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Neom gestoppt: Saudi-Arabiens Milliarden-Utopie scheitert

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7 min
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©IMAGO / ABACAPRESS

Das Ende eines Wüsten-Traums. Das Prestigeprojekt des Kronprinzen Mohammed bin Salman sollte die Zukunft des Königreichs symbolisieren – jetzt steht der Bau still.

Das Aus der Utopie?

In den kühnen Visionen von Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) sollte Neom das glanzvolle Symbol eines neuen, post-ölen Saudi-Arabiens werden: eine futuristische Metropole, gebaut auf Wüstenboden, umgeben von Solarfeldern, Hightech-Infrastruktur und smarten Lösungen. Doch zuletzt häuften sich Berichte über Baustopps, Umstrukturierungen und massive Wertabschreibungen. Im September 2025 wurde bekannt, dass insbesondere „The Line“ – das Herzstück des Projekts – vorerst eingestellt wird.

Das Projekt, das einst als Prestigeobjekt für die Zukunft Saudi-Arabiens gefeiert wurde, droht nun selbst zum Symbol für Überambition, Fehlinvestitionen und eine Bruchlandung in der Wirklichkeit zu werden. Der Schaden ist mehr als nur finanzieller Natur: Er trifft das Image eines Herrschers, der mit Neom seinen Anspruch auf Modernisierung, Innovation und weltweite Sichtbarkeit manifestieren wollte

Von der Utopie zum Baustopp: Was ist passiert?

Der Ursprung: Neom als Kronjuwel von Vision 2030

2017 vorgestellt, war Neom das zentrale Element von Saudi Vision 2030 – dem Plan zur wirtschaftlichen Diversifizierung abseits vom Öl.
„The Line“ galt als Vorzeigeprojekt: eine 170 km lange, autofreie, vertikal organisierte Stadt mit minimalem CO₂-Ausstoß, nahezu vollständiger Versorgung durch erneuerbare Energie und KI-gesteuerter Infrastruktur.

Doch von dieser Vision ist längst vieles verwässert. Bereits in den vergangenen Jahren wurde bekannt, dass die geplante Länge und Einwohnerzahl stark nach unten korrigiert wurden: Statt 170 km sollen nur wenige Kilometer realisiert werden, und die Zielpopulation wurde deutlich reduziert.

Der Stopp: Redimensionierung, Baustillstand, Führungswechsel

Im September 2025 fiel die Entscheidung, die Bauarbeiten an „The Line“ sowie dem Luxusresort „Magna“ bis auf Weiteres einzustellen. Dazu kam ein Führungswechsel: Nadhmi al-Nasr, langjähriger CEO von Neom, trat zurück; als Interim wurde Aiman al-Mudaifer eingesetzt.

Zudem zog sich der französische Energiekonzern EDF aus dem Projekt zurück – ein deutliches Signal für die finanzielle Neuorientierung. Der saudische Staatsfonds PIF musste den Wert seiner „Giga-Projekte“ um rund acht Milliarden US-Dollar nach unten korrigieren.

Die Dimension des Verlusts: Finanziell, strategisch, symbolisch

Finanzielle Einbußen

Der Public Investment Fund meldete eine Wertminderung von rund acht Milliarden US-Dollar. Der ursprüngliche Kostenrahmen für Neom lag bei etwa 500 Milliarden US-Dollar – einige Schätzungen gingen sogar von bis zu 1,5 Billionen aus.

Kostenexplosionen, Zeitverzögerungen und interne Reibungen machten eine Neubewertung unumgänglich. Auch Projektteile wie das Skigebiet Trojena litten unter massiven Budgetüberschreitungen.

Strategischer und politischer Schaden

Neom war von Beginn an mehr als Stadtplanung – es war Propaganda: ein Machtsymbol, eine Demonstration der Modernisierungsfähigkeit des Kronprinzen und ein Versuch, internationales Kapital anzulocken.

Mit dem Baustopp ist dieser Mythos beschädigt. Investoren zweifeln zunehmend an der Verlässlichkeit saudischer Zusagen, und die internationale Wahrnehmung des Königshauses leidet. Der Rückschlag untergräbt die zentrale Erzählung der Vision 2030: ein modernes, diversifiziertes Saudi-Arabien jenseits des Öls.

Warum ist das Projekt ins Stocken geraten?

Abhängigkeit von Ölpreisen

Saudi-Arabien bleibt stark vom Erdöl abhängig. Sinkende Ölpreise schwächen die Staatsfinanzen – und damit die Basis solcher Großprojekte. In Zeiten globaler Marktunsicherheiten sind ambitionierte Megaprojekte schnell gefährdet.

Technische und logistische Herausforderungen

Der Bau einer 170-km-langen, autofreien Stadt mit Hightech-Infrastruktur mitten in der Wüste ist eine gewaltige Herausforderung. Probleme bei Energie- und Wasserversorgung, Transportlogistik und Materialbeschaffung machten die Umsetzung zunehmend unrealistisch.

Überspitztes Management und Fehleinschätzungen

Interne Dokumente deuten auf Kostenverschleierung und unrealistische Planungen hin. Der Führungswechsel und die Kündigung von Partnern zeigen, dass interne Konflikte und Fehleinschätzungen eine zentrale Rolle spielten. Die öffentliche Inszenierung überholte offenbar die Realität des Projekts.

Investitionsrisiken und Partnerabsprünge

Mit EDF hat ein wichtiger internationaler Partner das Vertrauen verloren. Private Investoren zeigen sich zunehmend zurückhaltend, da das Risiko solcher Projekte enorm ist – gerade angesichts der globalen Wirtschaftslage.

Schein und Realität: Was bleibt von Neom?

Von den ursprünglich 170 Kilometern sollen bis 2030 nur rund 2,4 Kilometer fertiggestellt werden. Auch die geplante Einwohnerzahl schrumpft drastisch – von 1,5 Millionen auf unter 300.000. Viele Teilprojekte werden verkleinert, verschoben oder ganz gestrichen.

Was bleibt, sind einige Hightech-Testflächen, luxuriöse Showprojekte und eine gewaltige Lehre: Selbst unermesslicher Reichtum ersetzt keine realistische Planung.

Ein Warnsignal mit Folgen

Neom sollte das strahlende Monument eines neuen Saudi-Arabiens werden – ein Symbol für Fortschritt, Nachhaltigkeit und technologische Führerschaft. Doch der Baustopp bei „The Line“, die Milliardenverluste und die sinkende internationale Glaubwürdigkeit zeigen: Die Vision prallte an der Realität ab.

Das Scheitern von Neom ist mehr als ein ökonomischer Dämpfer. Es ist ein Wendepunkt, der zeigt, dass selbst im Reich unbegrenzter Mittel der Traum von der perfekten Stadt an der Wirklichkeit scheitern kann. Ein Prestigeverlust, der noch lange nachhallen wird.

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