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Wohnungsnot: Luxemburg am Limit

Dieser Beitrag ist im Rahmen von „eurotours2024“ (Projekt des Bundeskanzleramts, finanziert aus Bundesmitteln) entstanden
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EU-Metropole und Finanzzentrum: Luxemburg gilt mit dem höchsten BIP pro Kopf weltweit als Steueroase. Gleichzeitig steckt das Land in einer tiefen Wohnungskrise und dient als Negativbeispiel für ein europaweites Problem. News war vor Ort und hat mit Betroffenen und Experten über ein jahrzehntelanges Versäumnis der Politik gesprochen.

Die Schlange ist lang vor den Türen der Hilfsorganisation Stëmm vun der Strooss. Unweit des Luxemburger Bahnhofs gelegen, suchen Obdachlose und sozial Benachteiligte hier täglich Hilfe – sei es in Form einer warmen Mahlzeit, einer Dusche oder ärztlicher Versorgung. Und es werden immer mehr. „Über 11.000 Bedürftige haben 2023 unsere Dienste in Anspruch genommen, das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr“, beobachtet Direktorin Alexandra Oxacelay. Die Zahlen der Behörde Statec sprechen ebenfalls für sich: Fast jeder Fünfte gilt als finanziell auf der Kippe stehend.

Der Mangel an leistbarem Wohnraum ist einer der Hauptgründe für die wachsende Armut. „Der Staat muss die Gemeinden stärker finanziell unterstützen, damit sie in den sozialen Wohnungsbau investieren können“, fordert Oxacelay. Doch nicht nur sozial Schwächere, sondern auch Besserverdiener geraten unter finanziellen Druck. Der französische Ingenieur Étienne (Name von der Redaktion geändert, Anm.) ist für seinen Job täglich sieben Jahre lang nach Luxemburg gependelt. Seit zwei Jahren lebt er hier und plant bereits, wieder nach Frankreich zurückzukehren. „Ich zahle 1.880 Euro im Monat für eine 65 Quadratmeter große Wohnung, mein Vermieter bot sie mir zum Verkauf für 880.000 Euro an. Der Luxemburger Wohnungsmarkt ist wie eine kleine Mafia“, schildert er.

Wohnen nur für die Elite

Als eines der sechs EU-Gründungsländer etablierte sich das Großherzogtum Luxemburg als Wirtschaftsstandort. Institutionen wie der Europäische Gerichtshof und der Europäische Rechnungshof sind in der gleichnamigen Hauptstadt ansässig. Doch trotz des höchsten BIP pro Kopf weltweit spiegelt der heimische Immobilienmarkt ein starkes soziales Ungleichgewicht wider. Die Wurzeln der Wohnungskrise reichen Jahrzehnte zurück: Die Expansion des Finanzsektors und die damit verbundene Zuwanderung seit den 1970er-Jahren lösten eine starke Wohnungsnachfrage aus. Seitdem sind die Immobilienpreise unter Berücksichtigung der Inflation um das Achtfache gestiegen. Gleichzeitig bleibt die Zahl der jährlich gebauten Wohneinheiten seit 1970 weitgehend stabil, wie Daten des Housing Observatory zeigen.

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 © Friedrich Bungert / SZ-Photo / picturedesk.com

Das Problem ist nicht der Mangel an Bauland, sondern dass dessen Besitz in privater Hand liegt.

Antoine PaccoudSozialgeograf

Wenige besitzen viel

„Das Problem ist nicht der Mangel an Bauland, sondern dass dessen Besitz in privater Hand liegt“, erklärt der in Luxemburg lebende Sozialgeograf Antoine Paccoud im News-Interview. Nur ein sehr geringer Teil befindet sich in öffentlichem Eigentum, während privater Grundbesitz extrem konzentriert ist: „0,5 Prozent der Bevölkerung, also etwa 3.000 reiche Familien, kontrollieren 50 Prozent des Baulands und bestimmen damit maßgeblich, wie viel Fläche für Wohnungsbau auf den Markt kommt.“

Viele der heutigen Landbesitzer stammen aus ehemaligen Bauernfamilien, die ihre Grundstücke seit dem frühen 19. Jahrhundert weitervererben, da es in Luxemburg weder eine nennenswerte Grundsteuer noch eine Erbschaftssteuer für Übertragungen an eigene Kinder gibt. Paccoud kritisiert, dass die Wohnungspolitik in den letzten Jahrzehnten vor allem Eigenheimkäufe subventioniert hat: „Rund 65 bis 70 Prozent der Bevölkerung besitzen ein Eigenheim, teils noch mit einer Hypothek. Nur zwei Prozent der Haushalte nutzen Sozialwohnungen, der Rest ist auf den privaten Mietmarkt angewiesen.“

Die Pendler-Nation

Je teurer das Wohnen, umso höher ist die Kontrolle darüber, wer ins Land kommt und wer bleibt – nämlich jene, die mit den hohen Immobilien- und Mietpreisen mithalten können. „Ich kenne Luxemburger, die mit Mitte 30 noch bei ihren Eltern leben“, erzählt Samira (Name von der Redaktion geändert). Sie und ihr Ehemann befinden sich in einer ähnlichen Situation und überlegen, nach Belgien zu übersiedeln, weil der Traum vom Eigenheim hier unerreichbar scheint. Dieser Trend ist kein Einzelfall: Heute ziehen viele Luxemburger in benachbarte Länder und pendeln täglich für die Arbeit zurück in ihr Heimatland, wobei sie oft stundenlang im Stau stehen. „Diese Entwicklung ist eine Art nationale Gentrifizierung, bei der die einheimische Bevölkerung durch die hohen Wohnkosten ins Ausland verdrängt wird“, erklärt Paccoud.

Generell sind laut der Gewerkschaft OGBL mittlerweile 46 Prozent der Arbeitnehmer Grenzgänger aus Deutschland, Belgien und Frankreich. Für Nicht-EU-Staatsangehörige gestaltet sich die prekäre Wohnsituation jedoch noch schwieriger: Aufgrund der Visumsvorschriften müssen sie ihren Hauptwohnsitz in Luxemburg behalten, wodurch das Pendeln für sie oft keine Option ist.

Diese Entwicklung ist eine Art nationale Gentrifizierung, bei der die einheimische Bevölkerung durch die hohen Wohnkosten ins Ausland verdrängt wird.

Antoine PaccoudSozialgeograf

Gemeinschaft zum Höchstpreis

Ebenfalls zu beobachten ist die Entwicklung eines Luxusmarkts für „Co-Living“, wie Paccoud erklärt. Bei diesem Wohngemeinschaftsmodell hat jeder Bewohner ein eigenes Zimmer, während Küche, Wohnzimmer, Fitnessräume und andere Bereiche zusammen genutzt werden. Der italienische Expat Andrea arbeitet für eine Versicherung in Luxemburg und zahlte während seiner ersten beiden Jahre für ein Zimmer in einem Co-Living-Haus rund 1.000 Euro Miete – dabei gab es nicht einmal ein Wohnzimmer für ihn und seine sieben Mitbewohner. „Diese Unternehmen zocken dich ab, indem sie die Preise immer wieder unter fadenscheinigen Vorwänden erhöhen“, erzählt der 29-Jährige. Mittlerweile lebt er in einer Dreier-WG: „Alleine zu wohnen, würde mein gesamtes Gehalt verschlingen.“

EU-Sitz verliert seinen Glanz

Die steigenden Wohnkosten haben auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Potenzielle Arbeitnehmer erkennen, dass die hohen Gehälter in Luxemburg die Lebenshaltungskosten nicht tragen können. Laut Paccoud erschwert dies Unternehmen die Gewinnung neuer Talente, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet: „Luxemburg konkurriert jetzt stärker mit Orten wie Amsterdam, Paris oder Frankfurt, die früher deutlich niedrigere Gehälter zahlten.“ Dabei habe das Großherzogtum hart daran gearbeitet, seine Hauptstadt neben Brüssel und Straßburg als einen der offiziellen EU-Sitze zu etablieren.

Regierung unter Druck

Für die luxemburgische Regierung stellt die Wohnungsnot die wohl größte Herausforderung dar. „Es gibt ein langsames Eingeständnis innerhalb aller Parteien, dass es ein Fehler war, nicht mehr Land als öffentliche Reserve zu erwerben“, schildert Paccoud. In den vergangenen Jahren wurde daher bereits ein stärkerer Fokus auf leistbares Wohnen gelegt, unter anderem mit einem Entwurf zur Grundsteuerreform. Die seit einem Jahr bestehende Regierung unter Premier Luc Frieden entwickelt diesen nun weiter.

Im Budget 2025 sollen außerdem Sozialämter zusätzliche Teams erhalten, um Wohnungsbauprojekte zu unterstützen. Ziel ist es, benachteiligten Menschen den Zugang zu Wohnraum zu erleichtern und sie langfristig sozial zu stabilisieren. "Darüber hinaus konzentriert sich die Regierung auf die Renovierung und Umnutzung bestehender Gebäude, um den verfügbaren Wohnungsbestand zu erhöhen", sagt Wohnungsbauminister Claude Meisch gegenüber News. Obwohl der Staat keine speziellen Wohnungen für seine Beamten baut, unterstütze er private Arbeitgeber bei der Schaffung von Wohnlösungen für ihre Mitarbeiter. "Die Europäische Kommission oder andere EU-Institutionen könnten so ebenfalls erschwinglichen Wohnraum für ihre schlechter bezahlten Mitarbeiter schaffen", erklärt Meisch. Es werden auch Anstrengungen unternommen, um das Verfahren für den Erhalt von Wohngeld zu straffen und sicherzustellen, dass diese Subventionen für alle zugänglich sind.

Die Förderung der sozialen Mietverwaltung (GLS) wird ebenfalls erhöht: Organisationen, die diese Wohnungen betreuen, erhalten künftig 140 statt 120 Euro pro Wohnung und Monat, um das Angebot an GLS-Wohnungen auszuweiten. Das Budget sieht eine Aufstockung des Spezialfonds „erschwingliches Wohnen“ um 130 Millionen Euro vor. Insgesamt sollen im Zeitraum 2025 bis 2028 zwei Milliarden Euro in den Bau von bezahlbarem Wohnraum fließen.

Die Politik ist gezwungen, zu einem Zeitpunkt zu handeln, an dem die Situation schon katastrophal ist.

Antoine PaccoudSozialgeograf

Kampf gegen die Zeit

„Die Politik ist gezwungen, zu einem Zeitpunkt zu handeln, an dem die Situation schon katastrophal ist“, bemerkt Paccoud. Es sei schwierig, einen Sektor für bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln, wenn der private Markt bereits so stark ausgeprägt ist: „Man wird nicht über Nacht zu Wien. Der Aufbau eines funktionierenden Systems erfordert Jahrzehnte der Investition und Strategie.“ Dass staatliche Interventionen dringend erforderlich seien, sei unbestritten. „Die Frage ist, ob die Regierung schnell genug handelt, damit sich das Land weiterentwickeln kann.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 48/2024 erschienen.

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