News Logo
ABO

2nd Opinion: Feigheit vor dem Freund

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
6 min

Michael Fleischhacker

©Beigestellt

Früher warf man sich im Kampf der Intellektuellen beherzt in die Schlacht um das große Ganze. Heute geht es nur noch darum, der digitalen Staatssicherheit zu entkommen, die einen für die kleinste Abweichung von der Gruppenmeinung an den Pranger stellt und zum Abschuss freigibt.

Als ich noch gezwungen war, mein Leben als wichtiger Bestandteil des politmedialen Komplexes zu verbringen, weil ich jung und ehrgeizig war, hatte ich viele Gespräche mit noch jüngeren Kolleginnen und Kollegen über die Frage, warum sie eigentlich Dinge schreiben, die sie gar nicht denken. Meine Frage, warum sie oder er in einem Text mitunter Meinungen formulierte, die sie nach meinem Eindruck unserer bisherigen Konversationen gar nicht hatten, beantwortete alle diese jungen Menschen ungefähr so: „Ich bin noch jung, ewig werde ich nicht bei der Presse bleiben, und wenn ich das schreibe, kriege ich beim ORF sicher nie einen Job.“

Seither muss ich über die jährlichen Pressefreiheits-Rankings und die Mutmaßungen darüber, warum Österreich wieder 13 Plätze abgerutscht ist (weil zum Beispiel irgendein verhuschter Publizistikprofessor irgendeine Aussage irgendeines herausgeforderten Regionalpolitikers „gefährlich“ für die Pressefreiheit fand) herzlich lachen. In Österreich und wohl auch im zweiten europäischen Zentrum der intellektuellen Wohlstandsverwahrlosung namens Deutschland, wird die Presse- und Meinungsfreiheit durch nichts so sehr bedroht wie durch den Gruppendruck der Branche.

Feigheit vor dem Freund

Die zweite große Bedrohung ist die Tatsache, dass es für die herkömmliche Vorstellung, Journalistinnen und Journalisten würden mit den Erlösen aus dem Verkauf der Produkte, die sie herstellen und mit den Erlösen aus den Werbeeinschaltungen, die der groß-flächige Vertrieb dieser Produkte ermöglicht, bezahlt, keine Grundlage mehr gibt. Man nannte das früher „Geschäftsmodell“, und dieses Geschäftsmodell existiert nicht mehr, aber solange die öffentlichen Hände mehrere hundert Millionen Euro ins System pumpen, kann man auf die Anerkennung der Wirklichkeit verzichten.

Ich selbst arbeite für ein Medienunternehmen, dessen Produktion sich allein durch Werbeeinnahmen ebenfalls nicht finanzieren ließe, das aber in ein großes und erfolgreiches Privatunternehmen eingebunden ist. Über die Frage, ob es für die Qualität und Unabhängigkeit eines Medienbetriebs besser ist, von den Gewinnen eines privaten Unternehmens oder von Steuergeldern abhängig zu sein, kann man gut unterschiedlicher Meinung sein. Oder besser: Man könnte gut unterschiedlicher Meinung sein, wäre es nicht noch immer so, wie es schon zu meiner Zeit war: Innerhalb des geschlossenen Journalistensystems gibt es eine Meinung, von der man nur abweichen kann, wenn man das Risiko in Kauf nimmt, von diesem System ausgespuckt zu werden.

Das gilt inzwischen für ziemlich alle Bereiche, in denen man sein Geld nicht durch die Erzeugung echter Produkte für echte Bedürfnisse echter Menschen verdient, sondern durch intellektuelle Produktion, also im Kultur- und Medienbetrieb. Jüngstes Beispiel sind die Vorgänge rund um ein von Mareike Fallwickl und Eva Reisinger im Leykam-Verlag geplantes feministisches Literaturprojekt mit dem Titel „Das Pen!smuseum“. An diesem Projekt sollte auch die als Feministin ausgewiesene Autorin Gertraud Klemm teilnehmen, wird das nun aber nicht, weil spätere Recherchen der Herausgeberinnen und des Verlags nach Zurufen von Social-Media-Agentinnen ergeben haben, dass Frau Klemm in früheren Beiträgen an anderen Orten nicht die gewünschte Version des Feminismus vertreten, sondern eine andere, „nicht-intersektionale“ Perspektive eingenommen hat.

Man kann das Elend auch auf einen Begriff bringen: Feigheit vor dem Freund

Das ist ungefähr so verrückt, wie es klingt, und wenn man die Stellungnahmen der Herausgeberinnen, des Verlags und der gecancelten Autorin zusammennimmt, hat man das gesammelte Elend der intellektuellen Produktion unter den Bedingungen der digitalen Mob-Diktatur auf einem Tableau versammelt. Man kann dieses Elend auch auf einen Begriff bringen: Feigheit vor dem Freund. Den jämmerlichsten Eindruck macht dabei jedoch der Leykam-Verlag, der auf der hippen Welle surfen wollte und jetzt erst bemerkt, dass er sich nur mit Ruderbooten auskennt.

Anders als früher erfordert es nicht mehr Mut, Menschen oder Gruppen mit stark abweichenden Meinungen ins Angesicht zu widerstehen, sich in den Kampf um die bestimmenden Erzählungen der gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft zu werfen, Blessuren davon- und vor sich herzutragen, die man in Auseinandersetzungen ums große Ganze erlitten hat. In den Kriegen, die um Projekte wie „Das Pen!smuseum“ geführt werden, herrscht der Terror der kleinen Unterschiede, es geht nicht darum, gegen die Feinde des Feminismus zu kämpfen, wichtig ist, dass man nicht die falsche feministische Perspektive hat.

Wo der Mut zum Kampf gegen einen Feind, der Freiheit, Individualität und Wohlstand bedroht, durch die Feigheit vor dem Freund ersetzt wird, der die geringste Abweichung von der Gruppenmeinung an den digitalen Pranger stellt und den vermeintlichen Abweichler zum Abschuss freigibt, ist es um jede Form von produktiver Auseinandersetzung geschehen. Verlage, Medienhäuser und große Kulturinstitutionen waren früher der Raum, in dem solche produktiven Auseinandersetzungen ihren Platz hatten. Diese Zeiten scheinen endgültig vorbei zu sein.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: redaktion@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 24/2025 erschienen.

Kolumnen

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER