Beileidschreiben: Zwischen Mut und Selbstdarstellung

Ob berühmte Person oder engstes Familienmitglied: Immer mehr Menschen bekunden ihre Trauer online. Warum wir unseren Kummer im Internet teilen und was wir uns davon erhoffen

von
THEMEN:
Ein Frau wirkt traurig und nachdenklich. © Bild: Viktor Gladkov/Shutterstock

Unter dem Porträt in Schwarz-Weiß ein elendslanger Text, dazu schwarze Herz-Emojis und Dutzende Kommentare: Postings, in denen Trauer bekundet wird, erzielen häufig eine enorme Reichweite im Netz.

Dieses öffentliche Bekunden gleicht einem Online-Kondolenzbuch. Waren diese früher nur den engsten Familien-, Freundes- und Bekanntenkreisen vorbehalten, findet man sie heute öffentlich einsehund kommentierbar im Internet: Menschen inter- und reagieren sofort, sogar dann, wenn sie mit der trauernden oder verstorbenen Person nur wenig Kontakt hatten.

Wunsch nach Anerkennung

Obwohl man jenen, die intimste Fotos und Erinnerungen mit einem dispersen Publikum teilen, durchaus ein gewisses Maß an Selbstdarstellung unterstellen kann, steht laut Psychologen hier eher der Wunsch nach Anerkennung im Vordergrund.

Martina Schneider ist Klinische Psychologin und Expertin auf dem Gebiet der Trauer. Wer diese im Internet bekunde, so Schneider, versuche in erster Linie, soziale Anerkennung zu erlangen: "Beim Erstellen und Teilen von Videobotschaften oder langen Texten spielt die Selbstdarstellung sicherlich eine Rolle, aber das zugrunde liegende Motiv ist der Wunsch nach Zugehörigkeit. Durch das Medium Internet hat sich natürlich die Breitenwirkung geändert, und man erreicht mit seiner Botschaft wesentlich mehr Menschen."

Der Beistand anderer, gerade in Zeiten der Trauer, ist enorm wichtig für uns, um mit dem Erlebten fertigzuwerden, erklärt die Psychologin. Ganz egal, ob dieser Beistand nun online oder offline passiert. "Einerseits wird uns signalisiert: Du bist nicht allein, wir unterstützen dich, wenn du uns brauchst! Und zum anderen bedeutet das Kondolieren der anderen auch, dass uns tatsächlich etwas Schlimmes widerfahren ist. Es erkennt unseren Verlust sozusagen an und macht ihn bedeutsam."

Online zu trauern kann aber auch negative Reaktionen zur Folge haben. Zum Beispiel dann, wenn die Kommentare der anderen nicht wie erhofft ausfallen. Psychotherapeutin Brigitte Sindelar vom Sindelar Center in Wien mahnt deshalb zu Vorsicht: "In der Trauer ist der Mensch besonders verletzlich. Trauer ist ein intimes Gefühl. Tut man die Trauer im Internet kund, teilt man ein intimes Gefühl auch mit Menschen, zu denen man eine wenig intime oder auch gar keine Beziehung hat. Will man ein so intimes Gefühl auch mit Menschen teilen, die man kaum oder gar nicht kennt?"

Tabuthema Tod

Dennoch: Wer Trauer teilt, ist mutig. Denn gerade das Thematisieren des Todes im Internet hilft dabei, diesen zu enttabuisieren, erklärt Martina Schneider. Eine Entwicklung, die vielleicht dringend nötig ist, schließlich geht der Tod uns alle an. "Sehr lang war Trauer etwas, das hinter verschlossenen Türen zu geschehen hatte und vor allem auch als zeitlich begrenzt vorausgesetzt wurde. Hier kann das Internet helfen, für Aufklärung und vor allem für mehr Verständnis zu sorgen."

»Lang war Trauer etwas, das hinter verschlossenen Türen zu geschehen hatte«

Martha Schneider, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin

Brigitte Sindelar betont, dass das nach außen getragene Trauern auch eine kulturelle Komponente hat: "Es gibt viele Kulturen, in denen die Trauer öffentlich gemacht wird, herausgeschrien wird, in denen hörbar und sichtbar laut geweint und geschluchzt wird, um die Seele zu entlasten. Vielleicht ist das 'öffentliche' Trauern in Social Media eine Form davon."

Grundsätzlich trauert aber jeder Mensch ganz unterschiedlich. Während die einen ihren Kummer mutig in die Welt hinausschreien, bleiben andere lieber für sich. "Menschen gehen so unterschiedlich mit der Trauer um, wie sie unterschiedlich sind", so Sindelar. "Während die einen Trost und Mitgefühl erleben, wenn ihnen kondoliert wird, empfinden die anderen es als belastende Pflicht, sich kondolieren lassen zu müssen, sie ziehen sich lieber zurück." Solidarität im Trauerfall bedeutet deshalb, niemandem die Kondolenz aufzuzwingen, so die Psychotherapeutin. Man sollte Kondolenz zwar anbieten, "aber auch unwidersprochen akzeptieren, wenn sich jemand der Kondolenz verweigert."

In einem Trauerfall gar nichts zu sagen sei aber definitiv der falsche Weg, mahnt die erfahrene Psychologin Martina Schneider: "Ich höre in meiner Praxis häufig, dass nach dem Verlust eines Menschen andere beginnen, die Hinterbliebenen zu meiden, oder sie nicht darauf ansprechen. Das geschieht höchstwahrscheinlich aus der eigenen Betroffenheit und Unsicherheit heraus: Man möchte vielleicht nichts verschlimmern oder nichts Falsches sagen. Doch genau das bedeutet oft eine tiefe Verletzung und Enttäuschung. Es nimmt den Betroffenen das Recht zu trauern."

Die Phasen der Trauer

Während der Tod medial immer häufiger in die Mitte des Lebens rückt, tut er dies auch in populärwissenschaftlicher Hinsicht.

Verschiedenste Konzepte der "Trauerphasen" wurden in den vergangenen Jahren breitenwirksam und höchst öffentlich diskutiert. Elisabeth Kübler-Ross beschrieb das Sterben in fünf Phasen, Verena Kast das Trauern in vier, doch es steht fest: Trauern ist ein Prozess, der nicht unbedingt und zu jeder Zeit einem linearen Verlauf folgt.

Psychologen warnen deshalb: "Das Risiko dieser populärwissenschaftlichen Kommunikation von Trauerphasen ist, dass sie im sozialen Umfeld der Trauernden immer wieder Erwartungen an die Trauernden auslöst, wann die Trauer beendet sein müsste. Dann wird sogar der Trauerprozess zur Leistung, bei der man auch versagen kann", so Brigitte Sindelar. Auch Martina Schneider erlebt in ihrer Praxis häufig, dass das Konzept der viel diskutierten Trauerphasen bei Betroffenen eher Druck und Stress auslöst. "Das Konzept eines starren Phasenablaufs entspricht auch nicht den Gefühlen der meisten Betroffenen. Ein Trauerprozess ist nicht nur sehr individuell, sondern auch die Emotionen wechseln sich ab. Die Phasen können somit auch durcheinander vorkommen und sich wiederholen."

Manchmal verändern diese sich sogar innerhalb eines Tages: Auf Wut folgen Zorn, Trauer oder Einsamkeit, dann folgt wieder Leugnung. "Trauer ist ein Prozess, in dem unterschiedliche Gefühlszustände dominieren", ergänzt Sindelar. "Und der Trauerprozess ist eine anstrengende Arbeit für die Seele."

Richtig kondolieren

Kondolieren heißt, Beileid auszusprechen, erklärt die Therapeutin. "Wer kondoliert, leidet 'bei', das heißt: Man steht nicht im Mittelpunkt, sondern auf der Seite des trauernden Menschen. Heftige Gefühlsausbrüche bei der Kondolenz sind daher zu vermeiden", so Sindelar. "Der trauernde Mensch fühlt sich dadurch alleingelassen, befremdet und unverstanden statt unterstützt." Auch ausschweifende Reden sind fehl am Platz. "Das bringt den Trauernden in noch mehr emotionalen Stress."

»Wer kondoliert, leidet 'bei', das heißt: Man steht nicht im Mittelpunkt, sondern auf der Seite des trauernden Menschen«

Brigitte Sindelar, Psychotherapeutin

Martina Schneider empfiehlt, je nach Näheverhältnis unterstützende Angebote zu machen, um der trauernden Person Gesellschaft oder Ablenkung zu bieten. "Angebote, wie man unterstützen kann, werden meist gut aufgenommen, z. B. ob die Person spazieren gehen möchte oder einen Kaffee trinken. Man kann auch Essen vorbeibringen, um auszudrücken, dass die Person nicht allein ist. Werden solche Angebote nicht angenommen, sollte man das nicht persönlich nehmen und einfach zu einem anderen Zeitpunkt erneut fragen. Was für Trauernde heute nicht passt, kann morgen enorm wichtig sein!"

Oftmals braucht es auch gar keine großen Worte. "Sondern einfach nur jemanden, der da ist und die Gefühle aushält, die betroffene Person weinen lässt oder eine Umarmung anbietet."

Unbedingt vermeiden sollte man übrigens Floskeln. Denn abgedroschene Phrasen, wie "Die Zeit heilt alle Wunden" oder "Du wirst sicher darüber hinwegkommen" bagatellisieren den Verlust, erklärt Schneider, "und das entspricht in dem Moment überhaupt nicht den Gefühlen der Betroffenen".

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2022 erschienen.