Maria, 22,
Kriegsgefangene

Die Salzburgerin war eine IS-Braut und sitzt nun in einem syrischen Internierungslager fest. Dort herrschen desolate Zustände, Kinder sterben an Krankheiten und Unterernährung. Auch Maria hat zwei kleine Kinder, eines ist bereits massiv geschwächt. Die Mutter will zurück nach Österreich, um sich den Behörden zu stellen -doch das Außenministerium legt sich quer. Hat Maria kraft Heirat ihr Recht auf Heimat verwirkt? Die Geschichte einer moralischen Gratwanderung

von IS-Braut - Maria, 22,
Kriegsgefangene © Bild: Privat

An der Wand von Marias Zimmer hängt ein weiß umrandeter Spiegel in Herzform. Gleich daneben ein Zierpferdchen aus Holz. Hinten, am Bettende, lehnt die Gitarre, vorne, auf dem Nachtkästchen, liegen die Lieblingsbücher: "Twilight -bis zum Morgengrauen", alle vier Teile, daneben eine "Enzyklopädie der Tiere". Maria mochte Fantasy-Romane, war Mitglied im Reitclub, traf sich oft und gerne mit ihren Freundinnen. "Sie war ein ganz normales Mädchen", sagt ihre Mutter Marianne*. Zumindest schien es so. Bis zum 28. Juni 2014, einem Samstag. Da schloss Maria von außen die Tür ihres Zimmers und ging, gerade einmal 17-jährig. Aber wohin?

Bis dahin hatte sie sich stets gemeldet, ehe sie irgendwo auswärts übernachtete. Doch diesmal ließ sie erst eine Nacht später von sich hören. Aus Gaziantep, Südostanatolien, direkt an der syrischen Grenze. Die Verbindung war schlecht, das Telefonat kurz, Marias Spur ab sofort und auf Jahre hinweg verwischt und nur noch lückenhaft nachverfolgbar. "Mama, es ist wie im Urlaub, hier schaut es aus wie in Italien." Aber das hier war kein Urlaub, in keiner Phase. Denn heute ist Maria, die aus dem Land Salzburg stammt, 22 Jahre alt und -Kriegsgefangene. Aus dem Teenager, der Fantasy-Romane und Pferde mochte, war eine "IS-Braut" geworden.

Barackenstadt im Ödland

In einem Gefangenenlager namens Al-Hol ist sie seit Februar interniert, einem Camp aus notdürftig zusammengestückelten Baracken und zerfetzten Zeltplanen, streng bewacht, irgendwo im sandigen Ödland Nordostsyriens. 75.000 Menschen sind hier untergebracht, ursprünglich war die Anlage für gerade einmal 20.000 konzipiert. Doch seit das Kalifat des Islamischen Staates (IS) in Trümmern liegt, werden hier immer mehr Angehörige der einstigen Gotteskrieger festgehalten, vornehmlich Frauen und Kinder, bewacht von kurdischen Sicherheitskräften. "Unter alarmierend schlechten Bedingungen", versuchen NGOs wie Ärzte ohne Grenzen den Westen vergeblich wachzurütteln.

© Delil SOULEIMAN / AFP Al-Hol in Syrien

Haben denn die, die sich dem Heiligen Krieg verschrieben oder blindlings in ihn hineinstolperten, im Frieden kein Recht mehr auf Heilung? Es fehle an Wasser, Sanitäranlagen, medizinischer Versorgung, allein in den ersten vier Monaten des heurigen Jahres sind Recherchen der deutschen "Tagesschau" zufolge in Al-Hol 25 Kinder gestorben. Und: Maria hat mittlerweile selbst zwei kleine Kinder, gefangen mit ihrer Mutter. "Die Maria ist doch noch immer unsere Tochter, und die beiden sind unsere Enkerln", sagt Marias Mutter Marianne. Ihr Blick wandert gedankenverloren raus durch das große Panoramafenster, direkt auf eine saftige Wiese. 3.000 Kilometer entfernt hungern Maria und ihre Kleinkinder. Auch, weil die Republik Österreich teilnahmslos zusieht: "Die Rücknahme von Erwachsenen aus Syrien und dem Irak wird derzeit nicht in Aussicht genommen", heißt es in einem Schreiben des Außenministeriums, das Mariannes eindringliche Bitte um Hilfe beantwortet.

Maria, die IS-Braut -man meint, Geschichten wie diese zu kennen, vornehmlich aus internationalen Medien. Doch diese hier ist irgendwie anders und umschifft trotz ihrer ganzen Tragik all die gängigen Klischees: Ja, aus Maria war die Partnerin eines IS-Kämpfers geworden. Aber, nein, Maria stammt aus keinem Broken Home, keiner zerrütteten Familie. Und, nein, Maria wuchs nicht wohlstandsverwahrlost zwischen Flatscreen und Handy auf, sondern als behütetes Nesthäkchen zwischen zwei älteren Schwestern. In einem netten Haus am Land, mit ihrem Hund als Spielkameraden. Und einem Riesenposter an der Wand ihres Zimmers: fünf Handabdrücke, Mutter, Vater, die beiden Schwestern und Maria, die symbolisch einen geschlossenen Kreis bilden, in dessen Mitte ein rotes Herz prangt. Darüber der Schriftzug: "In Liebe - für ewig".

Mehr familiäre Harmonie und weniger religiöser Hass ist schwer vorstellbar. Aber war das alles nur Oberfläche, nur äußere Form, unter der latente Unzufriedenheit über sich selbst und den langsam einsetzenden Lebensernst schlummerte?

Panik wie aus dem Nichts

Zunächst ging Maria noch ins Gymnasium, sie war keine herausragende, aber stets eine gute Schülerin. Doch irgendwann, mitten auf einem Kirtag, den sie mit einer Freundin besuchte -aus heiterem Himmel eine Panikattacke, vermutlich ausgelöst durch ein Schleudertrauma. Dauerschwindel, Übelkeit, Angst, gefühlte Bewegungsunfähigkeit -eine Zäsur. "Ich musste sie abholen, sie konnte plötzlich nicht mehr gehen", erinnert sich Vater Martin. Ein praktischer Arzt sollte später eine instabile Halswirbelsäule feststellen, doch das Problem schien viel tiefer zu sitzen. Dasselbe Mädchen, das früher schon mal zum Schrecken der Eltern über eine Feuerleiter acht Meter hoch aufs Dach geklettert war, um einen Ball zu erwischen, der sich dort verheddert hatte -dasselbe Mädchen begann nun, sich langsam in sich selbst zurückzuziehen. "Zuvor war sie immer so temperamentvoll, ist immer und überall furchtlos vorangeprescht", sagt Mutter Marianne. Doch das änderte sich mit der Zeit.

Nach zwei Wochen an der HTL wollte Maria nicht mehr in die Schule gehen, auch den polytechnischen Lehrgang, zu dem sie die Eltern daraufhin animierten, ließ sie alsbald sausen. Aber warum?"Wir wissen es nicht, wir haben ihr in keiner Richtung Druck gemacht", beteuert die Mutter. Einzig und allein, dass Zuhausesitzen keine Lösung sei, das habe man ihr schon gesagt. Zuletzt hat Maria dann mehrere Monate im Krankenhaus im Patientenservice gearbeitet und anschließend die Ausbildung zur Ordinationsgehilfin erfolgreich absolviert.

Blinde Flecken der Seele

Mit 17 war sie, noch in Salzburg, dann irgendwie in die Salafistenszene abgedriftet. Aber wie? Die Eltern wissen es nicht, können nur scheinbar belanglose Ereignisse rekonstruieren und neu interpretieren. Und nach jenen blinden Flecken suchen, vor denen sich insgeheim alle Eltern von Teenagern fürchten.

Zunächst war da ein junger Mann, ein somalischer Flüchtling, der schon bald Marias erster Freund wurde. "Ein ganz, ganz netter Kerl", sagt Marianne. Einmal, als sie, Marianne, im Spital lag, stand er plötzlich mit Blumen vor ihrem Bett, und einmal, erinnert sie sich, kam er mit Maria zum gemeinsamen Mensch-ärgere-Dichnicht-Spielen, und es wurde ein kurzweiliger Abend. Er war Moslem, und Maria begann sich für den Islam zu interessieren. Ja warum denn nicht?"Wir sind Katholiken, aber wir haben immer versucht, unsere Kinder weltoffen zu erziehen", sagt Marianne. Doch dann hat Maria mit ihrem Freund Schluss gemacht und sich, so vermuten die Eltern, stattdessen anderen Gleichgesinnten muslimischen Glaubens zugewandt. In einer Moschee am nördlichen Stadtrand Salzburgs ist sie öfters gesichtet worden und dürfte so in falsche Kreise geraten sein. Aber warum? Warum nur? Das fragen sich die Eltern bis heute.

Maria ging nach Syrien, heiratete nach eigenen Angaben einen Grenzwachbeamten, hütete Haus und Herd und wurde bald Mutter. Das ältere Kind, ein Bub, heißt Isa und ist dreieinhalb, Muhammad, der jüngere, ist eineinhalb. "Sie ist Hausfrau, sie ist Mutter -ich habe mir eingeredet, dass es ihr gut geht, dass es ihr gut gehen muss, auch wenn ich sie nicht sehe", sagt Marianne. Heute weiß sie: Es war eine Art Schutzwall, den sie da rund um sich aufbaute und der sie davor bewahrte, vor Angst verrückt zu werden.

Zertrümmerter Schutzwall

Die Spur von Marias Mann verlor sich in den letzten, heftigen Kriegswirren. Ob er getötet wurde oder nun inhaftiert ist, weiß man nicht. Und auch der emotionale Schutzwall, den sich Marianne hier in Österreich aufgebaut hatte, bröckelte langsam, um schließlich vollends in sich zusammenzukrachen. "Auf einmal wurde mir bewusst, dass Maria mitten im Krieg war: Maria hat uns selbst per Whatsapp geschildert, wie bei einem Bombenangriff das Nachbarhaus zerstört und eine ganze Familie von den Trümmern getroffen wurde."

Und dennoch schien alles so surreal, denn hier, in Österreich, war ja noch immer dieses Kinderzimmer. Der herzförmige Spiegel, das Holzpferdchen, das Poster mit den Handabdrücken der gesamten Familie, alles so, als wäre Maria gestern erst weg.

Erst vor zwei Wochen reiste Marianne mit ihrem Mann Martin nach Syrien und durfte die Tochter, zum ersten Mal seit einem halben Jahrzehnt, tatsächlich kurz treffen, und zum allerersten Mal auch die Enkelkinder. Doch es war keines dieser filmreifen Wiedersehen, bei denen man sich überschwänglich um den Hals fällt, die Vergangenheit ruhen lässt und glücksgestärkt von Neuem beginnt. Zu düster war der Schatten, der sich da über die gesamte Szenerie gelegt hatte, zu abgekämpft und ausgemergelt habe Maria gewirkt -und vor allem die Kinder. Marianne, selbst ausgebildete Krankenschwester: "Alle drei sind sehr, sehr schwach. Aber am schlechtesten geht es dem kleinen Buben, unserem Enkel. Ich glaube, die Chancen stehen schlecht, dass er den Sommer überleben wird." Denn auch in der Wüstenregion setzt nun die Gluthitze ein, und das Zelt bietet keinen Schutz.

Dabei will Maria nur eines: mit ihren Kindern, die das Recht auf eine österreichische Staatsbürgerschaft haben, zurück nach Österreich und sich den heimischen Behörden stellen. Und auch Marianne will nur eines: sich um die Enkerln kümmern, sie aufpäppeln, so lange, bis Maria in die Gesellschaft, der sie entstammt, wieder voll integriert ist. "Maria will sich dem Verfahren stellen und mit der Justiz kooperieren", sagt der renommierte Salzburger Anwalt Johann Eder, den Marias Eltern engagiert haben.

Nichts leichter als das, möchte man meinen, denn hierzulande wird Maria per internationalem Haftbefehl, ausgestellt von der Staatsanwaltschaft Salzburg, gesucht. Laut Bundeskriminalamt wird sie beschuldigt, "sich zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt Ende Juni 2014 freiwillig der Terrororganisation 'Islamischer Staat' angeschlossen zu haben". Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (Paragraf 278b StGB) wird ihr vorgeworfen, im Extremfall würden ihr bis zu zehn Jahre Haft drohen.

Der behördliche Widerspruch

Doch darum geht es noch gar nicht, noch lange nicht. Anwalt Eder: "Es erscheint unverständlich, dass Maria einerseits mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, andererseits aber trotz bekanntem Aufenthalt nicht die Unterstützung der Republik Österreich erhält, das Lager zu verlassen und nach Österreich einzureisen."

Das Innenministerium fahndet, das Außenministerium bremst. "Es kann aus Sicherheitsgründen nicht zugemutet werden, sich in das Krisengebiet zu begeben", heißt es in einem Schreiben an Marianne.

Sicherheitsgründe? Der Politologe Thomas Schmidinger, ein ausgewiesener Nahost-Experte, war erst vor zwei Wochen persönlich im Lager Al-Hol und steht auch in engem Kontakt mit den kurdischen Behörden: "Die sind durchaus bereit, Maria ausreisen zu lassen, wenn das Außenministerium sie darum ersucht." Doch das, meint er, sei aus innenpolitischen Gründen bisher nicht opportun gewesen.

Maria und ihre Kinder haben kein Geld, kaum Essen, keine Medizin. Verlieren sie nun auch die Hoffnung auf Heimat?

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Printausgabe Nr. 24+25/19