"Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz"

Die Familie Jellinek als vergessene Namensgeber

von Mercedes Benz Oldtimer © Bild: iStockphoto.com/Sjoerd van der Wal

Am 1. Oktober 1970 nahm Janis Joplin dieses Song für ihr Album "Pearl" auf. Vier Tage später starb sie an einer Überdosis Heroin: "Oh Lord, won' t you buy me a Mercedes Benz? My friends all drive Porsches, I must make amends Worked hard all my lifetime, no help from my friends So oh lord won't you buy me a Mercedes Benz?" Es wurde einer ihrer größten Erfolge, ohne dass ihr wahrscheinlich bewusst war, was für eine tragische Familiengeschichte sich hinter dem Namen "Mercedes" für das symbolträchtige Luxusfahrzeug verbirgt. Ähnlich in dem Lied "Hotel California", The Eagles, einem der bekanntesten Hits der Popgeschichte mit der Zeile: "Her mind is Tiffany-twisted, she got the Mercedes Benz". Auch hier steht die Automarke für Reichtum und Verschwendung.

Mercedes-Benz ist heute einer der weltweit bekanntesten Markennamen für solide Qualität und Wohlstand. In einer TV-Show im chinesischen Fernsehen antworte eine Kandidatin auf die Frage, warum der Reichtum eines zukünftigen Partners so wichtig für sie sei: "Wenn ich unglücklich bin, weine ich lieber in einem Mercedes als auf einem Fahrrad."

Baden bei Wien

Namensgeberin war Mercédès Jellinek, 1889 in Baden bei Wien geboren. Sie selbst besaß nie ein Auto. Ihre Halbschwester Andrée Maja Jellinek erinnerte sich: "Mercédès war eine große, fesche Person, und wir haben uns glänzend verstanden. Sie war komödiantisch und wäre am liebsten Schauspielerin geworden." Die Geschichte der jüdische Familie Jellinek zeigt Erfolg, Aufstieg und Assimilation des jüdischen Großbürgertums im 19. und 20. Jahrhundert bis zu Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung während der NS-Zeit. Einst lebte die wohlhabende Familie in wunderbaren Villen, verbrachte den Winter in Wien, den Sommer in Baden und die Ferien in Nizza. Nichts davon ist mehr übrig. Raoul Fernand, der Bruder von Mercédès, besaß eine wertvolle Musikalien-und Gemäldesammlung und eine Bibliothek kostbarer Bücher. Sein Besitz in Baden wurde nach dem Anschluss als jüdisches Eigentum deklariert und beschlagnahmt. Im Februar 1939 erschoss er sich nach einem Verhör durch die Gestapo.

Mercédès' Sohn Hans-Peter flüchtete nach Frankreich, wurde von der Gestapo verhaftet und 1944 durch die US-Armee kurz vor seiner Deportation in ein Konzentrationslager gerettet. Ihre Tochter Elfriede überlebte in Wien, gedemütigt, verfolgt und ständig in Angst, verraten und deportiert zu werden.

Doch von all dem ist in den offi ziellen Seiten des Unternehmens Mercedes-Benz nichts zu finden. Dort zeigt man nette Fotos von Emil Jellinek und seiner Tochter Mercédès, beschreibt die Geschichte des Namens der Automarke, als ginge es um Coca-Cola in Knoxville, mitten in Georgia, wo es nie Enteignung, Mord und Verfolgung gegeben hatte. Der Nationalsozialismus und das damit verbundene erschreckende Schicksal der namensgebenden Familie bleiben unerwähnt.

Mähren

Die Familie Jellinek stammt aus Mähren, der heutigen Tschechischen Republik. Rabbiner Adolf Jellinek, der Großvater von Mercédès, wurde 1820 in Drslavice, nördlich von Bratislava, geboren. Seine Eltern betrieben eine Schnapsbrennerei. Eine Generation später beschäftigten sich die drei Söhne Adolf, Hermann und Moritz bereits mit Philosophie, Politik, Religion und Literatur.

Hermann studierte Philosophie in Prag, als Schriftsteller und Journalist war er einer der führenden Köpfe der Revolution von 1848. Nach der Niederschlagung des Oktoberaufstands weigerte er sich, aus Wien zu fliehen, wurde verhaftet und im November 1848 durch ein Militärtribunal verurteilt - am 23. November mit 26 Jahren hingerichtet. Im Währinger Park erinnert ein Denkmal an ihn.

Der jüngere Bruder Moritz studierte Ökonomie in Wien und Leipzig und schloss sich seinem Bruder Hermann während der Revolution 1848 an, flüchtete nach der Niederschlagung nach Pest in Ungarn. Er veröffentlichte Beiträge über die Modernisierung der ungarischen Wirtschaft und gründete 1864 in Buda die erste Straßenbahnbetriebsgesellschaft. 1866 nahm die Pferdetramway ihren Betrieb auf. Als 1873 Pest und Buda zu Budapest vereint wurden, konnten seine Straßenbahnen die beiden Stadtteile verbinden. Bis zu seinem Tode 1883 blieb er Generaldirektor der Budapester Straßenbahn.

Der dritte Bruder, Adolf Jellinek, Großvater von Mercédès, bekannt und verehrt in Wien als jüdischer Gelehrter des liberalen Judentums, verfasste zahlreiche Werke zur jüdischen Religionsphilosophie und Religionsgeschichte und engagierte sich im Kampf gegen den aufkeimenden Antisemitismus.

Frankreich

Adolfs Sohn Emil Jellinek, der Vater von Mercédès, kam 1853 in Budapest zur Welt. Er war das schwarze Schaf der Familie. Der Vater ein Gelehrter, die Brüder erfolgreiche Unternehmer und Intellektuelle, interessierte ihn das Lernen wenig. Mehrmals wechselte er die Schule, mit 17 kam er bei einer Eisenbahngesellschaft unter, mit 19 ging er nach Frankreich. Durch die Beziehungen seines Vaters holte ihn der österreichische Konsul nach Tanger, wo seine Karriere im diplomatischen Dienst begann.

Er heiratete Rachel Goggmann aus einer französisch-sephardische Familie, eine ungewöhnliche Entscheidung in damaligen Zeiten. Sie hatten drei Kinder, Adolph, Fernand Raoul und Adrianne Ramona Manuele -mit dem Kosenamen Mercédès. Emil Jellinek nützte seine Beziehungen als Diplomat für den Aufbau eines erfolgreichen Tabakhandels. Wohlhabend und angesehen übernahm er nach dem diplomatischen Dienst die Repräsentanz einer französischen Versicherungsgesellschaft in Wien.

Nizza

Nach dem frühen Tod seiner Frau blieb er in der Ferienvilla in Nizza und beschäftigte sich mit Entwicklungen auf dem Gebiet der Automobile. 1896 traf er Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach und bestellte seinen ersten Daimler-Wagen. Begeistert von der Qualität, begann er mit dem Handel von Daimler-Autos. Seine Kunden waren hauptsächlich französische Adelige. Ein "Daimler" wurde zum Statussymbol. Unter dem Pseudonym "Monsieur Mercédès" gewann er mehrere Autorennen. Mit technischen Erneuerungen aufgrund der Erfahrungen auf den Rennstrecken entstand ein modernes Automobil mit dem Namen "Mercedes 35". Im Wettbewerb der Rennautos war dieses Fahrzeug konkurrenzlos. 1902 wurde der Name "Mercedes" von der Daimler-Motoren-Gesellschaft als Warenzeichen angemeldet und gesetzlich geschützt. Emil Jellinek änderte seinen Namen und nannte sich Emil Jellinek-Mercedes. Er kommentierte es mit den Worten: "Wohl zum ersten Male trägt ein Vater den Namen seiner Tochter." 1917 starb er in Nizza.

Seine Tochter Mercédès war der Liebling des Vaters. Als Elfjährige ernannte er sie zur Namenspatronin eines Daimler-Autos. Mercédès heiratete im Alter von 19 Jahren den österreichischen Adeligen Karl Freiherr von Schlosser. Sie hatten zwei Kinder, Elfriede und Hans-Peter. 1926 verlässt sie ihren Ehemann und folgt dem Bildhauer Rudolf Baron von Weigl, der wenige Monate nach der Hochzeit an Tuberkulose zugrunde geht. Mercédès stirbt am 23. Feber 1929 im Alter von 39 Jahren. Das Familiengrab der Familie Jellinek-Mercedes befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Eisenbahn

Die enge Verflechtung des jüdischen Großbürgertums in Österreich -bevor es gewaltsam zerstört wurde -zeigt die Beziehung zwischen der Familie Jellinek und meinen Vorfahren. In einem Brief bedankt sich 1857 Adolf Jellinek bei Kantor Sulzer für das Exemplar einer Rede, die Sulzer in der Synagoge in Wien hielt: "Ich habe in der That mit großer Teilnahme ihre gesprochenen Worte gelesen. Allerdings hatten Sie einen dankbaren Stoff, da Herr v. Sichrovsky eines der besten Thema's in Wien ist, und das Thema ist die Hauptsache bei einer Rede "

Am 8. August 1869 heiratete Elisabeth v. Sichrovsky, die Tochter von Heinrich v. Sichrovsky, den Philosophieprofessor Theodor Gomperz. Der Rabbiner der Trauung war Adolf Jellinek. Auch die "Versorgung" des 17-jährigen Emil Jellinek bei der Eisenbahn besorgte Heinrich v. Sichrovsky, der damals Generalsekretär der Nordbahn war.