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Spitzentöne: Die Probleme und Benefizien der fast schon wieder beendeten Festwochen

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Die Festwochen sind fast zu Ende. Mit dem prognostizierten Großereignis, Jelineks „Burgtheater“, dürfte die Autorin nicht glücklich geworden sein, wie sie auf Anfrage andeutet. Gottlob verantwortete Intendant Milo Rau auch Sehenswertes. Aber sein Programm bleibt insgesamt einseitig.

Zu Vorverkaufsbeginn ließ uns die Autorenzeile „von und mit Elfriede Jelinek“ noch einer Sensation entgegenfiebern. Der Teufelskerl Milo Rau werde die scheue Nobelpreisträgerin doch nicht am Ende leibhaftig auf die Burgtheaterbühne überredet haben? Das nicht, erfuhr man auf Anfrage, aber gewisse Formen digitaler Anwesenheit seien schon zu erwarten. Deshalb sah man zu Probenbeginn im Zentrum des kreisförmig angeordneten Bühnenbilds auch einen exterritorialen Raum mit dem ikonischen Kugelsessel aus dem Jelinek’schen Eigenheim.

Zur Premiere der Koproduktion zwischen Festwochen und Burg war dann das Möbelstück samt Raum verschwunden. Und die Posse mit Gesang „Burg­theater“ hatte unversehens die Verfasser gewechselt: Im Programmheft steht jetzt „nach Elfriede Jelinek in einer Bearbeitung von Milo Rau und Ensemble“.

Schlussfolgerungen, eine gewisse Unzufriedenheit mit der Inszenierung des Festwochenintendanten betreffend, begegnet die Nobelpreisträgerin auf Anfrage liturgiefest: „Sagen wir, meine seele ist betruebt bis an den tod, und mein geist wacht auch nicht mehr auf (um das ich glaube matthaeusevangelium zu verfaelschen).“

„So gehe dieser Kelch …“

In korrekter Länge lautet das Zitat aus Matthäus 26 so: „Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus (Jakobus d. Ä., Johannes, Anm.) und fing an zu trauern und zu zagen. Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“ In weiterer Folge konstatiert der Erlöser noch „der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“, dann kommen auch schon die Hohepriester und Ältesten mit Stangen, und wenig später wäscht Pilatus seine Hände in Unschuld.

Soweit der theologische Aspekt, auffallend insofern, als Elfriede Jelinek ihren Regisseuren sonst jede Freiheit lässt. Sie hat mit der Erfindung der „Textfläche“ alle diesbezüglichen Genehmigungen erteilt und damit das europäische Theater verändert wie zuletzt Brecht: Aus sprachwütigen, hoch musikalischen Textkonvoluten müssen Dialoge, Situationen, Gestalten erst modelliert werden. Der Jelinek-Intimus Christoph Schlingensief hat 2003 aus „Bambiland“ nur wenige Sätze belassen, und doch war alles da.

„Burgtheater“ ist aber mehr als 20 Jahre vorher entstanden, eine an Nestroy Maß nehmende, in der Sprachtradition der Wiener Gruppe anarchisch überdrehende Posse mit verteilten Rollen. Sie funktioniert erstaunlich gut, und dass einem jüngeren Publikum die handelnde Familie Wessely-Hörbiger nicht mehr bekannt ist, tut nichts zur Sache: Es geht, zeitlos, um Opportunismus in der Kunst. Man muss auch nicht Geschichte des englischen Spätmittelalters studiert haben, um „Richard III.“ zu verstehen.

Sagen wir, meine seele ist betruebt bis an den tod und mein geist wacht auch nicht mehr auf

Elfriede Jelinek

„Diskurs“ als Pesterreger

Genau da aber versagt die Inszenierung, weil sie vom Pesterreger theatermodischer Wichtigtuerei befallen ist: dem „Diskurs“, der mit Belehrungspalaver Rhythmus und Melodie aller Sprachen aus allen Epochen zu Tode predigt. So hat der Intendant, was sein Recht ist, drei grandiose Protagonistinnen engagiert, und wenn Birgit Minichmayr, Caroline Peters und Mavie Hörbiger Partikel aus dem Stück spielen, möchte man vor ihren Entfesselungskünsten niederbrechen.

Mavie Hörbigers Beweggründe wiederum, ihren eigenen Großvater Paul zu spielen, wären ein wertvoller Beitrag im Programmheft, das aber leider auf Faltblattformat reduziert ist. Deshalb kann man das jetzt die Bühne vermüllende Programmheft nicht überblättern, selbst wenn man schon vorher draufgekommen sein sollte, dass Kickl kein Guter ist.

Das Ermutigende ist, dass Rau heuer nicht nur die vielleicht ärgerlichste, sondern auch die weitaus beste Produktion seines Festivals verantwortet: Was er mit der bedeutenden Schauspielerin Ursina Lardi und einem zugespielten Blutzeugen aus dem irakischen Bürgerkrieg ins Odeon stellt, ist aufwühlend, informativ, gut komponiert und überzeugend gespielt. Rau kennt da jeden Fußbreit Boden, während er sich „Burgtheater“-technisch im rotplüschenen Tunnelsystem österreichischer Verdrängungsstrategien verirrt hat. So etwas kommt vor.

Und die Festwochen

Gehen Sie jetzt mit mir 25 Jahre zurück. Die Festwochen 2000 wurden allseits als uninspiriert wahrgenommen und haben doch zwei Leuchttürme in die Theater­geschichte gesetzt: Schauspielchef Luc Bondy sicherte sich, wie sein Nachnachnachnachfolger Rau, das Beste der Burg, diesfalls für die Koproduktion von Tschechows „Möwe“. Gert Voss, Jutta Lampe, Johanna Wokalek und August Diehl setzten Maßstäbe für Jahrzehnte. Zur selben Zeit aber errichtete Christoph Schlingensief vor der Oper seinen heute historischen Container gegen die schwarz-blaue Koalition: Elfriede Jelinek war eine der Größen, die sich als Asylanten in einer perversen Gameshow aus dem Land wählen ließen.

Sehen Sie, und das ist der Unterschied: Die Festwochen positionieren sich heute fast ausschließlich im performativen Krawallbereich. Dümmeres als die in 24 Stunden verzehrten 100 Packungen chinesischer Nudeln oder das von der Filmregisseurin Kurdwin Ayub verantwortete berufspubertäre Gegröle und Genöle habe ich in den vergangenen Jahrzehnten selten kritisiert. Die Frage ist: Wo bleibt das Äquivalent von heute zu Bondys „Möwe“, wo die erwachsene Auseinandersetzung mit Musiktheater? Rau hat dem schon wachkomatösen Festival ein junges Publikum zugetrieben. Das ist großartig. Jetzt wären die Hinzugewonnenen noch mit einem weniger Blick verengten Theaterbegriff zu versorgen. Dramaturgen, die sich in diesen Bereichen auskennen, sollten doch frei sein.

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