"Die SPÖ lebt
in der Vergangenheit"

Ein Sohn des Jahres als Wahlkampfthema. Niko Kern hat den SPÖ-Thinktank "Sektion ohne Namen" mitgegründet. Bekannt wurde er aber als Sohn von SPÖ-Chef Christian Kern und Twitterer mit Nebenwirkungen. Was er dazu sagt

von Niko Kern - "Die SPÖ lebt
in der Vergangenheit" © Bild: DUILIO TACCHI duiliotacchi@msn.com

Genau genommen war Niko Kern als Erster da. Etwa ein halbes Jahr, bevor sein Vater, Christian Kern, 2016 als SPÖ-Chef und Kanzler quereinstieg, wurde Niko Kern in der Partei aktiv. Gemeinsam mit Gleichgesinnten gründete er in Wien die "Sektion ohne Namen", einen Thinktank mit den Zielen, "dem Land eine bürokratische Diät zu verordnen, das eingestaubte politische System zu reformieren sowie die teilweise ineffizienten Parteistrukturen zu novellieren".

Der Anfang war vielversprechend. Der neue SPÖ-Chef kam zum Diskussionsabend, was wiederum neue Mitglieder brachte. Doch dann wurde Niko Kern, der sich auf Twitter und Facebook auch den einen oder anderen flapsigen -und nicht immer klugen -Spruch erlaubte, zum Wahlkampfthema. Äußerungen zu ÖVP-Politikern, ein Foto mit einer protzigen Uhr sorgten für Aufregung. Heute lebt und arbeitet Kern in Bologna, wo er Assistent der Geschäftsführung bei der Strabag ist. Das Beste an der Stadt? "Die Pizza! Die machen hier einen dünnen Teig, der Belag ist eine regelrechte Kunst. Die Pizza erstickt nicht in Auflage", schwärmt er sofort. "Bologna ist ein ziemlich krasses Gegenteil von Wien." Hierher zieht es in allerdings auch zurück. "Mir fehlen die Familie und die Kultur." Und - wieder ein kulinarischer Anker: "Der Liptauer und der Leberkäs." Was allerdings nicht die einzigen Gründe für die mögliche Rückkehr sind: Kern will sich weiter politisch engagieren und seine eigene Firma, Strategos. Solutions, vorantreiben.

Wann war der Moment, als Sie realisiert haben: "Ich bin jetzt Wahlkampfthema"?
Im Vorfeld habe ich natürlich bereits befürchtet, dass mein ehrenamtliches politisches Engagement in der Sektion ohne Namen als Vorwand herhalten wird, dass die ÖVP mich in den Wahlkampf ziehen wird. Relativ eindeutig war es dann, als ich auf die Titelblätter von teils dubiosen Medien gezerrt wurde.

Warum haben Sie sich dann nicht rechtzeitig aus der Öffentlichkeit und sozialen Medien zurückgezogen?
Ich bin ein komplett unwichtiges kleines Parteimitglied und aktiv in einer ehrenamtlich agierenden Sektion. Meine größte medienwirksame Leistung war, Sohn des Kanzlers zu sein. Kein großartiges Achievement, wegen dem ich mir auf die Schulter klopfen kann. Dennoch machen mich manche Medien praktisch zum politischen It-Boy; zum Dan Bilzerian (Anm. US-Playboy und Millionenerbe, der sein extravagantes Leben in sozialen Medien zeigt) der österreichischen Innenpolitik, wie mir mal eine Freundin schmunzelnd gesagt hat. (Lacht) Das finde ich nicht sonderlich sympathisch, aber so funktionieren manche Medien nun mal.

Aber Sie haben die Sache schon auch mit Ihren Tweets angestoßen.
Meine teils kernige Ausdrucksweise ist sicher nicht ganz unschuldig, aber sind wir uns mal ehrlich: Es wurde ein vertrauliches Gespräch zwischen mir und dem Pressesprecher des Justizministers geleakt, komplett verdreht und mein Konterfei auf die Titelblätter der Medien geschleift. In so einer Situation fühlt man sich wütend und trotz dicker Haut natürlich auch verletzt. Das ist doch nur menschlich.

Was hat Sie am meisten geärgert?
Dass man mir meine Worte komplett umdreht und mich als Sprenger der Koalition darstellt. Ich hatte immer den größten Respekt vor Reinhold Mitterlehner, und die Unterstellung, ich -und nicht Sebastian Kurz - hätte ihn abgesägt, ist einfach nur clownesk. Besonders belustigt haben mich Geschichten, wie die über meine geliehene Uhr. Am Tag der Story hatten wir eine Sektionssitzung und konnten uns ein herzhaftes Lachen über diesen absurden Raubritterjournalismus nicht verkneifen.

Und? Welche Uhr tragen Sie?
Heute trage ich eine gebrauchte russische Sturmanskie, die ich auf einem Flohmarkt in Budapest gekauft habe.

Was würden Sie heute anders machen? Bereuen Sie den Vergleich zu Idi Amin?
Ich bin vorsichtiger geworden und würde nicht mehr glauben, dass man mit einigen Kurz-ÖVPlern ein vertrauliches Gespräch führen kann, dessen Inhalt nicht zu einem Web aus Lügen gesponnen wird, wenn es ihrer Taktik gerade zweckdienlich ist. Den Uganda-Tansania-Krieg-Vergleich? Man beginnt einen komplett stupiden Krieg, nur um abzulenken. Dann schlägt die Sache komplett fehl, und die ÖVP versucht, sich abzuputzen. Auf Twitter war der Vergleich durch die 140 Zeichen etwas verwässert, und ich habe ihn daher binnen fünf Minuten gelöscht. Ein Fünf-Minuten- Tweet mit einem kernigen Vergleich soll also dazu geführt haben, dass die ÖVP sich als armes Opfer dieser Causa sieht? Verzeihen Sie mir, wenn ich kurz lache.

Was hat eigentlich Ihr Vater dazu gesagt? War er sauer auf Sie?
Er war, wie ich, maßlos entsetzt über diese Intrigen und wie schmutzig ein Wahlkampf sein kann. Dass seine Familie hineingezogen wurde, hat ihn seine stoische Ader vergessen lassen. Es sollte Grenzen geben, die ein ehrenvoller Mensch nicht überschreiten sollte. Diese wurden leider überschritten. Und natürlich haben wir auch ein ernstes Vater-Sohn-Gespräch geführt.

Wie sehen Sie als jemand, der sich in der SPÖ engagiert, Ihre Partei?
Die SPÖ ist eine Partei, die die richtigen Lösungen bietet, um Österreich wieder auf Vordermann zu bringen, aber Probleme damit hat, dies zu vermitteln. Vor allem in der Kommunikation und der Organisation haben wir noch deutlich dazuzulernen. Inhaltlich sind wir dafür sehr stark aufgestellt. Es braucht dringend mehr Reform-und Veränderungswillen innerhalb der Partei.

»Niemand darf sich zu fein sein, um regelmäßig ein paar Türklinken zu putzen«

Wer hat da bisher blockiert?
Leider gibt es in der Politik, in jeder Partei, Menschen, die entweder nur auf ihr persönliches Wohl bedacht sind oder schlicht nicht die Leistung bringen, die man sich von ihnen erwarten würde. Ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen, aber jeder sollte sich da selbst bei der Nase nehmen.

Wie kommt es, dass die SPÖ über die Jahre einfach nicht mehr als Reformkraft wahrgenommen wird?
Die SPÖ gibt es schon lange, und sie hat bis jetzt auch immer gute Arbeit geleistet. Nur ist sie, wie auch die anderen Großparteien, in leicht verstaubten Strukturen gefangen. Die Neos haben da als junges politisches Start-up natürlich einen riesigen Vorteil und besitzen Strukturen, von denen man sich ein Stück abschneiden könnte. Jetzt aber ist der Zeitpunkt gekommen, um große innerparteiliche Reformen durchzusetzen und die SPÖ wieder fit für die Regierungsbank zu machen.

Wieso schafft man es nicht, sich auf die prekären Lebens-und Arbeitsumstände des 21. Jahrhunderts einzustellen? Geht oder ging es der SPÖ und ihren Spitzenfunktionären dafür zu gut? Ist man geistig zu bequem geworden?
Einigen Leuten würden ein bisschen Selbstreflexion und Kontakte abseits ihrer Bubble nicht schaden. Zu meinen Freunden zählen Akademiker, Tischler, Securitys, die teils politisch, teils eher unpolitisch sind, und es ist spannend und Augen öffnend, sich mit ihnen über aktuelle Entwicklungen auszutauschen. Vielleicht sollte man einige Spitzenfunktionäre zu mehr Bürgerkontakt drängen. Niemand darf sich zu fein sein, um regelmäßig ein paar Türklinken zu putzen.

Hätten Sie sich im Wahlkampf "linkere" Inhalte gewünscht?
Vielleicht etwas ungewöhnlich für einen Sozialdemokraten, Otto von Bismarck zu zitieren, aber ein Land regiert sich nicht nach Parteiansichten. Es bedarf pragmatischer Lösungen, die nicht zwangsläufig in linke oder rechte Schubladen einzuordnen sind. Ich sehe mich selbst als Zentralisten, der immer schon gute Kontakte zu anderen Parteien gepflegt hat.

Wie sehen Sie die Gratwanderung Richtung FPÖ?
Dazu habe ich lediglich eine Privatmeinung und kein gehobenes Interesse daran, dass diese aufgebauscht und verdreht wird. Sie verzeihen.

Wie soll sich die SPÖ in der Opposition ausrichten?
Fairness und Chancengleichheit sind mir persönlich ein Herzensanliegen. Wir dürfen nicht zusehen, wie Großkonzerne unsere Ressourcen und Arbeiter ausbeuten, um riesige Profite zu machen und sich vor sozialer und finanzieller Verantwortung zu drücken. Wir müssen daran arbeiten, dass jeder Mensch die gleichen - großen -Chancen bekommt.

Das sagt die SPÖ jetzt schon ziemlich lange, und Chancengleichheit gibt es noch immer nicht.
Komplette Chancengleichheit wirkt im Moment noch vielleicht wie eine unerreichbare Utopie, aber wenn der Sohn eines Elektroinstallateurs und einer Sekretärin Bundeskanzler werden kann, sind wir eindeutig auf einem richtigen Weg.

Wie sehen Sie den Konflikt linker/rechter SPÖ-Flügel?
Wir müssen uns auf Inhalte und Lösungen besinnen und keinen Konflikt zwischen verschiedenen Lagern heraufbeschwören. Das betreiben die Medien zurzeit sehr stark, da es immer wieder nette Schlagzeilen abgibt. Die Wahrheit ist aber, dass es keine unüberwindbaren Zerwürfnisse zwischen den Flügeln gibt. Diesen Scheinkonflikt befeuert natürlich eine gewisse gegnerische Partei, mit freundlicher Unterstützung von manch einem Medium.

Welche Fehler hat die SPÖ in der Vergangenheit gemacht, welche Zukunft hat die Sozialdemokratie? Sieht ja in ganz Europa nicht so gut aus für sie
Die SPÖ lebt organisatorisch sowie kommunikativ noch immer in der Vergangenheit. Da braucht es klare, effiziente Strukturen mit einem modernen Touch. Das Konzept der Sektion ohne Namen hat gezeigt, dass dies ein Erfolgsmodell für die ganze Partei sein kann. Diese Veränderung braucht jedoch Zeit und geht nicht von heute auf morgen, wird aber ganz wichtig werden, um die Probleme der Bevölkerung lösen zu können.

Wie ist das, wenn der Vater wegen Prinzessin-Vergleichen oder einem zusätzlichen Gehalt zum Abgeordnetenbezug Thema wird?
Es gibt Momente, da wünschte ich mir natürlich für meinen Vater, er wäre in die Privatwirtschaft zurückgegangen und hätte sich damit viel Stress erspart. Andererseits sehe ich, was er für dieses Land erreicht hat und wie wichtig ihm sein Einsatz für eine faire Gesellschaft ist. Das erfüllt mich mit Stolz, und ich bin froh, dass er die Aufgabe angenommen hat und weiterverfolgt, auch wenn es mal nicht so rund läuft. Das zeichnet einen Staatsmann aus.

Auf Facebook und Twitter scheint Ihr Vater, seit er in der Opposition ist, mehr "Schmäh" zu haben, als als Kanzler. Passt ihm die Rolle auch irgendwie?
Eindeutig. Uns stehen noch spannende und amüsante drei bis vier Jahre bevor. CK als Oppositionsführer ist absolut on Fire, wie man in Interviews und auf Twitter sieht.

Sie sind ja im gleichen Alter wie Sebastian Kurz: Wie würden Sie diese Politikergeneration analysieren?
Da machen Sie mich jetzt aber zwei Jahre älter, als ich bin (lacht). Aber im Ernst: Ich habe höchsten Respekt vor Herrn Kurz und vor allem, was er in so jungen Jahren erreicht hat. Mit den Techniken, wie er es erreicht hat, und mit seinen politischen Ansichten bin ich jedoch absolut nicht auf einer Wellenlänge. Ein hoher Funktionär der JVP hat mir einmal gesagt: "Im Spiel um die Macht gibt es keine Regeln." Das ist eine gefährliche Sichtweise, und ich persönlich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich meine ethischen und moralischen Grundsätze derart für die Macht opfern würde.