Die Regierung hat angekündigt, den Energiemarkt zu reformieren. Doch wo kann sie ansetzen, was ist nötig und was nicht? News hat die Energieexperten Michael Baminger, Michael Böheim und Walter Boltz befragt, welchen Reformbedarf sie sehen, und die grüne Exministerin Leonore Gewessler, welchen Reformen sie nun als Oppositionspolitikerin im Parlament zustimmen würde
von
Sieben Seiten im Regierungsprogramm stehen unter der Überschrift „Energie und Netze“. Eine Auflistung von „Modernes Elektrizitätsrecht als Basis für System- und Kosteneffizienz“ bis „Langfristige Energiesicherheit & Innovation“. Mit Elisabeth Zehetner hat Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer eine Staatssekretärin für Energie im Haus. Die beiden haben eine Ausschreibung für ein „unabhängiges Review“ der Klima- und Energieförderungen auf den Weg gebracht. Bis zum Sommer soll klar sein, wo man den Hebel ansetzen kann.
Was die Kunden vom Energiemarkt mitbekommen? Höhere Belastungen, etwa wenn so wie seit Jänner die Netzkosten wieder auf der Rechnung stehen, weswegen man von eigentlich sinkenden Energiepreisen nicht so viel merkt.
Wo sehen Experten Reformbedarf am Energiemarkt? Wie wird Energie wirklich billiger? „Kurzfristig ist es extrem schwierig, einen Preiseffekt zu erzielen“, sagt Energiemarktexperte Walter Boltz. Wollte die Regierung die Verbraucher rasch entlasten, könne sie nur Steuern und Abgaben auf Energie reduzieren. „Aber wie wir die Budgetsituation kennen, ist das keine Option.“ Freilich seien in Österreich die Stromerzeuger im Wesentlichen im öffentlichen Eigentum. In Tirol und Vorarlberg seien in der Energiekrise die Strompreise deutlich günstiger gewesen, weil das Land auf Dividende verzichtet habe. „Das war eine leichte Entscheidung, weil schon absehbar war, dass eine exzessiv hohe Dividende wohl vom Bund abgeschöpft werden wird. Bevor es der Finanzminister in Wien bekommt, hat man das Geld lieber den eigenen Bürgern gegeben.“
Ebenfalls kurzfristig, so Boltz, könnte eine Entscheidung wirken, auf die die österreichische Politik gar keinen Einfluss hat: wenn Deutschland Braunkohlekraftwerke, die zur Netzstabilisierung bereitgehalten werden, in den Regelbetrieb nimmt, was derzeit wegen der Klimabelastung nicht der Fall ist. Der Strom-Großhandelspreis bemisst sich am letzten zur Deckung des Bedarfs in Betrieb genommenen Kraftwerk. In der Regel sind das Gaskraftwerke, und Gas ist teurer als Braunkohle. Würden Kohlekraftwerke diese Rolle übernehmen, würde der Großhandelspreis sinken.
Was die Regierung zügig in Angriff nehmen kann, ist, Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Michael Baminger, Chef der Salzburg AG, sagt: „Eine Standortbestimmung, wie sie derzeit von der Regierung geplant ist, halte ich für klug. Man sollte nur nicht zu viel Zeit darauf verwenden. Die Gesetze, die schon länger unfertig auf dem Tisch liegen, sollte man noch heuer finalisieren und beschließen.“ Es handelt sich dabei etwa um das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) und das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG), mit denen die schwarz-grüne Regierung an der Zweidrittelmehrheit im Parlament gescheitert war. Das EABG soll etwa bei den langen Verfahrensdauern für neue Energieprojekte ansetzen.
Wir wünschen uns Planbarkeit, Stabilität und klare Ansagen. Dass sich die Zielsetzung nicht alle vier oder fünf Jahre ändert
Schneller genehmigen
„Oft ist die Genehmigung der Engpass“, sagt Boltz. Es gebe zu wenig Sachverständige, unterschiedliche Landesgesetze und Widerstand gegen neue Anlagen. Hier müsse das öffentliche Interesse am Ausbau stärker zum Tragen kommen. Baminger: „Ich finde, dass der Interessenausgleich bei der Genehmigung neuer Projekte seine Berechtigung hat. Aber man könnte vereinfachen, wer überhaupt als Interessent gilt, so dass nicht NGOs quasi immer Parteienstellung haben, auch wenn sie das Projektgebiet gar nicht kennen.“ Was er sich ebenfalls wünscht: „Typisch für die Energiewirtschaft sind lange Vorlaufzeiten und große Investitionen. Ein zentraler Wunsch von uns sind daher Planbarkeit, Stabilität und klare Ansagen. Dass sich die Zielsetzung nicht alle vier oder fünf Jahre ändert.“
Die Leute müssen akzeptieren, dass sie nur eine bestimme Menge ihres erzeugten Stroms ins Netz einspeisen können
Netzkosten anders verrechnen
Ebenso wichtig wie der Ausbau erneuerbarer Energie sind der Ausbau der Netze und die Verrechnung der Netzkosten an die Kunden. Fehlende Netzinfrastruktur führe dazu, „dass wir die Mengen an erneuerbarem Strom teilweise nicht ins Netz integrieren können“, mahnte zuletzt Gerhard Christiner von Austrian Power Grid. Das verursache Kosten von 100 Millionen Euro pro Jahr.
Für die Strombezieher ebenso entscheidend ist, wie ihnen die Netzgebühr verrechnet wird. Derzeit wird sie am Verbrauch bemessen. Das hat zur Folge, erklärt Michael Böheim vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, dass z. B. Eigenheimbesitzer mit Photovoltaikanlage am Dach zwar ihre eigenen Stromkosten reduzieren (und etwas fürs Klima tun), das aber auf Kosten anderer Stromkunden passiert, weil alle gleichermaßen für das Netz bezahlen. Wer Sonnenstrom einspeist, nimmt das Netz aber mehr in Anspruch. „Sonnenstrom zu produzieren, um selbst ein Geschäft zu machen, ist ein Modell der Vergangenheit“, meint Böheim.
Die Netze müssen für den maximalen Gebrauch ausgelegt sein, also etwa wenn im Hochsommer viel Sonnenstrom eingespeist wird oder viele Menschen ihre Elektroautos laden. „Die Anschlussbedingungen für Erneuerbaren-Anlagen müssen anders gestaltet werden“, erklärt Boltz. „Derzeit darf jeder in beliebigem Umfang Erzeugungskapazitäten anschließen, das erzeugt einen Kostenschub bei den Netzen. Die Leute müssen akzeptieren, dass sie nur eine gewisse Menge ihres erzeugten Stromes einspeisen können.“
Was die Verrechnung betrifft, plädiert Boltz dafür, weg von verbrauchsabhängigen, hin zu leistungsabhängigen Tarifen zu kommen. Zudem müsste man erreichen, dass die Leute zu Erzeugungsspitzen, wenn Strom günstig ist, mehr verbrauchen. „Jetzt schaltet jeder die Geräte ein, wann er will, egal, was im Netz passiert.“ Weil Energie aus erneuerbaren Quellen oft nicht zu jenen Zeiten anfällt, wo sie gebraucht wird, gelte es, in Forschung und Entwicklung bei Speicherkapazitäten zu investieren, sagt Böheim. Baminger ergänzt: „Flexibilität ist die Königsdisziplin der Energiewende. Strom, der zu Mittag erzeugt, aber erst am Abend gebraucht wird, oder Strom, der im Juli erzeugt, aber im Winter gebraucht wird, zu shiften.“
Der beste Zeitpunkt, um mit dem Strombinnenmarkt zu beginnen, war gestern. Der zweitbeste ist heute
Ein größerer Markt
Letztendlich sollte man den Energiemarkt aber größer – europäisch – denken. „Derzeit scheitert ein EU-Energiemarkt an nationalen Interessen der Mitgliedsstaaten“, erklärt Böheim. Zum Beispiel: Frankreich mit seiner Atomindustrie will keinen billigen Sonnenstrom aus Spanien. Letztendlich werde man aber nicht darum herumkommen, Leitungskapazitäten zu schaffen, um billigeren Sonnenstrom aus dem Süden oder Windstrom aus dem Norden in europäischen Netzen zu verteilen und gemeinsam zu bewirtschaften. „Der beste Zeitpunkt, damit zu beginnen, war gestern, der zweitbeste ist heute“, sagt Böheim.
Boltz würde auch über günstige Stromimporte von außerhalb der EU und Kabelverbindungen in nicht mehr genutzten Gaspipelines nachdenken. „Österreich hat gute Leitungsverbindungen nach Süden, aber auch nach Ungarn, Tschechien und Deutschland und könnte eine Stromdrehscheibe sein.“ Langfristig werde man solche Importe brauchen: „Zu glauben, dass Österreich seinen Energiebedarf aus lokal erzeugtem Strom decken kann, ist einfach eine Illusion. Da fehlt einfach die Fläche.“
Wir arbeiten momentan in einem Energiesystem, das quasi noch Windows 95 als Betriebssystem hat
Den gemeinsamen Energiemarkt mahnt auch die frühere Ministerin Leonore Gewessler ein. In Österreich seien 2024 95 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt worden. „Wir brauchen passende europäische Regeln und einen vernünftigen EU-Binnenmarkt um zu erreichen, dass die wesentlich günstigeren Energiepreise der Erneuerbaren auch wirklich bei den Menschen ankommen, denn derzeit treiben die restlichen Prozent fossile Energien den Preis in die Höhe.“ Nötig seien rechtliche Voraussetzungen für die direkte Abnahme bei Erneuerbaren-Produzenten oder Erleichterungen für Energiegemeinschaften.
Genau dafür müsse rasch das ElWG beschlossen werden und ebenso das EABG und das Erneuerbares-Gas-Gesetz. Noch aus ihrer Regierungszeit liege ein fertiger Entwurf des ElWG vor, den könne man sofort beschließen. „Jeder Tag, den dieses Gesetz in der Schublade verbringt, kostet im Gesamtsystem Geld. Wir arbeiten momentan in einem Energiesystem, das quasi noch Windows 95 als Betriebssystem hat. Das müssen wir dringend ins 21. Jahrhundert bringen.“
Was die Grünen sonst noch wollen? „Dass die Regierung bei den Erneuerbaren-Förderungen nicht mit der Kettensäge durchfährt. Die Photovoltaikbranche befürchtet einen Einbruch um 40 Prozent. Da geht es nicht nur um den Klimaschutz, sondern auch um Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Land.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 18/25 erschienen.