"Zack, zack, zack,
das ziehe ich durch"

Was wurde aus Heinz-Christian Strache? Das Ibiza-Video machte den Ex-Vizekanzler zur tragischen Figur. Ein Jahr danach ist er ein Kleinunternehmer, der um seine Existenz rauft. Und ein Politiker, der in Wien die FPÖ überholen will. Ein Gespräch über späte Einsicht, nächtliche Ängste, aufgestaute Kränkung. Und ein Blackout, irgendwo zwischen Koks, Ecstasy und Wodka.

von Interview - "Zack, zack, zack,
das ziehe ich durch" © Bild: Ricardo Herrgott

Herr Strache, Wiener Bürgermeisterkandidat ist ein Job, den es aufgrund der äußeren Umstände derzeit nicht gibt. Wie vertreiben Sie sich die Zeit?
Am 13. März war ich noch einmal einkaufen, seither war ich, abgesehen von ein paar notwendigen Terminen, zu Hause bei meiner Frau, meinem kleinen Sohn und unserem Hund. Ich habe telefoniert, meine Sachen abgearbeitet, Homeoffice gemacht. Meine Frau hat die meisten Einkäufe erledigt. Sie sagte: "Du rauchst, du gehörst zur Risikogruppe."

Ist bei Ihnen da so was wie innere Ruhe aufgekommen?
Was die Möglichkeit betrifft, Dinge gedanklich aufzuarbeiten und generell zu entschleunigen - ja. Was mich aber schon beschäftigte, war die Situation rund um meine Mutter: Sie ist gesundheitlich angeschlagen und hätte die Situation alleine schwer bewerkstelligen können, wurde dann ins Spital eingeliefert -zum Glück habe ich noch in der ersten Woche einen Pflegeplatz für sie bekommen. Aber da macht man sich natürlich auch Sorgen: Ist das gescheit, gibt es dort alle nötigen Untersuchungen? Die Regierung hat ja so wenige Tests besorgt, dass Pfleger und Pfleglinge nicht getestet werden können, da machst du dir auch Gedanken, denn da geht es ja um die eigentliche Risikogruppe

»Wäre ich Oppositionschef gewesen, hätte ich dem nicht zugestimmt«

Womit wir mitten in der Politik sind. Wie schwer ist es für Sie, untätig zuschauen zu müssen, während die große Show ganz woanders spielt? Was regt Sie auf?
Was mich wahnsinnig aufregt: Der Lockdown ist nachvollziehbar -aber die Grenzen wurden zu spät geschlossen, in Ischgl hat man fahrlässig wegen der Wirtschaftskammerwahl überhaupt weggesehen, und man hat zu lange beobachtet, ohne die entsprechenden Schutzmasken und -anzüge für das medizinische Personal zu besorgen. Und was einen besonders magerlt: dieses Epidemiegesetz aus dem Jahr 1950, auf das man mit Verfassungsmehrheit ein Pandemiegesetz aufsetzte, aber den Rechtsanspruch der EPU und KMU-Betriebe bis 25 Mitarbeiter aushebelte und ihnen die rechtliche Ausfallshaftung über Nacht entzogen hat -das hat mich fassungslos gemacht. Und auch, dass die Opposition geschlossen zustimmte. Wäre ich Oppositionschef gewesen, hätte ich dem nicht zugestimmt. Ich hätte mir einen rot-weiß-roten Schulterschluss der Opposition erwartet, aber die gibt's ja de facto nicht mehr. Aber ich werde als außerparlamentarische Opposition zumindest gehört. Das Epidemiegesetz gehört sofort repariert, ein Notgeld für alle neuen Arbeitslosen und Kurzarbeiter gehört her, und es braucht rasche AWS-Staatshaftungskredite und Genehmigungen durch die Banken für Unternehmen - ohne Wenn und Aber.

Sind Sie selbst mittlerweile nicht auch ein Unternehmer?
Ja, ich bin ein Unternehmer, der zwei Angestellte hat und für sie Kurzarbeitsanträge gestellt hat. Aber die musste ich dreimal ausfüllen, ehe sie bearbeitet werden konnten, zunächst hat sich nicht einmal der Steuerberater ausgekannt. Erst vor einer Woche bekam ich ein Schreiben vom AMS, dass es in Ordnung geht und ich jetzt für die ersten Monate in Vorlage gehen muss. Zum Glück kann ich das noch finanzieren, andere können das nicht. Und da liegt ein großes Problem: Die Großen bekommen Überbrückungskredite, und viele Kleine bekommen nichts und gehen zu Grunde.

Ihr Unternehmen kann es ja noch nicht so lange geben, dass die Eigenkapitaldecke dick genug wäre, oder?
Natürlich ist das eine existenzgefährdende Phase, nicht zuletzt wegen meiner horrenden Anwaltskosten - aber die müssen sein, weil ich beschlossen habe, mich nicht fertigmachen zu lassen. Aber ich habe das Glück, weiterhin Kunden und Aufträge und zum Glück noch keinen Ausfall zu haben. Aber was in den nächsten Monaten auf uns alle zukommt, weiß keiner. So etwas kann man schwer auf Dauer überleben, wenn Kunden wegbrechen sollten.

Was arbeiten Sie eigentlich?
Ich begleite im Bereich Consulting Firmen und konkrete Projekte, das sind etwa Entwicklungs-,Finanzierungsund Immobilienprojekte, über die ich nicht im Detail reden möchte. Auch für meine Kunden ist eine gewisse Verschwiegenheit wichtig.

Der Strache berät mich - das zu sagen, ist momentan wohl eher unsexy, oder?
Sie können sich nicht vorstellen, was da abgeht! Als mir nach meinem Rücktritt ein Unternehmer das Angebot machte, bei ihm angestellt zu werden - was da über den hereingebrochen ist, waren Vernichtungsmethoden. So gesehen ist die Wahrung einer gewissen Verschwiegenheit wichtig, um diese Unternehmen und auch die Arbeitsvorgänge zu schützen.

In einer Ihrer Aussendungen formulierten Sie: "Arbeitslosigkeit explodiert - Wien steht vor dem Kollaps". Und: "Ludwig muss schnell handeln, um soziale Unruhen zu verhindern." Soziale Unruhen - rechnen Sie in Simmering oder Favoriten mit Straßenschlachten oder brennenden Autos?
Nein, aber in Paris haben wir das ja bereits. Dort gehört das gewissermaßen zur Vorstadtfolklore.
Trotzdem brennt es aktuell wieder, in Italien gab es bereits Plünderungen. Und eine gewisse Unruhe, soziale Spannung und Existenzängste sind in der Bevölkerung auch bei uns spürbar.

Wozu führen die?
Wir haben über 600.000 Arbeitslose, über 900.000 zur Kurzarbeit Angemeldete, und das Ende ist nicht in Sicht. Den Schaden des Lockdowns werden wir erst in zwei, drei Monaten richtig zu spüren beginnen. Es wird sozial verzweifelte Menschen geben, die vor dem Ruin stehen, ihre Existenz verlieren, psychische Probleme haben. Wir wissen alle, was Verzweiflung anrichten kann: Wenn deine Existenz zerstört ist, du vor dem Ruin stehst, hast du am Ende womöglich sogar eine Entwicklung, wo Menschen in den Freitod gehen -aber all diese Verzweiflung muss man auffangen.

»Eine gewisse Lockerheit der Zunge hatte ich immer«

In Ihrer Rücktrittserklärung vom 18.5.2019 formulierten Sie: "Ich habe unreflektiert und mit lockerer Zunge über alles und jedes polemisiert." Glauben Sie, dass Sie gegen diese Anfälligkeit mittlerweile vollständig gefeit sind?
Na ja, früher war ich Zahntechniker und habe von der Hand in den Mund gelebt. Danach habe ich nicht nur, aber auch von meinem Mundwerk gelebt. Eine gewisse Lockerheit der Zunge hatte ich immer. Ich glaube, Politik muss immer authentisch bleiben und soll Probleme ansprechen, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sich selbst muss man natürlich weiterentwickeln, trotzdem bleibt man der, der man ist und immer gewesen ist.

In der Tat. Zunächst geißeln Sie sich selbst für Ihre Wordings, weniger als ein Jahr später treten Sie wieder aggressiv wie eh und je auf.
Aggressiv? Ich glaube schon, dass ich in so einer Ausnahmesituation, wo unsere Freiheit und unsere Grundrechte aufgehoben werden, du nicht einmal demonstrieren oder deine Mutter oder Kinder aus erster Ehe sehen darfst, meine Argumente sachlich aufbaue und nicht überziehe. Aber natürlich braucht es da oder dort in den Überschriften die verkürzende Fokussierung. Und wir stehen vor dem größten Problem seit dem Zweiten Weltkrieg, Faserschmeichlerei wäre da falsch.

Ihre Politik folgt dem Prinzip Rampensau
Ich glaube einfach, dass ich anders bin als der typische Politiker, das ist alles.

Die Leute zahlten ja sogar Eintritt, um Ihr Comeback mitzuerleben, im Grunde haben Sie mehr zahlende Zuschauer als jeder Zweitligaverein. Nun drohen Ihnen ausgerechnet für den Intensivwahlkampf "Geisterspiele".
Zum Glück gibt es die moderne Kommunikation. Aber natürlich hoffe ich, dass wir ab dem Sommer auch Veranstaltungsmöglichkeiten haben. Ich kann mir nur schwer eine Wahl vorstellen, wenn zuvor der Kontakt mit dem Bürger verboten ist. Aber natürlich ist unser Match David, nämlich HC, gegen Goliath, Ludwig. Klar brauchen wir einen Kredit, um zumindest in der Werbewahrnehmung vorzukommen. Ich glaube trotzdem, dass ich die Menschen erreichen kann. Ich habe 2005 eine Partei mit nur mehr drei Prozent übernommen, eine Woche vor der Wien-Wahl im Jahr 2005 haben mir die Umfragen fünf bis sieben Prozent gegeben - dann habe ich 15 erreicht. Den Einzug schaffen wir, die Frage ist: Schaffen wir die prozentuelle Zweistelligkeit? Denn die ist mein Ziel. Aber die Leute wissen, dass ich aus dem Nichts eine Partei aufbauen kann und ihre Interessen konsequent vertrete, deswegen wünschen sie sich das Original zurück.

»Mit Herrn Häupl hatte ich noch ein anderes politisches Kaliber als Gegner«

Kann man mit der Zielgruppe der Corona-Verlierer eine Wahl gewinnen?
Das klingt abschätzig und ist falsch. Die Menschen wollen Verantwortungsträger, die ihre Existenzängste ernst nehmen. In Wien wird natürlich die soziale Problematik das große Thema -und da ist der Herr Ludwig seit der Krise abgetaucht. Da hatte ich mit Herrn Häupl noch ein anderes politisches Kaliber als Gegner!

Keiner spricht Ihnen ab, dass Sie sich mit Existenzängsten auskennen: Vor einem Jahr war plötzlich Ihr Superjob weg, Ihre Macht, Ihr Ruf
Klar hatte ich Existenzängste, wenn man von einem Tag auf den anderen kein Einkommen und keine Krankenversicherung hat, gar keine Frage. Es war ein völliger Neubeginn.

© Ricardo Herrgott

Selbst Ihrer Frau hätte es keiner übel genommen, wenn sie nach Ibiza gesagt hätte: "Sorry, ich gehe!"
Ich glaube auch, dass sich das viele Gegner gewünscht hätten. Die Gerüchte, meine Frau hätte mich verlassen, sind ja ganz gezielt verbreitet worden. Welche Boshaftigkeit manche Menschen entwickeln -zu so etwas wäre ich mein Leben lang nicht fähig gewesen. Aber eines ist mir völlig bewusst: Dass meine Frau hinter mir stand, dass sie alles gemeinsam mit mir aufarbeitete, das ist nicht selbstverständlich. Das ist eine unglaubliche Belastung für uns beide, das kann man kaum in Worte fassen: Es hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Jede Ehe hat Höhen und Tiefen, und jetzt kann man das alles natürlich als ein unglaubliches Tief beschreiben. Aber alles, was du da gemeinsam durchstehst, macht dich am Ende auch gemeinsam stärker. In dem Fall war sie es, die mich wieder aufgebaut hat, denn natürlich war ja ich der, der am Boden lag.

Gab es da, wenn vielleicht auch nur für eine kurze Phase, die Frage, ob denn dieses Leben überhaupt noch einen Sinn hat?
Nein, nein, für mich hat das Leben immer Sinn. Meine Sinnfragen liefen immer darauf hinaus, dass das Leben voller Höhen, Tiefen und Prüfungen ist. Ich hatte folgende Alternative: entweder daran zu zerbrechen oder daran zu wachsen und stärker zu werden - ich habe mich für den zweiten Weg entschieden.

Das redet sich jetzt so einfach.
Ja, aber das ist die Frage, mit der du dich beschäftigen musst. Und ganz offen: Was du da erlebst, ist natürlich eine Traumatisierung.

»Im Nachhinein war es falsch, so rasch zu entscheiden«

In diesen zehn Minuten und 36 Sekunden Ihrer Rücktrittserklärung im Fernsehen - was ist da in Ihrem Kopf für ein Film abgegangen?
Ganz sicher war da eine gewisse Trance -aber keine Leere, nein, Leere nicht. Man ist überfüllt mit Emotionen und Bildern und muss rasch eine Entscheidung treffen. Im Nachhinein war es falsch, so rasch zu entscheiden. Ich hätte mir ein bisschen mehr Zeit geben müssen, um zu reflektieren. Zumindest mein Rücktritt als Parteichef war die falsche Entscheidung und die Nichtannahme des EU-Mandates ebenso.

Der Hauptjob war also, die Emotion zu kontrollieren. Worin bestand die?
Einerseits in der Absurdität dieses zusammengeschnittenen Videos - und andererseits in Erinnerungsbruchstücken dieses Ibiza-Urlaubs, der da ja schon zwei Jahre zurücklag. Man weiß, man hat nichts verbrochen, man weiß, dass keiner zu Schaden kam, damit umzugehen, ist verdammt schwer. Ich hatte ja schon an diesem verhängnisvollen Abend das Gefühl: "Da stinkt's!" Wenn du sieben Stunden wo bist und sieben Stunden Suggestivfragen gestellt werden, wo ich alle illegalen Angebote konsequent abgelehnt und zurückgewiesen habe

Aber war das zunächst vorherrschende Gefühl Wut, wo hineintheatert worden zu sein - oder die Verzweiflung, völlig am Ende zu sein?
Diese Wut, diese Verzweiflung, diese Ohnmacht, der Öffentlichkeit nicht beweisen zu können, dass ich dort nichts verbrochen habe. Im Nachhinein sagt ja jeder Experte, mit dem ich mich austauschte, dass die Art und Weise, wie ich dort übertrieben gestikuliere und artikuliere, kein alleinig berauschter Zustand war. Jeder, der das Video ganz gesehen hat, sagt, dass die ersten Stunden völlig nebulös und fad waren, bis dann das gewirkt hat, was mir diese Herrschaften offenbar unterjubelten, um mich dort hinzubekommen, wo sie mich haben wollten. Ich hatte während der ganzen Entwicklung stets das Gefühl: "Ich will jetzt gehen!", aber ich konnte nicht - ich konnte nicht und weiß nicht, warum. Ich bin ja auch mehrmals aufgestanden und habe gesagt: "Wir gehen!" Leider war ich nicht mehr in der Lage, konsequent zu sein.

Wie fühlten Sie sich: besoffen, schläfrig?
Aufgedreht und völlig überdreht. Das Arge in der Rückerinnerung ist ja, dass ich diese sieben Stunden dort in Puzzlestücken rekapitulieren kann. Aber danach hatte ich ein Blackout. Wir sind gegen 0.30 Uhr mit dem Taxi weggefahren, ich traf danach noch Freunde. Danach, so ab 1.30 Uhr, riss dann komplett der Faden: Ich weiß nicht mehr, was ich danach getan habe oder wann ich nach Hause gekommen bin. Meine Mutter, die mit uns auf Urlaub gewesen ist, war noch am Morgen danach entsetzt und sagte zu mir: "In so einem Zustand habe ich dich noch nie erlebt." Um sieben in der Früh soll ich nach Hause gekommen, davor sogar stundenlang allein am Strand gesessen sein -das weiß ich alles nicht mehr.

HC, voll auf Drogen?
Der eine männliche Lockvogel ist ein amtsbekannter Drogendealer, der auch verurteilt worden ist. Der hatte mit einschlägigen Substanzen offenbar sein Leben lang zu tun. Und eines kann ich sicher sagen: Der Alkohol war es nicht. Ich weiß ja, wie ich auf Wodka reagiere, und jeder, der mich alkoholisiert kennt, weiß: Ich bin -anders! Ja, aufgedreht, aber lustig. Mir sagen Experten: Wenn du Ecstasy in Tropfen oder liquides Kokain beimischst, dann passt das genau zu dem Bild, das ich da abgegeben habe.

Nun ja, es gibt Menschen, die behaupten, dass Kokain und HC Strache ohnedies "best friends" wären.
Eben, und genau das ist ja die Sauerei! Ich beschwöre beim Leben meiner Mutter, dass ich dieses -entschuldigen Sie - Scheißzeug niemals angegriffen habe. Schon alleine weil ich Angst davor hatte. Ich hatte in meiner Jugend zwei Freunde, die mit Drogen experimentierten und elendiglich zu Grunde gegangen sind. Ich habe Freunde auf Drogenentzugsprogrammen begleitet, die da nicht mehr rauskamen. Jetzt müssen meine Gegner, die real sahen, wie das möglicherweise von Menschen in meinem Umfeld konsumiert wurde, daraufhin ganz einfach verleumderisch beschlossen haben: "Der nimmt das auch!" Dabei mache ich seit 2005 regelmäßig meine ärztlichen Tests - das kann ich ja alles nachweisen. Allein schon zum Selbstschutz: Ich weiß, ich habe eine gewisse Suchtaffinität: Ich rauche und ich bin, wie viele, dem Alkohol nicht grundsätzlich abgeneigt.

© Ricardo Herrgott

Wann haben Sie Ihren letzten Wodka Red Bull getrunken?
Ich gebe zu, dass mir dieses Getränk schmeckte und noch immer schmeckt. Aber mittlerweile bin ich da viel reduzierter. Heute trinke ich bewusster -ab und zu einen guten Wein.

Vom Vizekanzler zur, Sie verzeihen, tragischen Figur: Das ist schon eine ziemliche Gnackwatschn.
So ist es.

Wie rappelt man sich nach so was wieder auf? Von Ihnen müsste man ja im Grunde was lernen können.
Goethe: "Stirb - und werde!" Es geht darum, sich auf das Wesentlichste zu konzentrieren. Das kling jetzt leicht, war aber verdammt schwer. Ich wachte schweißgebadet in der Nacht auf, war permanent in einer Ausnahmesituation, weil so viel zu klären und aufzuarbeiten war und ist. Die Perfidität der Falle, die Angst um die Existenz und Ermittlungsschritte, bei denen du dir an den Kopf greifst und dich fragst: "Was soll das Ganze?" Inmitten all dieses Wahnsinns gab es dann einen Moment, wo ich sagte: "Stopp!" Und du reduzierst dich aufs Wesentlichste: Du beginnst bei der Familie, bei der beruflichen Neuordnung -aber du machst dir keinen Druck, alles sofort bewältigen zu können. Du brauchst einen Triageplan wie in der Medizin, um dich selbst neu aufzubauen. Aber ohne meine Frau, meinen Sohn, meine Kinder aus erster Ehe, ein paar echte Freunde -alleine hätte ich das alles nicht geschafft. Ohne eine Familie zum Ausweinen und Anlehnen schaffst du das nicht.

Für die meisten wäre Ibiza nach dem Vorgefallenen auf Lebenszeit toxischer Boden, für Österreich wurde es zu einer Art Chiffre. Wie schafften Sie es, im Jahr darauf einfach wieder dorthin auf Urlaub zu fahren?
Es gibt einen alten Spruch: Fällst du vom Pferd, musst du sofort wieder aufsteigen.

Ja, aber nicht zwingend auf dasselbe.
Natürlich, das an Ort und Stelle aufzuarbeiten, war schon ein Faktor. Und außerdem

Außerdem?
Außerdem war der Urlaub schon bezahlt. Und ganz ehrlich: Ich fühlte mich damals nicht in der finanziellen Situation, das abzusagen; und nicht in der emotionalen, auf den Urlaub zu verzichten. Ich sagte mir: "Zack, zack, zack, das ziehe ich durch" (lacht selbstironisch). Es ging aber auch darum, dass meine Familie nach all dem Wahnsinn einen Urlaub hatte und wir liebe Freunde vor Ort hatten.

»Ich fühlte mich unverwundbar, wie eine Art politischer Superman«

In Tagen der Corona-Isolation hat man ja auch jede Menge Zeit, über sich nachzudenken: Was haben Sie über sich selbst gelernt? Und sagen Sie jetzt bitte nicht, Sie waren halt einfach zu leichtgläubig
Na, schon auch. Meine Offenherzigkeit ist eben Schwäche und Stärke zugleich. Und natürlich muss ich sagen: Aufgrund all meiner bisherigen Erfolge war ich auf eine gewisse Art zu selbstsicher, fühlte mich unverwundbar, wie eine Art politischer Superman.

Schaffen Sie es eigentlich noch, mit jemandem sogenannte "vertrauliche Gespräche" zu führen, ohne in die Paranoia zu verfallen, gefilmt oder abgehört zu werden?
Diese Angst wird mich mein Leben lang verfolgen. Bei jeder Filmaufnahme, bei jedem gezückten Handy -aber trotzdem: Du darfst dich nicht wahnsinnig machen lassen. Aber eines möchte ich schon noch loswerden: Was mich ärgert, ist, dass in der medialen Aufbereitung nicht herausgehoben wird, dass das zutiefst abzulehnende Stasi-Methoden sind, jemanden in seinem privaten Urlaub rechtswidrig zu filmen und ihn mit einer Falle und Suggestivfragen fertigmachen zu wollen. Das ist Stasi und hat in der politischen Auseinandersetzung und in der Demokratie nichts verloren.

Wie viele Freunde sind Ihnen geblieben, denen Sie noch blind vertrauen?
Blind -ich glaube, das blinde Vertrauen ist weg. Aber Freunde, auf die ich mich in der Krisenzeit verlassen konnte und kann, habe ich so drei, vier. Ich habe mir ganz bewusst gesagt: Ich schreibe mir alle auf, die in dieser Situation für mich da waren, um sie ja nie zu vergessen.

Gibt's denn auch die andere Liste?
Da muss man lernen, zu verzeihen und nicht zurückzuschauen. Man muss auch lernen, sich selbst für eigene Fehler zu verzeihen, das ist ganz wichtig, denn ich habe zweifellos genug Fehler gemacht.

»Erst seit einiger Zeit stehe ich in der Früh wieder auf, ohne sofort an den Wahnsinn zu denken«

Als die Erinnerung an Ibiza noch ganz frisch war, Sie in der Früh aufstanden und sich beim Zähneputzen in den Spiegel schauten - was sahen Sie da?
Einen über Nacht gealterten Strache. Aber ganz ehrlich: Eine Zeit lang schaute ich gar nicht hin. Erst seit einiger Zeit stehe ich in der Früh wieder auf, ohne sofort an den Wahnsinn zu denken.

Gehen wir zurück in die Zeit, kurz bevor das Ibiza-Video aufpoppte: Sie waren Vizekanzler, am Höhepunkt Ihrer Karriere. Was stand denn da gerade so auf der politischen Agenda?
In Wahrheit war es so: Ein paar Monate zuvor verhinderte ich den UN-Migrationspakt, die ÖVP wollte zunächst zustimmen, aber ich sagte: "Mit mir nicht!" Das hat dazu geführt, dass die ÖVP zurückzog und nicht zustimmte. Aber -das hat auch dazu geführt, dass ich klimatische Veränderungen in der Koalition bemerkte, man hatte das Gefühl, der Schalter wurde umgelegt, man hat überall versucht, mich beziehungsweise uns in der Regierung ausrutschen zu lassen. Der Umgang in der Regierung war plötzlich ein anderer, auch wenn wir so professionell waren, das nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Intern sagte ich: "Irgendetwas ist eigen, ich habe fast den Eindruck, dass die ÖVP die Regierung spätestens bei den Budgetverhandlungen im Herbst platzen lassen könnte." Für mich war sichtbar, dass die ÖVP einen Exit suchte, weil sie mich nicht über den Tisch ziehen konnte. Aber ganz ehrlich - mit dem Exit, der dann tatsächlich stattfand, konnte ich natürlich nicht rechnen.

© Ricardo Herrgott

Am Ende waren es aber nicht nur die Türkisen, sondern vor allem Ihre eigenen Parteifreunde, die Sie über die Klinge springen ließen.
Ich bin 2004 Landesparteichef geworden und 2005 Bundesparteichef. Und jetzt ganz offen: Norbert Hofer war damals burgenländischer Sekretär und Herbert Kickl Kärntner Sekretär, und ich habe sie wie viele in meinem Umfeld als Mitstreiter aufgebaut. Natürlich ist man dann enttäuscht, wenn man gewisse Verhaltensmuster erleben muss: Von heute auf morgen erreicht man keinen mehr und wird plötzlich auch nicht mehr zurückgerufen. Ja, das war eine Enttäuschung - aber auch das Ende einer Täuschung. Und auch völlig überraschend! Du bist perplex und denkst dir: "Welche falschen Schlangen habe ich da an meiner Brust genährt, die nur danach gierten, mich zu beerben und dann auf mich draufzusteigen wie auf eine Zigarette?" Aber ich weiß: Menschen ohne menschliche Qualitäten können langfristig nicht erfolgreich sein.

Die rechtskonservativen Bildungsbürger in der freiheitlichen Partei, die sogenannten "Ideologen", haben die Sie eigentlich nicht von Anfang an nur als nützlichen Idioten gesehen, als einen, der intellektuell ungleichwertig ist?
Jede Diskussion mit den selbst ernannten sogenannten Intellektuellen würde ich jederzeit gewinnen. Natürlich hast du durch deinen Erfolg Neider, aber das ist überall so. Und natürlich hast du auch Menschen, die sich aufgrund ihrer Ausbildung überlegen fühlen. Aber Intelligenz mit akademischer Ausbildung gleichzusetzen, ist falsch.

Hat man "den Prolo" Heinz-Christian Strache nicht ernst genommen?
Zu Beginn meiner Obmannschaft spürte ich das stark, da lag die Partei bei drei Prozent, und keiner wollte Verantwortung übernehmen. Ich habe sie übernommen und dann in Wien 15 Prozent gemacht - ab da hatte ich Neider, die immer wieder versuchten, mich ausrutschen zu lassen. Aber das ist ihnen nicht gelungen. An einigen hat das genagt, die meisten haben mich zu schätzen und zu respektieren gelernt. Sich überlegen zu fühlen und dann der Realität aber nicht standzuhalten, das ist leider zutiefst menschlich. Nein, nein, als Parteichef musst du schon was können und gewisse intellektuelle und soziale Fähigkeiten haben, um so lange zu überleben.

»Aber ich bleibe der HC Strache, der ich immer war«

Könnten die FPÖ und Strache denn eines fernen Tages trotz allem wieder zusammenfinden?
Das ist sehr, sehr schwierig. Ich habe der Freiheitlichen Partei ja im November 2019 das Angebot gemacht, in Wien wieder Verantwortung zu übernehmen und mich der Basis zu stellen -das hat manchen offensichtlich extreme Angst eingeflößt, und so vollzog man den Ausschluss. Aber ich bleibe der HC Strache, der ich immer war, und glaube, dass ich mit meiner rot-weiß-roten Bürgerbewegung die FPÖ in Wien überholen kann. Dann werden die Karten neu gemischt.

Herr Strache, gestatten Sie bitte eine letzte Frage: Was passierte mit dem tief ausgeschnittenen, slimfitten Ibiza-Leiberl?
Das habe ich noch und werde den geeigneten Zeitpunkt abwarten, um es mit einem Autogramm zu versehen und für einen guten Zweck zu versteigern.

Für obdachlose FPÖler?
Nein, aber für ein Sozialprojekt.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (18/2020) erschienen