Ibiza-Aufdecker: "Heinz-Christian Strache verdreht die Fakten"

Vor einem Jahr - am 17. Mai 2019 - brachte das Ibiza-Video Österreichs Polit-Landschaft zum Beben und veränderte alles. Oder? Hauptakteur Heinz-Christian Strache ist wieder zurück auf der Polit-Bühne und erzählt seine eigene Version der Geschichte. Doch welche stimmt - und was hat Österreich überhaupt aus Ibiza gelernt? Ein Gespräch mit jenen, die das Beben durch ihre Enthüllungen auslösten: Den Ibiza-Aufdeckern Frederik Obermaier und Bastian Obermayer.

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1 Jahr nach Ibiza - Ibiza-Aufdecker: "Heinz-Christian Strache verdreht die Fakten"

Ein Jahr ist vergangen seit Ihrer Aufdeckung der Ibiza-Affäre: Was hat die Affäre im Rückblick verändert? Haben Sie das Gefühl, dass Österreich bzw. die österreichische Politik etwas daraus gelernt hat?
Bastian Obermayer: Als Deutscher kann ich das schlecht beurteilen, und will es mir auch nicht anmaßen. Aber ich glaube schon, dass die Verachtung, die Heinz-Christian Strache auf Ibiza für demokratische Grundwerte gezeigt hat, das Bild von ihm verändert hat. Ich bin mir sicher, die meisten Österreicher wollen weder eine Orbanisierung ihres Landes noch einen Vize-Kanzler, der halb Österreich einer angeblichen Oligarchin verscherbeln will.

»Mich erstaunt – und stört – die Art, wie über angebliche Hintergründe des Ibiza-Videos berichtet wird. «

Was hat sich aus Ihrer Sicht vielleicht anders entwickelt, als Sie es sich Ende Mai letzten Jahres gedacht oder erwartet hätten?
Frederik Obermaier: Mich erstaunt – und stört – die Art, wie über angebliche Hintergründe des Ibiza-Videos berichtet wird. Da werden, auch seitens Medien, von denen ich eigentlich viel halte, Gerüchte ungeprüft verbreitet, entlastende Fakten unterschlagen und Behauptungen aufgestellt, die schlichtweg nicht haltbar sind. Eines gerät da leider oft in den Hintergrund: das dubiose Gebaren zweier hochrangiger Volksvertreter – und die möglichen Folgen der von ihnen in Aussicht gestellten Schritte für die Bundesrepublik Österreich.

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Viele haben längst den Überblick in all den Ermittlungen (derzeit laufen 35 Verfahren) verloren, die die Herrn Strache und Gudenus losgetreten haben. Haben Sie ihn noch?
Bastian Obermayer: Na ja, wir recherchieren ja nicht nur zu Österreich und haben uns im vergangenen Jahr auch ganz anderen Themen gewidmet. Deswegen sind wir sicher nicht in allen Verfahren auf dem letzten Stand. Aber wir behalten die wichtigsten Stränge schon im Auge, würde ich sagen.

Was sagen Sie zum Comeback-Versuch Heinz-Christian Straches? Hätten Sie sich das nach seinem Rücktritt vorstellen können?
Frederik Obermaier: Heinz-Christian Strache hat zahlreiche Hardcore-Fans, die sich offenbar selbst durch seine korrupten Avancen nicht abschrecken lassen. Dass er aber so schnell zurück in der Politik ist, hat mich allerdings überrascht.

Strache zeigt sich in einem Interview mit News überzeugt, den Einzug in Wien zu schaffen und die FPÖ zu überholen. Trauen Sie ihm das zu?

Bastian Obermayer: Ich bin nicht tief genug in der österreichischen Politik, um irgendwelche Vorhersagen oder Wahlprognosen zu treffen. Und bis zur Wahl vergehen ja auch noch etliche Monate, wer weiß schon, was es bis dahin an neuen Skandalen und Affären zu berichten gibt…

Im selben Interview spricht Strache auch über das Ibiza-Video. Er sagt etwa „Jeder, der das Video ganz gesehen hat, sagt, dass die ersten Stunden völlig nebulös und fad waren, bis dann das gewirkt hat, was mir diese Herrschaften offenbar unterjubelten, um mich dort hinzubekommen, wo sie mich haben wollten.“ Stimmen Sie dem zu?
Frederik Obermaier: Heinz-Christian Strache verdreht die Fakten. Gleich zu Beginn des Treffens hat er Dinge gesagt wie „Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán aufbauen.“ Und gleich nach dem Abendessen ging es auch schon um die Kronen-Zeitung, die er unter seine Kontrolle bringen wollte. Er selbst war es dann auch, der den Vorschlag machte, man könne der Strabag doch die Staatsaufträge entziehen – und stattdessen der russischen Oligarchennichte zuschlagen.

» Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde das seltsam…«

Strache beschreibt den Abend jetzt unter anderem so: „… so ab 1.30 Uhr, riss dann komplett der Faden: Ich weiß nicht mehr, was ich danach getan habe oder wann ich nach Hause gekommen bin. Meine Mutter, die mit uns auf Urlaub gewesen ist, war noch am Morgen danach entsetzt und sagte zu mir: ‚In so einem Zustand habe ich dich noch nie erlebt.‘“
Bastian Obermayer: Erstaunlicherweise hat er sich bei unserer ersten Anfrage im Mai vergangenen Jahres ganz anders erinnert: da meinte er nur, es sei ein „lockerer“ und „ungezwungener“ Abend in „feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre“ gewesen. Das Trauma, das er jetzt plötzlich erlebt haben will, hat er da nicht erwähnt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde das seltsam…

Herr Strache scheint sich recht sicher zu sein, dass ihm Drogen untergejubelt wurden. Er meint etwa: „Mir sagen Experten: Wenn du Ecstasy in Tropfen oder liquides Kokain beimischst, dann passt das genau zu dem Bild, das ich da abgegeben habe.“
Frederik Obermaier: Eine gewagte Aussage – zumal er sie nicht weiter belegt. Zwei der renommiertesten Experten im deutschsprachigen Raum - der Berliner Professor Michael Tsokos sowie sein Kollege Sven Hartwig – haben im vergangenen Jahr das öffentlich verfügbare Ibiza-Video eingehend analysiert. Ihr Ergebnis ist klar und eindeutig: Es gebe keine sichtbaren Anzeichen für die Verabreichung sogenannter K.-o.-Mittel.

Bastian Obermayer: Dieses Narrativ kam ja erst nach und nach, und das toxikologische Gutachten widerlegt es. Ich würde darüber vielleicht anders denken, wenn Herr Strache von Anfang an geantwortet hätte: Oh Gott, dieser Abend, da ist etwas ganz Unerklärbares mit mir passiert. Hat er aber nicht. Und im Video macht er irgendwann einen fröhlich angetrunkenen Eindruck, aber das war es auch.

Haben Heinz-Christian Strache und/oder Johann Gudenus jemals nach der Veröffentlichung des Videos noch versucht, Sie zu kontaktieren?
Bastian Obermayer: Nein. Wobei sich wiederholt angebliche „Verbindungspersonen“ gemeldet haben, die uns das Videomaterial „im Auftrag involvierter Personen“ abkaufen wollten. Ich kann nicht ausschließen, dass diese Leute in Kontakt mit Strache standen – so klang es jedenfalls. Und auch die Soko Tape hat ja Hinweise darauf, dass Strache das Video erwerben wollte.

Einige Aussagen aus dem Video scheinen sich inzwischen zu bewahrheiten. Denken Sie, wird da noch einiges mehr ans Licht kommen?
Frederik Obermaier: Ich hoffe, dass der Untersuchungsausschuss und auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft insbesondere den Verdacht der Untreue sowie die heimlichen Spendenkonstrukte noch weiter ausleuchten. Und dann ist da auch noch die Sache mit den Bargeldbündeln, die in Straches Dienstwagen fotografiert worden sind. Immerhin steht der Verdacht des Mandatskaufs im Raum.

»Genug Material gäbe es ja und genügend Vorwürfe auch. «

Glauben Sie, wird es irgendwann rechtliche Konsequenzen geben für die Hauptakteure?
Bastian Obermayer: Wir sind gespannt. Genug Material gäbe es ja und genügend Vorwürfe auch. In Sachen Vorteilsannahme wurde Strache von einer „Gesetzeslücke“ gerettet – wir sind gespannt, was bei den anderen Vorwürfen wie dem der Untreue so kommt.

Der Untersuchungsausschuss startet am 4. Juni. Ihr Kollege, "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk, wurde geladen, weil er das ganze Video kennt. Wurden Sie eigentlich auch kontaktiert?
Frederik Obermaier: Es wurde bei uns vorgefühlt, wir haben aber keine offizielle Ladung bekommen.

»Bemerkenswert finde ich, wie schnell Sebastian Kurz vergessen zu haben scheint, wer die FPÖ ursprünglich überhaupt erst in die Regierung geholt hat«

Sie sagten in einem Interview mit uns im September (kurz vor der Neuwahl), dass Österreich „politisch gerade ein faszinierendes Land“ sei. Sehen Sie das jetzt, fast acht Monate danach, immer noch so?

Frederik Obermaier: Ja, klar. Österreichs Politik fasziniert mich noch immer. Bemerkenswert finde ich, wie schnell Sebastian Kurz vergessen zu haben scheint, wer die FPÖ ursprünglich überhaupt erst in die Regierung geholt hat: nämlich er selbst.

Jan Böhmermann und David Schalko werden „Die Ibiza-Affäre“ verfilmen. Sind Sie mit eingebunden?
Bastian Obermayer: Nein, wir haben damit nichts zu tun und auch keinerlei Kontakt, weder zu Jan Böhmermann noch zu David Schalko, deren Arbeit ich übrigens sehr schätze. Wir sind gespannt!