Vor 150 Jahren schockierte Célestine Galli-Marié das Pariser Opernpublikum mit ihrer leidenschaftlichen Darstellung der Carmen. Sie brach mit den gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit und prägte die Rolle bis heute.
Das konservative Pariser Opern-Publikum war empört. Eine leidenschaftliche Frau, die rücksichtslos ihre Erotik auslebe in einer Hauptrolle auf der Bühne eines ehrwürdigen Opernhauses – was für eine Schande.
Célestine Galli-Marié, 1837 in Paris als Tochter eines Opernsängers geboren, und eine der berühmtesten französischen Sängerinnen ihrer Zeit, weigerte sich anfangs, die Rolle der Carmen zu übernehmen. George Bizet versuchte, sie zu überreden, und versicherte ihr, die Komposition zu überarbeiten. Er war überzeugt, nur Galli-Marié könne seine Carmen bei der Premiere am 3. März 1875 spielen.
Leidenschaft
Galli-Marié hatte ihre Gründe, den ersten Entwurf der Carmen abzulehnen. Sie wollte keine schüchterne Arbeiterin einer Zigarettenfabrik sein, die ein eifersüchtiger, beleidigter Liebhaber töte. Leidenschaft und Begierde im Widerspruch zu dem klischeehaften Frauenbild der Zeit sollten die Eigenschaften der Carmen sein, verlangte sie, die ihren Liebhaber, einen wohlhabenden Adeligen, der alles für sie aufgegeben hatte, für einen einfachen Stierkämpfer verlässt.
Dreizehn Mal musste Bizet die Arie ‚Habanera‘ – der erste Auftritt von Carmen – umschreiben, bis Galli-Marié einverstanden war. Bizet, bereits krank und völlig erschöpft von den ständig geforderten Änderungen, starb drei Monate nach der Uraufführung. ‚Habanera‘ mit den Anfangsworten: „Die Liebe ist ein rebellischer Vogel, den niemand zähmen kann“ ist bis heute ein Opern-Hit. Die Uraufführung war allerdings ein mäßiger Erfolg. Die Erotik der Carmen irritierte vor allem Vertreter der katholischen Kirche, die mit ihrem Protest durchsetzten, dass die Opéra-Comique Carmen sonntags nicht zeigen durfte.
Ein paar wenige Rezensenten erkannten allerdings das Talent von Galli-Marié. Paul Bernard schrieb in der Revue et gazette musicale de Paris: „Die Aufführung verdient großes Lob, wenn man ihren Wert an Frau Galli-Marié erkennen kann. Wer außer ihr hätte die großartige Rolle der Carmen spielen können?“
Fatalismus
Der Musikhistoriker Patrick Taieb, dessen neue Biografie von Galli-Marié in Kürze erscheinen wird, nennt sie die vergessene Ko-Autorin von Carmen. Während Bizet zu den bekanntesten Namen der Opernwelt gehöre, kenne niemand Galli-Marié, die er als die französische Beyoncé des 19. Jahrhundert beschreibt. Ihre Interpretation von Carmen setzte sich durch und wurde innerhalb weniger Monate ein internationaler Erfolg. Iljitsch Tschaikowski lobte sie: „Eine Sängerin mit ungezügelter Leidenschaft und einem mystisch zu nennenden Fatalismus.“
Ein paar Monte nach der Uraufführung wollten alle Opernhäuser Europas Carmen mit Galli-Marié in der Hauptrolle. Sie sang die Carmen in Brüssel 1871, Monte Carlo 1879, Neapel 1879, Genua und Barcelona 1881, Madrid 1882, Rom 1884 und London 1886. Mit der 100. Vorstellung in der Opéra-Comique in Paris beendete sie ihre Karriere. 1905 starb sie in Vence und wurde auf dem berühmten Friedhof Père-Lachaise in Paris begraben.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 21/2025 erschienen.