Sie war erfolgreiche Stuntfrau und glücklich mit Österreichs Air-Race-Weltmeister Hannes Arch. Dann raubten ihr zwei Unfälle die Gesundheit, den Beruf und den Mann. Das Leben sei ungerecht, sagt Miriam Höller, heute Keynote-Speakerin, „und das ist gut so!“ Sie hat gelernt, wie man Schönheit in der Zerstörung findet.
Die letzte Hürde in ihr neues Leben zu nehmen, kostete Miriam Höller enorme Kraft. „Ich bin halt die Stuntfrau mit den kaputten Füßen und dem toten Mann“, dachte sie noch vor wenigen Jahren über sich. „So eine können wir leider nicht gebrauchen – wir hätten es gern eine Nummer fröhlicher“. Sarkastisch und tief verzweifelt kommentierte sie die scheinbar ausweglose Situation gegenüber sich selbst. Gesundheit weg. Beruf weg. Die große Liebe verloren. Davor war das Leben für die blonde Deutsche immer ein Abenteuer. Es führte sie auf rote Teppiche und Magazincover.
Historische Action-Momente
In einer kleinen Stadt am Niederrhein wuchs Höller direkt am Waldrand auf. Leben bedeutete für sie Sport und Abenteuer. Neben einer Ausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau investierte sie jede freie Minute und all ihr Geld in Stunt-Workshops und spezielles Training. Richtig abrollen. Aus großer Höhe fallen, ohne sich zu verletzen. Sicher mit Autos driften. Das war ihre Welt. „Ich wollte nie einen normalen Beruf“, sagt die 37-Jährige über ihren Weg in die Stuntbranche. Eine Branche, in der Perfektion, Körperbeherrschung und kalkuliertes Risiko zählt. Höller wurde Hauptdarstellerin der Stuntshow im Movie Park Germany in Bottrop und während der Arbeit dort für die TV-Show „Germany’s Next Topmodel“ als Kandidatin entdeckt. Sie arbeitete als Actionmodel und baute ein 24-köpfiges Stunt-Team für Filmproduktionen, Shows und Workshops auf.
Höllers Auftritt als Engel mit brennenden Flügeln am Wiener Rathausplatz 2012 gilt in der -Life Ball--Geschichte als historischer Moment. Privat war sie damals schon seit zwei Jahren mit Air-Race-Pilot Hannes Arch glücklich. Gemeinsam entwickelten die beiden spektakuläre Stunts: Arch steuerte einen Helikopter, Höller baumelte von dessen Kufen. Bis zum Tag X hatte das Paar sechs gemeinsame Jahre.
Keiner will das Gesicht für Schwäche sein. Es hat lange gedauert, zu verstehen, dass ich das nicht loswerde


Ein Teil von Höllers Geschichte: Mit Air-Race-Pilot Hannes Arch teilte sie sechs Jahre lang Leben und Berufung
© PrivatKontrolle ist eine Illusion
Im Juli 2016 brach sich Miriam Höller bei einem Stunt beide Füße, einer davon kompliziert gebrochen mit langwierigen Folgen. Im September verunglückte Hannes Arch bei einem Hubschrauberabsturz im Großglocknergebiet in Kärnten tödlich. Binnen weniger Wochen wurden Miriam Höller Gesundheit, Beruf und Lebensmensch genommen. Wut und Trauer führten sie in tiefschwarze Stunden. Es gab den Moment, in dem der Weg zwischen Leben und Tod ein schmaler Pfad war. „Ich habe die Kontrolle verloren. Ich, die Kämpferin, die immer alles im Griff hat, die nie aufgibt“, beschreibt Höller es in ihrem Buch „Das Leben ist ungerecht. Und das ist gut so“: „Kontrolle, meine Königsdisziplin. Kontrolle. Was für eine Illusion.“
Sicher ist nur das „Ich“
Jedes Mal, wenn man eine Illusion loslässt, gewinnt man Freiheit. So lautet heute eine von Höllers Lebenslehren. „Ich habe in der Illusion gelebt, dass ich die nächsten 50 Jahre neben Hannes aufwachen werde, dass wir in unserem Haus zusammen alt werden und unsere Kinder da groß werden“, erzählt sie. „Ich hätte nie gedacht, dass ein Mensch, der so voller Lebensfreude ist, wie ich, so tief fallen kann.“
Für die Wucht, mit der ihr binnen Wochen alles genommen wurde, fand sie beim Schreiben oft keine Worte. „Wir hatten uns nicht abgesichert. Meine ganzen Finanzen steckten in dem Haus, das wir umgebaut hatten. Ich habe nichts bekommen, musste ausziehen und von null neu anfangen. Ich habe mich nackt und schutzlos im Leben gefühlt“, beschreibt sie eine dunkle Zeit. „Heute weiß ich: Auf mich kann ich zählen. Was immer bleibt, bin ich.“ Die Heilung dauerte Jahre.
Sich von der Illusion von Kontrolle und Sicherheit zu lösen, war dabei ein elementarer Schritt. „Das Leben bedeutet Veränderung. Das Einzige, dessen ich mir sicher sein kann, bin ich und dass ich auf Veränderungen reagieren kann“, sagt sie. Die Gedanken bewusst zu steuern und mutige Entscheidungen zu treffen, nennt sie Werkzeuge im Heilungsprozess.
Balance im Umgang mit Schmerz
Wie schwer es ist, diese Werkzeuge zu nutzen, weiß die ehemalige Stuntfrau gut. „Am Tiefpunkt lag ich im Bett und hatte mental und körperlich komplett aufgegeben. Dann habe ich gedacht: Okay, das Leben wird ziemlich lang, wenn ich hier liegen bleibe“, beschreibt sie den ersten Schlüsselmoment. „Ich kann jetzt warten, bis es in 50 Jahren zu Ende ist. Oder ich nehme es in die Hand. Ich habe ganz klein angefangen. Wirklich klein. Das erste war ein Schritt aus dem Bett. Dann noch ein winziger Schritt.“
Wenn Wellen von Wut und Schmerz hochkamen, ließ Miriam Höller den Emotionen freien Lauf. „Dann wieder Gesicht waschen und an die frische Luft“, erzählt sie von der Achterbahnfahrt des Prozesses. „Die extremen Emotionen wollen raus aus deinem System. Es ist wichtig, sie nicht zu unterdrücken. Man darf ihnen aber auch nicht zu viel Macht geben“, erklärt sie ihre Erfahrung. Es gelte, die Balance im Umgang mit dem Schmerz zu finden, sagt sie.
„Ich bin nicht meine Emotionen, sie sind ein kleiner Teil von mir. Sie kommen wie Wellen. Die können wir zulassen und beobachten und wissen: Es kommt auch wieder ein Wellental.“ Mit jeder Erfahrung sei ihre innere Stärke gewachsen, beschreibt es Höller. Klein waren die Schritte, aber stetig. Und oft auch schmerzhaft.
Ein Mann ist nicht das Happy End
Im Jahr 2017 verliebte sich Miriam Höller in den Kanadier Nate Herbert. Nach drei Jahren gab sie diese Liebe auf. Sie entschied sich gegen eine Zukunft in der kanadischen Wildnis, abhängig von einem Partner, und für ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland. „Ich habe meine Intuition noch nie so verflucht, wie in dem Moment, als ich weggegangen bin. Ich wusste, es ist der richtige Schritt, aber ich habe etwas sehr Wertvolles zurückgelassen. Das ist der Preis, den ich bezahlt habe“, erzählt sie.
Sie wollte ihren Weg für sich weitergehen, als Keynote-Speakerin ihre Erfahrungen teilen. Es war die letzte große Hürde, denn alles in ihr sträubte sich, ihre Geschichte auf große Bühnen zu bringen. „Keiner will in einer Gesellschaft, die sich an Leistung und Stärke orientiert, das Gesicht für Schwäche und Misserfolg sein“, erklärt sie die Scheu. „Ich hatte Angst, nur noch die Witwe mit den gebrochenen Füßen zu sein. Es hat lange gedauert zu verstehen, dass ich das nicht mehr loswerde.“
Dann machte ihr Zuspruch auf Social Media klar, wie hilfreich andere ihre Erkenntnisse finden, und sie traute sich auf die Bühne. „Wenn nur ein Mensch dabei ist, dem ein Satz hilft, dann gibt es meinen Tiefschlägen einen Sinn“, erklärt sie, wie sie der finalen Herausforderung ins neue Leben begegnete.
Als „kraftvolle, eigenständige Frau, die viel bewusster durchs Leben geht“ bezeichnet sich Miriam Höller heute dank der Tiefschläge. Dieser neue Blick auf das Leben sei ihr Happy End sagt sie. Der neue Mann an ihrer Seite, Roland Trettl, muss ohne dieses Attribut auskommen. Den bekannten Koch und TV-Moderator hat Höller vor 14 Jahren über Hannes Arch kennengelernt. „Wir haben uns jetzt wiedergefunden. Wir sind sehr glücklich. Aber mein größtes Happy End bin ich, weil ich niemals aufgegeben habe, denn das ist es, was bleibt, wenn alles andere zusammenbricht.“
Das Buch
In „Das Leben ist ungerecht. Und das ist gut so“ teilt Miriam Höller ihre Geschichte und lebensverändernden Erkenntnisse.
(Econ, Ullstein)
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.05/2025 erschienen.