News Logo
ABO

„Hallo Hannah!“: Ein Gespräch mit einer Krankenschwester in Jerusalem

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min
Artikelbild

Eine Krankenschwester (nicht Hannah) im Hadassah Hospital Mt. Scopus in Jerusalem.

©IMAGO / ZUMA Press Wire

Gespräch mit der Tochter meiner Cousine, einer Krankenschwester in Jerusalem.

Peter: Hallo Hannah, hier ist Peter.

Hannah: Peter? Wo bist du?

Peter: Ich ruf dich aus Wien an.

Hannah: Hast du mich erschreckt, ich dachte du bist in Israel. So sehr ich mich freue, wenn du kommst, aber jetzt kann ich dich hier nicht gebrauchen.

Peter: Wenigstens hast du deinen Humor nicht verloren. Wo bist du?

Hannah: Im Krankenhaus, wir übernachten hier.

Peter: Darf ich dir ein paar Fragen stellen, ich verwende es in einer Story, ohne deinen konkreten Namen.

Hannah: Ja frag nur, ich hab gerade eine Pause.

Peter: Hat euch der Angriff überrascht?

Hannah: Ja und nein, wir sind immer vorbereitet. Es gibt einen Emergency Plan, der sofort in Kraft tritt. Wir wurden über das Datum des Angriffs nicht informiert, doch Trumps Aussage mit der ‚Dead Line‘ von 60 Tagen für die Verhandlungen hat jeder hier verstanden.

Peter: Wurde für den Gegenangriff des Irans ein spezieller Plan entwickelt?

Hannah: Nein, der ‚Emergency-Plan‘ ist unabhängig von der aktuellen Bedrohung. Wir sind immer auf einen Angriff vorbereitet, ob aus dem Iran, Libanon oder Syrien, oder ob uns die Huthies beschießen. Seit dem 7. Oktober, der uns zeigte, dass wir nicht unverwundbar sind, wurden Pläne überarbeitet und verbessert, wir waren damals nicht gut vorbereitet, das sollte nie wieder passieren.

Vorwarnung

Peter: Beschreibe doch den Plan, soweit es dir möglich ist.

Hannah: Wir erfuhren von dem Angriff am Freitag, dem 13. Juni, um 03.00 morgens, wie alle anderen im Land. Ich bin sofort ins Krankenhaus gefahren. Mit der höchsten Alarmstufe beginnt ein einstudiertes Programm. Er besteht aus zwei Teilen: die Weiterführung der medizinischen Versorgung in geschützten Räumlichkeiten und die Vorbereitung auf die Aufnahme und Betreuung von Opfern eines Angriffs. Das Krankenhaus wird komplett neu organisiert, es geht um die Nutzung jedes sicheren Zentimeters im Gebäude.

Peter: Betrifft das nur euer Krankenhaus?

Hannah: Nein, jede medizinische Einrichtung hat einen bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Notfallsplan. Wenn das entsprechende Signal kommt, weiß jede Abteilung, jeder Kollege, jede Kollegin, von den Chirurgen bis zum Reinigungspersonal, was in den nächsten Stunden und Tagen zu tun ist. Das wurde immer wieder besprochen und geübt, ich kenne den Plan in und auswendig.

Peter: Wie läuft das ab, was passiert zuerst?

Hannah: Alles geschieht so weit wie möglich parallel und gleichzeitig. Ein Ärzte-Team entscheidet über die nicht-lebensgefährlichen Fälle, wer außerhalb des Krankenhauses betreut werden kann. Vorbereitet sind Pakete mit Informationen, Instrumenten und Medikamenten für die Betreuung in Privatwohnungen. Garagen und Keller werden geräumt und abgesperrt für Krankensäle und Behandlungszentren, die unterirdischen Bereiche in funktionierende Einheiten umgebaut. Alles kommt nach unten, Betten, Möbel, Computer und medizinische Geräte, bis Abteilungen wie Röntgen, Chirurgie, Kinder- und Geburtenstationen in den sicheren Räume funktionsfähig sind. Die Energieversorgung wird gesichert. In wenigen Tagen ist das gesamte Krankenhaus unter der Erde in einem geschützten Bereich. Es kommt zu keiner Unterbrechung der Behandlung und Versorgung. Selbst Intensivstation arbeiten ohne Unterbrechung weiter. Jedes Krankenhaus hat zusätzlich eine unterirdische, besonders abgeschirmte Blutbank. Gleichzeitig bereiten wir uns auf die Aufnahme von Verletzten vor. Teile der unterirdischen Bereiche bleiben unbelegt, sind voll funktionsfähig für jeden medizinischen Notfall. Eine Kommando-Zentrale wird eingerichtet, die selbst unter extremen Bedingungen das Krankenhaus unter Kontrolle hat. In gewissen Zeitabständen, etwa jede Stunde, kommen die Leiter der Abteilungen zusammen und -berichten über den Fortgang, welche Abteilungen bereits unterirdisch arbeitsfähig sind, und wo mehr Hilfe benötigt wird. Für extreme Notfälle gibt es die regionalen ‚Capsules‘, das sind bewegliche medizinische Einheiten, auch ich bin einer zugewiesen, die ein in der Nähe liegendes Krankenhaus innerhalb weniger Minuten erreichen könnten, falls es angegriffen und teilweise zerstört wurde.

Wenn wir angegriffen werden, formieren sich die unterschiedlichen Strömungen zu einem Volk, das gemeinsam ums Überleben kämpft

Festung

Peter: Und das passiert jetzt überall in Israel?

Hannah: Ja, mit einer Ausnahme. Das Assuta Ashdod Medical Center in Ashdod, südlich von Tel Aviv, ist das modernste Krankenhaus von Israel.

Peter: Was ist dort anders?

Hannah: Das Krankenhaus ist nur 35 Kilometer nördlich von Gaza in einem Gebiet, das ständig von Raketen angegriffen wird, es wurde 2017 neu erbaut wie eine militärische Festung, und ist das einzige Krankenhaus, das selbst bei Raketenbeschuss weiterarbeiten kann, ohne dass Abteilungen in Schutzräume verlegt werden müssen, ein architektonisches und militärisches Wunderwerk.

Peter: Kannst du deine Aufgaben beschreiben?

Hannah: Ich arbeite mit Schwerkranken, von denen viele nicht mehr lebend aus dem Krankenhaus kommen. Es ist manchmal eher eine Betreuung von Sterbenden, und die meisten konnten wir nicht nach Hause schicken. Sie waren erstaunlich ruhig. Manche hatten als Soldaten bereits mehrere Kriege mitgemacht, haben Freunde und Angehörige verloren, verbrachten Tage und Nächte in Schutzräumen bei Raketenangriffen. Auf der Station liegt 80 Jahre israelische Geschichte. Als wir sie weckten und über den Angriff auf den Iran informierten, klatschen manche vor Freude, als wären sie froh, dass sie das noch erleben konnten. Andere jedoch weinten, weil ihre Enkelkinder in der Armee sind.

Peter: Betrifft das auch die Stimmung im Land?

Hannah: Du kennst uns doch, du selbst bist während des Irakkriegs in Tel Aviv im Keller gesessen. Wir sind ein zerstrittenes Volk, und der Scherz, dass drei Israelis mindestens vier Meinungen haben, ist mehr als zutreffend. Doch, wenn wir angegriffen werden, formieren sich die unterschiedlichen Strömungen zu einem Volk, das gemeinsam ums Überleben kämpft. In den Luftschutzkellern wird oft Musik gespielt, gesungen, getanzt und gebetet. Tausende Freiwillige sind in Alarmbereitschaft, wie MDA (Magen David Adom, israelisches Rotes Kreuz) mit 30.000 Helfern in mehr als 100 Stationen, Rettungswägen und Hubschraubern. Mit ihren Motorrädern können sie in jedem Gelände Blutkonserven zustellen, die in unzerstörbaren Behältern aufbewahrt werden. Dann United Hatzalah, eine fantastische Einheit von medizinisch ausgebildeten Freiwilligen, die über das ganze Land verteilt innerhalb von zwei bis drei Minuten zur -Stelle sind, um Erste Hilfe leisten. Und ZAKA, die Organisation der orthodoxen Juden, die auf freiwilliger Basis helfen, Opfer zu identifizieren.

Raketenangriff

Peter: Wie schützt sich die Bevölkerung gegen die Raketenangriffe?

Hannah: Wir sind alle elektronisch vernetzt. Etwa zehn Minuten vor einem Einschlag bekommen wir die Informa-tion auf das Mobiltelefon, dann sollten wir so schnell wie möglich einen Schutzkeller aufsuchen. Über die offizielle App ‚Home Front Command‘ werden Warnungen und Hinweise versendet, wo mit einem Einschlag zu rechnen ist und wo wir uns schützen könnten. Als die Huthies uns beschossen hatten, haben sie mich zweimal unter der Dusche erwischt. Über die App ‚Ynet‘ (Ynetnews – auf englisch) bekommen wir in Minutenabständen Nachrichten.

Peter: Was glaubst du, wie wird es mit der jetzigen Regierung weitergehen?

Hannah: Peter, wie oft haben wir darüber diskutiert, ich war immer gegen diese Regierung und oft genug auf Demonstrationen. Aber ich muss auch anerkennen, dass Netanjahu einer der besten Militärstrategen ist. Er setzt um, was das vergessene Genie, der ehema-lige Mossad-Chef Meir Dagan, geplant hatte. Außenpolitisch ist Netanjahu erfolgreich, innenpolitisch ist das Land in einer Katastrophe. Lebensmittel, Energie, Mieten, alles kaum mehr bezahlbar. Wir haben alle genug von Krieg, wir sind müde, so verdammt erschöpft und müde, sehnen uns nach Frieden, und hoffen auf eine neue Regierung nach den nächsten Wahlen, die nicht nur damit prahlt, unsere Feinde zu besiegen, sondern sich um uns kümmert, uns Israelis endlich einen lebenswerten Alltag zurückgibt.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: redaktion@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25/2025 erschienen.

Kolumnen

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER