Wirtschaftskammer-Vertreter*innen diskutieren im Round Table über die Zukunft der Industrie in der Steiermark. Im Fokus: KI, Fachkräftemangel, Innovation und der Weg zu einem nachhaltigen Wachstum.
Industrie als wirtschaftliches Rückgrat
In diesem volatilen Ökosystem zeigt sich die Steiermark als beständiger Innovationsmotor: Mit einem jährlichen Produktionswert von 15,8 Milliarden Euro und einem Anteil von 35 % an der Gesamtwertschöpfung bildet die Industrie das wirtschaftliche Rückgrat der Steiermark. Die Verflechtung mit dem Arbeitsmarkt ist tiefgreifend: Jede zweite Arbeitsstelle in der Region ist direkt oder indirekt durch die Industrie geprägt. Rund 118.000 Erwerbstätige in mehr als 5000 Industriebetrieben sowie rund 2800 Industrielehrlinge sichern die Zukunftsfähigkeit des Sektors. Jährlich fließen dabei 1,98 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung – das entspricht 75,6 % der gesamten F&E-Ausgaben in der Steiermark. Diese Investitionen spiegeln sich in der starken wissenschaftlichen Präsenz wider: 23 % aller in Österreich tätigen Forscher*innen arbeiten in der Steiermark, 19 % aller MINT-Studienabschlüsse entstehen in der Region. Führende Unternehmen wie AVL, Siemens Mobility und zahlreiche mittelständische Hidden Champions setzen auf wegweisende Technologien und nachhaltige Produktionsprozesse – Strategien, die den regionalen Strukturwandel mitgestalten.
Licht und Schatten prägen in diesen Zeiten den Industriestandort Steiermark – eine Region im Fadenkreuz globaler Umbrüche. Rasante Digitalisierung und KI-getriebene Innovationen treffen auf galoppierende Inflationsraten, unsichere geopolitische Szenarien und eine unberechenbare Zollpolitik von der anderen Seite des großen Teiches. Der Fachkräftemangel bleibt weiterhin zentrales Thema: Wo die digitale Transformation neue Kompetenzen fordert, wird knapper werdendes Know-how zur strategischen Herausforderung. Gleichzeitig stehen Unternehmen vor der Aufgabe, Nachhaltigkeit als festen Eckpfeiler in die DNA ihrer Innovationsstrategien zu integrieren.
Die Stimmen der steirischen Industrie im Gespräch
Am virtuellen Round Table diskutierten führende Vertreter*innen der Wirtschaftskammer Steiermark:
Ing. Herbert Ritter, MBA, AR P&P Industries AG Vizepräsident WKO Steiermark Vorsitzender AT Styria
Dr. Karin Ronijak, Vice President and Global Head of Public Funding, ams-OSRAM AG Vorsitzende Elektro- und Elektronikindustrie
Sen. h.c. Ing. Hans Höllwart, CEO SFL-Gruppe Obmann Metalltechnische Industrie
DI Gerald Lackner, CEO AVL DiTEST Vorsitzender Fahrzeugindustrie
Digitale Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), das Internet der Dinge (IoT) und digitale Zwillinge prägen zunehmend die industrielle Landschaft. Wo stehen wir hier in der Steiermark als treibende Gestalter der digitalen Zukunft?
HANS HÖLLWART: In der Steiermark gestalten wir die digitale Zukunft aktiv – nicht nur als Nutzer, sondern als Ermöglicher. Unsere metalltechnische Industrie als stärkste Branche der Steiermark ist Motor für Innovation: Mit KI, IoT und digitalen Zwillingen verbessern wir Produkte, Prozesse und Produktivität. Durch enge Vernetzung von Wirtschaft, Forschung und Initiativen wie dem Digital Innovation Hub Süd, der Plattform Automatisierungstechnik Steiermark (ATStyria) und Innoregio Styria sichern wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und gestalten technologische Entwicklungen mit – regional verankert, global wirksam.
HERBERT RITTER: KI wird in vielen Industriebetrieben seit Jahren eingesetzt. Die Steiermark ist aber – wie Europa generell – leider kein Vorreiter. Nichtsdestotrotz versuchen wir das Thema stärker zu verankern und über Institutionen wie die TU auch mitzugestalten. Wie schon von Hans Höllwart erwähnt, gibt es mit dem Digital Innovation Hub Süd (DIH) ein großes Leitprojekt, an dem alle wesentlichen Player aus den Bereich Wissenschaft, öffentlicher Sektor und Wirtschaft beteiligt sind.
KARIN RONIJAK: Wachsen kann man als steirische Elektro- und Elektronikindustrie nur, wenn man ständig und stetig neue Innovationen hervorbringt. Gerade unsere Branche ist im Bereich der von Ihnen genannten Treiber KI und IoT DER Treiber. Die Elektro- und Elektronikindustrie schafft hierzu die Key Enabling Technologies, die in anderen Branchen Innovationen überhaupt möglich machen. Sei es im Automotivebereich, in der Medizintechnik oder auch in Konsumprodukten. Aber auch im Bereich der Fertigung bietet Machine Learning Potenziale. Hierbei wird zum Beispiel untersucht, ob virtuelle Messtechnik gewinnbringend genutzt werden kann. Ein Beispiel aus unserem Unternehmen: Ein Bereich, in dem KI getestet wird, ist Artificial Intelligence (AI) für Sensorprodukte. Man kann mit AI durch entsprechende Datenverarbeitung z. B. schlechte Signal-Rausch-Verhältnisse verbessern.
Eine gewachsene Kooperationskultur von Industrie, Forschung und Bildung hat über Jahrzehnte hinweg Innovationen hervorgebracht und den Wirtschaftsstandort nachhaltig geprägt. Wie wichtig ist diese Tradition des Schulterschlusses, um auch in Zukunft technologische Spitzenleistungen und wirtschaftlichen Erfolg zu sichern?
RITTER: Essenziell – die Erfolgsgeschichte der Steiermark seit der Verstaatlichtenkrise der 1980er-Jahre wäre ohne Kooperation auf Ebene Land-Sozialpartner und ohne teils einzigartige Forschungseinrichtungen wie TU oder Montanuniversität Leoben nicht möglich gewesen. Auch die Cluster waren Ausdruck der Kooperationsbereitschaft und mit ein Garant für die steirische Erfolgsgeschichte bis Ende der 2010er-Jahre.
HÖLLWART: Ohne Schulterschluss kein Fortschritt – die Steiermark ist seit Jahrzehnten Hightechstandort, weil Industrie, Forschung und Bildung hier zusammenarbeiten. Diese Kooperationskultur ist kein Nice-to-have, sondern ein Muss, um Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
GERALD LACKNER: Diese Zusammenarbeit ist ein zentraler Erfolgsfaktor für den Standort Steiermark. Innovation entsteht dort, wo unterschiedliche Perspektiven aus unterschiedlichen Branchen aufeinandertreffen – das passiert bei uns tagtäglich. Die enge Kooperation mit Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen ermöglicht es uns, neue Technologien schneller zur Marktreife zu bringen und gleichzeitig junge Talente frühzeitig einzubinden.
Der Wettbewerb um Fachkräfte in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) verschärft sich. Wie gelingt es Unternehmen, ihre Arbeitgebermarke so zu gestalten, um als Great Place to Work wahrgenommen zu werden und gezielt Talente in die Steiermark zu bringen?
RONIJAK: Ich denke, dass eine gelebte und authentische Firmenkultur nach wie vor ein wichtiges Asset ist. Fachkräfte müssen sich wohl- und sicher fühlen. Einerseits sind es nach wie vor Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkeiten, die geboten werden müssen, aber auch flexible Arbeitsmodelle wie das hybride Arbeiten, also eine Kombination aus Homeoffice und Büro, wo es möglich ist. Flexible Arbeitszeiten zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielen (Gott sei Dank) nicht nur mehr für Frauen eine Rolle. Wichtig ist auf jeden Fall eine sinnstiftende Arbeit, gelebte Unternehmenskultur und Vielfalt. Und diese muss von beiden Seiten gesehen werden. Eine Aussage wie „Ich arbeite, wann und wie ich will“ wird sicher keinen Industriezweig weiterbringen.
LACKNER: In Zeiten des Fachkräftemangels reicht es nicht mehr, nur eine interessante Aufgabe bieten zu können – man muss auch ein gutes Umfeld bieten. Bei AVL DiTEST setzen wir auf eine offene Unternehmenskultur, agile Arbeitsmethoden und vertrauensvollen Umgang miteinander. Gleichzeitig ist es uns wichtig, Sinn zu stiften: Wer bei uns arbeitet, gestaltet aktiv die Mobilität der Zukunft mit.
Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Industrie 4.0 eng mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit verknüpft sein muss. Passen wirtschaftliches Wachstum und eine enkelfitte Zukunft auf einem gesunden Planeten unter einen Hut?
RONIJAK: Ja, absolut. Natürlich steht die ökologische Nachhaltigkeit auch bei unseren Produkten im Zentrum – von der Fertigung bis hin zum energieeffizienten und damit ressourcenschonenden Einsatz in der jeweiligen Anwendung. Doch es gibt tatsächlich noch weitere Blickwinkel. Wir sind zum Beispiel nachhaltig aktiv für unsere Kunden. Wir helfen unseren Kunden dabei, selbst bessere Endprodukte herzustellen und sich damit vom Wettbewerb abzuheben. Es gibt gute Gründe dafür, dass wir mit vielen unserer Lösungen – bei Licht genauso wie Sensorik – der präferierte Partner für viele Autohersteller und ihre Tier 1 sind.
HÖLLWART: Ja, wirtschaftliches Wachstum und eine enkelfitte Zukunft passen zusammen – und die steirische Metalltechnische Industrie zeigt vor, wie das geht. Unsere Unternehmen verbinden Hightech mit Nachhaltigkeit: Mit digitaler Innovation, energieeffizienter Produktion und ressourcenschonenden Lösungen schaffen wir Wert für Generationen. Die CO2-Entkopplung in der Steiermark ist Realität – und Green Tech ist kein Zukunftsversprechen, sondern gelebter Industriestandard.
LACKNER: Nachhaltigkeit ist integraler Bestandteil unseres wirtschaftlichen Handelns. Gerade digitale Technologien bieten viele Chancen, Prozesse effizienter und ressourcenschonender zu gestalten.
RITTER: Im Green-Tech-Sektor der Steiermark – einem Cluster, in dem Unternehmen international federführend in der Umwelttechnik Spitzenpositionen einnehmen – zeigt eine von Joanneum Research im Auftrag der IV Steiermark durchgeführte Studie, dass industrielles Wachstum und CO2-Verbrauch längst entkoppelt sind: ein Beleg für die nachhaltige Innovationskraft der Region.
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel. Stellen Sie sich vor, Sie schreiben das Drehbuch für die steirische Industrie im Jahr 2040. Welche technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen müssen noch weiter vorangetrieben werden, damit die Region auch in 15 Jahren ein führender Innovationsstandort bleibt.
HÖLLWART: Das Drehbuch für 2040 schreibt sich mit Mut, Unternehmertum und Freiheit. Leistung muss sich lohnen, Bürokratie darf nicht bremsen. Technologieverbote? Fehl am Platz. Wir brauchen klare Bekenntnisse zu Bildung, Forschung und Digitalisierung – flankiert von effizienten Strukturen und internationalen Rahmenbedingungen, die uns konkurrenzfähig halten.
RONIJAK: Im Bereich der Mikroelektronik besteht ein massiver globaler Wettbewerb. In vielen Regionen in Asien und auch in den USA werden Forschung und Entwicklung, aber auch der Aufbau von Produktion massiv subventioniert, da die Bedeutung von Schlüsseltechnologien für den Wohlstand des Landes und für die Stabilität der Volkswirtschaft erkannt wurde. Dazu braucht es entsprechende Mittel. Budgets in China, Indien, USA und anderen Regionen sind um ein Vielfaches größer als die in Europa zur Verfügung gestellten Gelder. Für uns als ams OSRAM ist aber der European Chips Act auf jeden Fall ein Anfang. Wenn man damit wirklich „Stärken stärkt“, dann kann das schon etwas bewirken.
LACKNER: Wir müssen heute die Weichen für morgen stellen. Dazu gehören Investitionen in Bildung und Forschung, der Ausbau digitaler Infrastrukturen und ein klares Bekenntnis zu nachhaltigem Wirtschaften. Es braucht klare Visionen, Mut zur Veränderung und ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit. Wenn wir diese Elemente zusammenbringen, dann sehe ich die Steiermark auch 2040 als einen der führenden Innovationsstandorte Europas – technologisch stark, wirtschaftlich stabil und gesellschaftlich verantwortungsvoll.