, wo die geborene Alma Schindler einen kleinen Palazzo besaß; in Lissabon, der letzten Station einer wahnwitzigen Flucht über die Pyrenäen vor den Nazis, ehe man das rettende Flugzeug in die USA bestieg; am Exil-Ort Los Angeles; in Jerusalem, wohin die Hochzeitsreise mit dem Schriftsteller Franz Werfel führte; und nun, zum zweiten Mal schon, in Berlin, dem Schauplatz der kurzen Kriegsehe mit dem bahnbrechenden Architekten Walter Gropius.

Harte Tage in Berlin

Im Sommer 2021 hatte Manker hier mit seiner furiosen Realisation der "Letzten Tage der Menschheit" triumphiert: Auf einem Areal von den Dimensionen einer Marslandschaft wurde gehetzt, gehurt, geschunden und gestorben, nie war Karl Kraus' unaufführbares Pandämonium des Ersten Weltkriegs der Verwirklichung näher als hier. Unter der trügerischen Prämisse der bezwungenen Pandemie war das Leben wieder aufgeblüht. Die Stadt Berlin beteiligte sich mit einer Subvention, der lokale ARD-Sender berichtete in den Hauptabendnachrichten, und das Publikum wanderte trotz Seuchenrestriktionen in Scharen durch die synchron bespielten Schauplätze.

© Alfred Eisenstaedt, aus dem Buch: Paulus Manker: Das große Alma Mahler Album, Amalthea Verlag Mit Leonard Bernstein, der in den Sechzigerjahren die weltweite Mahler-Renaissance einleitete

Klar, dass Manker den Coup heuer zu wiederholen gedachte, und mehr noch: 25 Jahre nach der Premiere im Sanatorium Purkersdorf bei Wien sollte zusätzlich der Welterfolg "Alma", für den damals die Form des "Stationendramas" erfunden wurde, in Berlin sein Jubiläum begehen.

Das Kalkül ging nicht auf. Zwar ist die noch laufende Wiederaufnahme der "Letzten Tage" gut besucht, aber die Stadt Berlin gibt nichts mehr, und über der Kulturwelt lastet eine Depression, die nur die Allerweitblickendsten für möglich gehalten haben. Soeben berichtete der "Spiegel" über bundesweit halbleere Häuser. Auch "Alma" mit Premierendatum 26. August will sich noch nicht füllen, und die Kosten sind immens.

Die Perspektive des Rückzugs

Deshalb spricht Paulus Manker erstmals, seit man ihn kennt - und das ist eine Ewigkeit von vier Jahrzehnten -, vom Aufhören. Die Halle in Berlin steht nach der laufenden Serie nicht mehr zur Verfügung, das vor zwei Jahren bespielte Areal in Wien ist schon verbaut, und aus Wiener Neustadt, wo das Kraus-Projekt 2018 kreiert und auch "Alma" erfolgreich gezeigt wurde, ist man unter Zerwürfnissen geschieden.

Nächstes Jahr? "Das steht in den Sternen. Ständig ohne öffentliche Mittel zu produzieren, ist in dieser Größenordnung nicht mehr zu machen. Bisher bin ich mit sehr vielen Eigenmitteln durchgekommen. Aber sobald es ins Ausland geht, sind allein die Transportkosten enorm." Für die "Letzten Tage" musste eine historische Lokomotive samt Waggons nach Berlin transferiert werden, auf dem Areal waren Schienen zu verlegen. Allein dieser Budgetposten beläuft sich auf 100.000 Euro, rechnet Manker vor.

»Sex neben einem Toten, mit einem Ordenspriester, mit Kriegskrüppeln«

Manker über Almas Erinnerungen, die er in Buchform ans Licht bringt

Hört man da Müdigkeit anklingen? Resignation? Die Perspektive des Rückzugs? Er melde sich, sagt Manker nebenbei, aus dem Spital in Berlin, wohin ihn eine nicht mehr aufschiebbare Nierensteinoperation genötigt habe. Keine große Sache, nicht zu vergleichen mit den bedrohlichen Herzproblemen vor zehn Jahren, die gottlob überwunden seien.

Kann er daran denken, sich im Alter von 64 Jahren zur Ruhe zu setzen? Längeres Schweigen. "Ja, schon. Es ist nicht das Kreative, sondern das Organisatorische und Finanzielle, das einen so belastet. Wenn die künstlerische Arbeit beginnt, bist du schon am Rand deiner Kräfte. Nach 25 Jahren könnte man jedenfalls mit der ,Alma' aufhören, außer", und schon springen die Energien wieder an, "man hat sich in den Kopf gesetzt, diese eine Stadt noch zu knacken." Welche? "New York, wo Alma Mahler gestorben ist." Er habe mit dem lokal mächtigsten Museumsdirektor, dem Österreicher Max Hollein, schon den Kontakt gesucht, warte aber noch auf Antwort.

Und sonst? Einen Dreh für die Sky-Serie "Der Pass" hat er gerade hinter sich. Er gab einen alten Kinderschänder und wurde von einem seiner Opfer, dem von Nicholas Ofczarek verkörperten Serienprotagonisten, nach einem Drehtag erschossen.

Der Einzelgänger

Der Theaterschauspieler Paulus Manker war in den besten Kreisen unterwegs, bei Peter Zadek und am Burgtheater, ehe er sich trotzig für die Selbstständigkeit entschied. Ginge er wieder in ein Ensemble? "Nicht mehr." Das Volkstheater, das sein Vater mit theaterhistorischen Resultaten geleitet hat, hätte er gern übernommen, doch Wiens Kulturstadträtin übertrug das seither leergespielte Haus dem Deutschen Kay Voges. Stünde Paulus Manker zur Verfügung, wenn es an die Existenz des Hauses ginge?"Jetzt nicht mehr, damals schon, ja. Ich hätte kein Interesse mehr. Das ist eine Altersfrage, das muss man mit 50 machen."

Als jüngst der sehr umstrittene Fernsehregisseur Dieter Wedel inmitten eines unvollendeten #Metoo-Verfahrens starb, schickte Manker, der Unversöhnliche, eine Botschaft in die Welt: "Hurra, hurra, die Hex ist tot!" Wedel feuerte seinen Protagonisten 2017 wegen vorgeblicher Insubordination aus einem Theaterprojekt der Festspiele von Bad Hersfeld. Mit den 70.000 Euro Entschädigung finanzierte Manker dann die "Letzten Tage der Menschheit". Und wie mies und opportunistisch sich die Kollegen in Hersfeld damals verhalten hätten!

Das Leben einer kontroversiell betrachteten Frau auf 376 Seiten mit 280 teils neu entdeckten Fotografien und 340 Zitaten von oft bemerkenswerter sexueller Direktheit. "Das große Alma Mahler Album"* ist das Resultat 25 Jahre langer Forschungsarbeit des Herausgebers Paulus Manker. Demnächst bei Amalthea.

Der Zorn befeuert das Gespräch zur alten Brisanz. Wiens Kulturstadträtin Kaup-Hasler?"Die war eine ganz vernünftige Dramaturgin und hat sich in Wochenfrist zur Politikerin entwickelt. Politik korrumpiert halt!" Untätigkeit und Verschlagenheit bei der Besetzung des Volkstheaters werfe er ihr vor. "Sie hat nicht den Mut gehabt, ad personam zu entscheiden, hat sich hinter Kommissionen verschanzt und dann erst recht jemanden genommen, der das Theater nur einmal von innen gesehen hat, und zwar bei einem Festwochen-Gastspiel. Dafür kannte sie seine Sachen aber auch nicht. Hauptsache, er war ein Feuilletonkaiser." Würde er, Manker, am Volkstheater inszenieren? "Warum nicht?"

Vom Bund, fügt er hinzu, sei nichts Besseres zu berichten. Er habe sich wegen der Berliner Probleme auch an Kulturstaatssekretärin Mayer gewandt und nicht einmal ein Fingerschnippen als Antwort bekommen. "Dass die Grünen kein Interesse haben, weiß man ja nicht erst seit der Frau Mayer. Und ist nicht der Herr Vizekanzler Kulturminister?"

Album der Schweinereien

Zu einer inspirierenden Dame also, zu Alma Mahler-Werfel. Nach 25 Jahren kreativen Intimkontakts hat Manker sein Wissen in einem demnächst erscheinenden, obligat überformatigen Projekt konzentriert: "Das Große Alma-Mahler-Album" umrahmt 280 zum Teil unbekannte Fotos mit Mankers kundigen Essays und Selbstzeugnissen der Gefeierten, die an erotischer Dringlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen.

Die "schönste Frau Wiens", Tochter des Malers Emil Schindler und Stieftochter seines Kollegen Carl Moll, wurde zur "Gottesanbeterin", zur Verschlingerin genialer Männer. Als sie den Hofoperndirektor Gustav Mahler kennenlernte, verließ sie für ihn dessen Komponistenkollegen Alexander Zemlinsky und betrog Mahler erst mit dem Kontrahenten Hans Pfitzner und dann mit dem Architekten Walter Gropius. Den ehelichte sie nach einer exzessiven Liaison mit dem jungen Oskar Kokoschka, um dann zum jüdischen Schriftsteller Franz Werfel zu wechseln und mit ihm trotz ihrer "arischen" Herkunft solidarisch um die halbe Welt zu emigrieren.

Das Buch, sagt Manker, "wimmelt von Schweinereien: Sex mit Kriegskrüppeln, neben einem Toten, mit einem Ordenspriester." Marietta Torberg, die Witwe des namhaften Schriftstellers, überlieferte einen Fachdisput, in dessen Verlauf Alma den "Geschmack des Spermas eines Genies" würdigte.

Die andere Alma

Alma eine Promi-Sammlerin zu nennen, sei dennoch ungerecht, räumt Manker ein. Gewiss sei sie kein guter Charakter gewesen, berechnend in hohem Ausmaß und den Emigranten Elias Canetti und Ernst Krenek entsprechend verhasst, wie sich im Buch nachlesen lasse. "Aber sie hat die Männer erwählt, bevor sie zu den großen Stars wurden, die sie jetzt sind. Mahler war ein berühmter Dirigent und Operndirektor, aber als Komponist noch nicht so weit. Kokoschka war ein wilder junger Maler, aber von einem Star weit entfernt. Und als sie Gropius erwählt hat, war von der richtungweisenden Bauhaus-Architektur noch lange nicht die Rede. Werfel war ein hoffnungsvoller Kaffeehausliterat, aber kein Erfolgsautor. Das wurde er durch ihren Zwang. Sie sagte: ,Wenn du mit mir schlafen möchtest, gehst jetzt hinauf und schreibst das Kapitel zu Ende.' Zu sagen, sie hätte sich mit den VIPs in die Kiste gelegt, wäre ungerecht."

© Helene Berg/aus dem Buch: Paulus Manker: Das große Alma Mahler Album, Amalthea Verlag Im Negligé mit offenen Haaren, aufgenommen im privaten Schlafzimmer von Alban Bergs Ehefrau Helene

Mit Kokoschka, den sie zwecks Erfüllung der vaterländischen Verpflichtungen an die Weltkriegsfront nötigte und mit dem Ende der Liaison in den halben Wahnsinn trieb, wechselte sie noch im fortgeschrittenem Alter erotische Briefe. Der konträre Typus war Mahler. Er verbot der "fantastischen Komponistin" (Manker) vor der Eheschließung jede weitere Kreativität. Seine fragmentarische Zehnte Symphonie ist eine einzige Verzweiflungsbekundung über Almas Fremdgang mit Gropius.

Das Gespräch neigt sich, zwischen Krankenhaus und Proben muss der Betrieb aufrecht bleiben. Bis Oktober wird man in Berlin bleiben, sagt Manker eine Spur verzagt. Es müsse ja alles abgebaut und weggeräumt werden. Gut, dass die unverzagte Ehefrau bei ihm ist.

Und nach der Rückkehr? "Werde ich mit meiner lieben Frau irgendwo hinfahren. Das heißt, wenn sie mit mir fährt." Anderenfalls bleibe immer noch die Option der mobilen Pflegerin, scherzt der lädierte Theatergenius, um sich gleich zu berichtigen: "Aber genau das ja meine Frau!"

ALMA

Das Gastspiel in Berlin

Vor 25 Jahren entwickelte Paulus Manker mit dem Dramatiker Joshua Sobol das Projekt "Alma" und mit ihm das Stationendrama. Seither wurden in 521 Vorstellungen u. a. Johanna Wokalek, Sebastian Blomberg, Martina Ebm und Hilde Dalik entdeckt. In Berlin wird "Alma" zwischen 26.8. und 11.9. an Wochenenden gezeigt. Am 10.9. sind nochmals "Die letzten Tage der Menschheit" angesetzt, Kombi-Karten mit "Alma" sind erwerbbar.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 33/2022.

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