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Werner Kogler: „Bei den Neos sehe ich ein bisschen den Lindner-Defekt“

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Der grüne Bundessprecher Werner Kogler über das Scheitern der Regierungsverhandlungen und sein Angebot an die ÖVP. Den ehemaligen Regierungspartner werde es mit der FPÖ „in den nächsten zwei, drei Jahren zerlegen“, meint er im Interview

ÖVP, SPÖ und Neos sind bei den Regierungsverhandlungen gescheitert. Die Grünen wurden nicht einmal an den Verhandlungstisch geholt. Zu mühsam, hört man aus der ÖVP und Teilen der SPÖ. Zu Recht?

Das weiß ich nicht, was die genau meinen. Aber eines ist sicher: Wir sind ­jedenfalls sehr durchsetzungsfähig. Das haben die Wiener SPÖ und die Bundes-ÖVP erfahren. Aber nach dem unausweichlichen Abgang von Sebastian Kurz gab es in der ÖVP wieder verschiedene Lager. Damit ist es schwieriger für sie geworden, aber auch für uns. Wir Grüne haben die Koalition zusammengehalten. Wir haben geschaut, dass in Wirtschafts- und Budgetfragen nicht so viel Geld ausgegeben wird, wie die Wirtschaftskammer wollte. Und wir waren in unseren Kernbereichen Justiz und Klimaschutz durchsetzungsstark. In der ÖVP sind nun wieder die Öllobbyisten, die Gasagenten und Betonbarone einmarschiert. Die Zurufe aus der Wirtschaftskammer auf den Ballhausplatz sind immer lauter geworden. Offenbar hat es in der ÖVP eine Gruppe gegeben, die immer schon Richtung Blau-Schwarz wollte. Dazu kommt, dass sich SPÖ und Neos nicht geschickt verhalten haben. Das Ergebnis ist jedenfalls unverantwortlich. Es war klar: Ein Kompromiss zwischen Neos und Andreas Babler würde schwierig. Aber wenn alle wollen, kann das nicht so ausgehen. Wir haben vor fünf Jahren Verantwortung übernommen und es uns nicht leicht gemacht.

Besser wir regieren als die FPÖ, haben die Grünen immer erklärt.

Nicht umsonst hieß unser Regierungsprogramm „Verantwortung für Österreich“. Ein paar Wochen später wären Herr Hofer und Herr Kurz zusammengekommen. Sicher ist es schwieriger, zu dritt zu verhandeln. Aber insgesamt gab es diesmal eine noch größere Verantwortung. Zumal die Hofer-FPÖ nicht so aggressiv war wie die jetzige Kickl-FPÖ.

Warum sind die drei Parteien gescheitert? Mangelndes Geschick? Mangelnde Erfahrung?

Ich will nicht den Richter spielen. Aber was ich nicht einsehe, ist, dass ÖVP und SPÖ vom Abgang der Neos am falschen Fuß erwischt wurden. Das ist kein Umgang mit dem anderen. Als wir Sebastian Kurz zum Rücktritt gedrängt haben, haben wir der ÖVP zwei, drei Tage Zeit gelassen, um zu reagieren. Erst als ich gemerkt habe, dass sie die Dramatik nicht erkennen, haben wir öffentlich Druck gemacht. Ich finde, man muss sich gegenseitig rechtzeitig informieren. Wenn man bei Verhandlungen aufsteht, muss man das genauso begründen wie einen Kompromiss. Bei den Neos sehe ich ein bisschen den Lindner-Defekt: Erst rabiat die eigenen Forderungen durchsetzen wollen, und wenn es schwierig wird, sich pompös auf die Flucht begeben.

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In der jetzigen Situation wird schlagend, dass sich ein Teil – nicht einmal die Mehrheit – des Wirtschaftsbunds und der Industriellenvereinigung durchsetzt. Dieser Teil wollte nicht mehr mit uns, weil wir Grüne zu durchsetzungsstark sind.

Waren Sie überrascht, dass ÖVP und SPÖ danach so schnell aufgeben?

Ich hätte schon erwartet, dass sie es ernsthafter probieren. Zumal Angebote von uns da waren, diese knappe Mehrheit im Parlament abzusichern und bei Zwei-Drittel-Materien mitzugehen, wenn wir diese für sinnvoll erachten. Dennoch hat keiner mit uns geredet. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell scheitert. Dafür, wie es jetzt läuft, trifft die Hauptverantwortung jedenfalls die ÖVP.

Weil sie den Regierungsbildungs­auftrag hatte?

Und weil sie auch jetzt noch etwas anderes versuchen könnte als Gespräche mit der FPÖ. Aber die eine ÖVP gibt es nicht mehr. In der jetzigen Situation wird schlagend, dass sich ein Teil – nicht einmal die Mehrheit – des Wirtschaftsbunds und der Industriellenvereinigung durchsetzt. Dieser Teil wollte nicht mehr mit uns, weil wir Grüne zu durchsetzungsstark sind. Da hat es den Wunsch nach einer bequemeren Option gegeben. Weil bequem ist es mit uns sicher nicht.

Die Knackpunkte der Ampel waren neue Steuern – oder eben keine – und eine Pensionsreform. Hätten Sie einen Kompromiss geschafft?

Ja, schon. Ich will Neos und SPÖ nicht Unrecht tun, es hängt schon auch davon ab, ob sich die ÖVP bewegt. Die Budgetfrage ist komplex. Natürlich macht es aus Gründen der Akzeptanz und Ausgewogenheit und auch aus ökonomischer Vernunft Sinn, ausgabenseitig und einnahmenseitig etwas einzuplanen. Vor allem, weil man dann mehr Spielraum für Investitionen hat. Es gibt Möglichkeiten, bei den Einnahmen etwas zu tun, ohne die Wirtschaft zu schädigen. Ich war immer dafür, das Budgetdefizit unter die drei Prozent zu bringen. Wir haben immer nach europäischen Regeln budgetiert. Die Ur­sachen, dass das für 2024 nicht funktioniert, liegen woanders.

Bei Ländern und Gemeinden?

Auch. Das Problem ist vor allem, dass es durch die Rezession geringere Steuereinnahmen gibt, während die Ausgaben wachsen. Zudem haben die Sozialversicherungen ein größeres Minus als geplant. Wenn man sich damit beschäftigt, sieht man, dass die Abweichungen bei den Bundeseinnahmen und -ausgaben nicht so riesig sind. Das ist bewältigbar. Vor allem, wenn man die Konsolidierung auf mehrere Jahre streckt. Nach der Finanzkrise 2009 haben wir auch sieben Jahre gebraucht. Damals waren die Schulden, gemessen an der Wirtschaftsleistung, deutlich höher als jetzt.

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Es schadet im Gegensatz zu ­anderen Maßnahmen der Wirtschaft nämlich nicht, wenn ganz große Milliarden- oder Millionenerben einen Beitrag leisten. Das ist ja keine Enteignung. Das ist doch Blödsinn.

Wo hätten Sie einnahmenseitig angesetzt?

Für jene, die uns zu niedrigen Zinsen Geld borgen, sind unsere Finanzen und damit Steuereinnahmen langfristig viel wichtiger als eine aktuelle Defizitgrenze. Daher würde ich bei einem Beitrag der Millionen- und Milliardenerben ansetzen. Das würde nicht das Budget zur Gänze sanieren, aber es geht schon um Milliarden. Vor allem, weil es immer mehr Erbfälle mit immer größeren Beträgen gibt.

Gerade da war das Nein der ÖVP kategorisch.

Das mag schon sein. Aber vernünftig wäre es. Es schadet im Gegensatz zu ­anderen Maßnahmen der Wirtschaft nämlich nicht, wenn ganz große Milliarden- oder Millionenerben einen Beitrag leisten. Das ist ja keine Enteignung. Das ist doch Blödsinn.

Und das Reizthema Pensionen?

Da sind unser Sozialminister und unser Sozialsprecher Feuer und Flamme, wie man das effektive Antrittsalter an das gesetzliche heranführt. Da sind relativ rasch Spielräume von ein bis drei Milliarden Euro drinnen. Die Grünen sind da sehr konzeptorientiert und haben einiges in der Schublade. Das hätte ich auch für machbar gehalten. Was ich aber überhaupt nicht einsehe, ist, dass es keine Bereitschaft gab, klimaschädliche Subventionen abzuschaffen. Da geht es auch um Milliarden.

Knapp sechs Milliarden laut einer Studie des WIFO. Wobei das nur jener Teil ist, der quantifizierbar ist.

Dazu muss man ehrlicherweise auch ­sagen, dass ein Teil davon EU-Vorgaben sind, um die Industrie zu entlasten und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, und es sind noch ein paar soziale Dinge dabei. Aber ein Viertel bis ein Drittel dieser Förderungen könnte man sofort reduzieren, da käme man rasch auf eineinhalb bis zweieinhalb Milliarden Einsparungen. Das sehen auch der Fiskalrat und der Budgetdienst im Parlament so. Es gibt also andere Möglichkeiten, als ausgerechnet Klimaförderungen zu streichen. Und beim Klimabonus waren ja auch wir der Meinung, dass man den adaptieren muss.

Wegen der Inflation wurde dieser sogar verdoppelt, obwohl er ohnehin schon als Überförderung galt.

Das war ein ÖVP-Anliegen. Das hätte man sich sparen können – im besten Sinn des Wortes. Das sind eben die Kompromisse, die man schließen muss. Unser Ziel war es, dass die Grundidee erhalten bleibt: ein ökologisches Steuersystem mit einer Rückverteilung an die Bevölkerung und die Unternehmen. Was aber nicht geht, ist jetzt zu sagen: Wir erhöhen keine Steuern, wir bleiben zwar bei der CO2-Besteuerung, es gibt aber keinen Ausgleich. Das ist eine Lüge und genau die Steuererhöhung, die man ­angeblich verhindern wollte.

FPÖ und ÖVP haben sich rasch auf ein Konsolidierungspaket geeinigt.

Das zum Teil aus Luftnummern besteht. Ich verstehe nicht, wieso sich die EU-­Kommission damit abspeisen lässt. Natürlich kann man das ohne Defizitverfahren machen. Aber wir hätten einen besseren Weg nehmen können, der auch Spielraum für Investitionen lässt. Man kann unelegant und unintelligent kürzen oder sinnvoll sparen – siehe klimaschädliche Subventionen.

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„Staatstragende Partei? Europapartei? Das soll sich noch ausgehen? Never! Insofern erkenne ich die ÖVP nicht wieder. Wundern tut es mich aber nicht“

FPÖ und ÖVP beginnen nun die inhaltlichen Verhandlungen: Wo sehen Sie da die Knackpunkte?

Die Frage ist, wie ehrlich sie sich annähern und ob sie Konfliktpotenzial auf später verschieben. Jedenfalls gibt es in der Europa-Frage sehr große Unterschiede. Wobei die ÖVP ihr Image als Europapartei oder sogar als staatstragende Partei ja schon verloren hat, indem sie mit der FPÖ regieren will. Schlimm genug, finde ich, denn genau so eine ÖVP würde Österreich brauchen. Andererseits ist vielleicht auch die FPÖ bereit, Kreide zu fressen, weil Kickl weiß, dass er eben jetzt eine Chance aufs Kanzleramt hat. Nach der nächsten Wahl könnte die FPÖ zwar mehr Stimmen haben, aber die anderen Parteien haben sich vielleicht konsolidiert. Möglicherweise auch ohne Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger, die sich jetzt selbst im Weg gestanden sind. Bei der FPÖ finden sich die ganzen Rechten und Rechtsextremen, die sind ja nicht nur Populisten, sondern auch Überzeugungstäter, die auf die EU losschlagen. Bei Ukraine oder gemeinsamer Sicherheitspolitik hat es zwischen ÖVP und Grünen gut funktioniert. Man weiß nicht, wie weit die ÖVP jetzt zu gehen bereit ist. Das ist ein Riesenkonflikt­potenzial. Eigentlich kann das nicht zusammengehen. Es sei denn, in der ÖVP haben sich endgültig diejenigen durchgesetzt, denen alles wurscht ist.

Erkennen Sie die ÖVP, mit der Sie regiert haben, noch wieder?

Wie soll ich sagen? Im Prinzip waren diese Anlagen immer da. Sebastian Kurz hat die interne Differenzen zugedeckt. Dann sind sie wieder aufgebrochen. Karl Nehammer hat es sehr anständig gemacht. Aber die unterschiedlichen Gruppen in der ÖVP wurden immer stärker spürbar. Jetzt hat sich ein Teil des Wirtschaftsflügels durchgesetzt. Ich glaube nicht einmal, dass das die Mehrheit ist. Ich sage einmal selbstbewusst und ironisch: Die ÖVP kannst du in dem Zustand nicht unbeaufsichtigt lassen. Wir waren da schon eine starke Klammer. Aber genau das war es, was ihnen nicht mehr gefallen hat. Staatstragende Partei? Europapartei? Das soll sich noch ausgehen? Never! Insofern erkenne ich die ÖVP nicht wieder. Wundern tut es mich aber nicht.

Werden sich FPÖ und ÖVP bei Justiz, Medien, Frauenpolitik, Familienpolitik eher einigen? Kommt jetzt der Umbau, vor dem im Zusammenhang mit der FPÖ oft gewarnt wird?

Wenn die ÖVP bei den Forderungen der Blauen mitgeht, wäre sie massiv wortbrüchig. Es wird die ÖVP – oder die Rest-ÖVP – in den nächsten zwei, drei Jahren vor unseren Augen zerlegen, wenn sie sich da mit der FPÖ so einig ist. Die Kickl’sche Vorstellung von Medienpolitik wäre der Beginn des Abbaus der liberalen Demokratie. Zwar geht das hier nicht so leicht wie in Ungarn, aber jedenfalls glaube ich, die ÖVP spaltet sich, wenn das passiert.

Aber Sie gehen davon aus, dass sich FPÖ und ÖVP einigen? Oder rechnen Sie damit, dass es noch einmal neue Verhandlungen mit ÖVP, SPÖ und Neos gibt, wie vom Wiener Bürgermeister vorgeschlagen?

Ich sehe das wie Michael Ludwig. In Wahrheit sollten sich diese Parteien noch einmal finden, mit anderer Herangehensweise und zum Teil anderen Personen, weil alles besser ist – aus rechtsstaatlicher, liberaler und europäischer Sicht – als Blau-Schwarz. Wir Grüne würden das unterstützen. Ja, man kann nicht so eine Prognose abliefern und dann tatenlos herumsitzen. Wir sind ­bereit. Derzeit sieht es zwar nicht nach einem neuen Versuch aus. Aber es soll keiner am Ende sagen können, es hätte keine andere Möglichkeit gegeben.

Unabhängig von der Regierungs­bildung: Sie haben angekündigt, die Position des Bundessprechers abzugeben. Was machen Sie dann?

Ich bin dann mit Sicherheit im Nationalrat. Wir werden als Team weitermachen. Da bin ich voll dabei.

Trennungsschmerz vom Regierungsamt?

Da sind wir wieder bei der Verantwortungsfrage. Im Zweifel ist es gescheiter, zu regieren. Wobei: Auch wir haben Regierungsverhandlungen schon einmal abgebrochen: im Winter 2002/2003. Regieren ist ein wichtiges Instrument, um realpolitisch etwas umzusetzen. Wir haben aber auch in der Opposition viel weitergebracht, weil in Österreich wichtige Materien eine Zweidrittelmehrheit im Parlament brauchen. Meine Motivation ist, die Welt zum Besseren zu verändern. Dafür kann man im Parlament und in der Regierung viel erreichen. Und wie man sieht, kann sich momentan ­alles sehr schnell verändern. Man muss rechtzeitig da sein, wenn es drauf ­ankommt.

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