Die D-Day-Wetterfee

Wie eine Postbeamtin die Invasion rettete

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

General Eisenhower plante gemeinsam mit dem Generalstab die Invasion des von deutschen Truppen besetzten Europas für den 5. Juni 1944. Eine Woche vorher schien es noch der ideale Zeitpunkt zu sein. Die Tage waren sonnig und windstill, die Nächte klar, die See ruhig und für den 5. Juni zeigte der Kalender Vollmond. Ideale Bedingungen für die Landung an den Stränden der Normandie.

Am 3. Juni, es war ihr 21. Geburtstag, begann Maureen Flavin um Mitternacht ihren Dienst im Postamt in Blacksod, einem kleinen Dorf im äußersten Nord-Westen von Irland. Sie war zum Spätdienst eingeteilt. Seit 1942 arbeitete sie im Postamt, und ausser dem Verkauf von Briefmarken, der Übernahme von Paketen und Telegrammen übernahmen die Mitarbeiterinnen des Postamtes noch den Wetterbericht, auch während der Nächte. Maureen war keine ausgebildete Meteorologin, kontrollierte jedoch regelmäßig das Barometer und beobachtete die Veränderungen über dem Meer in der Blacksod Bay. Ihr Freund Ted Sweeney, Sohn der Leiterin des Postamtes, half ihr hoch oben im Leuchtturm der Blacksod Bay mit seinen Beobachtungen der See und des Himmels.

Nachtdienst

Von 1942 bis Anfang 1944 gab sie einzweimal pro Tag und während der Nachtschicht die Wetterdaten weiter an die Zentrale nach Dublin. Was damit geschah interessierte sie nicht weiter. Mit März 1944 änderte sich die Situation und das meteorologische Zentrum in Dublin forderte einen stündlichen Bericht über Wetterveränderungen.

Irland blieb neutral während des Krieges, dennoch kooperierten verschiedene Institutionen mit Großbritannien und gaben Informationen weiter. So auch die Wetterstation in Dublin, die Berichte der verschiedenen irischen Beobachtungsstellen direkt nach Dunstable weiterleitete, dem meteorologischen Zentrum von Großbritannien. Die Wetterlage in Irland verschob sich weiter in Richtung Großbritannien und Nord-Frankreich.

Gleich zu Beginn ihres Dienstes während der Nacht vom 3. auf 4. Juni beobachtete Maureen eine plötzliche Wetteränderung. Das Barometer fiel, der Himmel verdunkelte sich, und die Sterne waren nicht mehr zusehen. Aufgrund ihrer Erfahrungen meldete sie nach Dublin, dass mit heftigen Winden und Regen während der nächsten Stunden zu rechnen sei. Ihr Bericht war fertig, sie zog sich zurück in den Schlafraum des Postamtes für die Nachtdienste, hatte sie doch Zeit genug bis zum nächsten Bericht, als das Telefon läutete.

Leuchtturm

Eine Frauenstimme mit englischem Akzent meldete sich: "Haben Sie eben den Wetterbericht durchgegeben, dass mit einer plötzlichen Wetteränderung zu rechnen ist?" Maureen bestätigte ihren eigenen Bericht. Die Frau sagte: "Bitte prüfen Sie noch einmal, in Abständen von 30 Minuten, ich rufe Sie jede halbe Stunde an." Maureen erzählte nach dem Krieg in einem Interview, sie hätte nicht verstanden, warum ihre Beobachtungen damals so wichtig gewesen wären, doch sie gab den Plan auf, sich niederzulegen, kontrollierte das Barometer, ging wieder hinaus in die Bucht und notierte die Veränderungen über dem Meer, die mit den Beobachtungen von Ted Sweeney im Leuchtturm übereinstimmten.

"Wir überprüften die Lage regelmäßig und kamen zu keinem anderen Ergebnis, das Wetter veränderte sich völlig unerwartet", erzählte Maureen. Auf der Grundlage von Maureens Bericht kontaktierte der Chef-Meteorologe James Stagg den Oberbefehlshaber der Alliierten und verantwortlichen Offi zier für die Invasion, General Eisenhower, und warnte, dass die plötzliche Wetterveränderung im Nord-Westen von Irland ein paar Stunden später Großbritannien erreichen und einen negativen Einfluss auf die geplante Invasion haben könnte. Das Oberkommando der Alliierten trat zusammen und diskutierte eine notwendige Verschiebung des Angriffs. Immer wieder kontaktierten sie direkt das Postamt in Blacksod, unter Umgehung der Zentrale in Dublin. Maureen untersuchte während der ganzen Nacht das Barometer, ging wieder zum Strand und sah sich den Himmel an, diskutierte mit Ted Sweeny seine Beurteilung der Lage -doch änderte sie ihre Berichte nicht. Eine Schlechtwetterfront würde immer näher kommen.

Normandie

Aufgrund dieser Informationen aus dem Postamt von Blacksod stoppte General Eisenhauer alle Vorbereitungen und verschob die Invasion. Am 5. Juni - wie von der 21-jährigen Maureen ohne jede meteorologische Ausbildung vorhergesagt -begann es zu regnen, ein stürmischer Wind fegte über den Kanal zwischen England und dem Kontinent und tief über dem Wasser hingen schwarze Wolken. In seinem Buch 'Forecast for D-Day' schrieb der Autor John Ross, dass ein Angriff am 5. Juni - wie er geplant war -bei den schlechten Wetterbedingungen die Alliierten Tausende mehr Tote gekostet hätte, die Invasion vielleicht sogar gescheitert wäre. Doch mit dem Aufschub wegen des Wetters war das Problem nicht gelöst. Der Einfluss von Ebbe und Flut, die Strömungen des Meeres, die Stellung des Mondes, zahlreiche Faktoren wurden bei der Auswahl des Datums für den Angriff berücksichtigt. Eine Verschiebung um mehrere Wochen oder Monate könnte den Verlust des Überraschungsmoments bedeuten, wenn die Deutschen die enorme Truppenkonzentration in England entdecken würden.

Alliierte

Extreme Nervosität herrschte im Hauptquartier der Alliierten als es wiederum der Bericht von Maureen war, der für Erleichterung sorgte. Am 5. Juni berichtete sie, dass die Schlechtwetterfront nur sehr begrenzt, von kurzer Dauer sei, und eine stabile Schönwetterfront sich nähern würde. Ihr Dienst war bereits am 5. Juni um vier Uhr morgens zu Ende, doch die Wetterzentrale im Hauptquartier der Armee in England bat sie, weiter in kurzen Abständen die Entwicklung zu melden.

Am 6. Juni um die Mittagszeit, bei Sonnenschein, wolkenlosem Himmel und ruhiger See - wie von Maureen angekündigt - befahl General Eisenhower, den Angriff vorzubereiten. In der Nacht vom 6. Juni überquerte die erste Welle der Invasionsarmee mit 3.100 Landungsbooten das Meer in Richtung Frankreich. Unter dem Feuerschutz von 1.200 Kriegsschiffen und 7.500 Flugzeugen landeten im Morgengrauen rund 150.000 Amerikaner, Briten, Franzosen, Polen, Kanadier und weitere Commonwealth-Angehörige an fünf verschiedenen Stränden der Normandie. Gleichzeitig brachten Fallschirmjäger und Luftlandetruppen wichtige strategische Punkte im Hinterland unter ihre Kontrolle. Am 12. Juni gelang es rund 330.000 alliierten Soldaten mit 54.000 Fahrzeugen, die fünf Landungsköpfe zu einer zusammenhängenden Front von 100 Kilometern Länge und 30 Kilometern Tiefe zu verbinden.

Jahrestag

Maureen starb vor wenigen Wochen im Alter von 100 Jahren. 1923 in Knockanure, im Südwesten Irlands geboren, wo ihre Eltern einen kleinen Laden besaßen, der als einziges Geschäft im Ort alles angeboten hatte, was die Bewohner zum Leben benötigten. Nach dem Krieg heiratete sie den Leuchtturmwächter Ted Sweeney und übernahm 1946 als Leiterin das Postamt. Erst 1956, als in der nächsten Stadt eine eigene Wetterstation eröffnet wurde, erfuhr sie von der Bedeutung ihrer Wetterberichte für die erfolgreiche Invasion. Joe Cattini, ein Offizier der Invasionstruppen, sagte in einer TV-Dokumentation: "Wir sind unendlich dankbar für die Dienste von Maureen aus dem kleinen Dorf in West-Irland. Ohne ihre Warnung wären viele von uns im Sturm umgekommen." 1994, anläßlich der 50-Jahr-Feier erinnerte der Meteorologe McWilliams in einem Essay in "The Irish Times" an den wichtigen Beitrag von Maureen für den Erfolg der Alliierten.

Maureens Ehemann Ted Sweeney starb 2001. Alle ihre drei Söhne Ted, Gerry und Vincent arbeiteten als Leuchtturmwärter. In einem der letzten Interviews 2006 sagte Maureen: "Tausende Schiffe, Flugzeuge und Soldaten waren bereit, doch Sturm und Regen, vor dem wir einen Tag zuvor warnten, verzögerte den Einsatz. Wir waren glücklich, als wir viele Jahre später erfuhren, dass wir mit unserem Wetterbericht helfen konnten. Im Grunde genommen trafen wir im Postamt von Blacksod die letzte Entscheidung für den Zeitpunkt der Invasion."