Die Ibiza-Affäre und ihre Folgen

Was im Ibiza-Video passiert ist und was es alles ausgelöst hat

Ibiza ist nicht mehr nur eine Ferieninsel. Das Ibiza-Video löste im Mai 2019 wohl eines der größten politischen Beben der zweiten Republik aus, Vizekanzler Heinz-Christian Strache trat zurück, dann die gesamte FPÖ-Ministerriege der schwarz-blauen Regierung und schließlich wurde die Regierung ganz abgewählt. Die Ibiza-Affäre hat außerdem Neuwahlen am 29. September 2019 zur Folge.

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Das Ibiza-Video

Die politische Welt in Österreich veränderte sich am 17. Mai 2019 um Punkt 18 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt wurde von den deutschen Medien „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ ein Video veröffentlicht, dass den damaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie damaligen FPÖ-Klubchef Johann Gudenus zeigt, wie sie einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen erklären, wie diese verdeckte Parteispenden an die FPÖ schleusen könnte. Außerdem wird ihr nahe gelegt, bei der österreichischen Tageszeitung, der „Kronen Zeitung“ einzusteigen, um die Partei noch vor der Nationalratswahl 2017 zu pushen. Auch öffentliche Aufträge wurden ihr im Falle einer Regierungsbeteiligung versprochen.

DAS Video

Ibiza-Video: Die Zitate im Wortlaut

Erste Reaktionen von Strache und Gudenus

Das Treffen fand vor der Wahl im Juli 2017 statt und wurde heimlich mitgefilmt (das gesamte Video dauert etwa sechs Stunden, der veröffentlichte Mitschnitt sechseinhalb Minuten) und war eine Falle, die vermeintliche Nichte ein Lockvogel. Strache witterte die Falle auch - und zwar wegen schmutziger Fußnägel der "Nichte". In einer ersten Reaktion bestätigten sowohl Strache als auch Gudenus das Treffen, räumten aber ein, dass es ein "ein rein privates" Treffen in "lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre" gewesen sei. Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen“, so Strache in einer ersten Reaktion an die beiden Medien noch vor der Veröffentlichung.

Strache-Rücktritt

Doch am Tag darauf, Samstag, den 18. Mai 2019 gab der FPÖ-Chef seinen Rücktritt von allen Funktionen bekannt, sowohl sein Amt als Vizekanzler, Sport- und Beamtenminister als auch jenes als FPÖ-Obmann der Bundes- sowie Wiener Landespartei legte er nieder und übergab an den damaligen Infrasturkturminister und seinen Partei-Vize Norbert Hofer – bzw. in Wien an Dominik Nepp. In seiner Rücktrittsrede sagte Strache, die FPÖ wolle das Regierungsprogramm mit der ÖVP weiter umsetzen, seine Person dürfe nicht der Grund für eine Sprengung dieser sein. Außerdem entschuldigte er sich emotional bei seiner Frau, Philippa Strache, und sprach erstmals von dem Video als „gezieltes politisches Attentat“, vermutlich von politischen Gegnern oder ausländischen Geheimdiensten. Durch die Veröffentlichung des Videos sei auch gegen den Ehrenkodex der Presse verstoßen worden, so Strache, der mehre Anzeigen ankündigte.

Seine fragwürdigen Aussagen in dem Video bezeichnete er als „typisch alkoholbedingtes Machogehabe“, um die Gastgeberin zu beeindrucken und sprach von einer „besoffenen Gschicht“. Zurück trat nach dem Video auch der bis dahin geschäftsführende Klubobmann der FPÖ, Johann Gudenus, der auch aus der Partei austrat.

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"Genug ist genug": Kurz ruft Neuwahlen aus

Am selben Tag ließ der damalige Kanzler Sebastian Kurz ein öffentliches Statement immer wieder verschieben, bis er am Abend, kurz vor 20 Uhr Neuwahlen verkündete. „Genug ist genug“ sagte der ÖVP-Chef und rief einen neuerlichen Urnengang „zum schnellstmöglichen Zeitpunkt“ aus. Als Grund nannte er Gespräche mit Vertretern der FPÖ, in denen er nicht den Eindruck gewonnen habe, dass es neben den Rücktritten den wirklichen Willen zur Veränderung der FPÖ auf allen Ebenen gebe. Das wäre aber mehr als notwendig. Er kritisierte die im Video getätigten „Ideen des Machtmissbrauchs“, bezeichnete aber ebenso die heimliche Aufzeichnung als „verachtenswert“. Gleichzeitig nutzte er die Gelegenheit, um den Wahlkampf einzuleiten und betonte, dass nur wenn die ÖVP nach den eben angekündigten Neuwahlen, die Möglichkeit habe „ganz eindeutig den Ton anzugeben“, könne er „die begonnenen Veränderung fortsetzen“. Er wolle "mit Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung" für Österreich arbeiten, und zwar "ganz ohne Einzelfälle, Zwischenfälle und andere Skandale".

Debatte um Kickl

Kurz nach Kurz‘ Statement äußerte die FPÖ heftige Kritik: Kurz habe Innenminister Herbert Kickl loswerden wollen und habe das „mit dem Koalitionsbruch erpresst“, so der Landesobmann der FPÖ Niederösterreich, Udo Landbauer. Die ÖVP habe das Innenministerium mit einem Unabhängigen besetzen wollen und habe daran den Fortbestand der Koalition geknüpft, so Landbauer. Auch Kanzleramtsminister Gernot Blümel bestätigte dies indirekt, als er am Tag darauf, dem 19. Mai 2019 in der „Zeit im Bild“ des ORF sagte: „Ich gehe davon aus, dass der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten auch vorschlagen wird, den Innenminister aus der Regierungsverantwortung zu entlassen.“ Blümel begründete diesen Schritt jedoch mit der Notwendigkeit, nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen. Es sei klar gewesen, dass auch die beiden Rücktritte nicht zu einer Rückkehr zur Tagesordnung gereicht hätten. Das von Landbauer beschriebene „Angebot“, wonach Kurz zum Weiterregieren bereit gewesen wäre, wenn Strache und auch Kickl gegangen wären, bestritt Blümel jedoch und bezeichnete die Aussagen als "absurd".

Alle FPÖ-Minister treten zurück

Norbert Hofer, der an diesem Tag auch einstimmig zum neuen Parteichef der FPÖ designiert wurde, gab indes bekannt, dass im Falle einer tatsächlichen Abberufung des Innenministers Kickl alle freiheitlichen Regierungsmitglieder ihr Rücktritte in Aussicht stellen würden. Dies geschah auch am Tag danach, am 20. Mai, nachdem Sebastian Kurz Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Entlassung Kickls vorgeschlagen hatte. Der Präsident stimmte am Dienstag, den 21. Mai dann auch den Amtsenthebungswünschen der blauen Regierung zu und bat Kurz um Namen von Experten als Ersatz. An diesem Tag brachte auch der entlassene FPÖ-Inneminister Herbert Kickl erstmals ein Misstrauensvotum gegen Kanzler Kurz ins Spiel.

Kurzzeit-Übergangsregierung wird angelobt

Bereits am Tag darauf wurden die fünf Übergangsminister, die die vakanten Posten der FPÖ-Minister einnahmen, von Alexander Van der Bellen angelobt. Das Innenministerium übernahm der pensionierte OGH-Präsident Eckart Ratz (65), der frühere Sektionschef Walter Pöltner (67) wurde Sozialminister und der stellvertretende Generalstabschef Johann Luif (59) Verteidigungsminister. Das Infrastrukturressort übernahm Austro-Control-Chefin Valerie Hackl (36). Kurzzeit-Vizekanzler wurde Finanzminister Hartwig Löger. Das mit Heinz-Christian Straches Abgang ebenfalls frei gewordene Sport- und Beamtenministerium betreute Familienministerin Juliane Bogner-Strauß mit.

Der Misstrauensantrag gegen das Kabinett Kurz

Diese Übergangsregierung, die de facto eine ÖVP-Alleinregierung war, währte jedoch nicht lange. Am Sonntag, den 26. Mai, feierten die ÖVP und Sebastian Kurz noch einen großen Wahlsieg bei der Europawahl, ein paar Stunden danach kündigte die SPÖ jedoch an, dem Bundeskanzler und der gesamten Regierung in der Nationalratssitzung am Tag darauf das Misstrauen auszusprechen. Kurz habe keine vertrauensbildenden Maßnahmen gesetzt, begründete Parteichefin Pamela Rendi-Wagner vor Journalisten die Empfehlung für das Misstrauensvotum. Er habe für eine "ÖVP-Alleinregierung" gesorgt, ohne sich vorher mit den anderen Fraktionen abgestimmt zu haben.

Das Ende für Kurz

Diesen Antrag brachte die SPÖ am Montag, den 27. Mai ein. Rendi-Wagner begründete diesen im Nationalrat mit der "einzigartigen Vorgehensweise" von Kurz, nämlich einem "zügellosen, schamlosen Griff nach Macht. Aber die Macht in unserem Land geht vom Volk aus", so Rendi-Wagner. Kurz trage Verantwortung für das Scheitern der Regierung. Er habe das Land zum zweiten Mal in Neuwahlen gestoßen und nach dem Scheitern von Türkis-Blau eine ÖVP-Alleinregierung installiert. Daher spreche die SPÖ ihm und seiner Regierung das Misstrauen aus, so die rote Parteichefin im Parlament. Der Antrag wurde von der FPÖ und der Liste Jetzt unterstützt und hatte damit die Mehrheit, ÖVP und Neos votierten dagegen.

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Bierlein wird Übergangskanzlerin

Die Regierung und Kanzler Kurz wurden am Tag darauf, dem 28. Mai von Alexander Van der Bellen ihres Amtes enthoben. Das Kabinett wird aber gleich darauf mit der interimistischen Fortführung der Amtsgeschäfte allerdings unter der Führung Hartwig Lögers wieder betraut, bis am 30. Mai die Übergangsregierung unter VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein als Kanzlerin übernimmt. Kurz wird damit zum jüngsten Altkanzler und gibt bekannt, auch auf sein Nationalratsmandat zu verzichten. Lieber startet er seinen Wahlkampf und tourt umgehend durch Österreich.

Strache hat Anspruch auf EU-Mandat - und Ehefrau Philippa wird aktiv

Am Tag des Misstrauensvotums wurde außerdem bekannt, dass der bereits zurückgetretene FPÖ-Chef Strache dank der Vorzugsstimmen bei der EU-Wahl am Tag davor Anspruch auf ein Mandat im EU-Parlament hätte. In einer ersten Reaktion postete er auf Facebook, dass er sich „demokratiepolitisch verpflichtet fühle“, EU-Abgeordneter zu werden – löschte das Posting jedoch umgehend wieder. Knapp drei Wochen später verkündete er, auf das Mandat zu verzichten. Nachgesagt wird ihm ein Deal mit der FPÖ, denn kurz zuvor wurde bekannt, dass seine Ehefrau Philippa auf dem dritten Platz der Wiener FPÖ-Landesliste für die kommenden Neuwahlen kandidieren wird.

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Ermittlungen zu Video eingeleitet: Wer steckt dahinter?

Indes leitete die Staatsanwaltschaft Wien Ermittlungen im Zusammenhang mit dem eigentlichen Auslöser dieser Regierungskrise, dem Ibiza-Video ein. Es werde in Bezug auf die Erstellung des Videos „in mehrere Richtungen ermittelt“, wurde bekannt gegeben. Auch eine Sonderkommission im Bundeskriminalamt wurde zur Unterstützung der Staatsanwaltschaft eingerichtet. Im Fokus der Ermittlungen steht der Wiener Detektiv Julian H., der in München eine Detektei betrieben hat, und der als Begleiter der vermeintlichen russischen Oligarchin eine Schlüsselrolle gespielt haben soll.

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Auch Strache selbst erstattete Anzeigen in Deutschland gegen alle Personen "die für die Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung des sog. Ibiza-Videos mitwirkend verantwortlich sind". In Österreich brachte Strache Sachverhaltsdarstellungen gegen drei Personen ein, denen er Täuschung, Urkundenfälschung, Missbrauch von Ton- und Abhörgeräten sowie Verdacht der Datenverarbeitung in Gewinn- und Schädigungsabsicht vorwirft.

Auch Aussagen aus dem Video werden geprüft

Wirtschaftsprüfer starteten auch umgehend Prüfungen von FPÖ-nahen Vereinen, die durch Aussagen Straches im Video, Investoren würden über einen gemeinnützigen Verein Geld verdeckt an die FPÖ spenden, ins mediale Licht gerückt waren. Verdächtige Geldflüsse wurden dabei aber nicht gefunden. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurde auch die Immunität des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Markus Tschank aufgehoben, um Ermittlungen zu ermöglichen. Es geht dabei um den Verdacht der Untreue. Für Tschank gilt die Unschuldsvermutung. Ebenso wurden von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Ermittlungen gegen Strache sowie auch Gudenus eingeleitet, auch hier lautet der Verdacht auf Untreue.

Einstweilige Verfügung gegen Kurz

Eine Klage gab es im Zusammenhang mit dem Ibiza-Video auch für Sebastian Kurz. Der ÖVP-Chef wiederholte mehrfach seine Vermutungen, SPÖ-nahe Kreise seien Urheber des Videos. Die SPÖ brachte eine Klage gegen Kurz ein und bekam vom Gericht recht: So wird Kurz untersagt, öffentlich die Sozialdemokraten bezüglich Herstellung und Veröffentlichung des Ibiza-Videos zu verdächtigen.

Auswirkungen des Ibiza-Videos

Auch die Inhalte des Ibiza-Videos brachten einige gesetzliche Neuerungen in Österreich: In der Verfassung verankert wurde, dass Wasser in Österreich nicht privatisiert werden soll (Anlass war Straches Anspielung auf eine Wasser-Privatisierung auf Ibiza). Auch eine Neuregelung zur Parteifinanzierung wurde beschlossen. Künftig soll kein Spender mehr als 7.500 Euro jährlich zahlen, und keine Partei mehr als 750.000 Euro einnehmen. Erschwert wird auch das Stückeln von Parteispenden, denn Zuwendungen über 2.500 Euro müssen künftig sofort dem Rechnungshof (RH) gemeldet und veröffentlicht werden. Höhere Spenden werden neuen Parteien zugestanden.

Am 3. Juli wurden die durch die ganze Affäre ausgelösten Neuwahlen für 29. September 2019 fixiert.